Ringkampf



Sunnys POV

Während meine Augen auf die Person im Ring fokussiert sind, höre ich noch Erics Worte.

„Es wird gekämpft, bis einer nicht mehr kann!" Was? Mist!! In diesem Moment wird mir bewusst, warum Eric wollte, dass ich nicht zu den Ferox gehe! Was soll ich jetzt nur machen? Hatte er Recht? Gehöre ich wirklich nicht hier her?

Kurz muss ich wieder an meinen Eignungstest denken. Vielleicht hätte ich doch mal nachfragen sollen, für welche Fraktion ich geeignet bin. Dann müsste ich mir jetzt nicht diese Fragen stellen! Dann wüsste ich genau, ob ich hier her passe. Allerdings würde mir das gerade in dieser Situation nicht wirklich weiterhelfen. Ich muss mir was anderes überlegen und zwar schnell. Schließlich stehe ich inzwischen schon vor dem Ring.

Eines steht auf jeden Fall fest. Ich bin nicht so kaltschnäuzig einfach jemanden bewusstlos zu schlagen. Und schon gar nicht meinen neuen besten Freund. Ich hatte noch nie viele Freunde, eigentlich nur meinen Bruder und Will. Hier habe ich endlich die Möglichkeit neue Freunde zu finden und ich freue mich total, dass ich mich mit Andy und Milly so gut verstehe. Warum muss ich nun ausgerechnet gegen einen von ihnen antreten?

Andy hat uns gestern anvertraut, dass er Höhenangst hat. Deswegen ist er auch erst als letzter vom Dach gesprungen. Und jetzt steht er mir im Ring gegenüber. Obwohl er um einiges größer ist und auch breiter gebaut als ich, denke ich, dass wir ungefähr die gleichen Chancen haben. Allerdings verstehe ich den Sinn dahinter nicht! Warum muss ich jemanden aus meiner eigenen Fraktion bewusstlos schlagen?

Ich will ihn wegen so einem Mist nicht als Freund verlieren. Und Milly natürlich auch nicht. Da ich mir mittlerweile ziemlich sicher bin, dass sie Andy sehr mag, wird sie mich bestimmt hassen, wenn ich ihn verletze. Andy gibt mir zwar gerade mit seinem Blick zu verstehen, dass alles in Ordnung ist und wir uns einen fairen Kampf liefern werden, trotzdem kann ich mich mit der Situation nicht wirklich anfreunden.

Nur am Rande bekomme ich mit, wie Eric das Startsignal gibt und Andy zum Schlag ansetzt, dem ich aber geschickt auswischen kann. Während ich weiter die Schläge und Tritte abblocke oder ihnen ausweiche, gehen mir immer wieder Erics Worte durch den Kopf. ‚Es wird gekämpft, bis einer nicht mehr kann!' Da fällt mir die perfekte Lösung ein, die ich bei meinem Training, zu mindestens in der Theorie, gelernt habe.

==================(Rückblende - vor ungefähr 4 Monaten)================

Mein Trainingsprogramm läuft sehr gut und ich merke schon deutliche Verbesserungen. Zusätzlich beschäftige ich mich mit vielen theoretischen Dingen über das Training. So kann ich auch die Fahrtzeiten mit dem Bus und die Pausen in der Schule gut nutzen. Gerade befinde ich mich in der Bibliothek der Ken und muss wieder mal feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, hier passendes Material zu finden.

Die meiste Literatur beschäftigt sich nur mit typischen Ken-Themen, irgendwelchen Experimenten oder chemischen Formeln. Die wenigsten Dinge hiervon sind im Alltag praktisch anwendbar. So eine Kategorie wie Sport oder Freizeit habe ich mittlerweile bereits vergeblich gesucht. Durch Zufall hatte ich vor einigen Tagen im Bereich ‚Geschichte' ein Buch über alte Kampftechniken gefunden.

Allerdings habe ich das inzwischen auch schon fertiggelesen und mir die Dinge daraus notiert, die mir vielleicht für mein Training und die Zeit bei den Ferox nützlich sein können. Nun brauche ich dringend neue Literatur, um mir weiteres theoretisches Wissen an zu eignen, was mir für die Vorbereitung auf meinen Wechsel behilflich sein kann. Doch auch im Bereich ‚Geschichte' ist nichts anderes Interessantes zu finden.

