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Ich starre Kass ungläubig an. Ich soll mich bei Maria Susanna entschuldigen? Wofür? Ich habe doch nichts getan! Sie hat mich angegriffen. Sie hat mich umgebracht! Und jetzt soll ich mich entschuldigen? Wie kann Kassandra das nur vorschlagen?

Maria Susanna verschränkt trotzig die Arme und mustert mich abschätzig.

„Es spielt keine Rolle, welche Absichten sie jetzt im Moment verfolgt", sagt sie kalt. „Prophezeiungen haben immer Recht. Sie wird diese Welt in Dunkelheit stürzen, wenn ich sie nicht aufhalte, ob sie will oder nicht."

Wow, einfach nur wow. Maria Susanna scheint das Konzept von Ich-Botschaften echt nicht verstanden zu haben. Unglaublich!

Kass seufzt erneut tief. Ihre großen Augen wirken müde, als sie Maria Susanna fast schon flehentlich anblickt.

„Könnte es nicht sein, dass sich die Prophezeiung auf jemand anderen bezieht?", will sie wissen. „Oder, dass sie irgendwie anders interpretiert werden kann?"

„Willst du etwa andeuten, dass ich mich irre?", Maria Susannas Stimme wird eiskalt und unter ihrem zornigen Blick zuckt Kass zusammen. Dann strafft Kass jedoch die Schultern und als sie spricht, verleiht sie ihrer Stimme einen vernünftigen und ruhigen Tonfall.

„Anstatt sich auf die Dinge zu fokussieren, die euch voneinander trennen, sollten wir uns nicht lieber auf eure Gemeinsamkeiten konzentrieren?", schlägt sie vor. „Ich denke, ihr seid einander ähnlicher, als ihr glaubt. Ihr seid beide wunderschöne, talentierte, mächtige Mary Sues. Wenn ihr zusammenarbeiten würdet, anstatt euch zu bekämpfen, könntet ihr sicher eine Menge voneinander lernen."

Maria Susanna legt den Kopf in den wohlgeformten Nacken, sodass sich ihr glänzendes Haar wie ein rabenschwarzer Wasserfall über ihre Schultern ergießt, und stößt ein glockenhelles Lachen aus.

Ich runzle die Stirn. Ich finde die Idee, von Maria Susanna etwas lernen zu können, ebenfalls absolut lächerlich, aber ihre Reaktion darauf erscheint mir jetzt doch ein bisschen übertrieben.

„Du glaubst, sie ist eine Mary Sue?", fragt Maria Susanna mit Lachtränen in den Augen und deutet auf mich. „Wenn es nicht so witzig wäre, könnte ich fast Mitleid mit euch haben."

Na warte! Ich springe leichtfüßig wie eine Katze auf die Beine. Dann feuere ich blitzschnell einen Laserstrahl auf Maria Susanna ab.

„Natürlich bin ich eine Mary Sue", zische ich und fahre mir durch meine engelsblonden Haare. „Das sieht man doch wohl!"

Maria Susanna macht sich nicht einmal die Mühe, meinem Laserstrahl auszuweichen, sondern wischt ihn einfach nur mit einer laschen Handbewegung zu Seite.

„Erbärmlich", ihre Lippen kräuseln sich spöttisch und sie erhebt sich elegant vom Boden und baut sich mir gegenüber auf. „Weißt du überhaupt, was eine Mary Sue ist?"

Ich funkle sie zornig mit meinen wunderschönen Augen an. Mein Körper beginnt vor reiner Macht geradezu zu knistern.

„Bitte, hört auf", ruft Kass verzweifelt. „Wir waren doch gerade dabei, Fortschritte zu machen!"

Ohne sich zu ihr umzublicken, erhebt Maria Susanna die Hand und plötzlich sind Kass und Amora durch eine grün schimmernde, magische Glasscheibe von uns getrennt.

„Eine Mary Sue", sagt Maria Susanna und tritt nahe an mich heran, „ist in sämtlichen Aspekten perfekt." Ich kann ihren sanften Atem in meinem Gesicht spüren, weiche aber nicht zurück.

„Sie ist die Schönste", Maria Susanna macht eine Handbewegung und plötzlich spüre ich, wie sämtliche Macht, die ich angesammelt habe, einfach aus mir herausgesaugt wird. Ich taumle, während sich in meinem Inneren eine allumfassende Erschöpfung ausbreitet.

„Die Stärkste", Maria Susanna umfasst mit der rechten Hand sanft mein Kinn, streicht mir fast schon zärtlich mit dem Daumen über die Wange und jagt dann die von mir gestohlene Macht mit doppelter Stärke in mich hinein. Ich kreische vor Schmerz auf und Tränen bilden sich in meinen Augen.

„Und die Schlauste", ich strauchle, als mich Maria Susanna jäh loslässt und muss sämtliche verbliebene Kraft aufbringen, um auf den Beinen zu bleiben. Maria Susannas Smaragdaugen mustern mich höhnisch, während ein kaltes Lächeln ihre Lippen umspielt.

„Eine Mary Sue macht keine Fehler", fährt Maria Susanna sanft fort, „und eine Mary Sue verliert niemals. Du jedoch", ihr Blick wird abschätzig, als betrachte sie ein besonders widerliches Insekt, „du kannst keine fünf Minuten gegen mich bestehen. Du machst einen Fehler nach dem anderen. Und du konntest noch nicht einmal deine Lakaiin vor dem Gift retten, geschweige denn dich selbst vor mir. Du bist keine Mary Sue. Du bist eine Schande für die gesamte Sueheit!"

Sie versetzt mir einen Stoß und ich falle zitternd vor ihr auf die Knie.

„Nein", flüstere ich mit trockener Stimme. „Nein, das ist nicht wahr."

