6. Kapitel

Ava wachte auf und regelte sich erst einmal, bevor sie die Augen öffnete. Sie hatte so gut geschlafen, wie schon lange nicht mehr. Sie öffnete ihre Augen einen Spalt und stellte verblüfft fest, dass sie in ihrem eigenen Bett schlief. Hatte sie alles nur geträumt?

Nein, sie war sich sicher, dass es dieses Mal kein Traum gewesen war. Sie war in den Katakomben gewesen! Sie hatte alle Freunde wieder gesehen, die sie damals gekannt hatte.

Sie hatte sich erinnert!

Aber warum war sie wieder hier? In ihrer Wohnung? In ihrem Bett?

Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie sie hier her gekommen war. Sie schloss die Augen und versuchte sich in den Traum zu bringen, doch nichts geschah. Also war es dieses Mal kein Traum gewesen. Er hatte sie tatsächlich her gebracht. Sie meinte, Marzipanschokolade gerochen zu haben und ihr Unterbewusstsein hatte ein Namen preisgegeben.

Jason!

Sie seufzte leise. Er hatte sie hier her gebracht. Sie hatte ihn gespürt, gerochen! Aber warum hatte er sie nicht bei sich gelassen?

„Guten Morgen!"

Erschrocken drehte sie sich um.

„Flynn? Bist du irre? Was machst du hier?"

Flynn saß lässig in einem ihrer Sessel und las eine Zeitung. Er grinste sie frech an.

„Der Herr und Meister hat mich hier her geschickt. Da ich ja der einzigste Vampir bin, der sich wenigstens eine Stunde in der Sonne aufhalten kann, bin ich heute Morgen dran, um dir einige entscheidende Dinge in Sachen Mondjäger bei zu bringen!"

„Der Herr und Meister? Du meinst Jason! Warum ist er nicht hier? Und warum hat er mich hier her gebracht, ohne mich zu wecken?"

Flynn faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Ava riss ihre Decke vor sich und fauchte ihn leicht an.

„Dreh dich um, Ire!"

Er lachte lauthals los, tat ihr aber den Gefallen.

Sie stand schnell auf und zog sich einen Pulli über.

„Also, willst du mir jetzt meine Fragen beantworten?"

Flynn setzte sich wieder in den Sessel.

„Es sind...Schwierigkeiten aufgetreten, die wir gestern nicht bedacht haben. Jason hatte aber irgend so eine Ahnung, dass sie kommen würden! Es ist nicht so einfach, wie wir das uns vorgestellt haben!"

Sie setzte sich im Schneidersitz auf das Bett.

„Welche Schwierigkeiten?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Nun, ich dachte, er könnte dich einfach wandeln und alles wäre wieder wie vorher. Da habe ich leider falsch gedacht. Du bist ein Mensch! Wenn Jason dich jetzt wandeln würde, wärst du ein Vampir, aber sonst nichts."

Sie lachte leise.

„Was heißt Sonst nichts? Das wäre doch schon mal ein Anfang."

Er schüttelte energisch den Kopf.

„Nein! Es wäre das Ende und das versucht Jason zu vermeiden! Die Mondjägersinne schlummern in dir, aber wenn du ein Vampir bist, dann kommen sie nie hervor. Die Macht, die du als Halbwesen inne hattest...sie wäre verschwunden!"

Ava schlug frustriert auf ihr Kissen.

„Das ist Kacke, Flynn! Ich erinnere mich an das Meiste! Was will er denn noch von mir? Irgendwie habe ich das Gefühl, er will mich gar nicht sehen. Kann es sein, dass er die Schnauze schon von mir voll hat?"

Flynn stand blitzschnell auf und sah ihr ernst in die Augen.

„Hör mal zu, Mädchen! Was du da von dir gibst, ist kindischer Mist! Seit über fünfundzwanzig Jahren wartet der Kerl auf dich! Er hätte es sich einfach machen können, aber er tat es nicht! Glaubst du wirklich, dass er nun kurz vor seinem Ziel, dich endlich wieder in seinen Armen halten können, einfach aufgibt?"

Sie schnaubte kurz.

„Aber er will, dass ich wieder so werde, wie ich war. Und das kann ich nicht versprechen. Vielleicht will ich kein Mondjäger sein!"

Flynn fuhr sich durch seine Haare.

„Bei allen Göttern! Du bist ein solches Miststück! Glaubst du wirklich, er macht es für sich? Nein! Er will dich schützen damit."

Sie starrte ihn verblüfft an.

„Er will mich schützen? Vor was denn?"

Flynn setzte sich wieder.

„Das, meine liebe Ava, wirst du noch früh genug herausfinden."

Sie schnaubte wieder. Doch Flynn ließ nicht locker.

„Ich frage dich nun mal etwas. Wir fangen ganz leicht an. Wie schnell bist du? Bist du so stark, dass du einen schweren Hund heben kannst? Wie sieht es mit deiner Reaktion aus?"

Sie hob fragend eine Augenbraue, aber er fragte weiter.

„Kannst du einen Schein um einen Gegenstand oder einen Menschen legen?"

Ava klappte der Kiefer herunter.

„Einen was?"

Als ob er sie nicht gehört hätte, fragte er immer weiter.

„Jason weiß, dass du gut mit dem Schwert umgehen kannst. Aber könntest du ein Lebewesen töten, wenn es dich bedroht?"

Ava wurde die Fragerei unheimlich.

„Konnte ich das alles?"

Er lachte bitter auf.

