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In Sekundenschnelle löste sich plötzlich die Haut des Löwen. Aus den kräftigen Pranken wurden schmale Hände. Die wilde Mähne verwandelte sich zu lockigen, kurzen Haaren- Bis vor mir ein etwas jüngerer Mann stand, der mich verblüfft anschaute.
„Ein Gestaltswandler", hauchte ich ebenfalls verblüfft.
Der junge Mann sah zu mir auf. Dann machte er einen Schritt auf mich zu und küsste mir sacht auf die Wange.
Ich stand stocksteif da. Ich gab keinen Laut von mir und konzentrierte mich darauf, möglichst gleichgültig dass zu sprechen, was ich sagen wollte. „Bloß nichts stottern ", war das Einzige was ich mir immer wieder einredete. „Bloß nicht stottern."
„Äh... Ja?! Du bist... bist als... also eiiii... ein Gestaltswandler?" Ich war froh, zumindest Gestaltswandler richtig aussprechen zu können, ohne herum zu stottern. Verlegen sah ich zu Boden.
„Danke ", meinte der Gestaltswandler. „Danke, dass du mich befreit hast. Nur eine wahre Kriegerin denkst daran, jemanden zu befreien anstatt an Gold, Reichtum und Macht. Du bist etwas Besonderes."
Ich wäre gerührt. Wie kam das? Wie benahm ich mich bloß? In einer Sekunde ein wilder Löwe, in der nächsten eine gerührte Ameise.
Mir fiel auf, dass ich mich noch immer in den Klamotten der Trottel befand. Trotzdem hatte er "Kriegerin" zu mir gesagt. Woher wusste es das? Das ich eine Frau war?
„Ich habe die Gabe Gedanken lesen zu können. Dies habe ich an der Lightfire Akademy erlernt, an der ich früher unterrichtet wurde. Nun war es meine Aufgabe gewesen, in der Gestalt eines Löwen diese Brücke zu bewachen. Nur ein wahres Kriegerherz, dass die Güte besitzt einen armen Löwen zu befreien, wird je die Macht der Magie besitzen. Ich werde dich mit zur Lightfire Akademy nehmen, damit du dich der Prüfung unterziehen kannst."
„Ich bin schon angenommen." Meine Stimme bebte ein wenig, als ich auf seine Erklärung erwiderte. „Ich wurde nur hintergangen und bin wegen der Tatsache, dass ich vertraut habe, hierhin teleportiert. Weißt du, wohin ich gehen könnte? Ich muss in ein Dorf. In ein Dorf, das hier in der Nähe ist."
„Ich muss dich enttäuschen. Ich kenne nur das Dorf, das ich bewache und vor diesem muss ich dich warnen. Es zu betreten kann dir dein Leben kosten, setzte nie einen Fuß hinein, wenn du überleben willst. Doch mehr als dich warnen kann ich nicht." Der Junge sah mir nicht in die Augen, während er mit mir redete. Die ganze Zeit schon, schien er nicht richtig bei der Sache zu sein. Das lag vielleicht daran, das er gerade eine Wildfremde abgeküsst hatte. Wer tat schon so etwas?
Ich kam mir etwas merkwürdig vor, weshalb wusste ich selbst nicht so Recht. Vielleicht, weil du schon wieder Angst hast, das jemand dich betrügt?, flüsterte eine miese Stimme in meinem Inneren.
„Noé", meinte der Gestaltswandler, auch er schien nicht so recht zu wissen, was gerade passierte.
„Raelin", flüsterte ich müde.
Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass ich mir ja etwas gewünscht hatte. Und wozu hatte ich geübt frech zu sein, wenn ich dies nicht immer wieder machte?
„Wann erscheint eigentlich das, was ich mir sonst noch gewünscht habe?", fragte ich und grinste schief. Gleichzeitig drängte Ich mich flink wie eine Schlange an Noé vorbei und lief langsam, immer achtend darauf, dass etwas passieren könnte und immer bereit dazu, den Dolch zu zücken, über die Brücke. Doch die schein ausnahmsweise nicht mit einem Fluch oder ähnlichem belegt zu sein und ich konnte sie ohne Zwischenfälle überqueren.
Noé hatte die Augen geschlossen, als er sie wieder öffnete stand ich hinter ihm. „Raelin...", fing er an zu sprechen, als er dann jedoch bemerkte, dass ich garnicht mehr vor ihm stand fuhr er herum. Ich lächelte ihn an. In seinen Augen zeigte sich plötzlich ein anderes Gefühl... Respekt.
Das war gut. Schließlich wollte ich nicht die süße Kleine sein, die von irgendeinem Prinzen aus dem hohen Turm von der bösen Hexe gerettet werden musste. Ich hatte meinen eigenen Willen. Meinen eigenen Kopf. Wenn schon, dann würde ich den Hosenscheißer von Prinz aus dem Turm retten. Und nicht er mich. Sonst würde ich ihn mal heftig ohrfeigen.
