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Die Erde drückt kalt und schwer auf meinen Körper und meine Lunge sehnt sich verzweifelt nach Sauerstoff. In der Hoffnung, dass Maria Susanna gerade diesen Moment gewählt hat, um auf meinem Grab zu tanzen, feuere ich einen Super-Laser-Plasma-Strahl nach oben ab. Die Erde über mir pulverisiert augenblicklich zu Asche, die vom Wind davongetragen wird. Gierig schnappe ich nach Luft. Über mir erblicke ich den Nachthimmel. Ich runzle die Stirn. Als ich gegen Maria Susanna gekämpft habe, war es Tag. Unglaublich! War ich wirklich so lange tot?

Ich erhebe mich in die Luft. Unter mir befindet sich die Wiese, auf der Maria Susanna und ich miteinander gekämpft haben. Ansonsten gibt es nichts Interessantes zu sehen. Irritiert recke ich meinen hübschen Hals und blicke mich erneut um, aber ich bin vollkommen allein. Das kann doch gar nicht sein! Ich bin eine Mary Sue. An der Stelle, an der ich gestoben bin, sollten sich schluchzende Menschenmassen mit Blumenkränzen und Trauerkerzen versammeln, um meiner zu gedenken. Oder meinetwegen eine wütende Meute mit Fackeln und Mistgabeln – dank der diskriminierenden Sichtweise auf das Weltherrschaft-an-sich-Reißen, die in dieser Welt offenbar vorherrscht. Dass sich einfach niemand die Mühe gemacht hat, mein Grab aufzusuchen, finde ich höchst beleidigend! Und wo stecken eigentlich Kass und Amora? Zumindest die beiden hätten doch wohl hier um mich trauern können. Das ist doch wohl das Mindeste, nach allem, was ich für die beiden getan habe! Immerhin hat meine Bekanntschaft die beiden aus ihren langweiligen und sinnlosen Alltag gerissen und ihren Leben Bedeutung verliehen. Nicht zu vergessen, die vielen Male, bei denen ich die beiden vor bösartigen sprechenden Nagetieren, Treibsand und Giftschlangen gerettet habe.

Giftschlangen – ich erstarre mitten in der Luft. Habe ich eigentlich das Gift vom Schlangenbiss vollständig aus Amoras Körper entfernt? Ich war kurz davor, die letzten Reste zu entfernen, aber dann hat mir diese arrogante, blöde Kuh ein Schwert in den Rücken gerammt. Und danach war ich ... zu beschäftigt, um mich darum zu kümmern. Das bedeutet, Teile des Gifts sind noch immer da! Und hatten eine Menge Zeit, sich auszubreiten und Schaden anzurichten!

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ja, das Gift war ziemlich aggressiv und hat beim letzten Mal innerhalb von Minuten schwere Organschäden verursacht und hatte jetzt schon mehrere Stunden Zeit, sich ungehindert auszubreiten – aber das muss gar nichts heißen! Immerhin bin ich Mary Sue. Rettungen in letzter Sekunde sind eine Spezialität von mir. Wahrscheinlich werde ich gerade noch rechtzeitig eintreffen, um Amora heldenhaft vor dem Tod zu bewahren. Ganz bestimmt sogar!

War nicht auch, niemals im Kampf zu unterliegen, eine Spezialität von dir?, erkundigt sich eine gemeine, kleine Stimme in meinem Hinterkopf. Wie ist das nochmal für dich ausgegangen?

Ich feuere einen mentalen Laserstrahl nach Innen ab, um die Stimme zum Schweigen zu bringen. Meine Selbstzweifel kreischen getroffen auf und geben ein letztes verzweifeltes Röcheln von sich, bevor sie qualvoll sterben. Ich lächle grimmig. Ich bin großartig. Mir gelingt alles! Ich werde Amora finden und sie von dem Gift befreien, ehe es zu spät ist! Und damit basta! Immerhin bin ich Mary Sue!

Auf gut Glück fliege ich einfach in irgendeine Richtung los. Ich ärgere mich ein wenig über mich selbst. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich nur kurz konzentrieren müssen und ich hätte genau bestimmen können, wo Amora sich aufhält, in welcher Verfassung sie gerade ist und wie viel Zeit sie noch hat. Ich besaß so viele verschiedene hellseherische Fähigkeiten, dass selbst ich Schwierigkeiten hatte, den Überblick zu behalten. Als mir dann allerdings aufgefallen ist, dass die Rettung der Welt keinerlei Herausforderung mehr darstellt und folglich extrem langweilig wird, wenn man in die Zukunft blicken kann, bin ich all meine seherischen Talente losgeworden. Danach war es zwar immer noch keine Herausforderung, die Welt zu retten, aber es war zumindest ein klein wenig unterhaltsamer. Wie hätte ich auch ahnen können, dass ich jemals in eine Situation kommen könnte, in der ich auf meine seherischen Talente angewiesen bin?!?

