Kapitel 1

Clove war die südlichste Stadt Seyls. Trotzdem verbarg auch sie sich unter einer dichten Schneedecke. Die Häuser, die die engen Gassen umrahmten, als wollten sie uns daran hindern vom Weg abzukommen, standen dicht an dicht gedrängt. Die meisten bestanden aus Fachwerk und hinter den vielen Fenstern brannte bereits Licht. Die Winter in Seyl waren dunkel, die Sonne schien oft nur für wenige Stunden, nur um in dieser Zeit hinter einer dichten Wolkendecke versteckt zu sein.

An diesem Tag war sie die ganze Zeit unsichtbar geblieben und das trübe Wetter schlug auf mein Gemüt. Farah stapfte mit gesenktem Kopf durch den Schnee, den sie anfangs noch übermütig begrüßt hatte. Wie ein junges Fohlen war sie auf und ab gesprungen und hatte voller Begeisterung den Kopf geschüttelt. Ich hatte mich auf ihrem Rücken von ihr anstecken lassen und lauthals gelacht.

Alyn war uns auf Turrim gefolgt. Wo das glitzernde Nass meinem Skara teils fast bis zum Bauch reichte, war Alyns riesiges Reittier nur bis zum Sprunggelenk eingesackt.

Rosena hatte uns wehmütig lächelnd zugeschaut. Auch wenn wir inzwischen mehrere Wochen im Sattel zugebracht hatten, war sie immer noch stellenweise unsicher und mied jegliche Art von Risiko. Manchmal wollte ich sie spielerisch foppen, aber auch wenn Rosena durchaus Humor hatte, nahm sie sich jegliche Kritik viel zu sehr zu Herzen.

An drei Tagen hatten wir es nicht rechtzeitig zum Einbruch der Dunkelheit in eine Ortschaft geschafft und mussten im Freien nächtigen. Einmal davon hatte ich die beiden Frauen zu einer im Wald verborgenen Höhle geführt, ein andermal hatte ich eine Senke aufgespürt, die uns wenigstens etwas Schutz versprach. Beim dritten Mal jedoch hatten wir uns nur unter einem Baum zusammengekauert. Auch die Pferde hatten dicht beieinander gestanden und sich gegenseitig Schutz gegeben. Rosena indes hatte am meisten von uns allen unter der Kälte gelitten.

Ich hatte schon öfters ohne Dach über dem Kopf schlafen müssen, auch im Winter und Alyn – nun Alyn war einfach Alyn und das bedeutete auch, dass ihr so etwas Gewöhnliches wie eisige Temperaturen nicht zu schaffen machte. Immerhin musste ich zugeben, dass sie uns beide gewärmt hatte.

Es war das einzige Mal während dieser drei Wochen gewesen, wo ich es ihr gestattet hatte, mich zu berühren und das auch nur, nachdem sie mir deutlich gemacht hatte, dass ich noch zu geschwächt war, eine Nacht wie diese zu überleben.

Ich warf ihr einen Blick zu. Ihre Hüften wiegten sich im Rhythmus Turrims, während ihr Oberkörper komplett festgefroren wirkte, so als wäre er nicht mit ihrem Unterleib verbunden. Ihre Augen starrten verträumt in die Ferne. Offenbar war sie tief in Gedanken versunken.

Rosena sprach leise mit ihrer Stute, die sie passend zu ihrem Fell Isa genannt hatte. Manchmal hatte ich das Gefühl, die junge Frau redete mehr mit ihrem Reittier als mit ihren Reisegefährten und wenn Alyn nicht für drei gesprochen hätte, wären wir wohl in ewigem Schweigen geritten.

Ich war erleichtert, als wir Clove endlich erreichten. Obwohl ich normalerweise sehr gerne im Sattel saß, machten mir die Strapazen mehr zu schaffen, als ich jemals zugeben würde. Mein Körper war immer noch zu ausgemergelt und manche Wunden immer noch nicht komplett verheilt. Nachts träumte ich immer wieder, wie Männer in weißen Roben mir die Knochen brachen und mich fast zerstörten. Immer wieder durchlebte ich all meine Ängste und es war so real, dass ich manchmal nach dem Aufwachen für einen bangen Moment nicht wusste, wo ich mich befand. Ich hatte gehört, dass manche der Frauen sich hatten ausziehen müssen und die Jünger Lessamms Insekten und Mäuse in die Körper der Opfer geschoben hatten. Allein bei dem Gedanken wurde mir schon schlecht. Dadurch fiel es mir nicht schwer zu sagen, dass ich noch Glück gehabt hatte.

