5. Kapitel

Ava saß in ihrem Wohnzimmer und sah sich ein Bild an, dass sie vor langer Zeit einmal gemalt hatte. Damals hatte ihr ein Psychiater geraten, ihre Träume auf zu malen und das hatte sie getan.

Es war die Landschaft, die sie immer in ihren Träumen sah. Erst jetzt fiel es Ava auf, wie detailgetreu sie es gemalt hatte. Jeder Ast, jeder Grashalm, der Nebel...alles war so exakt gemalt, als ob sie es fotografiert hätte. Ava bemerkte sogar einen abgebrochenen Ast, der am linken Rand zu erkennen war.

Leise seufzte sie und lehnte sich zurück, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Landschaft.

„Warum kommst du immer wieder hier her?"

Sie blickte sich nach links um. Da war der abgebrochene Ast.

„Ich suche nach Antworten!"

Sie hörte ein leises Lachen.

„Die wirst du hier nicht finden! Nicht in diesem Traum, Geliebte!"

Ava sah wieder zu dem gesichtslosen Mann.

„Wo finde ich sie dann?"

Wieder ein leises Lachen.

Ava ging es so langsam auf die Nerven.

„Verdammt nochmal. Ich will wirklich Antworten haben. Ich weiß nun, dass ich das hier erlebt habe! Warum kann ich mich sonst an Sachen erinnern, die ich nicht erlebt habe?"

Er seufzte schwer und nahm sein Blick wieder von ihr.

„Gut, mein Herz! Vielleicht sollte ich dir doch einen Hinweis geben! Denke an eine Kirche!"

Ava wachte erschrocken auf. Eine Kirche? War das sein Ernst? Na gut! Sie wollte es versuchen!

Wieder lehnte sie sich zurück und schloss die Augen.

Denk an eine Kirche! Denk an eine Kirche! Denk an eine Kirche!

Ava konzentrierte sich auf die verschiedensten Kirchen, die sie schon gesehen hatte. Doch bei keiner geschah etwas.

Himmel, das kann doch nicht so schwer sein!

Sie kniff die Augen zusammen und versuchte an gar nichts zu denken. Sollte sie wieder auf das Schlachtfeld kommen, konnte sie ihn ja fragen.

„Was willst du hier, Mondjägerin? Mich umbringen? Tu dir keinen Zwang an! Ich warte darauf!"

Ava stand vor einer Kirche! Langsam stieg sie von ihrem Motorrad ab ging sie auf das Gebäude zu. Sie konnte die Treppe sehen und darauf saß er!

Wie hatte er mich bemerken können?

„Kannst du dir das nicht denken? Ich habe dich her gelockt!"

„Wozu?"

Sie ging langsam auf ihn zu.

„Kannst du dir das nicht denken? Ich will sterben!"

Sie wurde auf einmal unendlich traurig, aber sie wusste, dass sie dieses Gefühl eigentlich erst später hatte.

„Jetzt nimm schon dein Schwert und bringe es hinter dich!"

Ava konnte nicht, obwohl sie das Schwert nun tatsächlich in der Hand hatte.

Sie setzte sich neben ihn.

„Warum schläfst du nicht noch einmal einen Tag darüber. Wenn du morgen immer noch sterben willst, dann schlage ich dir gerne den Kopf ab."

Sie hörte wieder das Lachen und ihr wurde bewusst, dass sie dieses Lachen liebte. Das Gewitterlachen, dass sich langsam steigerte.

Dann stand er auf und sie keuchte. Sein Gesicht konnte sie immer noch nicht sehen, aber ihr fielen seine Muskeln auf. Er war riesig und sah nun auf sie herab.

„Das hast du gut gemacht, kleine Mondfee! So langsam wird es doch mit deinen Erinnerungen!"

Er drehte sich um und ging gemächlich davon.

„Halt! Ich habe Fragen!"

Er drehte sich noch einmal zu ihr um.

„Hast du es immer noch nicht verstanden? Ich bin die Erinnerung! Ich kann dir keine Fragen beantworten. Die sind alle in deinem Kopf. So lange du sie nicht freigibst, kann ich dir auch nicht helfen!"

