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Erst nach einer Weile wage ich es zu Amora und Mary Sue zu schauen. Sie wirken nachdenklich. Nachdenklich! Nicht mitleidig oder belustigt wie andere Leute, wenn ich ihnen von dir erzähle. Sie glauben mir! Ich könnte jubeln.

„Ich wurde schon oft von unsichtbaren Leuten beobachtet, immerhin bin ich Mary Sue", meldet sich Mary Sue schließlich zu Wort. „Allerdings haben die meisten davon mittlerweile keine Augen mehr, mit denen sie irgendjemanden beobachten könnten – dafür habe ich gesorgt", sie grinst, "und keiner von denen konnte über die Grenzen der Welten hinaussehen."

Ich bin mir nicht sicher, ob sie, was die Augen angeht, einen Witz gemacht hat oder nicht, also zwinge ich mich zu einem trockenen Lachen. Nur zur Sicherheit.

„Ich kenne auch niemanden, der in Frage käme", Amora mustert mich durch ihre Brille hindurch nachdenklich, „aber so wie du es berichtest, klingt es tatsächlich so, als könnte jemand anderes als wir die Grenzen zwischen den Welten überwinden. Das ist besorgniserregend."

Ich versuche mit aller Macht die aufkeimende Enttäuschung zu unterdrücken. Die beiden haben also noch nie von dir gehört. Wäre ja auch zu schön gewesen.

„Also gut", Mary Sue klatscht gut gelaunt in die Hände, „lasst uns dieser Sache nachgehen. Du", sie deutet mit dem Finger auf mich, „wie heißt du?"

Ich schlucke.

„Kassandra", krächze ich.

„Also gut", fährt Mary Sue fort, ihre Wangen haben vor Unternehmungslust leicht gerötet, „Ami und du, ihr versucht irgendwie eure Kräfte zu kombinieren. Dann reisen wir in eine andere Welt und mit ein bisschen Glück finden wir deinen Stalker, Kass."

Sie grinst uns breit an.

Wir starren entgeistert zurück. Amora gewinnt als Erste die Fassung wieder.

„Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nicht Ami nennen!", faucht sie Mary Sue an. „Und wie stellst du dir das überhaupt vor? Ich kann doch nicht einfach Leute in andere Welten mitnehmen!"

Mary Sue zieht ihre perfekt geschwungenen Augenbrauen hoch.

„Das hast du mit mir doch auch gemacht", wendet sie ein.

„Ja, weil du gedroht hast, ansonsten deine gesamte Welt ins Verderben zu stürzen", gibt Amora bissig zurück. Ich sehe sie zweifelnd an. War das etwa ein Scherz? Soll ich jetzt lachen?

Mary Sue zuckt nur mit den Schultern. Da keiner mehr etwas sagt, melde ich mich schüchtern zu Wort.

„Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen", sage ich. „Ich habe keine besonderen Kräfte, die ich mit Amoras kombinieren könnte", hilflos ringe ich mit den Händen. „Ich bin ganz und gar langweilig und gewöhnlich."

„Ach ja?", Mary Sue lacht. Es ist ein schönes Lachen, glockenhell und melodisch wie ein Flötenspiel. Trotzdem merke ich, wie es mir eiskalt den Rücken hinunter läuft.

„Wie konntest du dann vorhin verhindern, dass ich deine Gedanken manipuliere?", will Mary Sue wissen, „und warum nimmst du als einzige deinen Stalker aus einer anderen Welt wahr?"

Ich starre sie entgeistert an. Sie hat versucht meine Gedanken zu manipulieren? Wann? Und wie habe ich es verhindert? Das muss mir ganz entgangen sein.

„Willst du es denn, Kassandra?", fragt nun Amora. „Möchtest du, dass wir zusammen in eine andere Welt reisen und deinen Stalker suchen?"

Ich kichere. Die Situation ist doch zu absurd. Vielleicht bilde ich mir das doch alles nur ein. Vielleicht sind die beiden einfach ganz besonders überzeugende Halluzinationen. Ganz bestimmt sogar. Allein die Vorstellung, in eine andere Welt zu reisen, um dich zu suchen ... Völlig lächerlich! Auch wenn mich der Gedanke irgendwie reizt ...

Was hältst du davon? Du weigerst dich mit mir zu sprechen oder mir sonst irgendein Zeichen zu geben. Wie würde es dir gefallen, wenn ich plötzlich in deinem Wohnzimmer stände? Vielleicht sollte ich den Spieß mal umdrehen und zur Abwechslung einmal dich verfolgen. Ich kichere erneut. Amora wirft mir bereits einen besorgten Blick zu. Ich muss ihr vollkommen wahnsinnig vorkommen. Wahrscheinlich bin ich das sogar.

„Ja", keuche ich, noch immer kichernd. „Ich würde es gerne probieren".

Amora sieht mich lange an. Sehr, sehr lange. Es ist unmöglich zu sagen, was in ihrem Kopf vorgeht. Die Augen hinter den dicken Brillengläsern verraten nichts.

„Also gut", seufzt sie schließlich und streicht ihr Kostüm glatt. „Versuchen wir es. Wahrscheinlich wird es sowieso nicht klappen."

Ich nicke zustimmend.

„Ich bezweifle, dass ich drei Leute gleichzeitig zwischen den Welten befördern kann", fährt sie fort. „Bei dem Versuch werden wir uns wahrscheinlich gleich total lächerlich machen."

„Nicht zu vergessen, dass wir keine Ahnung haben, wie wir unsere 'Kräfte' kombinieren sollen", füge ich hinzu. Ich glaube immer noch nicht daran, dass ich irgendwelche versteckten Talente besitze. Mary Sue muss sich irren.

„Es wird schon klappen", Mary Sue grinst breit in die Runde. „Schließlich bin ich Mary Sue."

Ich habe keine Ahnung, was sie damit sagen will, aber irgendwie fühle ich mich jetzt doch ein wenig zuversichtlicher. Wird schon schiefgehen. Ich lächle.

Hast du gehört? Ich werde dich finden. Willst du deine Meinung vielleicht noch einmal ändern und mich ein für alle Mal in Ruhe lassen? Noch kannst du es dir hier in diesem wunderschönen Wartezimmer bequem machen oder deine Aufmerksamkeit Doktor Linder und seiner Frau zuwenden.

Nein?

Das habe ich mir gedacht. Also gut. Nimm dich in Acht.

Ich komme.

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