Die Bürde der Runen

Das Tonband beginnt zu spulen.

Hi, Leute! Erik hier! Also, Erik Hoffner. Was für ne bescheuerte Begrüßung, ehrlich!

Die Stimme auf dem Band klingt fröhlich, erfrischt und jung. Man hört ein verklemmtes, kurzes Lachen.

Vielleicht hörst ja auch nur du zu, Erik! Aus nostalgischen Gründen, wahrscheinlich. Deshalb nehme ich das hier ja auch hauptsächlich auf. Ich hoffe das Diktiergerät hat lange durchgehalten, Erik!

Amüsiertes Gekichere.

Ernsthaft...oder haben wir es mittlerweile doch geschafft noch einen zusätzlichen Kassettenrekorder zu besorgen?

Etwas wird entweder umpositioniert, oder herumgekramt.

Naja...ein Seufzen...Scheiße, okay, wisst ihr was? Ich fang jetzt einfach mal an. Hallo, nochmal, mein Name ist Erik Hoffner. Vielleicht wisst ihr das ja auch schon, weil ich mittlerweile berühmt geworden bin! Naja, jedenfalls ist das hier so eine Art Hobbyprojekt von mir. Das Ganze kam ziemlich spontan. Also, passt auf: Ich und mein Kumpel Bertram...Bertie...wir sind jedenfalls riesige Fans vom Sumerland! Ihr wisst schon, diese angebliche Parallelwelt, die laut Professor Uhlnicht mit unserer verbunden sein soll. Wer ihn nicht kennt...googlet einfach! Naja, jedenfalls, wir gehören nicht zu diesen paranormalen Spinnern, die das Ganze für wahr halten, oder so. Wir respektieren nur die Arbeit von Professor Uhlnicht. Immerhin hat er in tausenden von Seiten diese fremde Welt kartografiert und wirklich jeden noch so kleinen Ort festgehalten. Zu den meisten Orten dann sogar noch Hintergrundinfos, und diese unheimlich realitätsgetreuen Details! Ich kann schon verstehen, warum sich manche wünschen, es wäre real! Aber passt auf: Jetzt kommt der Witz!

Es raschelt.

Manchmal machen Bertie und ich so Touren. Touren an Orte, die laut Professor Uhlnicht eine hohe, außerweltliche Elektronendichte besitzen sollen. Da waren wir schon an verlassenen Schulen oder Industriegebieten...aber der heilige Gral für alle Sumerland Fans wäre es natürlich den letzten Ort zu finden, den Professor Uhlnicht auf seiner Reise zur Kartografierung der Elektronendichten aufgesucht haben muss, bevor er verschwunden ist! Viele gehen ja davon aus, dass er irgendwo ein Portal geöffnet hat, und jetzt da drüben im Sumerland lebt. Daran glauben Bertie und ich aber nicht. Wir glauben doch eher, dass Professor Uhlnicht krank war und ihn einfach die Wahnvorstellungen erwischt haben. Das hört man ja oft in so Fällen. Die wandern dann einfach raus auf die Straße und leben obdachlos irgendwo, wo sie niemand kennt oder erwartet. Trotzdem wäre es echt spannend, seine letzten Schritte nachzuvollziehen! So wie bei Poe ja auch! Das ist reines, historisches Interesse von unserer Seite aus...sozusagen...jedenfalls...

Erik zieht das Wort in die Länge, um Spannung zu erzeugen.

...haben wir auf unserer letzten Tour was gefunden! Ein altes Kassetten-Diktiergerät, mit Professor Uhlnichts Aufzeichnungen darauf! Deshalb hört ihr mich auch auf Kassette! Ich dachte, ich führe den Vibe einfach weiter fort!

Kurzes Lachen.

Aber keine Sorge, ich verarsch euch nicht! Das hier wird so eine Art Live-Dokumentation, bei der ich euch mitnehme auf die Reise durch Professor Uhlnichts Aufzeichnungen, um seine letzten Schritte nachzuvollziehen! Uh-huuuuh!

Erik betont es so, als ob er geisterhafte Zusammenhänge andeuten wollen würde.

