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So lange hatte ich auf diesen Tag gewartet. Gehofft, dass er schneller kommen würde, als es vorgesehen war. Aber der Tag meines fünfzehnten Geburtstags lag leider nach wie vor weit in der Zukunft. So war es gewesen.

Aber dann hatte ich angefangen zu trainieren. Gelernt mit einem Schwert umzugehen, das Reiten geübt, mit Pfeil und Bogen gekämpft. Und plötzlich ging alles ganz schnell.

Heute war ein Tag vor dem, der mein Leben verändern würde. Der Tag, an dem entschieden wurde ob ich auf die Lightfire Akademy aufgenommen wurde und die Ausbildung zu einer Lichtkriegerin beginnen konnte. Oder ob ich an der Seite meines Vaters in der Kategorie für Tränenheiler den Rest meines Lebens versuchen würde Leute zu behandeln und zu heilen.

Ich war in einer armen Familie an der Küste von Cavellon aufgewachsen. Die Stadt des Südens war bildschön, die Sonne stand meist am roten Himmel. Schon in frühen Jahren hatte ich meiner Mutter beim heilen geholfen, meine gesamte Familie bestand aus Tränenheilern. Eigendlich sollten meine beiden älteren Schwestern Lichtkrieger werden, doch bei ihrer Prüfung vor den vier Himmelswächtern wurden sie nicht an der Lightfire Akademy aufgenommen. Stattdessen waren sie bei meiner Mutter geblieben  und hatten die wichtigsten Kriterien zum Heilen gelernt. Vor einem Jahr hatte meine älteste Schwester Shaye ihre Prüfung zur Tränenheilerin abgelegt und studierte nun Telepathie.

Meine zwanzigjährige Schwester Atara würde in diesem Jahr ihre Ausbildung beenden und Telikinese an einer Heiler- Schule unterrichten. Die Zusage von meiner Mutter, das Atara talentiert und intelligent dazu war, hatte sie.

All die Jahre hatte ich nicht hinzu gehört. Ich hatte mich lieber in der Natur verkrochen und in meinen Büchern geschmökert. Einen Roman mit eintausend Seiten las ich pro Tag. Kaum jemand wusste mehr über mich als meinen Namen. Aber das war Vergangenheit. Jetzt war ich weiter gekommen, bis hier hin.

Seit Monaten hatte ich diesem Tag entgegen gefiebert. Nun, da er da war, konnte ich es trotzdem nicht so recht fassen. Es fühlte sich normal an. So wie immer. Doch in Wirklichkeit war es dann doch nicht so alltäglich.

Ich saß auf einem Stuhl und strich mir zum gefühlt hundertsten Mal eine meiner braunen Haarsträhnen in die aufwendige Hochsteckfrisur zurück. Meine Haare waren noch nie sonderlich gut zu bändigen gewesen, aber anders als sonst, war ich auch noch nie auf so einer Zeremonie gewesen. Erst Recht nicht auf einer, bei der ich selbst eine wichtige Rolle spielte.

Orna Lavendra, meine Ausbilderin, schien sogar noch aufgeregter zu sein als ich. Sie war eine alte Freundin meiner Mutter und ehemalige Kriegerin in der Armee des Südens. Nun war sie darauf aus, Jugendliche auf ihre Zeremonie vorzubereiten.

Orna, wie sie mich gebeten hatte sie zu nennen, lächelte mich zaghaft an und kam zu mir herüber. Auch sie trug ein aufwendig mit Perlen besticktes mint-farbiges Kleid und ihre waren Haare schlicht zusammen gebunden. So wie ich es auch gemacht hätte. Aber meine Mutter liebte es, mir Frisuren zu flechten, bei denen es ewig dauerte bis man sie fertig hatte. Obwohl ich zugeben musste, das ich hübscher aussah als sonst.

„Wann geht es los?", fragte ich Orna. Meine Stimme zitterte. 

Gleichzeitig bemerkte ich  eine Gestalt, die in einen schwarzen Umhang gehüllt war, weshalb ich nicht erkennen konnte, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Sie trieb sich am Eingangstor des Schlosses herum und schien mich zu beobachten. Warum nur? Irgendetwas an dieser Person kam mir merkwürdig vor. 

„In einer halben Stunde werden die Himmelswächter die Entscheidung über dich treffen. Wenn du in den Wald möchtest, um dich von den Tieren zu verabschieden, fürchte ich, das es dafür zu spät ist. Wenn du zu spät bist, kann dies Folgen haben, mit denen du nicht rechnen wirst. Du darfst, egal wie du in der Prüfung angeschnitten hast nicht die Lightfire Akademy besuchen."

Mit so einer harten Strafe hatte ich tatsächlich nicht gerechnet. Die Tiere waren in meiner Kindheit die einzigen Freunde gewesen, die ich hatte. Ich hielt Freundschaften für sinnlos. Ich konnte als Lichtkriegerin niemandem trauen. Niemandem. Oder ich würde es bereuen. 

Vor allem würde ich wahrscheinlich meine Schleiereule vermissen, die ich auf den Namen Wirbelwind getauft hatte, auf den die Eule nach einer Weile auch gehört hatte. 