Ich straffe meine perfekten Schultern und beschleunige mein Flugtempo. Während ich durch die Luft schieße, halte ich nach Kass und Amora Ausschau. Ich kann keine von beiden entdecken, was mich maßlos ärgert. Ich musste noch nie irgendetwas oder irgendjemanden länger als fünf Minuten suchen! Aber statt die beiden zufällig zu entdecken, weil ich zufällig die richtige Richtung eingeschlagen habe, wie es mir als Mary Sue zustände, kann ich unter mir nur ein dämliches knallpinkes Gewächs ausmachen, das wie eine Mischung aus Mais und Weizen aussieht und sanft im Wind schaukelt. Zwischendurch tauchen auch ein paar Häuser auf, die – aus welchen Gründen auch immer – eierförmig sind und auf völlig hausuntypische Weise ein sanftes Leuchten von sich geben, das die Nacht erhellt. Ich schnaube verächtlich. Offenbar ist diese Welt genauso bescheuert wie die Mary Sue, die in ihr haust – nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte.

Noch etwa eine Stunde lang fahre ich mit meiner Suche fort. Dann bleibe ich ruckartig in der Luft stehen und stoße einen frustrierten Schrei aus. Das bringt doch alles nichts! So werde ich Amora nie rechtzeitig finden!

Wenn es dafür nicht schon zu spät ist, flüstert die gemeine kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die offenbar genauso schwer totzukriegen ist wie ich.

Ich beachte sie nicht. Stattdessen atme ich dreimal tief durch, um mein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen, was mir schließlich auf beeindruckende Art und Weise gelingt. Vielleicht bin ich die Sache falsch angegangen. Amora und Kass hätten mich niemals einfach so zurückgelassen. Das bedeutet, dass Maria Susanna die beiden nach meiner ... Kampfuntauglichkeit... gefangen genommen haben muss. Aber wo könnte sie sie hingebracht haben? Maria Susanna ist doch eine Mary Sue so wie ich. Das bedeutet, dass ich in der Lage sein müsste, mich in sie hineinzuversetzen, oder?

Ich schließe die Augen und rufe mir Maria Susannas wunderschönes Antlitz vor Augen, was mir nicht schwerfällt, da ihr hämisches Grinsen sowieso die ganze Zeit in meinem Hinterkopf herumgeistert. Wenn ich Maria Susanna wäre, was würde ich dann tun? Als erstes einmal dieses dämliche Flammenschwert loswerden, offensichtlich. Und mir dann ein paar anständige Waffen besorgen. Und dann ... ein Serienmarathon? Ob die gute Serien in dieser Welt haben? Ob die überhaupt Serien in dieser Welt haben?!? Der Gedanke ist so entsetzlich, dass ich ein wenig Mitleid mit Maria Susanna kriege. Die flammende Klinge, die mein Herz durchbohrt, blitzt vor meinem inneren Auge auf und mein Mitleid verpufft.

Ich beiße die Zähne zusammen. Konzentration! Wenn ich Maria Susanna wäre, wo würde ich Kass und Amora verwahren? Auf jeden Fall irgendwo in meiner Nähe und sei es nur, um mich regelmäßig über sie lustig machen zu können. Im Keller vielleicht? Erfahrungsgemäß sind Keller keine schlechten Gefängnisse. Dann aber ihr eigener Keller. Ein sichereres Gefängnis gibt es quasi nicht, schließlich ist niemand dumm genug bei einer Mary Sue einzubrechen. Wenn ich Kass und Amora finden will, muss ich also zunächst jemanden finden, der weiß, wo Maria Susanna residiert.

Nachdenklich reibe ich mir das wohlgeformte Kinn. Wer weiß am meisten über eine Mary Sue? Wer kennt sie am besten? Einer ihrer zahlreichen Verehrer? Ihre sie sklavisch verehrenden Freunde? Ich stoße ein bitteres Lachen aus. Andere Leute würden das vielleicht annehmen, aber ich weiß es natürlich besser. Diejenigen, die am meisten über das Leben einer Mary Sue wissen, die die größten Obsessionen mit ihr entwickeln, sind diejenigen, die sie am meisten hassen. Meine Lippen verzerren sich zu einem müden Lächeln. Zeit herausfinden, was für Superschurken Maria Susannas Welt so zu bieten hat.

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