Trotzdem war ein ruhiger Schlaf weit entfernt und ab und an lag ich ganze Nächte wach. Alyn sagte ich natürlich nichts, aber ich vermutete, dass sie etwas ahnte. Diese seltsamen Seitenblicke, die sie mir regelmäßig zuwarf, verhießen nichts Gutes.

Zumindest waren wir von Räubern verschont geblieben. Nur einmal hatten sich uns bedrohlich wirkende Männer genähert, doch diesen waren wir schnell davongaloppiert. Keiner von uns hatte Lust auf eine gewaltsame Auseinandersetzung.

Ich war zuvor nur ein einziges Mal in Clove gewesen und die Stadt weckte keine guten Erinnerungen in mir. Sie besaß einen großen Hafen am Side, der später als Sidun durch Jamar floss, sich seinen Weg am Rande der Wüste suchte und dort von den Karten verschwand. Ich wusste nicht, was dahinter lag. Meiner Meinung nach musste jeder Fluss früher oder später in einem größeren Gewässer enden, aber mit dieser Ansicht war ich immer auf taube Ohren gestoßen. Manche behaupteten gar, die ganzen Wassermassen würden als gewaltiger Wasserfall geradewegs in die Gryphe stürzen.

Jedenfalls florierte der Handel mit Skaramesch, auch wenn vor allem das Wüstenreich davon profitierte. Einzig die Flusspiraten aus Jamar waren ein Risiko, jedoch eines, das sich lohnte, auf sich zu nehmen.

Wir hatten uns darauf geeinigt, dass der Side die schnellste Möglichkeit war, nach Skaramesch zu gelangen. Der Dschungel Jamars war tückisch und ich kannte mich dort nicht aus. Wir würden uns schnell verirren, denn ortskundige Führer waren rar. Der Weg über den Fluss war einfacher. Viele der Handelsschiffe nahmen Passagiere auf. Zu dieser Jahreszeit stagnierte der Warenaustausch zwar etwas, aber es würde sich sicher eine Gelegenheit ergeben.

Ich fröstelte. Normalerweise herrschte hier unten ein milderes Klima. Schnee war äußerst selten, diesen Winter jedoch hatte es einen Kälteeinbruch gegeben, mit dem niemand gerechnet hatte. Viele Menschen redeten davon, dass die Götter erzürnt waren.

Ich vermutete eher, dass die Kaltfront aus Acerum für die eisigen Temperaturen verantwortlich war. Egal was nun der wahre Grund war, er hinderte uns am Vorankommen. Manchmal mussten wir Halt machen, denn das Schneetreiben war so heftig, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte.

Deshalb war ich erleichtert, als wir auf das Stadttor zuritten. Es stand offen, die obligatorischen Wachen davor postiert. Sie verschwanden unter dicken Schichten aus Leder und Stoff, den Schal über Mund und Nase gewickelt, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Als wir vor ihnen anhielten, blickten sie träge auf.

„Was ist Euer Begehr?", wollte der eine wissen. Zumindest vermutete ich, dass er eben das sagte, denn durch den Schal konnte ich ihn kaum verstehen.

„Wir suchen eine Gelegenheit zur Mitreise nach Skaramesch."

Die Wachen tauschten vielsagende Blicke, ihre Mienen blieben unsichtbar im Schatten der Kapuzen. „Was wollt Ihr in Skaramesch?", fragte der eine misstrauisch. Mir fiel auf, dass er leicht schief stand, als wäre eines seiner Beine kürzer als das andere.

Ich wies auf Alyn. „Meine Frau hat dort Verwandte. Vor einigen Tagen erreichte uns eine Nachricht, dass die Enkelin des Vetters der Großmutter mütterlicherseits heiratet. Wir sind natürlich sofort aufgebrochen und hoffen nun ein Schiff zu finden, das in nächster Zeit Richtung Skaramesch ausläuft."

Wieder lieferten sich die Wachen einen stummen Blickaustausch. Dann musterten sie Alyn, die strahlend lächelte. Durch ihre dunklen Haare erinnerte sie tatsächlich an jemand mit skarschen Wurzeln. Natürlich war sie viel zu blass dafür, aber die Verwandtschaft war weit entfernt. Außerdem war den Skaras die Familie heilig, was allgemein bekannt war. Aus diesen Gründen zweifelten die Wachen die Geschichte offenbar nicht an.

Der mit dem schiefen Stand starrte auf Rosena. „Und sie?"

„Das ist die Zofe meiner Frau. Ihr erwartet doch nicht, dass eine Frau von Würde ohne Zofe reist?"

„Warum seid Ihr nicht mit einer Kutsche unterwegs?" Das war ein berechtigter Einwand.