Sie hob fragend eine Augenbraue.

„Und was war das mit dem Tipp?"

Er lachte.

„Denk mal scharf nach! Du bist nicht dumm, Ava! Es fällt dir bestimmt ein!"

Ava wachte auf und atmete schwer.

Scheiße!

Das hätte sie sich eigentlich selbst denken können.

Nun war ihr klar geworden, dass sie nicht mit ihm selbst redete, sondern das alles Erinnerungen waren. Deswegen konnte sie auch sein Gesicht nicht sehen. Sie konnte sich einfach nicht an ihn erinnern.

Frustriert schlug sie auf die Lehne ihres Sessels.

Verdammte Scheiße!

Aber eines war jetzt sicher. Wenn es wirklich Erinnerungen waren, dann hatte sie es wirklich erlebt! Aber wann? Ein früheres Leben? Sie glaubte nicht an Reinkarnation und sie glaubte auch nicht, dass es das war, was sie hier vor sich hatte.

Sie hatte ein Schwert in der Hand gehabt und nun machte sie Kendo! Da musste es doch einen Zusammenhang geben. Außerdem war sie Motorrad gefahren. Zuhause hatte sie ihre Brüder angebettelt, dass sie ein Motorrad bekam. Oder wenigstens mit eines der ihren fahren zu dürfen. Eines Tages war Konrad nicht da gewesen und sie hatte sich sein Motorrad geschnappt. Ohne Schwierigkeiten hatte sie den Motor starten können und war eine Runde gefahren, als ob sie schon immer eines gefahren war. Jetzt wusste sie warum. Sie hatte ein Motorrad besessen.

Ava wurde nun auch klar, warum sie so gut deutsch sprach. Es war ihre Muttersprache gewesen.

Und diese Kirche! Sie war heute an ihr vorbei gefahren! Warum war ihr das nicht schon heute Mittag aufgefallen?

Ava kniff ihre Augen wieder zusammen und sie schlug sich gegen die Stirn.

Himmel, es war ihr sehr wohl aufgefallen! Sie hatte sie doch betrachtet, so lange die Kirche in Sichtweite war. Aber sie hatte sich dabei nichts gedacht. Es war einfach eine Kirche wie jede andere gewesen. Hatte sie gedacht. Dennoch hatte Ava sie lange beobachtet und es war ihr vorgekommen, als ob sie so eine ähnliche Kirche schon einmal gesehen hatte. 

Nun wusste sie es aber! Sie kannte diese Kirche. Und sie musste dorthin fahren. Dort würde sie Antworten finden! Da war sich Ava sicher.

Sie schaute aus dem Fenster. Es dämmerte!

Warum ist das wichtig?

Egal!

Ava schnappte sich ihre Handtasche und ging aus der Wohnung. Heute Nacht würde sie einiges herausfinden! Und es würde sie niemand aufhalten!

Nun stand sie endlich vor der Kirche. Ja, sie kannte sie. Sie wusste, dass die Auto, die davor geparkt waren, keinem Kirchenbesucher gehörte. Nein, die Kirch stand leer. Schon lange. Aber sie war nicht verfallen, sondern jemand hatte sie liebevoll restauriert.

Nun sah sie die Autos an. Es waren alles teure Autos und sie wusste, eines davon würde ihm gehören. Ava runzelte die Stirn. Nein, es war nicht hier! Sie suchte die Reihe noch einmal ab, aber sie fand das spezielle Auto nicht. Ava konnte nicht einmal sagen, welche Marke er fuhr. Ihr war nur klar, wenn sie es gesehen hätte, dann hätte sie es auch erkannt. Ein teures Auto war es und sie hatte schon drin gesessen. 

Sie drehte sich wieder zu der Kirche um. Es war genauso wie in ihren Erinnerungen. Die Treppe vor dem Kircheneingang. Sie war flach und lud regelrecht zum hinsitzen ein.

Langsam lief sie zur Treppe.

Hier hatte sie ihn zum ersten Mal getroffen.