Aber eigendlich hatte ich dies nicht gewollt, weshalb ich schon wieder ein schlechtes Gewissen hatte. Ich wollte der Person im schwarzen Umhang folgen, um zu sehen, was diese vorhatte. 

Denn die machte sich auf den Weg zu einem Ausgang, der verborgen durch Efeuranken, ein paar Meter hinter mir lag. 

Ich sprang auf, raffte meine Robe und hechtete los. Außer mir schien niemand die Person zu sehen. 


Der Gang, von dem ich keine Ahnung hatte, wohin er führte wurde immer schmaler, doch komischerweise schien es der Gestalt vor mir nicht viel auszumachen, denn sie lief geschmeidig wie eine Katze weiter, ohne nur einmal auszurutschen. Normalerweise wäre das auch für mich kein Problem gewesen, aber da ich nicht wie immer eine Hose und ein Hemd trug, war es mit der Robe nicht ganz so einfach. Nur den Bogen auf meinem Rücken und das Schwert in der Scheide um meine Hüfte hatte ich nicht zurücklassen können. 

Als Lichtkrieger musste man immer vorsichtig sein. Oder es könnte ihm das Leben kosten. Oder Schlimmeres. Die Person vor mir verlangsamte sich und ich war froh, die festen, lautlosen Stiefel zu tragen, die beim Laufen kaum einen Ton von sich gaben. 

Mit einem Ruck fuhr die Gestalt herum. Doch ich war vorbereitet. Ehe die Gestalt zu mir gewandt war, sprang ich hinter eine der Säulen. Nun erkannte ich, das sich unter der Kapuze eine Frau befand, da schwarze lange Haare aus der Kapuze hervor lugten und ich die selben Stiefel, die ich auch hatte, an ihren Füßen erkannte. 

Kurz sah sich die Frau misstrauisch um, dann ging sie vorsichtig weiter. Ich folgte ihr, immer vorbereitet, das sie sich umsehen würde. 

Hoffentlich würde sie bald ihr Ziel erreichen. Ich hatte nur noch fünfzehn Minuten, bis verkündet wurde, ob ich an der Light Fire Akademy angenommen war. Sonst wäre mein Training, einfach alles umsonst gewesen und die würde Tränenheilerin werden. 


Jedoch dauerte es nicht lange, bis die Frau stehen blieb. Aufmerksam sah sie sich noch einmal genau in ihrer Umgebung um. Ich musste zugeben, dass es nicht ganz leicht war, sie in dem Glauben zu lassen, sie wäre allein. Aber ich war klüger. 

Aus einem Beutel, den sie quer über der Schulter trug holte sie eine silberne Spange hervor, die mit einem Edelstein besetzt und mit Ornamenten verziert war. Der Edelstein begann zu leuchten, als die Frau den Stein berührte und Nebel sich um sie herum ausbreitete. Schon nach wenigen Sekunden hatten sie die Frau völlig verschluckt. Es wurde um mich herum schwarz. 

Warum sah ich nichts mehr? Ehe ich mir groß darüber Gedanken machen konnte, war der Raum schon wieder mit Licht erfüllt. Doch die Frau, von der ich nun wusste dass sie eine Schattensucherin war, war längst verschwunden. 


Ich eilte durch die vielen Gänge durch die ich der Schattensucherin gefolgt war, zurück zu dem Schloss, in dem mir in ein paar Minuten offenbart wurde, ob ich angenommen war. Oder nicht. 

Meine Robe war am unteren Saum etwas schmutzig, da ich so schnell rennen musste und keine Zeit hatte, sie ständig zu raffen, auch wenn ich ein paar mal deshalb stolperte. 

In den Gängen war es kalt und dies war mich untertrieben. Auf meiner Haut bildeten sich Eiskristalle, die mich von meinen Beinen bis zu meinem Kopf schmückten. Es sah so aus, als wäre ich die Köngin des Nordens persönlich. 

Als ein endlich an dem kleinen unauffälligen Tor ankam, riss ich sie auf und stolperte in den Raum. Es war still. Totenstill. So ziemlich jeder starrte mich an. Doch das war mir egal. Ich war rechtzeitig. Neben den Wächtern stand noch ein Mädchen, dem die Tränen in die Augen traten, als die Wächter verkündeten, dass sie nicht an der Lightfire Akademy aufgenommen war. 

Ich lächelte und schlängelte mich leise durch die vielen anderen schick gekleideten Personen, die hoch erhobenen Hauptes den Wächtern bei ihrem Vortrag lauschten. 

Nun wurde es mir doch eine wenig mulmig zu Mute. Was, wenn ich es wirklich nicht schaffen sollte? Wer wäre dann enttäuscht? Orna bestimmt. Sie hatte alles versucht, mir die wichtigsten Grundregeln der Lichtkrieger beizubringen und ich war durch sie eine sehr talentierte Bogenschützin geworden. Auch im Schwertkampf hatte ich Orna nach monatelangem Üben besiegt. Auch wenn sie älter war und mit Sicherheit nicht so gut mit dem Schwert umgehen wie sie es früher getan hatte. 