Natürlich ist es wahr. Und du wusstest es. Du wusstest es die ganze Zeit. Wie lange willst du dich noch selbst belügen? Du hast verloren. Verloren! Mary Sues verlieren nicht!

„Nein!", ich presse meine Hände auf meine Ohren. Tränen stehen in meinen Augen. Ich war mein ganzes Leben lang eine Mary Sue. Ich kann doch jetzt nicht einfach damit aufhören. Oder war das auch alles nicht wahr? War mein ganzes Leben eine Lüge?

Maria Susanna blickt höhnisch aus ihren smaragdfarbenen Mary-Sue-Augen auf mich herab.

„Sieh dich doch an!", fährt sie unbarmherzig fort. „Wer hätte denn schon jemals von einer Mary Sue mit verkohlten Haarsträhnen gehört? Lachhaft!"

Ich fahre mir durchs Haar. Durch mein einst perfektes Haar, das ich selbst so verstümmelt habe. Die Tränen laufen mir jetzt ungehindert über die Wangen. Habe ich mir das selbst angetan? Bin ich schuld, dass ich keine Mary Sue mehr bin?

„Wenn ich keine Mary Sue bin, was bin ich dann?", flüstere ich mit erstickter Stimme.

„Ist das nicht offensichtlich?", Maria Susannas Stimme trieft geradezu vor Verachtung. „Du bist gar nichts. Nur ein weiterer ultimativ böser Superschurke in einer langen Reihe von ultimativ bösen Superschurken, die ich aufhalten muss."

Fast schon gelangweilt hebt sie ihr Schwert. Ich rühre mich nicht. Tiefe Verzweiflung droht mich zu ertränken. Maria Susanna hat Recht. Natürlich hat sie Recht, immerhin ist sie eine Mary Sue. Ich bin ein Nichts. Eine Versagerin. Ich verdiene es auf diese schreckliche Weise zu sterben. Ich schließe die Augen und hoffe, dass es schnell geht.

„Hey, Maria Susanna! Maria Susanna!", erklingt eine aufgebrachte Stimme. Ich öffne meine Augen einen Schlitz weit. Amora trommelt mit aller Kraft mit der Bratpfanne gegen die magische Glasscheibe, die uns voneinander trennt, und versucht Maria Susannas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Willst du wissen, wie ich deine ganzen Liebesdreiecke zerstört habe? Es war wirklich kinderleicht. Soll ich dir davon erzählen? Ich könnte dir berichten, was die alle über dich gesagt haben. Das muss dich doch schrecklich interessieren!"

Maria Susanna schenkt ihr nicht die geringste Beachtung. Stattdessen streichelt sie sanft über die Klinge ihres flammenden Schwerts und murmelt dabei einen uralten Zauberspruch, der es Kindness erlauben wird, meine Seele in sich aufzunehmen.

„Erinnerst du dich an den Kerl mit der roten Haut und den drei Köpfen?", Amoras Stimme hat einen verzweifelten Unterton angenommen. „Er war eigentlich ein richtiges Sensibelchen. Hat dir Gedichte geschrieben und so. Ich habe ihn dazu gebracht, sie zu verbrennen, aber ich könnte dir sagen, was drinstand! Ich erinnere mich noch an das meiste."

Maria Susanna schenkt ihr weiterhin keine Beachtung. Ich würde Amora gerne sagen, dass es sinnlos ist, das Unvermeidbare hinauszögern zu wollen. Dass es nichts ändern wird. Dass nichts und niemand mich jetzt noch retten kann. Aber, dass ich trotzdem dankbar für den Versuch bin. Ich suche ihren Blick und deute ein resigniertes Kopfschütteln an. Amoras Schultern sacken in sich zusammen.

Maria Susanna ist fertig mit ihrem Zauberspruch. Sie schenkt mir einen letzten verächtlichen Blick und lässt dann das Schwert auf mich herabsausen. Ich schließe die Augen.

„Maria Susanna, du stinkst!"

Ich reiße überrascht die Augen wieder auf. Kass steht mit geballten Fäusten und trotziger Körperhaltung hinter der Glasscheibe. Maria Susanna wirbelt mit einer wütenden Bewegung zu ihr herum. Für den Augenblick bin ich vergessen.

„Was hast du gesagt?", will sie mit eiskalter Stimme von Kassandra wissen.

„Du stinkst. Ganz widerlich. Durch die Glasscheibe hindurch", sagt Kass. Einen Moment lang klingt sie unglaublich schuldbewusst, dann nimmt ihre Stimme einen entschlossenen Tonfall an. „Nach Kuhfladen und so."

„Was für eine dreiste Lüge", zischt Maria Susanna. „Ich bin eine Mary Sue, ich stinke nicht."

„Boah, jetzt kann ich es auch riechen", Amora hält sich demonstrativ die Nase zu. „Wie ekelhaft."

„Genau", fügt Kass schnell hinzu, „wann hast du das letzte Mal geduscht? Weihnachten?"

Maria Susanna versucht, unauffällig an ihren Achseln zu schnüffeln. Währenddessen starrt Amora mich streng an. „Lauf", formt sie lautlos mit ihren Lippen.

Ich zögere. Eine Mary Sue läuft nicht feige vom Gegner davon. Niemals. Und eine Mary Sue lässt auch nicht ihre Freunde im Stich.

„LAUF!", formt Amora erneut, dieses Mal um einiges energischer. Ich lasse die Schultern sinken. Ich bin keine Mary Sue. Ich bin ein Nichts. Eine Mary Sue würde bleiben. Selbst, wenn der Kampf völlig aussichtslos erscheint, sie würde bleiben. Ich jedoch wende mich ab und fliehe.

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