Ich bin müde!

Das waren seine Worte gewesen.

Sie ging weiter an den Treppen vorbei. Dort würde sie einen Eingang finden. Sie hoffte es zumindest. Nicht in der Kirche selbst. Dort drinnen war nichts. Unsicher schaute sie um die Ecke. Ja, da war der Eingang.

Zielstrebig ging sie auf den Tunnel zu. Wenn sie hinunter stieg, würde sie ankommen. Sie würde zu Hause sein. 

Der Tunnel erstreckte sich ziemlich tief unter die Erde. Es wurde immer dunkler, doch sie fürchtete sich nicht. Dann wurde es hell. Lichter, die in die Wand eingebaut waren, gingen an, als ob sie willkommen geheißen wurde.

Dann sah sie jemanden. Sie stoppte ihre Schritte und sah den Mann misstrauisch an. Er kam ihr bekannt vor. Sie versuchte sich zu erinnern.

Martin?

Michael?

Manuel?

Nein, Manolo!

Das war Manolo! Ava lächelte. Der Kerl war hübsch. Sein Körper war schlank und hatte etwas Androgynes. Sein schwarzes Haar lag glatt am Kopf und reichte ihm fast bis zur Hüfte. Er strahlte einen sonderbaren Geruch aus. Ava schnüffelte leicht. Ja, er roch nach Frühlingsregen.

Ava gab sich einen Ruck und ging weiter.

Manolo sah sie kommen und erschrak sichtlich.

„Herrin? Ihr hier?"

Avas Herz machte einen Satz.

„Du kennst mich!"

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Er nickte langsam.

„Natürlich kenne ich meine Fürstin. Was macht ihr hier? Könnt ihr euch erinnern?"

Sie verzog leicht das Gesicht.

„Nicht so ganz. Ich erinnerte mich an die Kirche und jetzt kommt alles langsam hoch! Kannst du das verstehen?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Nicht ganz!"

Avas Schultern sackten in sich zusammen.

„Ich hatte die Hoffnung, dass hier meine Fragen beantwortet werden! Darf ich hinein?"

Nun grinste er.

„Als wir uns das erste Mal begegnet waren, haben sie nicht gefragt! Sie haben von mir verlangt, dass ich sie zum Fürsten führe! Sie haben mich einen kleinen Wichser genannt."

Sie riss die Augen auf.

„Ehrlich? Tut mir leid!"

Er winkte ab.

„Ich habe mich daran gewöhnt. Der Fürst ist aber nicht da!"

Ava war enttäuscht. Sie hatte gehofft, dass sie ihn endlich treffen würde.

Manolo sah ihr die Enttäuschung an. Er rieb sich die Hände, dann erhellte sich sein Gesicht.

„Aber das macht nichts. Wenn ihr Erinnerungen auffrischen wollt, dann führe ich euch hinein. Vielleicht fällt euch alles wieder ein."

Sie lächelte leicht.
„Das wäre sehr nett, Manolo!"

Er lachte leise.

„Mein Name kennt ihr ja schon! Keine Sorge, Fürstin. Das kommt alles wieder!"

Er klopfte an die Tür und diese öffnete sich sofort.

„Kommt! Euch wird nichts geschehen! Auch wenn ihr jetzt ein Mensch seid!"

Sie folgte ihm.

„Das war ich früher nicht!"

Wieder eine Feststellung.

Manolo nickte.

„Ihr wart ein Mondjäger! Aber es bringt nichts, wenn ich euch die hiesigen Mondjäger vorstelle. Es sind nicht dieselben, die damals hier waren!"

Ava hörte gar nicht mehr auf ihn. Es kamen jede Menge Leute auf sie zu. Alle lächelten erfreut, als sie Ava sahen, einige verneigten sich sogar leicht vor ihr. Jedes der Gesichter kam ihr bekannt vor, aber sie erinnerte sich, dass sie mit ihnen wenig Kontakt gehabt hatte.

„Die Fürstin! Sie ist wieder da!", hörte sie immer wieder.

