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Aus Reflex fuhr ich sofort herum. Ich betrachtete die Person die vor mir stand, von unten nach oben. Erst sah ich die schwarzen Lederstiefel, dann die etwas breiteren Beine, die in einer schwarzen engen Hose steckten, bis hin zu dem roten Kleid, dass die darüber trug.

Schließlich konnte ich der Frau ins Gesicht sehen. Sie war älter, als Ich es von unten aus erwartet hatte. Wilde, schwarze Locken, in denen ich aber auch schon ein paar graue erkennen konnte, fielen ihr ins Gesicht. Glubsch Augen stierten mich und Noé gehässig an. Ich wollte ja nicht böse sein. Aber diese Frau war abgrundtief hässlich.

Ich zog die Augenbrauen hoch. Die Hexe, wie ich sie insgeheim nannte, bemerkte dies und trat einen Schritt näher auf mich zu. Ihre dicke, lange Hakennase berührte fast meine kleine, schmale Stupsnase.

„Wer die kleine, alte Hexe nicht ehrt, ist den hübschen, dummen Prinzen nicht wert", zitierte sie mit einem dramatischen Seufzer Uhr drehte sich dann um.

Für mich war diese komische Frau eine alte Verrückte, die versuchte kleinen Kindern Angst zu machen, indem sie ihnen Schauermärchen erzählte.

„Er ist weder dumm und...", fing ich an und stockte sofort wieder. Verlegen sah ich zu Boden, holte dann aber kurz Luft und redete weiter.

„Noé ist genauso dumm, wie sie klein sind! Nämlich garnicht! Und jetzt lassen Sie Verrückte uns durch und gehen nach Hause. Wir können Sie nicht gebrauchen."

Für mich waren die Worte von eben, ein großer Schritt, mein Selbstbewusstsein zu verbessern. Doch leider war ich nicht immer die mutige Lichtkriegerin. Sofort schlug ich mit die Hand für den Mund und zog scharf die Luft ein.

„DU WAGST ES... ", polterte die Hexe los. Doch dann legte sie versöhnlich ihre Hand auf meine Schulter und lächelte. Doch ich erkannte, dass da eindeutig künstlich war.

Dann leckte sie sich genüsslich über ihre gelben Zähne. Wenn Ich es nicht besser wüsste, hätte ich sie für die Hexe, die Hänsel verspeisen wollte, gehalten. Aber das waren Märchen, geschrieben von einem begabten Schriftsteller, der irgendwann mal auch diese Idee gekommen war.

Ich glaubte nicht an Märchen.


Noé warf sich beinahe von mich. „Lass sie in Ruhe ", zischte er in einer ganz anderen Tonart, als ich es von ihm erwartet hätte.

Die Hexe brach in abfälliges Gelächter aus. Mit ihrem knochigen Fingern zeigte sie kreischend auf uns.

„Och, den kleine Schnucki- Butzi- Held rettet seine Prinzessin. Wie süß. Ich schmelze ja gleich hin..." Wieder kicherte sie wie eine Hexe.

Ein paar Atemzüge später, nachdem ihre Brust sich wieder regelmäßig hob und senkte und sie sich beruhigte, fing sie wieder an, mit kratziger Stimme mit uns zu reden.

„Also, wie wäre es mit einem Neuanfang? Kommt mit mir in mein Häuschen, dort bekommt und ein Schmäuschen und mein kleines Mäuschen, tötet all eure Läuschen." Wieder begann sie hysterisch zu kichern.

Noé wandte sich sofort an mich. Fragend sah er mich an.

„Okay ", sagte ich. Die alte Raelin wäre nie auf so ein Angebot eingegangen. Nein, noch schlimmer, sie wäre verängstigt, vielleicht heulend, weg gelaufen.

Doch eine Lichtkriegerin sah nach vorne. Nutzte jedes Hintergehen als Übung für die Lightfire Akademy, zeigte allen mit dem Schwert,wer hier der der Boss war.

Die Alte kreischte auf und fing wieder an zu lachen. „Hier lang ", zischelte sie und packte mich grob am Arm. Meine andere Hand fuhr über den Griff meines Dolches. Jede Sekunde konnte ich ihn herausziehen und die Hexe töten.

„Lass es ", stieß Noé zwischen zusammen gebissenen Zähnen drohend hervor. Doch die Hexe kicherte nur noch weiter.

„Kommt, Kommt, ihr kleinen Kinderlein, gleich werdet ihr bei mir Zuhause sein", kicherte sie.

Ich glaubte, Noé hätte sie verprügelt, hätte ich ihn nicht zurück gehalten.


Der Weg, der sich vor uns in den Wald schlängelte, war mit Efeuranken überwuchert. Blumen wuchsen auf der Wiese und leuchteten, wenn die Sonne hat sie fiel. Nie hätte ich gedacht, dass an so einem wunderschönen Ort eine Hexe leben könnte. Nie. Niemals.

Doch tatsächlich humpelte die Verrückte zu einer kleinen Hütte, die neben der schönen Wiese und den exotischen Bäumen wie eine Sklavin neben einer Prinzessin aussah.

„Kommt nur herein, ihr Kinderlein, ich habe Kuchen, den müsst ihr nicht suchen", gurrte die Hexe und öffnete mit einem dramatischen Seufzer die Tür.

Alles war sehr spärlich eingerichtet. Ein Bett mit verschmutzter Decke und Kissen, ein kleiner Tisch, auf dem ein Kuchen stand, der aussah, als wäre er vor hundert Jahren mal gebacken worden, ein kleiner Schrank und ein Herd.