„Die Straßen sind voller Schnee. Mit einer Kutsche wären wir nicht weit gekommen. Deshalb mussten wir bedauerlicherweise mit dem Rücken eines Pferdes vorlieb nehmen. Aber für die Familie meiner Frau nehmen wir derartige Unannehmlichkeiten selbstverständlich in Kauf. Kein Skara würde das Wetter als Entschuldigung für ein Nichterscheinen bei einer so wichtigen Familienfeier akzeptieren."

Jetzt waren sie offenbar vollends überzeugt, denn sie traten beiseite und gewährten uns Zutritt in ihre verwinkelte Stadt.

Clove wirkte wie eine Bilderbuchstadt mit seinen malerischen Gebäuden, die durch den Schnee, der sich an sämtlichen Vorsprüngen sammelte, etwas von ihrer kantigen Ausstrahlung verloren. Hinter den Fenstern schien warmes Kerzenlicht und verstärkte den friedlichen Eindruck noch. Als hätten die Bewohner all die Sorgen der Welt ausgesperrt.

Bald war das Hochfest des Winters. In diesem wurde daran erinnert, dass die kalte Jahreszeit den Menschen Zeit mit ihrer Familie schenkt und der Natur ihre Erholung, auf dass sie im nächsten Frühjahr wieder mit aller Kraft ihre Schönheit entfalten könne. Außerdem wurde natürlich auch den Göttern gedankt. Insbesondere Lessamm, der Miskor besiegte und so den ewigen Winter aus unseren Landen verbannte und die Wärme zurückbrachte. Ich hatte immer Mitleid mit ihm empfunden, denn eigentlich hatte der geächtete Gott nichts Schlimmeres getan, als Resha schöne Augen zu machen. Offenbar fühlte sich diese durch seine unbeholfenen Versuche sehr geschmeichelt, was Lessamm äußerst unrecht war. Für einen Gott war das, meiner Meinung nach, ein sehr menschliches Verhalten. Aber bis jetzt hatte ich das nie öffentlich erwähnt. Meine Seele war zwar längst verloren, aber mein irdisches Leben wollte ich dann doch lieber ohne den Zorn meiner Mitmenschen genießen.

„Die Gräfin von Clove und Landenburg hat vor einigen Jahren einmal einen Ball abgehalten, kurz nach meiner Einführung in die Gesellschaft. Sie ist eine reizende alte Dame, die mit mir in vielen Dingen einer Meinung ist. Im Gegensatz zu ihrer Nichte, die sich wie ein Miststück benommen hat, nur weil ihre Verabredung mich zu einem Tanz aufgefordert hatte. Dabei habe ich ihr doch deutlich gemacht, dass ich keinerlei Interesse am werten Erben der testrischen Baronei habe. Anscheinend glaubte sie mir nicht, sodass ich mich einer üblen Verleumdungskampagne ausgesetzt sah. Das hat sich jedoch alles wieder geklärt." An Alyns biestigen Lächeln erkannte ich, dass die ganze Sache sehr zum Nachteil des armen Mädchens geendet hatte.

Mein Respekt vor ihr wuchs.

Rosena murmelte etwas. Es klang nach „Dein Selbstbewusstsein hätte ich auch gerne." Alyn schien es nicht gehört zu haben, denn sie plapperte munter wie immer weiter. Rosena schien es ihr nicht übel zu nehmen. Offenbar war die junge Frau es gewohnt, überhört zu werden. Ich schwieg. Wieder einmal wusste ich nicht, wie Worte etwas daran hätten ändern können.

Der Hafen lag im südöstlichen Bezirk. An dieser Stelle war der Side so breit, dass man das gegenüberliegende Ufer nur in der Ferne erkennen konnte. Das dahinter liegenden Land gehörte zwar auch noch zu Seyl, war aber durch seine geographische Lage vom Rest des Reichs abgeschnitten, sodass es überwiegend brach lag. Nicht viele siedelten dort und wenn, dann waren es überzeugte Selbstversorger, nicht daran interessiert, was sich auf der anderen Flussseite abspielte. Man konnte fast so weit gehen und behaupten, sie hätten mehr Kontakte zu den wilden Stämmen Jamars als zu Seyl.

Die Hufe der Pferde klapperten laut, als wir einer breiten Allee zum Hafen folgten. Die Bäume waren kahl, aber trotzdem gefiel mir der Gedanke, die Straßen mit Bepflanzung etwas zu verschönern. Clove war die einzige Stadt, von der ich wusste, dass das eigene Kanalsystem tatsächlich funktionierte. Es gab sogar einige Arbeiter, die nur für die Wartung der langen Schächte verantwortlich waren. Das Dreckwasser landete im Side, der aus diesem Grund mehr braun als grün schimmerte.