Es war Ava unangenehm, dass sie das taten.

Kannst du sie nicht daran hindern, dass sie das tun? Ich komme mir vor wie eine verdammte Königin!

Du bist meine Braut, Liebes. Das kommt einer Königin schon sehr nah!

Ja, sie hatte es schon früher gehasst!

Sie gingen immer weiter in die Katakomben. Von allen Seiten wurde sie begrüßt. Alle schienen froh zu sein, dass sie da war.

„Ava? Bei allen Göttern, du bist es wirklich!"

Ehe sie es sich versah, wurde sie hochgehoben und herumgewirbelt. Sie sah erschrocken den Mann an, der sie so behandelte. Es war, als ob es in ihren Hirn Klick machte.

„Flynn? Mein Gott, der Ire!"

Er ließ sie wieder auf den Boden sinken und besah sie lächelnd, bevor er ihr auf beide Wangen küsste.

„Ist das schön, dass du wieder da bist! Weiß er es schon?"

Verzweifelt schüttelte sie den Kopf.

„Ich habe keine Ahnung von ihm, Flynn. Bis vor einer Sekunde kannte ich nicht einmal dich!"

Er war keineswegs beleidigt, sondern lächelte sie milde an.

„Das kommt alles schon, Ava! Mach dir keine Sorgen! Aber erzähl, was machst du hier? Irgendetwas muss dich doch her getrieben haben? Wie habe ich es damals genannt? In das verdammte Vampirnest!"

Sie starrte ihn an.

„Vampire? Das sind alles Vampire?"

Er nickte sehr langsam.

„Meine Fresse, Mädchen! Du hattest keine Ahnung, was? Na, dann komm mal mit! Ich denke, ich weiß, was du jetzt brauchst!"

Er nahm sie bei der Hand und führte sie in einen Raum. Es sah hier aus wie in einem Arztzimmer. UNd das war auch. Sie war oft hier gewesen und hatte sich mit Flynn unterhalten. Wie selbstverständlich setzte sie sich auf eine Trage und schlug die Beine übereinander. Nein, das war nicht gemütlich! Sie zog die Schuhe aus und setzte sich wieder im Schneidersitz hin.

Flynn lächelte und ging zu dem Schreibtisch, der in einer Ecke stand. Er holte eine Flasche und zwei Gläser heraus und füllte die Gläser. Dann reichte er ihr ein Glas. Sie roch daran.

„Whiskey?"

Er grinste.

„Feinster irischer Whiskey, ja!"

Er prostete ihr zu und sie nahm einen Schluck. Es brannte wie Feuer, aber sie gewöhnte sich rasch daran. Nach dem zweiten Schluck war dieses Brennen sogar angenehm. 

„Jetzt erzähl mal. Was führt dich hier her?"

Er lehnte sich gegen seinen Schreibtisch.

Sie nahm noch einen Schluck. Sie erinnerte sich wieder. Hier hatte sie oft gesessen und mit Flynn gesprochen. Auch wenn sie der Gedanke erschreckte, dass draußen vor der Tür Vampire herumliefen, wusste sie, dass sie Flynn vertrauen konnte.

Nein, nicht nur ihm. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass diese Vampire ihr nichts tun würden. Und das hatte nicht nur damit zu tun, dass sie Ava fast ehrfürchtig behandelten. Nach einem Schluck versuchte sie Flynn zu erklären, was heute geschehen war.

„Es war seltsam heute. Ich bin Dozentin an der Uni. Dort hatte ich heute eine Diskussion über Mythenweltbewohner. Einer der Studenten erzählte dort etwas und ich erinnerte mich an Sachen, die ich gar nicht wissen konnte."

Flynn nickte.

„Das war Magic! Der Fürst scheißt ihn im Moment zusammen, weil er das ausgeplaudert hat. Er ist der Meinung, es wäre noch zu früh!"

Ein Fluch lag auf ihren Lippen.

„Für was zu früh? Himmel, ich erinnere mich doch! Zumindest an den größten Teil, sobald ich es sehe! Was will er denn noch?"

