Prolog 2
-Teilung des Prologs erfolgte nachträglich. Entschuldigt die Verwirrung, aber so sollte das Kapitel jetzt auch überall richtig angezeigt werden.-
Carnia löste sich von ihm und blickte ihren Vater mit großen, verwunderten Augen an. Dabei bemerkte sie, dass er an die Zimmerwand starrte, als würde er sich scheuen, sie anzusehen. So konnte sie nicht einmal in seinem Gesicht oder seinem Blick nach Hinweisen suchen.
Zuerst verstand sie nicht, doch dann sank der Stein der Erkenntnis in ihren Magen und ihr wurde schlecht. Sie wollten ihr Dorf verlassen? Aber das war doch alles, was sie kannte.
Die Aussicht, die große, weite Welt zu entdecken, sollte sie zumindest ein bisschen freuen, doch es hinterließ nur Angst in ihr. Die Vorstellung ohne Ziel umherzuwandern oder gar zu fliehen, bereitete ihr Sorgen. Doch sie konnte nichts dagegen tun, wenn sie bei ihren Eltern bleiben wollte. Bei ihnen war sie sicher. „I-In Ordnung", flüsterte sie heiser. Es musste wirklich schlimm sein, denn sonst würde ihr Vater sein Rudel nicht verlassen.
Was war mit dem Alpha der Rotfüchse? Würde er ihnen nicht helfen, sobald er davon erfuhr? Hatte ihr Vater vielleicht sogar schon mit ihm gesprochen und es gab keine Aussicht auf Erfolg?
Carnia kam ein ganz scheußlicher Gedanke. Was, wenn ihr eigener Alpha sogar seine Finger im Spiel hatte? Luis Rotfuchs war dafür bekannt, dass er jeden aus dem Rudel nutzte, wenn es ihrer Heimat dienlich war. Er würde sie also, ohne zu zögern, an den verkaufen, der am meisten bezahlte.
„Wohin gehen wir?", fragte Carnia irgendwann und löste sich von ihrem Vater, der ihr Fels in der Brandung war. Noch immer blickte er sie nicht an und Carnia könnte schwören, Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen.
„Das weiß ich noch nicht. Also nimm sowohl warme als auch leichte Kleidung mit", sagte er, wobei er ihr die Hand auf den Kopf legte. „Und nur das Nötigste."
Carnia nickte, bevor sie zurücktrat. Sie wollte ihren Vater nicht darauf ansprechen, dass ihr diese Worte ein unangenehmes Kribbeln im Magen verschaffte, weil sie so klangen, als wäre es eine Reaktion, die der Angst geschuldet war. So kannte sie ihren Vater nicht, weshalb er für sie im Moment nicht mehr der Fels war. Sie hatte Angst auf eigenen Beinen zu stehen und fühlte sich doch gezwungen, um ihre Eltern nicht zu beunruhigen. „Ich werde sofort packen", sagte sie, auch wenn die Angst, ihr Rudel und damit die Sicherheit dieses zu verlassen, in ihr schwelte.
„Gut. Morgen bei Sonnenaufgang gehen wir los", sagte er ernst. „Also ruh dich vorher noch aus." Damit löste sich ihr Vater wieder von Carnia und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er ging. Vermutlich, um selbst zu packen.
Carnia folgte mit dem Blick ihren Vater, blieb aber mitten in ihrem Zimmer zurück. In ihr kam auf einmal das Gefühl der Einsamkeit auf, weshalb sie mit der Hand an die Kette griff, die sie um den Hals trug. Es war eine kleine Schnitzerei, die ihre Mutter ihr gemacht hatte. Sie zeigte, in einem Kreis, einen Wolfskopf, der den Mond anheulte.
Irgendwann riss sich Carnia davon los, die geschlossene Tür anzustarren. Das würde nichts ändern und nur wertvolle Zeit kosten.
Daher widmete sie sich lieber ihrer Aufgabe. Dabei achtete sie nicht darauf, dass sie ihr Zimmer, ihre Heimat und ihre Freunde vermutlich nie wiedersehen würde. Der Gedanke daran war schrecklich und sie verdrängte ihn so gut es ging.
Die Art ihres Vaters zeigte ihr, dass es hier um etwas Großes ging. Sie würde sich also nicht sträuben. Das war nicht ihre Art. Nicht, weil sie eine Frau war, sondern, weil sie ihre Familie liebte und diese ihr wirklich wichtig war. Wichtiger als ihr Rudel oder ihre Freunde.
In ihrem Rudel waren Frauen nicht sonderlich hoch angesehen. Sie waren da, um den Nachwuchs für das Rudel zu sichern, sich um die Familie zu kümmern oder auch als Handelswährung, um mit anderen Rudeln Frieden zu schließen. So war es seit jeher gewesen und Luis ging dieser Tradition nach.
Gerade, als sie aussortieren wollte, was sie nun alles wirklich einpackte, hörte sie einen seltsamen Laut.
Sofort spitzte sie ihre Ohren und lauschte. Da war der Laut erneut. Es war ein Laut, den sie irgendwoher kannte und der doch anders klang. Als erstes dachte sie an ihren Vater, der Holz hackte. Aber warum sollte er das zu dieser Uhrzeit tun? Außerdem klang es nicht, als würde es von hinter dem Haus kommen. Mehr, als wäre jemand direkt vor der Tür und würde dort versuchen, Holz zu schlagen.
Was war das?
Überrascht öffnete Carnia ihre Tür und trat in den Flur, von dem sie zur Treppe eilte. Dort angekommen hatte sie einen guten Blick auf die Eingangstür, die plötzlich aufgebrochen wurde.