Also...naja, aus Authentizitätsgründen habe ich ehrlich noch nicht weiter als ein paar Minuten reingehört. Es kann auch sein, dass wir das hier am Ende einfach nur mit einem seiner bekannten Ausflüge vor Jahren in Verbindung bringen werden. Aber der Anfang klingt vielversprechend! Ihr könnt selbst reinhören. Ich konnte leider einfach noch keinen gescheiten Kassettenrekorder finden, sorry, Leute...deshalb könnte es manchmal vielleicht etwas schwer zu verstehen sein, oder stark rauschen...ich nehme das sozusagen live von Diktiergerät zu Diktiergerät auf...

Es raschelt erneut.

Ein lautes Knarzen und Klicken. Jetzt spricht eine dröhnende, alte Männerstimme, die sich anhört, als käme sie von sehr weit weg.

»Eine seltsame Krankheit...die Stimme wird kurz verlangsamt und vom Magnetband in eine verzerrte Basslage verschoben, dann fängt die Aufnahme sich wieder...t den waylhaghirischen Stadtkegel befallen. Ich befinde mich aktuell auf der Spur der Ursache. Zuerst hielt ich es für einen Mythos, doch dann habe ich in einem der alten Krämerläden für Magie und Hexerei auf der Mittelalterebene dieses Grimoire gefunden. Es beschreibt sehr genau die Symptome, die ich nun schon seit geraumer Zeit an den Bewohnern beobachten konnte. Völlig wahllos verteilt über die einzelnen Ebenen des Stadtkegels, möchte ich meinen! Deshalb hielt ich es ja auch zunächst für reinen Zufall! Doch die Vorkommnisse häufen sich in letzter Zeit immer mehr. Es ist eine...ungewöhnliche Krankheit, möchte ich meinen! Gleichermaßen doch auch faszinierend! Vor allem konnte ich noch nicht festmachen, ob es dabei um Serisada, oder um Zazamael geht. Und ich beschäftige mich immerhin mit dieser Welt, wie sonst kein anderer! Ich sollte zumindest das wissen. Es ist normalerweise immer sofort ersichtlich! Aber diese Krankheit...sie ist anders.«

Die Aufnahme wird angehalten. Dann hört man wieder Eriks jugendliche Stimme mit einem Zwischenruf.

Na? Hab ich euch etwa zu viel versprochen? Ganz schön krass, oder? Wartet! Es geht weiter!

Ein lauter Klick, der übersteuert. Das alte Magnetband beginnt erneut seine Leier zu spulen.

»Die ersten Fälle konnte ich zunächst...t in Verbindung miteinander bringen. Das lag einfach nur daran, dass alle Opfer von völlig verschiedenen Erfahrungen berichteten. Lucius aus der Antike berichtete, sein Sohn habe ihn leider schwer enttäuscht, und er habe ihn deshalb im Amphitheater köpfen müssen. Normalerweise keine Schandtat, die in Waylhaghiri besonders auffallen würde. Nur waren die Umstände eben sehr Besorgnis erregend. Lucius' Sohn sollte seit Jahren der Erbe seiner Architekturschule werden, und die beiden waren bekannt dafür ein gutes Team zu sein. Auf meine Anfrage hin berichtete mir Lucius davon, dass sein Sohn das unehrenhafte Verhalten der Beinhaarentfernung vollführt hätte. Ich fragte ihn was daran denn so schlimm sei, und das schien ihn sofort in Wut verfallen zu lassen. Er warf mir vor, dass das ja wohl nicht mein Ernst sein könne. Man wisse doch, dass die freiwillige Beinhaarentfernung gleichbedeutend sei mit der Geschlechtsumwandlung zur Frau, und, dass er seinem Sohn danach unmöglich noch vertrauen konnte. Wenn er dieses Verhalten vor ihm verborgen hatte, dann war es auch gleichzeitig sehr wahrscheinlich, dass sein Sohn bereits ein Doppelleben als Frau führen musste. Wahrscheinlich betätigte er sich heimlich auf den Straßen als Hure für fremde Männer. An diesem Punkt war Lucius eigentlich nicht mehr zu einer weiteren Befragung in der Lage. Er schien nicht damit aufzuhören zu können diese Geschichte weiterzuführen. Er hörte mir auch gar nicht mehr zu, wie es schien. Ich warf trotzdem, weil ich es einfach musste, die Frage ein, warum es denn unbedingt der Kopf hatte sein müssen, und warum ausgerechnet im Amphitheater, woraufhin mich Lucius nur mit einem seltsamen Blick fixierte und dann wieder neu bei der Beinhaarentfernung seines Sohnes begann. Er schien es mir allerdings definitiv, unbedingt erklären zu wollen. Weitere Fälle betrafen zum Beispiel Taxyl, den Biohacker aus dem Cyberbezirk. Auf der Ebene kursierte schon länger das Gerücht, dass bestimmte Implantate eines Großkonzerns nicht richtig funktionieren würden. Als ich den Fall recherchierte, stieß ich nur auf vage Quellen zu einer unbedeutenden Fehlfunktion, die allerhöchstens als leicht störend zu verzeichnen war. Es löste willkürlichen Schluckauf aus. Taxyl berichtete, nachdem er sich selbst die mechanischen Beine und Arme entfernt hatte, davon, dass er den Schluckauf sofort beenden hatte müssen. Zu meiner Nachfrage, was er denn denke, was ansonsten geschehen wäre, konnte er eigentlich nur sagen, dass er es nicht genau wisse. Schlecht, wiederholte er nur ständig, es wäre wohl sehr schlecht gewesen. Bah-Chumrah, die Anführerin des indigenen Volkes Mahrrimbah, hingegen, fand ich nach langer Suche in einer verwinkelten Seitenstraße auf einer ihr völlig fremden, hoch-technologisierten Ebene wieder. Dort gab es sogar schon die ersten Mutanten. Ihr Stamm hatte sie schon verzweifelt gesucht, und als ich mit ihr sprach, erklärte sie mir, alles um sie herum habe plötzlich so eine merkwürdige Bedeutungsschwere erhalten. Sie hatte versucht davor zu fliehen und erst auf dieser Ebene muss sie es endlich abgeschüttelt haben. Zwar weiß ich nicht genau, was Bah-Chumrah mit dieser Bedeutungsschwere meinte, aber da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, etwas Größerem auf der Spur zu sein.«