Jetzt war allerdings kaum jemand unterwegs. Der einzige Mensch, der uns begegnete, war der Laternenanzünder, der nach Hause eilte. Als wir jedoch in die Nähe des Hafens kamen, wurden es mehr und mehr Männer. Bei vielen von ihnen handelte es sich um Matrosen, die bereits deutlich angeheitert waren. Sie stützten sich gegenseitig und grölten Seemannslieder, obwohl keiner von ihnen vermutlich jemals ein Meer zu Gesicht zu bekommen hatte. Mein Vater hatte mir immer vom Meer erzählt. Den Großteil seiner Worte hatte ich vergessen, denn ich war zu klein gewesen. Aber ich konnte mich erinnern, dass er ins Schwärmen geraten war. „Eines Tages, mein Sohn...", hatte er gesagt. „... eines Tages werden wir nach Erza gehen und das Meer sehen. Nur du und ich."

Es war so ziemlich der einzige Satz, der mir wortwörtlich in Erinnerung geblieben war. Einfach, weil er so oft davon gesprochen hatte.

„Senn?"

Ich merkte auf. „Was ist los?"

Alyn lächelte. „Nicht so wichtig."

Ich zuckte mit den Schultern und warf zwei Seemännern einen finsteren Blick zu, die zu nahe an die Pferde geraten waren. Farah schnaubte nervös, denn das Gefuchtel des einen behagte ihr offenbar gar nicht. Mit leisen Worten beruhigte ich sie.

Als sich vor uns die Häuserreihen öffneten und den Blick auf den Side freigaben, der jetzt im Winter wieder etwas von seiner grünlichen Färbung zurückgewonnen hatte, entschied ich mich abzusteigen. Um den Hafen herum war es laut. Hinter den Türen der zahlreichen Schenken konnte man Gegröle hören und auch davor wuselte es. Alyn schritt selbstbewusst neben mir, während sich Rosena mit unsicherem Blick umsah. Ihre Stute ließ sich nicht von ihrer Nervosität anstecken. Mit diesem Pferd hatte Ander wahrlich einen Glücksgriff gemacht.

Sofort wanderten meine Gedanken zu Merin und den beiden Geschwistern. Wie es ihnen nun wohl erging? An die Stadt erinnerte ich mich mit gespaltenen Gefühlen. Auch wenn alles gut ausgegangen war, konnte ich meine Tage als Gefangener der wahnsinnigen Jünger Lessamms nicht vergessen. Albträume quälten mich mit neuer Intensität. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, meinte ich den Jünger Pendros zu sehen, wie er mit seinen schmierigen Fingern auf mich zutrat, nur um mich überall berühren zu können, ohne dass ich mich wehren konnte. Obwohl er längst für seine Sünden büßte, schaffte er es immer noch, mir Schauder über den Rücken laufen zu lassen.

Verstohlen sah ich zu Alyn. Wie lange würde sie warten? Es mangelte ihr schließlich kaum an Freiern und ich wünschte ihr jemanden mit weniger Problemen als ich.

Einer der Flussmatrosen trat breitbeinig auf uns zu. Offenbar gehörte er zu der ziemlich angetrunkenen Kategorie, denn ihm schien nicht aufzufallen, dass wir mitten in seinem Weg standen. Vielleicht war es ihm auch egal. Jedenfalls rannte er direkt in mich hinein. Mir presste es die Luft aus den Lungen und seine Nähe löste beinahe eine Panikattacke in mir aus. Verwirrt hob der junge Mann den Blick und versuchte ihn auf mich zu fokussieren. „Ich versteh nich", lallte er. „Ich wollt doch durch, ja. Durchgehn... Ihr sswei.." Gedankenverloren machte er eine Kehrtwendung und spazierte orientierungslos durch die Gegend.

Ich runzelte die Stirn. „Wie kann man um diese Zeit nur schon so stark betrunken sein? Wenn sich nicht einer seiner annimmt, landet er entweder im eiskalten Wasser und ertrinkt oder er schläft an eine Häuserwand gelehnt ein und stirbt den Erfrierungstod, ohne es zu merken."

Alyn warf mir wieder diesen Blick zu und ich bereute es, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben.

„Nein", sagte ich. „Schau mich nicht so an. Ich werde ihm unter keinen Umständen helfen."

Ehe ich mich versah, eilte ich hinter dem Matrosen her. Ich hatte mich immer für einen harten Mann gehalten. Wieso schaffte ich es dann nicht, dieser Frau jemals zu widersprechen?