Flynn lachte.

„Ich habe keine Ahnung! Er befürchtet, dass dir etwas geschehen könnte, wenn du dich zu schnell erinnerst!" Er stand auf und kam auf sie zu. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete er in ihre Augen.

„Mh, Pupillenreaktion normal. Fühlst du dich irgendwie schwindlig? Oder ist dir übel?"

Sie schlug leicht auf seine Hand.

„Kannst du das mal lassen? Mir geht es gut! Außer dass ich Schiss vor den Vampiren habe!"

Er lachte leise.

„Mädchen, hier steht ein Vampir direkt vor dir! Hast du auch vor mir Schiss?"

Verblüfft riss sie die Augen auf.

„Du auch? Seit wann das?"

Er winkte ab.

„Lange Geschichte! Ich bin wirklich erstaunt, dass du von gar nichts eine Ahnung hast. Und trotzdem bist du her gekommen. Mutig wie immer.  Aber jetzt erzähle ich dir unsere Geschichte. Auch wenn er mir dafür den Kopf abreißt! Soll er doch toben! Bist du bereit?"

Sie nickte.

Sie war noch nie bereiter gewesen!



Jason stellte sein Auto ab und ging langsam auf die Kirche zu. Schon den halben Abend hatte er ein komisches Gefühl. Der gesamte Clan war...aufgeregt. Es konnte aber nichts Schlimmes sein, denn es war eine freudige Aufregung. Verdammt, ihre Gefühle hatten ihn die ganze Nacht regelrecht überschwemmt, so dass er bald selbst aufgeregt war. Was auch immer geschehen war, es freute alle.

Er ging den Tunnel hinunter, der immer noch hell erleuchtet war. Warum das denn? Vampire sahen in der Dunkelheit sehr gut und er konnte keinen Grund erkennen, warum man den Tunnel so erhellen musste.

Er ging weiter und kam an das Tor. Manolo stand nicht auf seinem Posten, was Jason aber nicht verwunderte. Wahrscheinlich sah er nach Ava, aber er hätte für Ersatz sorgen müssen.

Er öffnete das Tor selbst und trat ein. Niemand war zu sehen.

Verwundert ging er weiter. Dann sah er jede Menge Leute vor seiner Suite stehen.

„Was ist das für eine verdammte Schlamperei! Jeder Depp könnte hier eindringen. Und was wollt ihr Idioten alle vor meiner Tür?"

Isabeau kam lächelnd auf ihn zu.

„Sie ist hier!"

Jason hob eine Augenbraue.

„Wer ist hier?"

Isabeau sah genervt an die Decke, als ob er es hätte wissen müssen. Dann sah sie ihn wieder lächelnd an.

„Die Herrin. Sie ist heute Abend einfach hier her gekommen!"

Jason stockte der Atem.

„Ava? Sie ist hier?", wiederholte er dümmlich.

Nun kam auch Flynn und gab Isabeau einen Kuss auf die Wange.

Jason lehnte sich gegen die Wand und rieb sich über das Gesicht.

„Und sie erinnert sich?"

Flynn verzog kurz das Gesicht.

„Nein, nicht an alles. Aber sobald sie etwas sieht, kommen die Erinnerungen. Es war wirklich faszinierend. Sie blickte mir in die Augen und wusste sofort, wer ich war. Dasselbe war bei den anderen auch geschehen. Wir haben uns die halbe Nacht unterhalten, bis sie müde wurde. Immerhin ist sie noch ein Mensch. Wie selbstverständlich ging sie in deine Suite, schaute sich kurz um und ging dann ins Bett! Auf meine Frage hin, was sie in deiner Suite wollte kam ein typischer Satz: Fick dich ins Knie, Flynn. Es ist schließlich mein Bett! Das hört sich doch ganz nach Ava an, oder?"

Jason schnappte nach Luft.

„Sie liegt also in unserem Bett. Und sie erinnert sich?"

Flynn nickte und grinste.

„Und was ist mit mir!"

Nun wurde Flynn ernst.

„Nein. Sie muss die Leute sehen, um sie zu erkennen!"

