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Ich blinzle verdutzt. Mein Blick verschwimmt und in meinen Ohren hallt der Widerklang des Aufpralls wider, während vor meinem inneren Auge das Nachbild des eisernen Gegenstandes aufblitzt, mit dem man mir unhöflicherweise mitten ins Gesicht geschlagen hat. Wenn ich nicht einen abgehärteten Schädel hätte, hätte das wohl echt weh getan.

„Mary Sue!", erklingt da ein lautes Quietschen. Ehe ich mich versehe, fällt mir ein braun-gelockter Wirbelwind um den Hals.

„Kass", rufe ich erfreut und drücke sie so fest, dass sie nach Luft japst. Sie wirkt völlig aufgelöst, aber unverletzt. Ich blicke mich suchend um, aber Kass nimmt mein ganzes Blickfeld ein.

„Bist du das wirklich?", will sie mit einer Mischung aus Lachen und Schluchzen wissen. „Wir dachten, du bist tot!"

„Zurück, Kass!", erklingt eine strenge Stimme. Ich wirble herum. Amora steht einige Meter von mir entfernt und starrt mich böse durch ihre Brillengläser hindurch an. Ich seufze erleichtert. Ihre Haare sind ein wenig zerzaust, ihre Augen gerötet, aber ansonsten scheint es ihr gut zu gehen. Auf jeden Fall wirkt sie nicht wie jemand, der kurz davor ist, an einem tödlichen Gift zu krepieren. Erst jetzt fällt mein Blick auf die schwere Bratpfanne in ihren Händen, die sie drohend in meine Richtung schwenkt. Ich ziehe skeptisch die Augenbrauen hoch.

„Hast du mir gerade ernsthaft mit einer Bratpfanne eins übergezogen?", erkundige ich mich. Amora funkelt mich wütend an.

„Hältst du uns etwa für blöd?", zischt sie. „Mary Sue ist tot. Wir haben sie sterben sehen! Glaubst du wirklich, du würdest irgendetwas erreichen, wenn du plötzlich mit ihrem Gesicht hier auftauchst? Spar dir deine kranken Psycho-Spielchen, Maria Susanna!"

Kass weicht bei diesen Worten vor mir zurück, als hätte ich eine ansteckende Krankheit, und starrt mich aus ihren großen Augen argwöhnisch an. Ich seufze. Wieso verwechseln mich in letzter Zeit alle mit dieser Feuerschwert-schwingenden Verrückten?

„Ich bin nicht Maria Susanna", setze ich an, aber bevor ich weitersprechen kann, holt Amora schon erneut aus und klatscht mir die Pfanne abermals ins Gesicht.

„Spar dir deine Lügen", zischt sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Ich schnaube ein wenig verärgert und reibe mir die Wange, die nun doch zart rosa anläuft.

„Zunächst einmal ist es unhöflich, Leuten mit einer Pfanne ins Gesicht zu schlagen, bevor sie ausgeredet haben", kläre ich Amora auf. „Und dann glaubst du ernsthaft Maria Susanna könnte mich kopieren?" Ich deute an meinen perfekten Körper herab und werfe Amora einen empörten Blick zu. „Denkst du irgendjemand, ob Mary Sue oder nicht, wäre in der Lage, diese grenzenlose Schönheit nachzubilden, ohne bei dem Versuch den Verstand zu verlieren?" Ich schließe einen Moment die Augen und seufze verzückt bei dem Gedanken an mein makelloses Äußeres.

„Mary Sue?", krächzt Amora. Sie lässt die Bratpfanne sinken und die Augen hinter ihren Brillengläsern glitzern verdächtig.

„Wer denn sonst?", ich grinse sie breit an, „wo wir gerade beim Thema sind, denkt ihr, ich sollte anfangen, für das Recht, sich in meiner Schönheit sonnen zu dürfen, Geld von den Leuten zu verlangen? Das wäre sicher eine Goldgrube."

Amora schnaubt.

„Jep, du hast Recht", sagt sie, „das kann wirklich niemand faken."

Ihr Tonfall macht klar, dass sie nicht unbedingt mein makelloses Äußeres meint. Ich schenke ihr ein breites Grinsen.

„Gib's zu, Ami, du hast mich vermisst."

Amora verdreht die Augen.

„Du hast mich wieder einmal durchschaut", gibt sie trocken zurück. „Besonders deine Bescheidenheit und deine Selbstlosigkeit haben mir schrecklich gefehlt."

Ich lache.

„Das sagst du jetzt so sarkastisch, aber die Wahrheit ist, dass du mich gerade eben noch mit einer Pfanne umbringen wolltest, weil du mich für Maria Susanna gehalten hast und meinen Tod rächen wolltest", gebe ich gut gelaunt zurück.