„Nicht schlecht, was?", meinte ich grinsend. Er blieb wie angewurzelt stehen, trotzdem formten sich seine Lippen zu einem schiefen Lächeln.
„Na los! Wo bleibst du!? Ich habe gerade irgendwie Lust ein paar Leute, die mir was antun wollen, niederzuschlagen. Oder mit dem Dolch zu erstechen. Zu Not geht dass auch. Und wann erscheint jetzt dass, was ich mir gewünscht habe? Hallo!? Warum antwortest du nicht?"
Langsam, aber sicher ging mir dieser Löwe auf die Nerven. Geheimnisvoll und geschickt ließ er sich von mir Fragen beantworten, ging selbst aber nicht auf meine ein.
Noé seufzte und senkte den Kopf. „Sie erscheinen dann, wann du sie am drängendsten brauchst. Manche wünschen Gold, obwohl sie reich sind. Das bringt ihnen nichts. Da sie dass Gold nie brauchen werden, bekommen sie es nicht. So steht es geschrieben und so wird es auch für immer bleiben." Mit diesem Satz lief er schnurstracks hinter mir über die Brücke. Ein wenig kam er mir vor, wie ein Diener. Aber nur ein bisschen.
„Wo geht es lang?", fragte ich Noé zögernd, als die Dunkelheit des Waldes uns umschlang.
„Woher soll ich das wissen?", meinte Noé und imitierte dabei perfekt meine Stimme nach. Dr grinste.
Ich verdrehte die Augen. Männer. Sollte das ein Scherz sein, oder was deutete Noé damit an?
Ehrlich gesagt waren mir, früher Jungen, jetzt Männer, schon immer ein Rätsel gewesen. Ich brachte irgendwie in vielen Sachen, die typisch für Männer waren, selbst großes Intresse auf. Manches jedoch konnte ich nicht verstehen. Zum Beispiel, das Männer stärker sein sollten als Frauen. Eine Frechheit! Weder ein Mann noch jemand anderes außer Orna hatten es je geschafft mich im Kampf zu besiegen. Und das würde hoffentlich auch so bleiben.
Das krächzende Geräusch eines Raben drang an meine Ohren. Ich wusste nicht, was er gesagt hätte, wäre er ein Mensch gewesen, oder könnte ich Tiere verstehen, aber es fühlte sich so an, als wollten die schwarzen Geschöpfe mir die Augen auspicken. Und das war nicht übertrieben.
Immer wieder schossen die Raben auf und herab und wir könnten Ihnen nur knapp ausweichen uns entwischen. Noé hatte sein Schwert gezückt und verscheuchte immer wieder die mörderischen Vögel. Wieder konnte ich ein Gefühl in seinen Augen erkennen.
Angst. Kalte Angst.
In meinen Gesichtszügen konnte man eher Wut erkennen. Und den Drang, Rache auszuüben. An den Raben und- an Alastair.
Trotzdem kämpften Noé und ich uns weiter durch die vielen Äste, die so hart nach uns schlugen, dass es sich anfühlte, als würden sie uns aufhalten wollen. Vielleicht stimmte dies ja sogar. In Cavellon war schließlich so ziemlich alles möglich.
Endlich, nach gefühlten Jahren erreichten wir etwas. Jedoch kein Dorf, sondern einen hölzernen, geschliffenen Stamm. Dornenranken wuchsen an dem Stamm entlang, bis hin zu dem Rubin der ganz oben am Ende des Stammes eingraviert war. Er leuchtete merkwürdig silbern, wenn das Licht auf ihn fiel.
„Was ist das?", fragte ich Noé, während ich den Baum betrachtete. Mein Blick wanderte immer höher, so hoch, dass ich bald den Kopf in den Nacken legen musste um den Stamm weiter zu begutachten.
„Ein Gedenketbaum. Jeder, der seinen Namen in den Stamm ritzt, wird nach seinem Tod hier unter diesem Stamm weiterleben. So besagt es zumindest die Legende." Noé sah verlegen aus.
Ich glaubte fast, dass ich genau wusste, warum er so verlegen war. „Du hast deinen Namen in den Baumstamm geritzt, richtig?" Ich war schon immer gut darin gewesen, jemandem Geheimnisse zu entlocken.
Noé lief rot an. „Ja ", gab er zu. „Ich meine, in jeder Legende steckt doch ein Fünkchen Wahrheit oder nicht?"
Ich zuckte mir den Schultern und schenkte meine Aufmerksamkeit wieder dem Baum. „Ich glaube, wir können weiter ", meinte ich und mein Herz klopfte wieder einmal, als ich Noé ansah.
„Ihr werdet nicht weitergehen."
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