Kapitel 10 (~) Leander Matthew

Leander starrte Karen an. Er lief bemüht ruhig neben ihm daher und schätzte es nur als eine Frage der Zeit ein, bis er von den anderen identifiziert werden würde. Ihm war zwar klar gewesen, dass Zeitenordner nicht die Hellsten sein konnten, jedoch musste selbst den Dümmsten etwas auffallen, wenn Karen ihnen sogar von dem Drachen erzählt hatte. Sollte er nicht einfach umdrehen? Doch wahrscheinlich wusste Karen sowieso, dass er ohne Hilfe das Gebäude nicht lebend verlassen könnte.

Ihr Weg führte an unzähligen nummerierten Eisentüren vorbei und Grauen beschlich Leander. Wen bewahrte der Zeitenorden ohne Wissen des Volkes so weit außerhalb auf. Besonders warum. Wer war laut dem obersten Zeitenleser so gefährlich, dass man es nicht wagte ihn in einem öffentlichen Gefängnis zu lassen? Sie stiegen eine weitere Treppe hinunter, ertranken praktisch in dem Weiß der Wände je tiefer sie nach unten gelangten. Wenn man bedachte, dass die Insassen zu gefährlich für ein normales Gefängnis waren - warum brachte man sie nicht einfach um? Schnell verwarf er den Gedanken wieder, vermutlich war es besser tot, als in diesem Gefängnis zu sein.

Stimmen hallten durch die Gänge und ins Treppenhaus hinein, als sie sich dem Zentrum näherten. Kurz vor dem Ausgang blieb Karen stehen und starrte ihn eindringlich an. „Lass mich reden, ich werde das hier zurechtbiegen. Wichtig ist, das hier -", Er tippte ihm auf die verletzte Schulter. „ schnell zu verarzten bevor es sich entzündet. Rede nur, wenn du gefragt wirst." Leander konnte nur kurz mit dem Kopf nicken, bevor Karen ihn mit seiner unbändigen Kraft in den Raum hineindrängte. Auch hier reihten sich Computer an Computer und eine große Holoprojektion in der Mitte des Raumes zeigte einen detaillierten 3D-Plan des Gebäudes. Der Raum, in dem Leander gelandet war blinkte rot.

Die Computer auf den Wänden schienen jede einzelne Zelle zu zeigen. Sobald sich in einer Zelle etwas regte schien der Rahmen um die jeweilige Kamera die Farbe zu wechseln, in rhythmischen Abständen blinkten manche Zellenansichten Lila auf und weißer Rauch verteilte sich vor der Kamera. Der Anblick löste einen Brechreiz bei ihm aus und Karen warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, wandte sich jedoch direkt an seine Kollegen. Diese saßen an einer Theke im hinteren Teil des Kontrollraums, jeder einen schwarzen Kaffee vor sich.

Der Zeitenordner mit dem goldenen Zeichen auf seiner Brust erhob sich, offensichtlich der Leiter der gesamten Anstalt. „Was zur Hölle ist da oben passiert, Karen? Musste ich sechzig Männer aus dem Schlaf reißen, weil ein Zeitenjäger den alten Kontrollraum zertrümmert hat?" Arne hielt Blickkontakt zu seinem Vorgesetzten, als er sprach: „Ja, Sir, alles ist in Ordnung. Dieser Mann hier war es anscheinend. Der Zeitenjäger hat sich selbst dabei verletzt. Es scheint ein fehlgeleiteter Zeitsprung gewesen zu sein. Ich habe ihn oben ganz verwirrt gefunden." Scharf musterte der Mann Leander, bevor er sich wieder an Karen wandte.

Leander derweil musste sich immens zusammenreißen, keine Miene zu verziehen, Karen log das blaue vom Himmel. Hatte ihm denn keiner zugehört, als er den Lagebericht gegeben hatte? In seinem Inneren drehte sich alles. „Schaff den Schmierfink hier heraus und versorg ihn, dann halt ihn im Mediraum fest, bis der oberste Zeitenjäger hier ist, der wird schon wissen, wo sein Mitarbeiter hingehört. Der wird ihn sicher auch irgendwie zurückholen können. Um die Geheimhaltung wirst du dich mit G68 kümmern müssen."