„Das ... ", Amora macht eine fahrige Bewegung mit den Händen und läuft ein wenig rot an, „das war bloß Teil meines Fluchtplans. Ich wollte Maria Susanna niederschlagen, damit wir fliehen können!"

„Natürlich war es das", mein Grinsen wird noch breiter. „Gib doch einfach zu, dass ich dir mittlerweile ans Herz gewachsen bin."

„Von wegen", Amora schnaubt und rückt sich die Brille zurecht. „Ich will nur nicht die Gelegenheit verpassen, dich in einer Welt ohne Fernsehen auszusetzen, sobald du mir zu sehr auf die Nerven gehst. Das ist alles."

Ich lache und werfe ihr eine Kusshand zu.

Kass, die unserem Geplänkel kopfschüttelnd gefolgt hat, beschließt offenbar, dass es an der Zeit ist, meine Rückkehr mit einer weiteren Umarmung zu feiern.

„Ich bin so froh, dass du noch am Leben bist", verkündigt sie dabei. „Ich dachte, mit deinem Tod wäre jegliche Möglichkeit, den Konflikt mit Maria Susanna gewaltfrei beizulegen, vorbei, aber jetzt können wir vielleicht doch noch irgendwie eine friedliche Lösung finden."

Eine friedliche Lösung? Ich starre sie ungläubig an und löse mich grob aus der Umarmung. Ist das ihr Ernst?

„Wow, ich bin so froh, dass mein Tod nicht mehr deinen Bemühungen im Weg steht, mit Maria Susanna Freundschaft zu schließen", gebe ich bissig zurück und versuche dabei, nicht verletzt zu klingen.

Kass reißt die Augen auf und schüttelt energisch den Kopf.

„So habe ich das nicht gemeint!", sagt sie und hebt beschwichtigend die Hände. „Ich finde nur, dass wir dieses Missverständnis zwischen dir und Maria Susanna in einem Gespräch klären sollten."

Sie nimmt einen vernünftigen und sanften Tonfall an, als spräche sie mit einem kleinen Kind: „Ist offene Kommunikation nicht viel besser, als aufeinander loszugehen?"

„Oder", schlage ich mit scharfer Stimme vor, „ich hole euch jetzt hier raus, wir verzieren sämtliche Gemälde von Maria Susanna mit hübschen Schnurrbärten und verschwinden dann in eine andere Welt."

Definitiv die bessere Alternative! Ich bin echt nicht scharf drauf, Maria Susanna erneut zu begegnen.

„Das könnte schwierig werden", Amora zieht ihr Hosenbein ein wenig hoch und präsentiert eine smaragdschimmernde Fußfessel. Ich stoße einen Fluch aus. Ich erkenne die Magie auf den ersten Blick wieder. Sie ist identisch zu der, die Maria Susanna bei unserem letzten Aufeinandertreffen genutzt hat, um Amora daran zu hindern, in eine andere Welt zu wechseln.

„Das kriege ich schon hin", sage ich deutlich optimistischer, als ich mich fühle. „Wir haben bestimmt noch Zeit. Immerhin hat sie keine Wache dagelassen, die sie alarmieren könnte." Ich schlage einen herablassenden Tonfall an. „Was für eine Amateurin."

„Oh, es gab Wachen. Ziemlich viele sogar", Amora verzieht ihre Mundwinkel zu einem schadenfrohen Grinsen. „Wie der Zufall es wollte, waren sie alle auf irgendeine Weise in ein Liebesdreieck mit Maria Susanna verstrickt."

„Wirklich jeder einzelne", bekräftigt Kass. „Unabhängig von Alter, Geschlecht oder Rasse!"

„Ich hatte eine Menge Spaß", fügt Amora hinzu.

Ich lache schadenfroh. „Das geschieht dieser Feuerschwert schwingenden, hirnamputierten Kuh ganz recht!"

Amora nickt zustimmend.

Kassandra seufzt. Enttäuschung steht in ihre großen, braunen Augen geschrieben.

„Wisst ihr, der erste Schritt zur gewaltfreien Konfliktbewältigung durch Kommunikation ist, den Gegner nicht als Feind zu betrachten und respektvoll zu behandeln – auch wenn man in seiner Abwesenheit über ihn spricht", sagt sie und seufzt erneut. „Maria Susanna ist eigentlich gar nicht so übel. Sie hat uns echt gut behandelt. Mir hat sie Bücher und Amora Stoffe und Nähzeug überlassen, damit uns nicht langweilig wird. Und Amora, darf ich dich daran erinnern, dass du ihr zumindest ein klein wenig Dankbarkeit schuldest, immerhin hat sie dir – "

„Nähzeug?", pruste ich heraus, wobei ich grazil ein paar Tropfen Spucke im Raum verteile. „Wie alt bist du, Ami? Achtzig?"