„Du konntest noch viel mehr. Du warst sehr schnell, sehr stark und deine Reaktion war mit keinem der anderen Mondjäger zu vergleichen. Dein damaliger Mentor hatte dich gelehrt, einen Schein um etwas zu legen, so konntest du mit einem Schwert durch die Gegend laufen, ohne dass ein Mensch es gesehen hätte. Wenn du gekämpft hast und töten musstest, hast du es getan, ohne mit der Wimper zu zucken. Das war aber nicht alles. Du konntest dich mit Jason unterhalten, ohne dass er im Raum war. Ihr führtet oft stundenlange Gespräche, obwohl ihr kilometerweit entfernt wart. Wenn ihr zusammen standet, dann spürte man eine Macht von euch ausgehen, die ihresgleichen suchte. Ihr habt euch ergänzt, wie ich es nie bei einem anderen Paar erlebt hatte. Du musst verstehen, dass dies alles nicht möglich ist, wenn du nur ein einfacher Vampir bist. Er würde dich zerstören, denn mit einer Macht, die Jason innehat, kommt nicht jeder klar."

Ava verstand es und sie schämte sich, weil sie so kindisch auf seine Abfuhr reagiert hatte.

„Gut, Flynn, ich habe verstanden. Dann will ich alles wissen, was du mir beibringen kannst!"



Magic kam in Jasons Büro und legte sich auf den Boden. Jason sah ihn verblüfft an, denn eigentlich war Magic immer voller Tatendrang und Energie, selbst wenn es kurz nach Vollmond war.

„Was ist?"

Magic stöhnte und legte seinen Arm auf die Augen.

„Die Frau ist eine Maschine, ehrlich! Ich weiß nicht, wie sie das alles schafft. Morgens lehrt sie an der Uni, kommt nach Hause, gönnt sich vielleicht drei Stunden Schlaf und ist dann sofort wieder bereit, zu lernen. Sie macht mich fertig!"

Jason grinste. Er hatte so etwas Ähnliches schon von Stanislav und Flynn gehört. Dass jetzt aber Magic nicht einmal mehr mit ihr mithalten konnte, verblüffte ihn.

„Was habt ihr heute getrieben, dass du so fertig bist?"

Magic setzte sich auf.

„Getrieben? Sie hat mich Löcher in den Bauch gefragt! Und sie hat Fragen, da komme selbst ich nicht mit und ich bin Mondjäger! Bei allen Göttern, Jason, ich bin ein Kämpfer, aber kein Lehrer! Keiner von uns hier kann das! Nicht einmal du!"

Jason lachte lauthals los.

„Ich denke, ich kann dir helfen. Aber dazu müsste ich jemanden um Hilfe bitten, der nicht so einfach zu handeln ist. Bete dafür, dass er Zeit hat!"

Magic sah ihn fragend an, aber Jason schnappte sich sein Telefon.

„Kenneth? Ja, hier spricht Jason! Ja, ich bin wieder in Deutschland. Hör zu, Kenneth, ich brauche deine Hilfe!"

Er stellte den Lautsprecher an, damit Magic mithören konnte.

„Du brauchst meine Hilfe? Der große Jason, der dunkle Fürst, braucht die Hilfe eines einfachen Mondjägers?"

Kenneth lachte, was selten vor kam.

„Du machst mich neugierig. Um was geht es?"

Jason schilderte sein Problem und Kenneth hörte aufmerksam zu. Er stellte kaum Fragen und als Jason fertig war, schnalzte Kenneth mit der Zunge.

„Ich kann dich verstehen! Schließlich kannte ich Ava damals auch schon. Sie war schon damals sehr wissbegierig, obwohl sie es am liebsten unterdrückt hatte. Ich erinnere mich noch an unsere Gespräche, die wir..."

„Kenneth, du schweifst ab. Also hilft du mir nun, oder willst du mich im Regen stehen lassen?"

Jason war etwas genervt. Kenneth hatte schon immer den Hang zu ausführlichen Erklärungen.

„Also, ich würde dir ja gerne helfen, ich sehe allerdings ein Problem!"

Jason starrte genervt zur Decke.

„Was für ein Problem?"

Kenneth lachte leise.

„Es wird dir nicht gefallen! Heimdall hat meine Gruppe aufgelöst und mir drei junge Mondjäger zugeteilt. Es sind Heißsporne und andere Mentoren kamen mit ihnen nicht klar. Wenn ich nach Deutschland komme, stehen sie ohne Mentor da!"

Jason fluchte laut.

„Das hat der Arsch ja super eingefädelt! Super! Wen könnte ich denn sonst fragen?"

Kenneth lachte leise.

„Niemanden. Wie du wohl weißt, bin ich der Beste, den du haben könntest. Du bist doch Mentor! Warum tauschen wir nicht einfach die Plätze."

Jason fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

„Verdammt, du weißt genau, dass ich nicht in England sein will!"

Kenneth schnalzte mit der Zunge.

„Du könntest natürlich auch Heimdall selbst fragen!"

Das wollte Jason auf keinen Fall.

„Okay, ich komme in das verdammte Brighton. Aber ich warne dich. Lass dir nicht zu viel Zeit!"

Kenneth lachte.

„Würde mir nie im Traum einfallen. Zwei Wochen! Mehr brauche ich nicht!"

Mit zwei Wochen war Jason einverstanden.

„Wann kannst du hier sein?"

Kenneth überlegte kurz.

„Morgen! Ich bin morgen Abend bei euch! Sei du morgen Abend in Brighton!"

Jason versprach es ihm und legte auf. Seufzend lehnte er sich zurück.

„Da hast du dir ja eine schöne Scheiße eingebrockt!"

Magic sah ihn grinsend an.

„Oh ja! Das befürchte ich auch!"


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