Mein Herz klopfte wie wild gegen meine Brust, obwohl ich versuchte langsam zu atmen. Das klappte nicht wirklich. Während des Vortrags, den die Himmelswächter June, Aris, Ordur und Kilian führten. 

June war die Wächterin des Südens und zeigte besonders Intresse an den Mädchen, die Lichtkrieger werden wollten, da sie ja dann ihrer Armee beitreten würden. Ihre blonden, glatten langen Haare glitten über ihre Schultern und reichten ihr bis zur Hüfte. Ihre orangefarbene Robe war mit Ornagenblüten besetzt. 

Aris war Wächterin des Nordens und sah eher desinteressiert aus, als sie zu den Mädchen sah. Eine schwarze Kapuze hatte sie sich tief ins Gesicht gezogen, so dass man kaum ihre pechschwarzen Haare sehen konnte, die sich darunter versteckten. Auch ihre Robe hatte den Ton eines dunkleren Blaues. 

Ordur, Wächter des Ostens, hatte sich eher schlicht gekleidet. Seine braunen Haare waren kurz geschnitten. Er trug ein weißes Hemd, eine weite braune Hose und einen roten Umhang. Er lächelte freundlich. 

Kilian, Wächter des Westens, hatte kurze blonde Haare und trug das selbe wie Ordur, nur in den Farben gold, silber und bronze. 

Zusammen wirkten sie wie Tag und Nacht, vier Personen, die unterschiedlicher nicht hätten sein  konnten. Trotzdem war ich froh, dass ich wenn überhaupt June als Anfüherin betrachten konnte. 

Der Vortrag hatte nun geendet und Orna riss mich aus meinen Gedanken. 

„Jetzt bist du dran Rae", flüsterte sie und drückte meine Hand. Sie war die einzige Person, die mich so nannte und würde es auch bleiben. 

Ich zitterte am ganzen Körper. 

„Raelin Lightstone ", las June von einem Pergament vor und ich trat nach vorne. 

Ich wunderte mich, überhaupt gerade stehen zu können, eigendlich hatte ich erwartet, dass die sofort zusammen brechen würde. 

„Wirklich, Raelin, du hast Talent. Du und dein Schwert, ihr seid unfassbar gut für die Armee geeignet. Doch...", fing June an und lächelte. 

Doch... Ja,  der Haken. Es war aus. Aus und vorbei. Ich wurde nicht angenommen. Ich konnte die Tränen, die sich aus meinen Augenwinkeln lösten, kaum verstecken und dann liefen sie mir einfach übers die bleichen Wangen. 

„... deine Leistung im Bogen schießen ist besonders. Nicht jeder hat das Talent, so mit dieser Waffe umzugehen. Hinzu kommt, das du überaus loyal und hilfsbereit bist. Auch dies ist in unserer Armee gerne gesehen. Du hast Talent. Hast du dein Element schon manifestiert?" 

Ich sah auf. Das war doch eine positive Rede gewesen, oder? Hatte ich vielleicht doch eine Chance? 

„Nein, Wächterin June, ich bin gerade dabei, mich darauf vorzubereiten", meinte ich mit einem Knicks vor den Wächtern. 

Das hatte ich schon fast vergessen. Jede Lichtkriegerin, die dafür bestimmt war in der Armee des Südens zu kämpfen, manifestierte eines der vier Elemente. Feuer, Wasser, Erde und Luft. 

Genau wie die Schattensucher. Diese mussten eines der vier dunklen Elemente manifestiert, um den Wächtern zu zeigen, dass Sie talentiert genug waren, um der Armee des Nordens beizutreten. 

Die vier dunklen Elemente bestanden ebenfalls Wasser, Feuer, Erde und Luft. 

Doch das Wasser, das sie beherrschen konnten, war schwarz, dunkler als die Nacht. Es besaß mehr Macht als das durchsichtige Wasser, was Lichtkrieger bändigen konnten. 

Das Feuer dagegen war das mächtigste der vier dunklen Elemente. Es war violett, breitete sich in Sekundenschnelle aus und man starb, wenn man es berührte. Es konnte im Fall eines sehr talentierten Schattensuchers zu einem Feuer kommen, das die Wolken überragen würde. 

Wer dunkle Erde beherrschen konnte, konnte die gefährlichsten Pflanzen erschaffen und bändigen. Durch die magischen dunklen Efeuranken konnte niemand hindurch, außer er wollte einen qualvollen Tod sterben. 

Dunkle Luft gab es nicht, wer diese Art beherrschte konnte den Nebel bändigen. Es war das harmloseste dunkle Element, obwohl Menschen im Nebel der Luftbändiger erblinden würden. Da wir keine Menschen waren, passierte es bei uns äußerst selten. 

Wir waren Fyue, Wesen, die Elfen ähnelten. Die selben spitzen Ohren, aber anderen Stile und andere Fähigkeiten. Elfen gab es nicht, das war eine Erfindung der Menschen. Fyue dagegen existierten wirklich. 


„Hiermit bist du an der Lightfire Akademy angenommen", drang Wächterin Junes Stimme an mein Ohr. 






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