Jason stieß sich von der Wand ab und ging langsam zur Tür.

„Was hast du jetzt vor?"

Jason zuckte mit den Schultern.

„Ich bringe sie nach Hause!"

Isabeau schrie leise auf und auch die anderen um ihm herum murrten unwillig.

„Bemerkt ihr denn nicht, dass es eine Chance ist, Herr? Lasst sie hier bei euch. Sobald sie euch sieht, wird sie sich erinnern!"

Jason drehte sich langsam zu ihr um.

„Und dann? Sie ist ein Mensch. Sie wird sich heute nicht wandeln lassen, selbst wenn sie mich sieht!"

Flynn verengte seine Augen.

„Du willst es nicht einmal versuchen? Du bist ein verdammter Feigling!"

Schneller, als alle reagieren konnte, war Jason auf Flynn zugesprungen und drückte seinen Unterarm gegen seine Kehle, so dass der Ire zwischen dem Fürst und der Wand gefangen war.

„Nenne mich nicht noch einmal einen Feigling, Ire! Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mich danach sehne, sie wieder zu der Meinen zu machen! Aber es muss freiwillig geschehen!"

Flynn keuchte laut auf.

„Sie wird es tun!"

Jason schüttelte den Kopf.

„Woher will ich wissen, ob es nicht nur eine momentane Stimmung von ihr ist? Ich kenne sie als Mensch! Besser als du sie als Mondjägerin!"

Stanislav kam hinzu und legte Jason eine Hand auf die Schulter.

„Lass ihn los!"

Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt. Jason knurrte Flynn noch einmal an, dann ließ er ihn los. Er ging zu Boden und hielt sich seinen Hals.

„Und du, Ire, versuche dem Fürst nichts einzureden. Ich kann ihn verstehen."

Er drehte sich zu den versammelten Vampiren um.

„Ihr habt wohl nicht verstanden in was für einer Gefahr wir uns befinden! Es ist immer noch ein Clan hier in der Stadt, dessen Fürstin uns schaden will. Sie will den Fürst! Und ihr ist jedes Mittel recht, um ihn zu bekommen! Die Braut schwebt in höchster Gefahr!"

Manolo räusperte sich.

„Wäre es dann nicht sinnvoll, wenn er sie wandelt?"

„Nein!"

Alle drehten sich zu dem Eindringling um, den bisher niemand bemerkt hatte. Die Mondjäger, die inzwischen auch dazu gekommen waren, beugten ihre Knie und Jason neigte den Kopf!

„Heimdall! Was suchst du hier?"

Heimdall sah ernst aus. Zu ernst!

„Ich habe gesehen, dass meine Tochter hier angekommen ist! Mein Sohn hat vollkommen recht!"

Er legte Jason eine Hand auf die Schulter.

„Wenn er sie jetzt wandelt, dann wäre sie nur ein Vampir! Ohne ihre Kräfte als Mondjäger. Ihr habt im Moment eine Allianz mit uns, aber sie steht und fällt mit Jasons Entscheidung. Ich hatte ein langes Gespräch mit Helios, dem Arsch! Es wäre einfach, sie zu wandeln, das ist korrekt, aber sie wäre eine andere. Er hat das verdammt geschickt eingefädelt, um Jason Steine in den Weg zu legen. Ava muss erst wieder zur Mondjägerin werden."

Flynn, der sich rasch wieder von Jasons Angriff erholt hatte, sah ihn entsetzt an.

„Sie soll getötet werden? Was ist das für ein Schwachsinn?"

Helios schüttelte den Kopf.

„Nein, denn sie hat die Kräfte ja noch in sich. Sie schlummern aber noch in ihr. Helios hat aber nicht verlauten lassen, wie man sie wieder weckt. Leider kann ich dir nicht sagen, wie lange es dauert und was dafür geschehen muss."

Er sah ernst zu Jason.

„Bleibe von ihr fern, solange sie die Kräfte noch nicht hat. Du bist allerdings Mentor und dunkler Fürst. Bestimme Leute, die sie darauf vorbereiten können. Mondjäger und Vampire. Sie müssen ihr helfen."