Klick. Zunächst scheint es, als ob Erik hier absichtlich eine längere Pause machen würde, doch das Rauschen des Magnetbands verändert merklich seine Frequenz, und es wirkt so, als wäre zwischenzeitlich eine völlig andere Aufnahme zu hören gewesen. Es raschelt. Dann ist Eriks Stimme plötzlich deutlich zu hören.

-a, und jetzt, Leute, ratet mal wohin wir gerade auf dem Weg sind!

Im Hintergrund hört man eine andere, männliche Stimme etwas Unverständliches sagen. Die Stimme wirkt entspannt.

Ja, und Bertie ist auch mit dabei!

Man kann als Antwort ein »Hallo, Leute!« vernehmen. Bertrams Stimme wirkt pummelig, fast schon aufgeblasen. Man kann auch eine gewisse Zurückhaltung heraushören.

Wir sind gerade auf dem Weg zum nächst gelegenen Ort in unserer Realität, mit einer kartografierten, starken Elektronendichte, die auf die waylhaghirische, mesomutagenen Ebene verweisen soll. Das ist die Ebene, von der wir denken, dass dort irgendwo die Grenze war, an der Bah-Chumrah die Krankheit losgeworden sein musste. So wie wir das sehen, ist das direkt hier an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

Man hört ein hintergründiges »Genau!« von Bertram. Er fügt noch hinzu: »Vielleicht spüren wir da ja irgendwas!« Erik lacht.

Was sollen wir denn da spüren, Mann? Wenn, dann spüren wir da höchstends etwas auf!

Stille. Vom hintergründigen Rauschen und von dessen Frequenz kann man ablesen, dass sich zwischendrin die Position der beiden stark geändert haben muss. Eine weibliche Stimme plärrt plötzlich los, halb in ein Kichern verfallend.

»-h! Wo kommt ihr denn eigentlich her?«

Aus Ulm.

Die junge, zierliche Stimme antwortet: »Ihr macht so einen riesigen Weg nur um hier nach so einem Quatsch zu suchen?«

Ja! Das kann man wohl sagen!