Entsetzt sah Carnia zu, wie ein großer Axtkopf durch das Holz der Tür brach, zurückgezogen wurde und erneut dagegen krachte, um das Loch zu vergrößern. Sie brauchte einen Moment, um überhaupt zu verstehen, was los war, bevor sie einen spitzen Schrei ausstieß.
Schritte erklangen und eilten auf Carnia zu, doch diese war wie versteinert.
„Geh ins Zimmer", rief ihr Vater ihr zur, während ihre Mutter – die wohl auch gerade in den oberen Zimmern gepackt hatte – sie am Arm griff und zu ihrem Zimmer zog.
Carnia ließ es zu. Ihr schlug das Herz bis zum Hals und sie verstand nicht, was eigentlich vor sich ging. Was war hier los?
Wer schlug ihnen die Tür ein?
„Du bleibst hier", sagte ihre Mutter eindringlich, als sie Carnia ins Zimmer schob und dann die Tür schloss.
Carnia wollte widersprechen, fand ihre Stimme jedoch nicht, weshalb sie keinen Ton hervorbrachte und schließlich auf das Holz ihrer Zimmertür starrte. Vor Angst rauschte ihr das Blut in den Adern. Versuchte jemand bei ihnen einzubrechen? Aber warum? Sie hatten doch überhaupt nichts Wertvolles!
Was sollte sie jetzt tun?
Sofort eilte sie zum Fenster, um hinauszusehen. Dort entdeckte sie mehrere Wölfe, die wohl die anbrechende Dunkelheit nutzen wollten, um sich zu verstecken. Sie kauerten in den Büschen rund um ihr Haus und warteten darauf, dass sie zuschlagen konnten.
Carnia wollte ihren Vater warnen, dass draußen weitere Wölfe waren, doch auf halbem Weg zur Tür erinnerte sie sich an die Anweisung ihrer Mutter. Wenn sie jetzt hinabging, würde sie vielleicht stören. Ihr Vater war ein großer Krieger, der sich sicher verteidigen konnte.
Erneut eilte sie zum Fenster, um zu sehen, wie viele es waren und was für ein Rudel dahintersteckte.
Die Fellfarben waren so unterschiedlich, dass sie sich fragte, ob es sich wirklich um ein Rudel handelte. Waren das vielleicht die freien Wölfe, die keinem Rudel angehörten? Aber warum sollten sie sich zusammenrotten?
Aus den unteren Räumen kamen Geräusche, die Carnia verstörten. Sie hörte das Jaulen von Wölfen und immer wieder dumpfe Schläge. Dazu das Klirren von Glas, als würde jemand die Gläser aus dem Schrank gegen die Wände werfen.
Als der Schrei ihrer Mutter erklang und sich mit einem Heulen eines Wolfes vermischte, hielt sich Carnia die Ohren zu.
Mit zittrigen Beinen rutschte sie unter dem Fenster zusammen und lehnte sich so weit an die Wand, wie es ging. Vor ihr war das Bett und so war sie ein wenig versteckt. Es gab ihr jedoch kaum das Gefühl von Sicherheit.
Im unteren Stockwerk erklang das Lachen eines Mannes. Rau, tief und erschreckend.
Carnia drückte weiter die Hände auf ihre Ohren, denn sie wollte das Schluchzen und Schreien ihrer Mutter nicht hören. Sie rief ihren Mann, doch Carnia verdrängte, was das bedeutete. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein. Sie musste träumen.
Tränen rannen über ihr Gesicht, während sie immer heftiger zitterte und das Gefühl bekam, nicht mehr atmen zu können.
Der Geruch von Blut stieg ihr so stark in die Nase, dass sich ihr der Magen umdrehte. Ihre guten Sinne waren im Moment nur ein Nachteil. Sie konnte sich vor dem, was geschah, nicht verstecken.
„Ihr hättet sie uns einfach übergeben sollen", erklang die tiefe Stimme eines Mannes, der plötzlich auflachte. Dazu kam ein Geräusch, das nicht nur klang wie ein Knacken, sondern auch wie ein leiseres Krachen. Dann erstarb die Stimme ihrer Mutter und Carnia wurde ganz kalt.
Kurz keimte in ihr die Hoffnung auf, dass sie vielleicht geflohen war. Vielleicht waren sie und ihr Vater weggerannt, um sie später zu retten?
Männer lachten und bewegten sich unter ihr in der Stube. Es klirrte und schepperte, doch dann wurde es plötzlich still.
Waren sie gegangen?
In Carnias Ohren rauschte ihr eigenes Blut so laut, dass sie sich nicht gleich sicher war, was sie hörte.
Schritte. Auf der Treppe.
Ihr Herz machte einen Satz, da sie zuerst glaubte, es wäre ihr Vater. Dann fiel ihr auf, wie schwer die Schritte klangen. Das war nie und nimmer ihr Vater!
Wer war das? Wer kam da zu ihr hoch?
Was sollte sie jetzt tun?
Carnia wollte sich erheben und aus dem Fenster klettern, doch ihre Hände war so voller Schweiß und zittrig, dass sie es einfach nicht schaffte die kleine Sicherung zu lösen, welche das Fenster schloss.
Als sie gerade das Fenster einschlagen wollte und nach etwas Hilfreichem suchte, öffnete sich die Tür.
Carnia drehte sich panisch um und erstarrte. Der Mann, der eintrat, war der ungepflegte Braunhaarige, der erst vor wenigen Stunden hier gewesen war.
Er sah sie mit so lüsternen Augen an, dass Carnia einen Schritt zurück machte und gegen das Fenster stieß. Ungerührt kam er auf die junge Frau, die fast zwei Köpfe kleiner war als er, zu. „Das ist sie:", verkündete er voller Vorfreude, „meine Frau."
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