Jason stöhnte auf.

„Es kann also noch weitere Jahre dauern?"

Heimdall zuckte mit den Schultern.

„Jahre, Monate, Tage, Stunden...wer weiß das schon!"

Er drehte sich um und ging wieder.

„Ach übrigens...findet ihr es gut, wenn niemand Wache steht?", rief er über die Schulter, was ihm ein Fluch von Jason einbrachte. Er grinste nur noch und ging von dannen. Alle Mondjäger, bis auf Magic, folgten ihm.

Flynn ging langsam zu Jason.

„Es tut mir leid! Ich wusste das alles nicht!"

Jason nickte ihm kurz zu und fuhr sich durch die Haare. Stanislav stellte sich zwischen sie, falls sich Jason doch noch nicht voll beruhigt hatte.

„Also, was willst du unternehmen?"

Er sah Jason fragend an.

„Ihr habt Heimdall gehört. Sie muss vorbereitet werden, ohne mich zu sehen. Magic und Flynn sollten es tagsüber machen. Magic, du weißt genau, was ein Mondjäger zu wissen hat. Erkläre es Flynn! Isabeau und Stanislav, ihr übernimmt es nachts. Auch wenn es hart ist, ihr dürft ihr keine Ruhe gönnen, bis sie alles weiß!"

Die vier Angesprochenen nickten.

„Manolo, du teilst eine neue Wache ein. So etwas wie heute möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich möchte, dass du nachts nur noch für Ava zuständig bist. Pass auf, dass ihr nichts geschieht. Besonders, wenn Isabeau bei ihr ist. Stanislav kann kämpfen, Isabeau nicht! Dafür muss jemand anderes deine eigentliche Aufgabe übernehmen."

Manolo nickte und ging davon.

Die ganze Versammlung löste sich allmählich auf.

„Willst du sie heute hier lassen?"

Jason schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bringe sie nach Hause, während sie schläft. Heute hat sie noch Ruhe, ab morgen geht es los!"

Er schickte alle weg und ging in seine Suite. Langsam ging er ins Schlafzimmer und kniete sich vor das Bett. Ava schlief so tief, dass sie nicht einmal mit bekommen hatte, was vor der Suite geschehen war.

Er strich ihr sanft über das Gesicht, ohne dabei ihren Schlaf zu stören.

„Ich hatte solche Hoffnung, Geliebte. Doch immer wieder werden wir getrennt. Es tut mir leid!", flüsterte er. Sie murmelte im Schlaf.

Jason lächelte leicht und berührte kurz ihre Stirn. Er wusste, dass er sie mit dieser Berührung in Tiefschlaf versetzte. Er wollte auf keinen Fall riskieren, dass sie aufwachte und ihn sah. Dann hob er sie vorsichtig in seine Arme und trug sie hinaus. Keiner war mehr im Flur zu sehen und er konnte sie ohne Zwischenfälle nach draußen zu seinem Auto tragen. So langsam wie möglich fuhr er zu ihrer Wohnung. Obwohl er wusste, dass es gefährlich war, wollte er sich nicht so schnell von ihr trennen. Die Fahrt dauerte seinem Geschmack nach nicht lange. Er hob sie wieder in seine Arme und trug sie die Treppen hinauf. Er machte die Tür auf und trug sie durch die Wohnung.

Auf einmal rekelte sie sich in seinen Armen und hob ihre Nase an seine Halsbeuge. Er lächelte, als sie leicht anfing, an ihm zu schnüffeln.

„Marzipanschokolade!", seufzte sie und drückte sich noch weiter an seinen Hals. Er legte sie in ihr Bett und deckte sie zu. Dann berührte er wieder ihre Stirn und entfernte sich leise.

„Jason!"

Erschrocken drehte er sich um. War sie aufgewacht?

Erleichtert bemerkte er, dass sie immer noch schlief. Aber sie hatte seinen Namen gerufen.

„Bald, Geliebte! Bald bin ich wieder bei dir!"

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