Wahre Liebe?
Peter saß in seinem Zimmer und blätterte durch ein altes verstaubtes Buch. Ich hockte zu seinen Füßen und hatte ebenfalls einen dicken Wälzer auf dem Schoß.
Enttäuscht schlug ich ihn zu und lehnte mich gegen Peters Beine.
»Wieder nichts?«, fragte er mich. Ich konnte nur den Kopf schütteln.
»In keines dieser verdammten Bücher steht auch nur ein Hauch über Edmunds Todesstarre!«
Ich legte meinen Kopf auf meine Knie ab und begann in mich hinein zu schluchzen. Peter legte sein Buch auf dem Tisch ab und umarmte mich von hinten.
»Schh. Alles wird gut. Wir werden schon eine Lösung finden. Vertrau mir.« Er hob mich hoch und trug mich zu seinem Bett. Dort legte er mich hin.
»Schlaf jetzt. Es ist schon spät und heute ist viel passiert. Schließlich bist du ja wieder du selbst.« Der Mann gab mir einen Kuss auf die Stirn und wollte gehen, aber ich griff flink nach seiner Hand.
»Weißt du noch«, begann ich, »als wir uns zum ersten Mal getroffen haben? Wir haben uns nicht gemocht. Und nun ...«
»... nun lieben wir uns, mehr als die Sterne den Mond lieben.« Mit diesen Worten verschwand er und ließ mich alleine zurück.
Warum fühlte sich die Liebe so eigenartig an? So unwirklich? War es, weil ich mich nicht damit abfinden konnte, mehr als gemocht zu werden?
»Sagt es mir!«, betete ich zu den Sternen und kuschelte mich tiefer in das Kissen hinein.
Auf einmal wurde leise die Tür geöffnet und Sally schlich auf nackten Füßen über den Boden. Sie trug ein Nachthemd und hatte einen Kerzenhalter in der Hand. Als sie die Tür geschlossen hatte, kam sie zum Bett und stellte sich neben mich. Ich erhob mich und sah sie an.
»Was ist?«
»Ich kann nicht schlafen«, murmelte das Mädchen und ich zog sie auf das Bett. Sie legte sich hin, schaute mich aber dennoch an.
»Es ist ... es ist so komisch. Alles«, meinte sie.
»Ja, das ist es in der Tat«, sagte ich, sank zurück ins Kissen und schloss die Augen
»Ich möchte hier bleiben«, flüsterte Sally plötzlich.
Ich nickte.
»Und ich glaube, ich habe mich verliebt ...«
»In wen?«, fragte ich ruhig.
Ich bemerkte ihr Zögern und erschrak bei der Antwort. »Edmund …«
Abrupt öffnete ich die Augen. »Wie bitte?« Ich wurde lauter, als ich wollte, aber auf einmal wurde mir alles klar.
»Edmund ... ich ... Vorhin als ich seine Hand gehalten hatte, wurde sie wärmer ...« Sally sah mich ängstlich an.
Ich erhob mich und rannte aus dem Zimmer.
Sally pov.
Belle rannte davon und ich folgte ihr. Mein Nachthemd wehte umher und meine nackten Füße verursachten keine Geräusche, was sowieso irrelevant gewesen wäre, da Belle ja schon laut genug war.
Sie lief, nein, sie hüpfte laut lachend durch die Gänge in Richtung des Thronsaals.
Sie drückte die Flügeltür auf. Ich sah Peter, der mit Kaspian und einigen Lords um einen Tisch herumstand und diskutierte.
Als sie uns hörten, hoben sie den Kopf.
»Solltet Ihr nicht schon schlafen, Eure Majestät?«, fragte ein Lord.
»Ich habe«, begann die Königin, »den Schlüssel.« Sie ging zu dem Tisch und schaute die Männer an.
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte einer, der einen echt starken Akzent hatte.
»Ich weiß, wie wir Edmund retten können!« Sie zog mich am Arm zu ihr und stellte mich vor sie. Dann legte sie ihre Hände auf meine Schultern.
»Sally ist in ihn verliebt!«
»Das ... ist mir jetzt ein wenig peinlich«, gab ich leise zu.
»Belle, es würde uns allen viel mehr helfen, wenn du uns an deinem Wissen teilhaben lässt!«, meinte Kaspian.
»Was ist, wenn die Prophezeiung nicht nur von einem Königspaar gesprochen hatten, sondern von zwei? Oder Peter und ich nicht die Auswählten sind?«
»Das ist unmöglich!«, beharrte Peter. »Alles spricht dafür, dass wir …«
Der König wurde unterbrochen.
»Nichts ist unmöglich, Peter! Ich glaube nicht an das Unmögliche. Nicht, nach dem Ganzen hier!«
»Ich glaube, die Königin hat recht!«, meinte ein Lord.
