Angriff auf das Schloss
Es dauerte nicht lange und wir waren da. Wir befanden uns auf einer großen flachen Grasebene, mittendrin ein Hügel (man nennt ihn auch Aslans Haug), den wir betraten. Unterirdisch befanden sich Höhlen und Stollen, wo Schwerter und Rüstungen geschmiedet wurden.
Plötzlich rief Susan nach mir: »Peter! Das musst du dir ansehen.« Sie deutete auf Höhlenmalereien. »Was ist das?«
Kaspian kam auf uns zugelaufen. »Ihr wisst das nicht?«, fragte er.
Wir schüttelten den Kopf, und er nahm eine Fackel aus der Halterung an der Wand und lief die steinernen Stufen des schmalen Ganges hinunter. Meine Geschwister und ich folgten ihm.
Unten befand sich ein großer dunkler Raum. Kaspian nahm seine Fackel und zündete das Becken am Eingang auf der linken und rechten Seite an. Das Becken ging an der Wand entlang, so dass sich ein Kreis bildete. In der Mitte des Raumes befand sich - ich traute meinen Augen kaum - der zerbrochene Steinerne Tisch. Dahinter war ein Abbild von Aslan in die Wand gemeißelt.
Plötzlich kam ein Faun aufgeregt die Stufen hinunter gerannt. »Eure Majestäten, die Telmarer haben einen Spion gesendet! Er wird bald Miraz benachrichtigen und dann wird er wissen, dass Ihr wieder hier seid«, sagte er.
»Lasst uns eine Versammlung einberufen«, meinte ich. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Alle riefen und brüllten wild durch einander. Einige beleidigten die Telmarer, andere wollten gegen sie in den Krieg ziehen, wiederum andere bangten um ihr Leben. Lucy saß auf Aslans Steinernen Tisch, Edmund hockte auf einem Stein, Susan und Belle lehnten gegen der kalten Wand, während Kaspian und ich standen.
»Was sollen wir Euer Meinung nach tun, Eure Majestät«, brüllte Reepicheep so laut, dass er alle, obwohl er so klein war, übertrumpfte. Die Soldaten schwiegen urplötzlich und schauten mich gebannt an.
»Ich finde ...«, begannen Kaspian und ich gleichzeitig. Verdutzt blickten wir uns an. Jetzt denkt der schon, ER sei der König von Narnia. Er senkte seinen Kopf und ließ mir den Vortritt. Ist auch besser so, Telmarer.
»Ich finde, wir sollten Miraz' Schloss in der Nacht angreifen«, sagte ich.
»Aber von hier aus können wir besser Stellung halten«, entgegnete Kaspian.
Ich funkelte ihn böse an.
Da kam Susan einige Schritte auf mich zu gelaufen. »Kaspian hat recht. Von hier können wir viel mehr erreichen.«
Ich konnte es kaum glauben. Meine eigene Schwester schlug sich auf die Seite eines Telmarers! Einem allein gelassenen Prinzen, der von seinem Onkel verfolgt wird.
»Es ist ... bewundernswert was ihr hier geschaffen habt«, erklärte ich. »Aber dies ist keine Festung, sondern ein Grab.«
Edmund nickte. »Wenn wir Miraz angreifen, haben wir den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Über die Hälfte seiner Soldaten ist am Fluss versammelt und wartet darauf, dass die Brücke fertig gebaut und sie uns angreifen können.«
»Ihr unterschätzt Miraz. Wir müssen hierbleiben!«, beharrte Kaspian.
»Für euch existieren nur zwei Möglichkeiten: Entweder hier sterben oder dort«, meinte Lucy plötzlich.
Ich drehte mich zu ihr um und blickte in ihre blauen Augen. »Ich glaube, du hast nicht richtig zugehört -«, begann ich, doch ich wurde von meiner Schwester unterbrochen.
»Ich glaube, du hast nicht richtig zugehört«, entgegnete sie. »Oder hast du etwa vergessen, wer die Weiße Hexe getötet hat?« Es war Aslan gewesen.«
»Aslan ist aber nicht hier«, konterte ich. Lucy öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber sie schloss ihn sogleich wieder.
»Peter hat recht.« Erschrocken drehte ich mich um. Belle richtete sich auf. »Ausnahmsweise.« Sie schritt durch den Raum langsam auf mich zu. Kurz vor mir blieb sie stehen und schaute mir tief in die Augen, dann drehte sie sich um und lief weiter. »Von hier aus erreichen wir nichts. Miraz erwartet uns nicht. Er weiß, dass wir in der Unterzahl sind und das müssen wir ausnutzen. Wenn wir nach dem Plan gehen, kann nichts schief gehen.«
Abrupt wandte sie sich um.