Eriks Stimme spricht selbstsicher. Man kann einige Bewegungen von Betram im Hintergrund hören. Dann kommt von dem Mädchen: »Und? Seid ihr schon durch mit dem Campus?« Betram antwortet zögerlich: »Noch nicht ganz. Wo würdest du denn nachsehen?« Das Mädchen lacht keck. »Ernsthaft? Ähm...« Sie braucht eine Weile mit ihrer Antwort, woraufhin Betram nachsetzt. »Ist hier in letzter Zeit irgendwas Seltsames vorgefallen?« Eine Überlegungspause entsteht, dann sagt das Mädchen: »Wenn ich dir das verrate, gehst du dann mal mit mir einen Kaffee trinken?« »Häää?« kommt es prompt von Betram zurück. Sie fügt hinzu: »Aber nur wenn du dir mal später vorstellen kannst Kinder zu haben! Von allen anderen Männern lass ich nämlich absolut nur noch die Finger, musst du wissen!«

Oh, oh, oh, oooh!

Erik macht einige, spaßige Laute, die auf die Brenzligkeit der Situation hinweisen sollen. Dann macht es wieder ein übersteuertes Klick und Erik beginnt erneut mit dir zu reden.

Also, Leute! Sorry, ich dachte ich müsste das mitschneiden, aber leider hatte sie ja nicht wirklich irgendwelche hilfreichen Infos für uns. Falls euch aber mit Sicherheit jetzt brennend interessiert wie die Sache noch weitergeht dann-

Man hört Bertram etwas Unverständliches zwischenrufen.

Dann sei euch so viel gesagt, dass wir Sofias Nummer abgecheckt haben und Bertie sie heute Abend bestimmt anruft!

Bertrams Stimme kommt aus dem Hintergrund: »So ein Quatsch! Ich habe für sowas jetzt gerade weder den Kopf, noch die Zeit! Wir sind doch gerade auf einer Mission, oder nicht?«

Ganz genau, Bertie! Ganz genau!

Eriks Stimme verstummt und die Frequenzen wechseln erneut.

Also, wir konnten hier leider wirklich überhaupt nichts finden! Deshalb spiel ich euch jetzt einfach den nächsten Teil vom Tonband ab!

Klick. Einige Frequenzen verheddern sich und scheinen kurz rückwärts zu laufen. Dann stoppt der Effekt und die dröhnende, alte Männerstimme des Professors taucht erneut auf. Zu Anfang ist sie aufgebracht und in Gedanken versunken.

»...kann einfach nicht...für Serisada wäre...aber der Prinz könnte auch...«

Seine Stimme scheint einen Schritt näher zu kommen.

»Ich berichtete ja bereits von dem Grimoire. Es ist ein alter, lilafarbener Einband, mit goldenen Verzierungen am Buchrücken und an den äußeren Rändern. Soweit ich das verstehe, hat es keinen Titel, aber es ist voller, bekannter, waylhaghirischer Phänomene. Vielleicht könnte man es sogar fast als Märchenbuch beschreiben? Wobei mich die alte Verkäuferin aus dem Magieladen sicherlich dafür am liebsten Aufhängen würde, für so einen Kommentar. Jedenfalls wirken die Geschichten darin wie Märchen. Fabelwesen, die sich wie Spiegel verhalten. Andere Wesen, die aus Erinnerungen bestehen. All sowas eben, immer mit einer gewissen, moralischen Lektion verfasst. Aber eine Geschichte, die hat mich wirklich aufhorchen lassen, weil sie nämlich dasselbe Wort benutzt, wie Bah-Chumrah. Es gibt ein Kapitel über die Runen der Freiheit, falls ihr schonmal etwas von denen gehört haben solltet, und in diesem Kapitel heißt es wörtlich:«

Es raschelt. Professor Uhlnicht scheint im Grimoire zu kramen.

»Die Runen der Freiheit belegen diejenigen, die sich auf die Suche nach ihnen begeben, mit Prüfungen. Diese Prüfungen führen durch mehrere Stufen der Bedeutungsschwere, bis sich schließlich ihre Bedeutung löst und sie denjenigen, die alle ihre Tests bestehen, wahre Freiheit schenken.«

Die Stimme des Professors pausiert kurz, dann fährt er fort. Er scheint sich, durch Eriks Art aufzunehmen, immer noch an einem sehr fernen, hallenden Raum aufzuhalten.

»Nur kurz als kleine Memo: Die Formulierung nochmal bedenken, dass sich ihre Bedeutung lösen würde. Das ist irgendwie seltsam formuliert. Nun gut...tja, die Runen der Freiheit! Ich weiß nicht, ob ich jetzt froh sein, oder lieber verzweifeln sollte!«

Das Dröhnen der Stimme des Professors mischt sich mit seinem nun dunklen Lachen und ergibt eine seltsame Tonstörung im auditiven Spektrum.