Ich ducke mich schon einmal vorsorglich, um dem Schlag mit der Pfanne, der unweigerlich folgen muss, auszuweichen, stelle aber zu meiner Überraschung fest, dass Amora stattdessen verlegen an ihrer Brille herumspielt und meinem Blick ausweicht.

„Nicht alle von uns haben schmutzresistente und reißfeste Klamotten", gibt sie im defensiven Tonfall zurück.

Erst jetzt fällt mir auf, dass Amora einen völlig neuen und sauberen Hosenanzug trägt: Ein marineblauer Blazer über einer eleganten Bluse kombiniert mit einer dunklen Stoffhose. Jedes einzelne Kleidungsstück sitzt perfekt. Ich starre sie neugierig an. Das kann sie doch unmöglich selbst gemacht haben, oder? Amora scheint das Thema unangenehm zu sein, also entscheide ich, nicht weiter nachzuhaken, obwohl es mich brennend interessiert, wie sie das fertiggebracht hat.

„Lasst uns jetzt von hier verschwinden", schlage ich vor. „Je eher wir diese Welt hinter uns gelassen haben, desto besser."

Ich beuge mich zu Amoras Fußfessel hinunter und lasse vorsichtig ein wenig Magie in sie hineinfließen, um sie auf etwaige Schwachstellen abzutasten. Statt des gewünschten Ergebnisses löst sich ein Blitz und fährt mir in den Arm. Ich fluche mit zusammengebissenen Zähnen, während der Schmerz viel zu langsam wieder abklingt. Sieht ganz so aus, als hätte Maria Susanna ein paar zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Es kann eine ganze Weile dauern, bis ich das entschärft habe.

Siedend heiß fällt mir das Schlangengift wieder ein. Wenn wir gezwungen sind, noch länger in dieser Welt zu verweilen, sollte ich die Rückstände davon unverzüglich entfernen. Amoras Körper scheint zwar erstaunlich gut damit klarzukommen, aber man kann schließlich nie wissen. Ich will nicht sagen, dass es ein Fehler war, es beim ersten Mal nicht gänzlich entfernt zu haben, schließlich machen Mary Sues keine Fehler, aber ich sollte das Gift jetzt trotzdem schnell loswerden, damit es Amora nicht mehr schaden kann, sollte Maria Susanna sich überraschend entschließt, ihre Party zu verlassen, um mich ein zweites Mal umzubringen.

„Hey, was tust du da?", will Amora wissen und weicht unbehaglich ein Stück zurück, als ich ihr die Hand auf die Stirn lege. Ich beachte sie nicht, sondern fühle in sie hinein. Ich kann Muskeln, Blutgefäße und Organe ausfindig machen. Alles scheint im Großen und Ganzen in Ordnung zu sein. Ich runzle die Stirn und steigere noch einmal meine Konzentration. Von dem Gift keine Spur. Ich checke erneut alles durch, nur um sicher zu gehen, finde aber rein gar nichts.

„Es ist weg", stelle ich überrascht fest.

Dafür gibt es nur eine einzige logische Erklärung. Ehrfurcht steigt in mir auf. Als ich Amora geheilt habe, müssen meine Heilkräfte noch von selbst weitergearbeitet haben, während ich schon wieder mit dem Schwert in meinem Rücken beschäftigt war. Ich lächle verzückt. Ich wusste ja, dass ich toll bin, aber das schiere Ausmaß meiner Großartigkeit überrascht mich selbst immer wieder.

„Wovon redest du?", will Kass wissen. „Oh, meinst du etwa das Gift?"

„Das Gift, das du freundlicherweise nicht für nötig gehalten hast, mir gegenüber zu erwähnen", fügt Amora hinzu und wirft mir durch ihre Brillengläser hindurch einen vorwurfsvollen Blick zu. „Natürlich ist das weg."

Ich starre die beiden verwirrt an.

„Woher wisst ihr davon?", frage ich.

„Ich habe es ihnen erzählt", erklingt hinter mir eine gelangweilte Stimme, „Ich habe übrigens auch deiner Lakaiin ein Gegenmittel verabreicht. Sie wäre ansonsten schon wenige Stunden nach unserem Kampf gestorben."

Nein. Nein, das kann nicht sein! Ich drehe mich langsam um. Herablassende smaragdgrüne Augen begegnen meinem Blick.

„Hallo, Mary Sue", begrüßt mich Maria Susanna und verzieht ihren Mund zu einem wunderschönen Lächeln. „Wie erwartet. Du bist geradewegs in meine Falle getappt."

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