Prolog (-) Zoe
Zoes Blut rauschte in ihren Adern und die elfenbeinfarbenen Wände schienen immer näher zu kommen, während ihre Lunge ihre Kapazitäten vollständig verausgabte. Die Elfenbeintürme von Obsidian City warfen ihre langen Schatten auf die Gasse vor ihr, strahlten ihren üblichen arroganten Glimmer aus, während sie hier unten von wahrscheinlich jedem Zeitenordner aus der ganzen Umgebung gejagt wurde. Ihr Glänzen war in jeder Ecke der Stadt sichtbar, teils wirkten sie wie Zeichen des Reichtums, teils wie Dornen, die die Stadt verseuchten. Hier, unten, am Boden der Tatsachen und wohl auch in der untersten Ebene der Gesellschaft, lief sie um ihr Leben. Die Häuser der Gasse verschwanden abrupt und gaben die Sicht auf ein weites Ruinenfeld frei. Hinter ihr hörte sie höhnisches Lachen, vermischt mit stoßweisem Atem, und dem mehr als deutliche Klappern der Uniformen.
Die Elfenbein- und Pastelltöne der Stadt waren mit einem Mal hinter ihr zurückgeblieben und einem Schlachtfeld gleich war sie nun von den braunen und schwarzen Ruinen Abandus umgeben. Sie wusste, dass sie nur wenige Sekunden hatte, bis man sie erwischen würde. Ihre Gedanken ratterten förmlich. Abandu war früher die Hauptstadt eines bedeutenden Landes gewesen, so erzählte man es sich zumindest. Sie war aus Überresten aus dem zweiten Jahrtausend gebaut gewesen, bis der Drache Obsidian sie in einer einzigen Nacht vernichtet hatte.
Ihr Blick schweifte über die Ruinen, jetzt war nicht die Zeit für Geschichtsunterricht. Als sie das wohlbekannte Durchladen einer Waffe hinter sich hörte, zögerte sie nicht einen Moment sondern stürzte sich in das Ruinenfeld hinein und rollte sich gerade in dem Moment über ihre Schulter ab, indem eine Kugel über sie hinweg jagde. Blitzschnell kam sie wieder auf die Füße und sprang hinter eine schulterhohe Mauer. Sie hörte wie die Männer näher kamen und weitere Waffen entsichert wurden.
Warum hatte sie das auch getan? Zweifel und Zorn auf sich selbst überrollten sie inmitten dieser aussichtslosen Situation. Es war ein sehr dummer Gedanke gewesen. Wie hatte sie nur so leichtsinnig sein können? Klar, sie war schon immer schnell, klug und erfolgreich gewesen, vor allem ihre Wirkung auf manche Zeitenordner hatte ihr schon öfter das Leben gerettet, doch nun war er persönlich auf sie erzürnt und damit war die Katze aus dem Sack.
Vorsichtig kroch sie weiter, ein falscher Schritt und sie wäre hinüber. Sie dachte an ihren Rucksack, den sie in der Stadt hatte zurücklassen müssen. In der Not hatte sie ihn in einen offenen Hauseingang geworfen und mit ihm ihre gesamte Beute. Später, wenn sie die nächsten zehn Minuten überleben sollte, musste sie dieses verfluchte Haus unbedingt wiederfinden und hoffen, dass der Inhaber es nicht den Ordnern übergeben hatte. Schon bei dem Gedanken daran tat ihr der Kopf weh, sollte der- oder diejenige sie gemeldet haben würde sie direkt in eine Falle laufen.
"Kommen sie raus! Wir haben sie im Visier, ergeben sie sich!" Die dunkle Männerstimme unterbrach ihren Gedankengang und zwang sie, ins Hier und Jetzt zurückzukehren und ihre Freiheit zu sichern. "Ich zähle bis drei, dann kommen Sie mit erhobenen Armen hinter der Mauer hervor!" Die Stimme erinnerte sie an etwas und schnell setzte ihr Gehirn die Puzzleteile zusammen. War ja klar, dass er sie erwischen wollte. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie daran denken musste wie der Officer geschaut hatte, als ihre Zelle am anderen Morgen leer war - und seine Geldbörse sowie zehn der schönsten Gewehre sich buchstäblich in Luft aufgelöst hatten.
Diesen Tag hatte sie gefeiert, es hatte sie in eine der kleinen Untergrundkneipen gezogen und ihr gutes Geschäft mit den Gewehren ausgekostet. Sehnsüchtig dachte sie jetzt daran zurück. Das war gewesen, bevor man sie dreimal verraten hatte. Ihr Blick schweifte ruhelos über ihre Umgebung, doch außer altem Schutt und ein paar weiteren Mauern in geschätzten 50 Metern Entfernung war nichts Rettendes zu sehen. Was sie jetzt brauchte war etwas Verwirrung und eine Prise Glück.
Zoe bemühte sich, ihrer Stimme ihren gewohnten höhnischen Klang zu geben: "Glaubst du wirklich, ich wäre unbewaffnet, Frankiboy? Die ersten zwei deiner Lackaffen töte ich im Schlaf und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dir auch noch dein Leben nehmen kann, bevor ihr mich erwischt." Das Geräusch von Schuhen auf Stein verstummte und sie wusste, dass die zwei Zeitenordner, die sich von beiden Seiten an sie heranmachen wollten, stehen geblieben waren und ihr Blick zu ihrem Officer gezuckt war. Sie machte sich auf den Sprint bereit. Wenn sie die Ruinen links vor ihr erreichen könnte, hatte sie eine geringe Chance, dass sich das Leben ihres weltlichen Körpers noch um mindestens fünf Minuten verlängerte. Irgendwo musste sich in dem Labyrinth aus Ruinen doch wohl ein Weg zurück in die Stadt finden lassen.
Nervös kramte Zoe in ihren Taschen und sie atmete erleichtert aus, als ihre Finger sich um den kleinen runden Gegenstand schlossen. Sie zog die kleine Kugel hervor, die sie vor Ewigkeiten einem unaufmerksamen Zeitenordner entliehen hatte. So eine hatte sie schon seit ihrer Kindheit ausprobieren wollen, seit die Zeitenordner mit ihnen die Slums geräumt hatten. Mit sanftem Druck betätigte sie den Knopf und das Vibrieren begann. Ihr Lächeln wurde hinterhältig, sie würde diesen Tag sicher überleben. Mit einem Schlenker ihres Handgelenks warf sie die Kugel über die Mauer und wartete auf ihr Signal.
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