»Am Ende des Kapitels steht noch etwas darüber, woran man festmachen...eine Tonstörung...denn, wenn sie erst einmal in etwas eingedrungen sind, dann...eine erneute, energische Tonstörung. Nach einer Weile fängt sich das Band wieder...rde die Archive der ägyptischen Hochkulturen am großen Hafen aufsuchen müssen. Dazu werde ich eine Abkürzung über unsere Realität nehmen...«

Von schräg rechts hört man Bertrams Stimme ein lautes »Woah!« ausrufen.

Ja, Leute, es sieht wohl ganz so aus, als ob Professor Uhlnicht schon die ganze Zeit über ohne Probleme durch die Portale reisen konnte. Das macht sein Verschwinden aber nur noch mysteriöser, findest du nicht?

Bertrams Stimme wirkt klein, als man ihn sagen hört: »Ja.« Dann spult das Band erneut los. Allerdings ist dort nicht mehr die Stimme des Professors zu hören, sondern eine wesentlich deutlichere, was dir seltsam erscheint, da du dich nun fragst, wie Erik diesen Teil wohl aufgenommen hat. Es ist eine hektische, weibliche Stimme. Du würdest sie einer Frau mittleren Alters zuordnen. Sie muss heimlich aufgenommen worden sein, da sie nicht zentriert klingt. »Runentempel! Runentempel! Dort! In den Schatten!«

»Welche Schatten? Wo?«

Die Aufnahme scheint wieder zu ihrer alten Qualität zurückgekehrt zu sein. Die seltsame Frauenstimme beginnt ominös zu flüstern: »Überall dort, wo keiner hinsieht! In den Ritzen! Die Runen sind schon überall in den Ritzen des Kegels!«

»Und was bezwecken sie dort?«

»Sie wachsen!« kannst du die Antwort der Frau hören. Irgendwie hatte sie das viel bestimmter gesagt, als ihr sonstiges Gestammel.

»Woher kommen sie?«

»Von außen!« hörst du die Frau erneut stammeln. Dann schnelle, sich entfernende Schritte. Sie muss wohl vor Professor Uhlnicht geflüchtet sein. Das Magnetband macht daraufhin einige Schlenker in sich selbst und ein Wechsel der Frequenzen, sowie ein Verstummen der Hintergrundgeräusche, lassen darauf schließen, dass sich der Professor an einen ruhigeren Ort begegeben haben muss. Seine Stimme klingt erneut von weit her.

»Diese, offenkundig verwirrte Frau, schien eine besondere Botschaft für mich zu haben. Und, auch wenn es mir fast unmöglich erscheint...ach, verdammt noch mal! Ich kann auch sie weder Serisada noch Zazamael zuordnen! Entweder der Prinz oder die Prinzessin! Entweder der Prinz oder die Prinzessin! Wer von den beiden hat mit den Runen der Freiheit zu tun?!«

Eine längere Pause im Band. Man hört Bertrams leise Stimme im Hintergrund: »Findest du es nicht seltsam, dass er plötzlich so das Thema wechselt?«

Wieso denn Thema wechselt?

Irgendwie bist du froh Eriks Stimme zu hören. Es scheint ihm gut zu gehen. In Bertrams Stimme meinst du ein beständiges Zittern hören zu können. Er geht auf Erik ein. »Was ist denn mit dem Runentempel? Welche Ritzen denn? Warum geht es ihm plötzlich schon wieder nur noch um Serisada und Zazamael?«

Na, weil es eben das Sumerland ist, Bertie. Da geht es ständig um Serisada oder Zazamael. Entweder Waylhaghiri, oder das umgebende Land. Professor Uhlnicht hat alles streng entlang ihrer Wirkungsreichweiten kartografiert. Deshalb eben entweder der Prinz, oder die Prinzessin.

Betrams Stimme wirkt sehr ernst, als er dazu kommentiert: »Du, mir ist das noch nie vorher aufgefallen. Aber ich glaube, ich mag diese Art von Dualität nicht.«

Hää?! Was denn für 'ne Dualität? Willst du-

Klick. Eriks Stimme klang zum Schluss komisch. Stille. Dann wird das Diktiergerät neu ausgerichtet.