Peter starrte wütend in meine Richtung. »Und was ist dein Plan?« Ruckartig schaute er zu Belle.
»Der Kuss der wahren Liebe!« Sie hauchte es beinahe.
»Also ist es wie in Dornröschen nur umgekehrt?«, brachte ich mich auch mal mit ein.
Alle schauten mich verwirrt an.
»Dornröschen? Der Kuss? Sie wacht auf?«
»Kommst du bitte?« Belle zog mich einfach, ohne auf eine Antwort zu warten, mit sich.
Wir liefen zu Edmunds Zimmer und Kaspian und Peter folgten uns. Als wir den Raum betraten, schauten mich alle erwartungsvoll an.
»Könntet ihr vielleicht bitte rausgehen?«, fragte ich. Sie nickten und verschwanden.
Nun war ich alleine. Nur Edmund lag bleich und wie ein Toter auf dem Bett. Die Arme neben seinem Körper, die Augen geschlossen. Seine Lippen hatten jegliche Röte verloren. Sie waren beinahe blau, als wäre er zu lange im Winter draußen geblieben.
»Hey«, sagte ich und hob die Hand zum Gruß. »Ich weiß, du kennst mich nicht und ich kenne dich auch kaum. Aber ich glaube, dass du ganz okay bist. Nach allem, was ich über dich erfahren hab.«
Ich lief langsam auf ihn zu.
»Weißt du, ich hatte Visionen und du warst auch darin. Du hattest ein sehr gutes Verhältnis zu Belle und deinen Geschwistern. Ich hatte nie Geschwister, geschweige denn viele Freunde. Ich wollte immer irgendetwas Abgefahrenes erleben, irgendjemanden retten. Und heute, heute habe ich die Chance.«
Ich stand neben ihm und beugte mich langsam zu ihm hinüber. Meine Kopf war nun über seinem. Ich kam immer näher und dann berührten meine Lippen seine. Sie waren kalt und fühlten sich tot an.
Doch plötzlich spürte ich eine Veränderung. Edmunds Lippen wurden wärmer!
Erschrocken öffnete ich die Augen und wich vor ihm zurück. Ein Windstoß fegte durch das Zimmer. Mir wurde eiskalt und ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Mit einem Knall schlugen die Fenster auf. Ich wurde von den Beinen gerissen, als ein weiter Windstoß durch das Zimmer jagte.
Ich rieb mir die Augen, da ich nichts mehr sah und als sich der Nebel, der aufgekommen war, gelichtet hatte, stand ich wieder auf. Ich konnte meine Augen wieder öffnen und erschrak, als ich diese Frau sah. Sie trug ein schneeweißes Kleid und einen Umhang aus Pelz. In ihren Händen hielt sie einen Dolch, der mit der Spitze nach unten zeigte.
»Da hat die Königin ja wieder jemanden gefunden, den sie in den Tod schicken kann. Jemand, der ihrer Ansicht nach weniger wert ist als sie.« Die Frau grinste böse.
»Ich kenne Sie nicht«, meinte ich und wich so weit zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spürte.
»Du kennst mich. Du hast mich gesehen. Auf dem Schlachtfeld.«
»Jadis, die Weiße Hexe«, hauchte ich ängstlich.
»Du hast also schon von mir gehört«, sagte Jadis lachend. »Hoffentlich nur Gutes!«
»Man kann nichts Gutes erzählen, wenn es nichts
Gutes gibt, was Ihr getan habt!«, fauchte ich.
Die Hexe kam auf mich zu, mit erhobenen Dolch!
»Es hat nicht funktioniert, oder?« Sie schaute kurz zu Edmund. «Der Junge wird nie wieder erwachen! Lebe wohl, Sally. Du hättest dir wünschen sollen, nicht hier zu bleiben!« Der Dolch jagte auf mich zu und ich begann zu zittern.
Auf einmal schrie jemand. Jadis drehte sich um und ich hörte Stahl klirren.
Die Tür wurde aufgerissen und Belle mit Peter und Kaspian rannte hinein. Nun sah ich, wer da kämpfte. Es waren Edmund und Jadis!
Belle zauberte aus dem Nichts ein Schwert in ihre Hand. Peter und Kaspian hatten ihres schon gezückt.
»Keine Bewegung, Hexe, oder es wird schmerzhaft!«, zischte Peter.
Die Frau lachte und wandte sich an Belle. »Behaltet noch Eurer leben, Belle, aber ich werde wiederkommen!« Mit diesen Worten kam wieder Wind und Nebel auf und beim nächsten Wimpernschlag war die Weiße Hexe verschwunden.
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