»Du hast doch einen Plan, oder?«, fragte sie mich und ich nickte.
Ja, ich habe einen Plan.
Es war stockdunkel. Kein Licht brannte im Schloss. Leise flogen Susan, Kaspian, Edmund und ich von Greifen getragen über die Burg. Edmund wurde auf einem Turm abgesetzt und tötete sogleich den Wachmann - für den sein Tod sehr überraschend kam - um dann von dort aus später unseren Soldaten vor dem verschlossenen Tor das Signal mit seiner Taschenlampe zu geben.
Susan, Kaspian und ich wurde auf der Mauer abgesetzt. Leise wie die Nacht starben auch dort die Wachsoldaten durch unsere Hand. Reepicheep und seine Kumpanen gelangten durch die kleinen Schlupflöcher in das Schloss. Von innen öffneten sie die Tür, so dass Trumpkin eintreten konnte.
»Ich hatte eigentlich mit jemand größeren gerechnet«, meinte Reepicheep.
Grimmig blickte der Zwerg die Maus an. »Und das kommt ausgerechnet von dir.«
Kaspian gelangte auch ins Schloss und öffnete ein Fenster, wodurch Susan und ich eintreten konnten.
»Ich muss noch etwas erledigen. Geht ihr schon einmal zu Miraz«, sagte der Prinz.
»Du kannst jetzt nicht einfach gehen! Das verändert den ganzen Plan!« Ich sah ihn verständnislos an. Es durften keine Fehler passieren.
»Ich muss den Professor befreien. Ohne ihn wärt ihr gar nicht hier.« Kaspian wollte schon gehen, aber ich hielt ihn fest.
»Lass ihn, Peter«, bat Susan. »Wir schaffen das auch alleine.«
Ich ließ ihn los und wir trennten uns. Susan und ich suchten Miraz' Schlafgemach und fanden es auch - nach langem Suchen. Wir rissen die Tür auf und ich deutete mit dem Schwert auf ihn, Susan mit ihrem Pfeil und Bogen.
»Was soll das werden?«, fragte Kaspians Onkel. Er stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie kommt ihr hier rein?«
Bevor ich antworten konnte, stürmte Kaspian ins Zimmer.
»Was machst du hier?«, fragte ich. »Du solltest am Tor sein!«
»Erst möchte ich eins erfahren ...« Kaspian schritt auf seinen Onkel zu, packte ihn grob an der Schulter und hielt ihm die Schneide meines Schwertes an die Kehle.
»Ich möchte das nicht tun, Kaspian«, sagte augenblicklich Miraz' Frau, Prunaprismia. Sie hielt eine Armbrust in der Hand und zielte auf ihren Neffen.
»Genauso wenig wie ich das tun möchte«, erklärte Susan und zeigte mit ihrem Bogen auf die Frau.
»Hast du meinen Vater umgebracht?«, verlangte Kaspian von seinem Onkel zu wissen, ohne den Griff zu lockern.
Prunaprismia ließ die Armbrust senken. »Du sagtest, dein Bruder wäre im Schlaf gestorben ...«
Miraz lächelte. »Das war ja auch so ... fast ...«
Kaspian wollte zustechen, doch in diesem Augenblick drückte seine Tante ab. Der Bolzen traf den Prinzen in der Schulter, so dass Kaspian seinen Onkel losließ und einen Schmerzensschrei ausstieß. Miraz nutzte die Chance und flieh in ein anderes Zimmer.
»Kommt!« Ich zog Susan mit mir, Kaspian folgte uns. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Ich rannte zum Tor und drehte an dem Rad, welches es öffnen sollte, damit unsere Soldaten reinkommen konnten. Aber alleine schaffte ich das nicht!
»Ich brauche eure Hilfe!« Susan und Kaspian eilten zu mir und halfen mir.
»Für wen machst du das eigentlich?«, verlangte meine Schwester sauer zu wissen. Ich antwortete nicht. Ja, für wen tat ich das eigentlich? Um Kaspian zu beweisen, dass ich besser sei? Für mein Volk? Oder für Belle? Ich hatte keine Ahnung.
»Es ist zu spät! Wir sollten gehen, solange wir können!«, schrie Susan mir ins Ohr.
»Nein!« Ich biss die Zähne aufeinander und drehte mit aller Kraft an dem Rad. Dann, plötzlich, ein Ruck. Das Tor war offen!