Yo, Leute! Also jetzt geht es hier richtig ab! Wir sind nämlich am Elektronenpunkt passend zum ägyptischen Archiv! Im Aasee Park in Münster! Ist ganz cool hier, oder? Unverständliches von Bertram. Wenn Bertie jetzt mal aufhören würde so rumzuschmollen, dann könnten wir auchmal anfangen!

Erik klingt unbeschwert und hatte das eindeutig im Spaß gesagt. Bertram antwortet aus dem Hintergrund: »Konzentrier dich bitte aufs Ziel, Erik!«

Hä? Was denn für ein Ziel, du Spinner? Nee, Spaß, Spaß! Alles klar, also wir sehen uns jetzt hier erstmal um!

Klick. Die Hintergrundkulisse hat gewechselt. Die Aufnahme startet plötzlich mitten im Gespräch. Du kannst Betram argumentieren hören. »Wir verschwenden nur unsere Zeit, Erik. Ich glaube, ich habe keine Lust mehr, weiterzumachen. Hier ist auch wieder nichts. Es gibt hier nichts zu entdecken.«

Woher kommt das denn jetzt? Vorhin warst du noch total bei der Sache!

Betram wirkt verlegen, als er antwortet: »Ja, schon. Aber ich war mir auch absolut sicher, dass wir diesmal etwas finden würden. Hier ist nur so ein stinknormaler See, und sonst nichts! Erik, ich muss mich auch ums Lernen kümmern...es wird von Semester zu Semester schwieriger und ich brauch den Doktortitel, das weißt du!« Eriks Antwort lässt eine Weile auf sich warten, dann hörst du...

Quatsch! Tut mir echt leid, Bertie, aber das ist einfach nur Quatsch!

Man hört ein lautes Krachen auf dem Band. Es scheint abrupt ausgeschaltet worden zu sein. Jetzt kannst du Erik erneut hören, hinter ihm völlige Stille.

So, Leute. Wir machen jetzt erstmal weiter mit dem Band. Ich glaube Bertie braucht erstmal 'ne Pause! Hören wir einfach mal, wie es weiter geht!

Und das Band spult erneut seine Leier. Die Stimme des Professors wirkt dieses Mal sogar noch entfernter, als sonst.

»Ich denke, ich muss langsam aufpassen. Heute früh habe ich ein Gespräch in einem Café überhört. Zwei Frauen hinter mir sprachen miteinander, und ich bin mir absolut sicher, die eine hätte soetwas gesagt wie: 'Sie assimilieren dich am Ende. Sie assimilieren alles in ihr Kollektiv'. Ich kann mir offenbar nicht anders helfen, als zu denken, dass sie von den Runen gesprochen hat, obwohl es überhaupt keinen Sinn macht. Ich konnte auch nichts weiter Seltsames am Rest des Gesprächs feststellen. Und dann kam es mir, leider erst viel später: Die Bedeutungsschwere! Ich hatte sie gefunden! Jetzt muss ich sie nur noch zu ihrem Ursprungsort zurückverfolgen. Ich gehe zum Café Tratsch in die aristokratische Ebene zurück. Irgendwo dort müssen sie lauern!«

Man kann erneut ein tiefenverschobenes Lachen des Professors hören, das seltsam vom Magnetband verzerrt wird. Dann scheint er von etwas weiter weg, belanglos auf sich selbst zu reagieren.

»Lauern? Wie komme ich denn jetzt auf lauern?«

Kraaaass, Leute! Wie das wohl weitergeht?

Eriks Stimme verbreitet weiterhin eine beruhigende Wirkung auf dich. Klick.

Heeeey, Leute! Da sind wir wieder! Ich, Erik, uuuund-

Du kannst Bertrams Stimme von weit entfernt her den Satz vervollständigen hören, als er seinen eigenen Namen anhängt.

Ja, wie gesagt, Leute, er brauchte nur mal 'ne kurze Pause! Jedenfalls sind wir jetzt am Ort der Elektronendichte von besagtem Café Tratsch! Wo sind wir denn diesmal gelandet, Bertie?

Das Band verzerrt Bertrams Stimme in tiefe Bässe, dann lässt sie ihn wieder los, während er ausführt: »Am...energische Tonstörung...in...energische Tonstörung, dann fängt sich das Band wieder...!«

Genau! Leute, ich sag's euch! Das hat hier eine gaaaanz merkwürdige Atmosphäre das Ganze! Dieser Berg hier soll angeblich vollständig künstlich aufgehäuft worden sein!

