Kapitel 9 (-) Alter Mann
Das wohl Jämmerlichste aller Lagerfeuer brannte über den Steinplatten, auf denen sich hier und da die schönsten Zeichnungen finden ließen. Die Flamme des winzigen Feuers flackerte und warf ihren schwachen Schein auf Regale, die in einiger Entfernung standen. Sah man genau hin, also ganz genau, achtete auf jeden einzelnen Lichtreflex, konnte man sie sehen. Die abertausenden Bücher mit verbotenem Wissen, die in einer riesigen, unnatürlich hohen Halle standen, ihre Borde zu hunderten übereinander gereiht, ganze Galerien hatte man damals um sie gebaut. Mit jedem weiteren bisschen Licht könnte man neue Facetten entdecken, neue Regale von Büchern und neue Treppen auf dem Weg zu anderen Orten. Doch trotz allem könnten all diese Statuen und Kunstwerke, die zusätzlich zu den Büchern im Raum verteilt waren, nicht von den stechenden Augen des alten Mannes ablenken, der auf der anderen Seite des flackernden Feuers saß. Hinter seinem Rücken begann sich die Wand mit der Decke zu vereinen und formte eine anmutende Kuppel, auf die ganz eigene Geschichten gemalt waren. Eines Tages würde vielleicht auch seine Geschichte ihren Einzug auf eine der wenigen noch freien Flächen finden. Der Alte saß im Schneidersitz vor seinem Feuer und schien zu warten. Sein Blick huschte weder nervös durch den kleinen Radius aus Licht, den sein Feuer warf, noch schien er auf eine aggressive Weise seine Umgebung zu verfluchen.
Vielmehr saß er einfach da. Nur ein zerfetzter alter Umhang lag über seinen Schultern, und schien ihn mehr schlecht als recht zu wärmen. Gänsehaut hatte er trotzdem keine. Er war es gewohnt. Doch bald würde es ein Ende haben, entweder auf die eine oder die andere Tour. Der Alte hatte seine Bestimmung gefunden, glaubte er zumindest. Nach all den Jahren wusste er, was er nun tun würde, wie er ein letztes Jahr dem Himmel ins Gesicht lachen konnte.
Das Feuer nagte vergeblich an seinem kümmerlichen Futter, nur noch ein winziges Stück Holz war übrig. Immer weniger Licht fiel auf die riesige Bibliothek, bis die Flamme schließlich ganz erlosch und die Dunkelheit sich seine ureigenen Winkel wieder untertan machte. Einzig und allein die Augen des Mannes glaubte man immer noch leuchten zu sehen. Geduldig richtete er sich auf, lockerte seine Muskeln, dann tastete er mit einer Hand nach dem nächsten Bücherregal und verschwand zielstrebig zwischen den Bücherträgern.
Der Alte war schon lange in der Bibliothek, dem Hort vergessenen Wissens, wie er ihn für sich getauft hatte. Jeden Morgen fiel Licht durch etliche kleine Öffnungen und begann seine Welt mit Farben zu füllen. Anfangs hatte er sich noch die Mühe gemacht, all die kleinen Ausgänge zu untersuchen, inzwischen war er eines Besseren belehrt worden. Der einzige Ausgang war gleichzeitig auch der einzige Eingang – und der war überwacht und versperrt. Damals hatte er ewig hohe Bücherstapel und Lesesessel missbraucht um an die Lichtöffnungen zu kommen, doch es war vergebene Liebesmüh gewesen. Jedes Mal war er auf ein Gitter oder verstärktes Glas gestoßen, wobei er oftmals noch nicht einmal näher als drei Meter an seine erdachte Freiheit heran gelangt war.
Er hatte lange gebraucht um zu verstehen. Dass er auch noch in Jahren morgens, mittags und abends Essen im Zentrum der Bibliothek vorfinden würde, dass es durch keine Klappe sondern durch einen Zeitsprung hergebracht wurde, dass er nur noch lebte, weil Farkun zu faul war, ihn zu töten, vielleicht auch, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, vielleicht auch, weil sie einst Freunde gewesen waren, damals, in den Tagen da er den Orden in seinen früheren Stunden noch geführt hatte.
Während er sich an den endlosen Regalen und Borden vorbei schlich, drang das erste echte Licht durch die unendlichen Gänge und tauchte die unwirkliche Welt in ein diffuses Licht. Der Gedanke an seinen Plan für den Tag ließ ihn schwach lächeln. Irgendwann würde der Tag kommen, wo jemand seine Spuren in der 'alten' Welt finden würde. Bis dahin konnte er an seiner Vorrichtung weiterarbeiten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top