Nicht einmal einen Ofen gab es, obwohl dieser im Sommer ja auch nicht nötig war.

„Ist dir schon aufgefallen, dass die sie ganze Zeit in Reimen spricht? Das ist doch nicht normal! Raelin, das ist keine gute Idee.Wie sollten umdrehen", meinte Noé.

„Nein, das sollten wir nicht. Dies ist meine erste Lektion als Lichtkriegerin. Das verstehst du nicht. Du hattest schon Millionen andere Missionen. Außerdem bin ich geübte Bogenschützin und du in zweiter Gestalt ein Löwe. Was haben wir da gegen diese Hexe zu befürchten?", flüsterte ich.

Noé wandte sich ab. Er schüttelte über mein Verhalten nur den Kopf. Und damit wusste ich, dass ich ihn überredet hatte.

„Kommt schon ", lockte dir Hexe ungeduldig. Sie hatte uns jedem ein Stück Kuchen auf den Teller gelegt. Auch die Teller sahen nicht gerade frisch aus...

„Setzt euch doch ", kicherte die Frau mit den schwarzen, fast grauen Locken.

Ich ließ mich schwungvoll auf dem Stuhl nieder. Er quietschte als ich mich setzte und wirkte so, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.

Auch Noé setzte sich zögernd aufs den Stuhl neben mir.

Ich versuchte mit der Gabel ein Stück des Kuchen zu nehmen, doch er war so hart, dass ich ihn nicht durchdringen konnte.
Er musste wirklich schon einige Jahre alt sein.

„Also...", begann die Frau mit kratziger Stimme. „Was habt ihr in diesem Wald verloren?"  Sie näherte sich mir so sehr, das ich ihren beißenden Mundgeruch auf meiner Zunge spüren konnte.

„Ich möchte in ein Dorf. Ich muss dort etwas abliefern. Und was ist mit Ihnen? Was machen sie in so einem Wald? Einsam und allein. Für immer und ewig. Wie können sie überhaupt überleben? Hier sind weit und breit keine Läden! Wie wollen sie da einkaufen?", fragte ich zurück.

„Ich koche mir nach alten Rezepten etwas", schnappte sie. „Die Zutaten findet man im Wald. Und bekommt sie von den Leuten, die hier vorbeilaufen und der armen, alten Frau in ihrer Hütte etwas schenken."
Man hörte den leicht traurigen Unterton aus ihrer Stimme heraus. Fast hätte sie mir leid getan. Wäre sie nicht gleich darauf wieder gehässig geworden.

„Ein Dorf also... So, so. Und wie wollt ihr an dem Wolf vorbeikommen, hm? Oder an der Hexe von Hänsel und Gretel. Ihr Häuschen steht nur ein paar Meter weiter. Obwohl... Sie ist ja nicht mehr gefährlich. Und das nur, weil sie sich dazu entschlossen hat, Vegetarier zu werden! Aber egal. Oder gar an dem Biest? Es hat Liebeskummer, weil Belle ihn verlassen hat. Und wie Männer so sind, sind sie bei Problemen in der Liebe aufbrausend und gefährlich. Und da wollt Ihr ins Dorf?" Sie lachte schallend. „Eher fresse ich einen Besen!"

„Den können wir besorgen", meinte Ich ernst.

Irritiert sah sie mich an. „Äh... Was wollt ihr mir mitbringen?" Verwirrt strich sie sich durch die Locken. Ihre Wimpern zitterten leicht, bei jeder kleinen Bewegung, die sie ausführte.

„Den Besen", grinste ich.

Noé schien nicht nach Lachen zumute zu sein. Ihn schien eine ganz andere Frage zu beschäftigen. „Sagten sie gerade Biest? Aus dem Märchen „Die Schöne und das Biest" ? Und Hänsel und Gretel... Das war dieser Wald?" Er sprang von seinem Stuhl auf und  trat einen Schritt näher an die Hexe heran.

Seine Augen weiteten sich. „Raelin... Wir sollten verschwinden... Das ist Gurtel. Aus dem Märchen von Rapunzel!"

„Ihr habt es endlich erfasst", kicherte Gurtel amüsiert. „Es hat ja auch lange gedauert."

Plötzlich begann das Häuschen zu wackeln. Der Tisch, die Stühle und das Bett fielen um. Das Besteck fiel aus dem Schrank und zerbrach krachend auf dem Boden.

Ich stürzte zum Fenster. Das Häuschen war in die Höhe gewachsen. Sie standen im hohen Turm eines Märchens. Einige Jahre nach Rapunzels Gefangenschaft.

Ich schrie auf. „Noé ! Das Häuschen es wä...", fing ich an. Weiter kam ich nicht.

Kaum waren die Worte ausgesprochen, spürte ich zwei Hände, die mich packten und...

Aus dem Turm stießen.


Dann- plötzlich. Leere. Endlose Leere. Meine Hand streckte sich nach Noés aus, doch ich konnte sie nicht ergreifen.

Ich schrie. Beinahe fühlte es sich so an, als würden Tausende von Fensterscheiben auf mich herunter rieseln.

Erst einmal. Doch dann kam der Schmerz. Lodernd ergriff er Besitz von meinem Körper. Ich konnte mich weder bewegen, noch richtig atmen.

Mein Herz pochte wie wild, nur das spürte ich, als ich wie wild versuchte, mich einen Millimeter zu bewegen. Wie Schwerthiebe zerfiel langsam, langsam mein Herz in Trümmer.

„Ich... Ich liebe dich Noé", waren die letzten Worte, die über meine Lippen kamen, bevor mein Herz aufhörte zu schlagen.

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