Du hörst Bertrams Stimme Erik bedrängen. »Erzähl ihnen von der Sache!«

Achja, genau! Der Bereich hier ist eigentlich Privatgrundstück, völlig abgesperrt und so. Aber trotzdem kamen uns zwei Typen in schwarzem Anzug entgegen. Auf 'nem abgesperrten Hügel mitten im Nirgendwo! Echt strange! Aber ganz ehrlich, es war auch nicht so ganz klar, wo die hergekommen sind...

»Doch, Erik, die kamen ganz klar von oben!« hörst du es aus dem Hintergrund flüstern.

Ja, kann wirklich so sein, stimmt. Jedenfalls setzen wir uns jetzt erstmal hier an den Rand vom Parkplatz und hören uns mit euch zusammen das Band weiter an! Wir sind schon echt gespannt! Wir haben extra bis jetzt gewartet, um es mit euch hier mitzuerleben! Uuuuund, los geht's!

Stille. Du wartest. Es geschieht nichts. Dann raschelt es und man hört einige Schläge, dann ein Rütteln.

Kommt da nochmal was?

»Gib her!« Bertrams Stimme klingt ungeduldig und belastet. Noch mehr Rütteln. Etwas wird gespult und dann mit einem Klicken immer wieder betätigt.

Du hörst einen unangenehm hohen Ton, der dich dazu zwingt, das Band auszumachen. Als du es wieder startest, ist der Ton weg. Allerdings hörst du nicht etwa die Stimme des Professors, sondern Erik und Betram, mitten im Gespräch. Ihr Atem ist belastet. Sie scheinen hinaufzusteigen. Bertrams redet zuerst: »Halt, Stopp! Erik! Ich kann da nicht hoch! Und du solltest das auch nicht!«

Wieso?

Irgendetwas an Eriks Stimme erschrickt dich. Er war plötzlich wie gealtert. Bertram führt das Gespräch weiter. Er klingt nicht gut. »Da lauert was! Ich bin mir absolut sicher, dass wir da nicht hoch dürfen!«

Quatsch!

Es klingt nicht wie das erste Mal, als Erik dieses Wort benutzt hat. Es ist eine unanfechtbare Feststellung von ihm. Du begreifst: Erik will da hoch.

Man kann Geräusche hören, die nach Schritten auf weicher Erde klingen. Bröselnder Kies. Zweige, die knacken. Die Störgeräusche auf dem Band werden immer stärker. Irgendwie klingt es wie ein Geräusch, das du bereits kennst, aber irgendwie auch nicht. Im Gegenteil beginnst du dir jetzt einzubilden, dass es eigentlich wie nichts klingt, das du je gehört hast. Die Frequezen auf dem Band werden sehr unangenehm und laut. Du versuchst die Stimmen der beiden aus den Tonfehlern herauszufiltern, doch kannst nur Bruchstücke erahnen: ...den...an dir! ...in dir! ...überall...Erik...überall...in meinem Fleisch! Und dann wird das Band plötzlich glasklar. Du kannst Bertrams Stimme deutlich im Hintergrund hören. Er schreit. »In meinem Fleisch! In meinem Fleisch! Sie sind überall in meinem Fleisch, Erik! In meinem Fleisch! Reiß sie raus, Erik! Reiß sie raus! Bitte! Reiß sie raus!«

Du vernimmst Geräusche, die du nicht zuordnen möchtest. Ein dumpfer Aufschlag beendet Bertrams Anfall. Für eine Weile bleibt das Band stumm. Jetzt klingt es so, als ob jemand das Diktiergerät akribisch ausrichten würde, um eine möglichst deutliche Aufnahme zu ermöglichen. Minuten verstreichen. Die Geräusche in der Zwischenzeit lassen dich an jemanden denken, der sich präpariert, der vor einem Auftritt gestresst durch die Haare streicht und über das eigene Gesicht fährt, und der versucht sich selbst so gut es geht runterzubringen. Dann hörst du ein letztes Mal Eriks Stimme, bevor das Band zu Ende geht. Der Klang seiner Worte gibt dir unmisverständlich zu verstehen, dass es zu spät ist.

Es raschelt.

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