„Herr", rief ich dem Betrunkenen nach. „So wartet doch."

Entweder hörte er mich nicht oder er fühlte sich einfach nicht angesprochen. Ich schloss rasch zu ihm auf, denn er torkelte mehr, als dass er marschierte. Gerade als ich ihn erreichte, stolperte er über seine eigenen Füße und stürzte geradewegs gegen einen anderen Mann. Dieser drehte sich gereizt um und ballte die Fäuste. Auch wenn er nicht besonders groß war, so hatten seine Oberarme doch den Umfang von Baumstämmen. Seine Gesichtsfarbe war dunkler als die der meisten Menschen aus Seyl, deshalb nahm ich an, dass er auf einem der skarschen Schiffe angeheuert hatte oder aus Jamar stammte. Er schimpfte in der Sprache des Dschungels, dann verschränkte er die Arme.

„Was willst du?", knurrte er mit starkem Akzent.

„Ihr sssseid ja auch swei. So viel Swilinge." Kopfschüttelnd wollte sich der Betrunkene einen Weg an dem Mann vorbeibahnen.

Der schnaufte nur verächtlich. „Ihr haltet Euch immer für besonders. Dabei könnt Ihr nicht einmal Eure eigene Trinksucht kontrollieren. Ich hätte große Lust, sie aus Euch herauszuprügeln."

Ich seufzte und sah mich gezwungen einzugreifen, ehe das Ganze noch in einem Handgemenge und einem ausgemachten Faustkampf endete. „Entschuldigt, mein Herr", sagte ich eilig und schwarze Augen durchbohrten mich.

„Was wollt Ihr?"

„Mein Bruder hat wieder einmal zu tief in die Flasche geblickt. Seid nachsichtig. Er hat seine Frau und seine Kinder verloren, während er auf See war. Das alles macht ihm zu schaffen."

Sichtlich besänftigt hellte sich die Mimik des Mannes auf. „Ich verstehe. Allerdings wird der Alkohol seine Probleme nicht lösen, sondern nur weitere schaffen. Richtet ihm das aus, wenn er wieder nüchtern ist."

Erleichtert atmete ich aus. Ich hätte mich nur ungern mit diesem Kerl geprügelt. Ich war ein Verfechter von bewaffneten Nahkämpfen. Dort kam es auf Schnelligkeit und Geschick an und nicht auf rohe Gewalt. „Vielen Dank, Herr." Ich nickte ihm zu.

Der Mann wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal um. „Ihr sehr Eurem Bruder...", dieses Wort dehnte er besonders deutlich. „... nicht besonders ähnlich. Er ist ein einfacher Mann, Ihr hingegen habt die Züge und Haltung eines Adligen." Er ließ seinen Blick von oben nach unten wandern. „Eines heruntergekommenen Adligen, aber niemals die eines Bauern. Gehabt Euch wohl." Mit diesen Worten ließ er mich verdutzt stehen.

Als würden sich Menschen anhand ihres Aussehens in Klassen einteilen lassen. Ich musste an das Bauernmädchen Ella denken, das niemals ein Adelshaus von innen sehen würde und trotzdem zu einer wunderschönen Frau heranwuchs. Es war unsinnig zu behaupten, dass Geld und blaues Blut schön machen. Der wolllüstige Baron, auf den wir ebenfalls getroffen waren, beispielsweise, hatte an Vorzügen nicht mehr als seinen Titel vorzuweisen.

Ich griff dem Betrunkenen, der bereits bedenklich wankte, unter die Arme. Er wandte sich mir zu und sein Alkoholatem blies mir ins Gesicht. Ich rümpfte die Nase. Sein Geruch war mir zuwider. Diese Mischung aus Schweiß und Rum roch nach Vergänglichkeit und Verzweiflung. Außerdem bekam ich eine Gänsehaut, als ich sein Gewicht auf mir spürte, obwohl uns ein gefühltes Dutzend an Kleidungsschichten trennten. Ich zog ihn mit zu den Frauen, die mit den Pferden zurückgeblieben waren.

Als Erstes erblickte ich Alyn, die energisch die Hände in die Hüfte gestemmt hatte und Rosena, die sich an sie drängte. Ihr Blick flackerte zwischen Entschlossenheit und Angst hin und her. Vor ihnen hatten sich einige Matrosen versammelt und diskutierten eifrig mit der Herzogstochter.

Ich trat näher heran, eine Hand auf dem Griff des Kriegers. Normalerweise kämpfte ich lieber mit der Tänzerin, aber die andere Hälfte meiner Sennen hing an meiner rechten Seite. Die, auf die sich der betrunkene Matrose stützte.

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