Ich wandte mich um und zog mein Schwert. »Für Narnia!«, schrie ich und rannte los, und so gleich stürmten unsere Soldaten in den Burghof. Belle saß auf einem Zentauren, rutschte aber runter als er in der nähe des Brunnens war. Im Flug zog sie ihren Bogen und erschoss zwei von den feindlichen Soldaten, die gerade aus dem Schloss gerannt kamen. Miraz' Armbrustschützen versammelten sich auf der Mauer und zielten auf meine Freunde.
Ich schlug einem Gegner den Knauf meines Schwertes ins Gesicht, dann schlitzte ich ihm die Kehle auf. Auch Kaspian kämpfte wild an meiner Seite. Susan entdeckte ich nicht. Dazu blieb auch keine Zeit, denn schon die nächsten Soldaten stürmten auf mich zu. Dem einen rammte ich mein Schwert in den Bauch, den anderen schlug ich den Kopf vom Hals. Zuckend fiel der Torso auf den Boden.
Ich drehte mich um. Genau vor mir stand einer der Wachen mit einem erhobenen Schwert und wollte gerade zuschlagen, als dieser augenblicklich sein Schwert fallen ließ und entsetzt auf die Pfeilspitze, die aus seiner Brust herausragte, starrte. Er brach in sich zusammen und starb. Hinter ihm befand sich einige Meter entfernt Belle, die mich verzweifelt ansah. Oder war es eher Angst? Ich wusste es nicht.
Dankbar nickte ich ihr zu. Sie beachtete mich nicht weiter und stürzte sich wieder in den Kampf. Ich blickte nach oben und entdeckte Edmund, der gerade durch eine Tür auf den Wall gestürzt kam. Er hatte nicht damit gerechnet, dass dort Soldaten standen und schaute ziemlich überrascht.
»Pass auf, Ed!«, brüllte ich ihm zu. Mein Bruder reagierte zum Glück schnell, ging durch die Tür zurück und schloss sie. Die Armbrustschützen schossen aber dennoch und ich sah, dass die Pfeile sich tief durch das Eisen bohrten.
»Peter!«, rief plötzlich jemand nach mir. Es war Susan. »Wir müssen uns zurückziehen. Es ist zu spät.«
Ich blickten durch die Reihen. Um mich herum starb ein Narniane nach dem anderen. Es war wirklich zu spät.
»Rückzug!«, brüllte ich. »Wir ziehen uns zurück!«
Sogleich kam Kaspian mit drei schwarzen Pferden aus dem Stall gerannt. Auf dem einen saß sein Professor, er selbst schwang sich auf das andere. Susan wurde von einem Zentauren mitgenommen und was mit Edmund war, wusste ich nicht. Ich hoffe, es geht ihm gut.
»Peter, fang!«, rief Kaspian mir zu, war mir die Zügel zu und ritt mit seinem Lehrer los. Ich schwang mich in den Sattel und sah mich um. Wo ist Belle?
Ich entdeckte sie und ritt zu ihr. Ohne zu zögern zog ich sie mit auf mein Pferd, so dass sie vor mir saß. Die Feinde begannen das Fallgitter zu schließen, aber ein Minotaurus versuchte es mit aller Gewalt aufzuhalten. Doch auch seine Kräfte schwanden. Ich schaffte es nur knapp hindurch zu reiten, dann brach er zusammen.
Ich blieb stehen. Ein Zentaur, der hinter dem Gitter war, nickte mir zu und stürmte mit einigen Narnianen, die uns den Rücken freihalten wollten, gegen die Soldaten Miraz'.
Auf einmal rutschte Belle vom Pferd hinunter und klammerte sich an die Eisenstäbe. »Nein! Wir können sie noch retten!«, brüllte sie. »Los! Mach etwas! Bevor es zu spät ist.« Sie hatte Tränen in den Augen. Wie ein kleines Kind hämmerte sie gegen das Gitter.
»Peter! Die Brücke!«, rief Kaspian mir zu. Er stand mit den wenigen Überlebenden auf der anderen Seite der Zugbrücke, die langsam hochgefahren wurde.
»Komm, Belle«, sagte ich ruhig. »Wir müssen gehen. Es ist zu spät.« Sie schüttelte den Kopf, doch ich ritt nahe an sie heran und zog sie auf das Pferd. Nun saß sie hinter mir. Das Mädchen umklammerte meine Taille und vergrub ihren Kopf in meinem Rücken. Ich gab meinem Pferd die Sporen und sprang über die Brücke und den Graben.
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