Der Wächter nickte nur knapp, während sie mit einer unwirschen Handbewegung aus dem Raum gescheucht wurden. Im Hinausgehen hörte er noch, wie die Männer leise weiterredeten, doch seit der oberste Zeitenjäger erwähnt worden war, pochte sein Herz schneller als gewöhnlich. Da war er wieder, der übliche Countdown.

Langsam aber bestimmt schob Karen ihn mit unbestimmten Gesichtsausdruck vor sich her, weg von der Zentrale mit dem riesigen Holobildschirm und den anderen Wächtern. Sie gingen ein paar Meter und Leander öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Wächter hielt ihm energisch die Hand vor den Mund. „Gleich!", das Flüstern klang unnatürlich für einen Mann seiner Größe. Mit sanftem Druck wurde er durch eine Tür mit rotem Kreuz hindurchgeschoben. Mit dem Geräusch der ins Schloss fallenden Tür atmete Karen geräuschvoll aus und setzte sich für einen kurzen Moment, bevor er sich im nächsten wieder aufrichtete und seine Schulter genau begutachtete.

„Streifschuss oder?", er wartete gar nicht erst sondern redete sofort weiter, während er nach Verbandsmaterial kramte. „Wir haben nicht viel Zeit, um zu reden, geschweige denn irgendwas zu machen. Der Drache wird dir wahrscheinlich noch eine Weile folgen, er wird dir nichts tun." Leander sah ihn kritisch an, was war hier los? Trotz seiner Ausbildung verstand er kaum etwas. Was war G68? Eine gedächtnislöschende Substanz? Als Karen mit einer Flasche aus dem Gewühl auftauchte, wich er an die Tür zurück. „Geh weg! Pack das weg! Was zum Teufel macht ihr hier überhaupt?" Karen verzog leicht ängstlich das Gesicht und bewegte seine Hand nach unten, und erst jetzt bemerkte Leander, wie laut er gesprochen hatte. „Sei schon still!", zischte Karen. „Ich will dir nur helfen!" Er hob das Fläschchen hoch. „Nur Desinfektionsspray. G68 wäre da hinten irgendwo."

Er wedelte mit seiner Hand in Richtung einiger großer Aufbauten hinter einem kleinen Durchgang, der ihm bis jetzt noch nicht aufgefallen war, wagte sich wieder einen Schritt näher und ließ seine Schulter desinfizieren. „Zu deiner Beruhigung: G68 ist eine Substanz, die mit einer Spritze verabreicht wird, drüben in Obsidian City wird sie zur Kurzzeitgedächtnislöschung verwendet, allerdings ist sie noch nicht ausgereift und es bilden sich sehr schnell resistente Menschen, bei denen es nach dem ersten Mal nicht mehr wirkt. Würde es auch auf das Langzeitgedächtnis Auswirkungen haben, würden die Meisten Menschen in dieser Anstalt in gewöhnliche Gefängnisse gesperrt werden." Auf Leanders fragenden Blick schüttelte er nur den Kopf, bevor er sich doch noch dazu durchzuringen schien, es ihm zu sagen. „Hier ist die gesamte alte Regierung eingesperrt, alle in Einzelzellen, teilweise als Testobjekte für den neuen Gedächtnislöscher, teilweise hier, weil sie etwas über das Weltenbuch wissen." Noch leiser fügte er hinzu: „Ein paar hier sind einfache Bürger mit Ansichten, die einfach nicht der des Zeitordens entsprachen, als er an die Macht kam."

Schweigen breitete sich in dem Raum aus und Karen wickelte einen altmodischen Verband um seine Schulter. Sein anscheinend neu gewonnener Freund zuckte traurig mit den Schultern und schloss den Schrank in dem er gewühlt hatte. „Und jetzt?", traute Leander sich zu fragen. Der große Mann lächelte ihn an. „Jetzt schließe ich diese Tür und vergesse das G68. Ich bin mir sicher, dass du in fünf Minuten nicht mehr hier sein wirst. Du tätest mir übrigens einen großen Gefallen, wenn du das braune Paket da hinten und eine Freundin aus der Zelle, die da drauf steht, holen könntest. Sag ihr einfach, dass es als Wiedergutmachung gilt. Matthew schickt dich." Damit zwinkerte er ihm zu und verschwand durch die Tür in den Flur hinaus. Ungläubig starrte er ihm kurz nach, dann griff er sich das Paket mit dem darauf liegenden schweren Schlüssel und folgte ihm leise.


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