Enttäuscht breche ich die Suche in diesem Teil der Bibliothek ab. Wahrscheinlich war es nur ein Glückstreffer, dass ich das Buch über die Kampftechniken gefunden habe. Obwohl darin auch nicht so viele Dinge enthalten waren, die ich mir zu Nutze machen kann, aber immerhin besser als nichts. So trotte ich langsam in den riesigen Bereich Medizin, der wieder in viele kleinere Kategorien unterteilt ist.

Ich laufe durch die Regale und überfliege dabei die Schilder, auf denen die Unterkategorien benannt sind. Da ich aus dem anderen Teil der Bibliothek hierhergekommen bin und nicht vom Haupteingang, fangen die Kategorien hier mit Z an und dann alphabetisch rückwärts, aber das stört mich nicht. Bei dem Thema ‚Ernährung' bleibe ich kurz stehen und schaue auf die einzelnen Themen.

In den letzten Wochen bin ich hier schon öfters fündig geworden und habe meine Ernährung so umgestellt, dass mein Training dadurch noch effektiver wird. Doch heute habe ich wirklich Pech. Auch hier finde ich nichts, was mir helfen kann. So gehe ich weiter durch die Reihen und bin inzwischen schon bei A angelangt. Traurig über diese erfolglose Suche will ich gerade Richtung Ausgang marschieren, als mir ein Wort förmlich in die Augen springt.

'Anatomie'!! Warum bin ich darauf nicht früher gekommen? Vielleicht gibt es hier ja irgendwelche nützlichen Dinge zum Muskelaufbau, Körperkontrolle und ähnlichem. Die Auswahl ist groß und ich fange an zu stöbern. Schon nach kurzer Zeit habe ich einige Bücher gefunden, die interessant klingen. Mit meiner Ausbeute unter dem Arm gehe ich zum Empfangsthesen, wo ich wieder mal skeptisch gemustert werde.

Es ist derselbe junge Mann, wie in den letzten Tagen auch schon. Nachdem er sein Buch zur Seite gelegt hat, runzelt er seine Stirn und schaut mich über seine Brille hinweg an.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum du nicht, wie fast alle anderen, hier in der Bibliothek bleibst und deine Bücher liest?", fragt er neugierig.

„Ich kann mich zu Hause einfach besser konzentrieren.", versuche ich ihm zu erklären.

„Du weißt aber schon, dass das wirklich ungewöhnlich ist? Schließlich wurde die Bibliothek extra dafür konstruiert, um ein optimales Lernumfeld zu gewährleisten.", meint er besserwisserisch.

„Aber warum bietet ihr dann die Möglichkeit an, die Bücher auszuleihen?", will ich nun wissen. Wir hatten bereits vor ein paar Wochen eine große Diskussion, wo ich mir das erste Mal ein Buch mit nach Hause nehmen wollte.

Darauf zuckt er nur mit den Schultern.

„Außerdem habe ich doch bisher auch alle Bücher innerhalb kürzester Zeit wieder zurückgebracht.", versuche ich ihn zu überzeugen. Er mustert mich kurz.

„Ok, aber nur, wenn du beim nächsten Mal, einen Kaffee mit mir trinken gehst.", sagt er und schaut mich dabei direkt an. Etwas erschrocken über seine Bedingung starre ich ihn einen Moment lang an.

Damit hätte ich nicht gerechnet! Ich hatte noch nie ein Date oder so was, geschweige denn einen Freund. Außerdem war ich noch nie verliebt und bin auch niemand, der irgendwelchen Jungs hinterher guckt. Deswegen schaue ich ihn mir erst mal etwas genauer an. Er scheint nicht viel älter als ich zu sein, vielleicht ein oder zwei Jahre. Seine schwarzen Haare und seine blaue Kleidung sitzen perfekt und seine grünen Augen beobachten mich.

Außer seinen auffallend leuchtenden Augen sieht er ziemlich langweilig und spießig aus. Vielleicht liegt das auch an seiner Brille. Zu mindestens wirkt es nicht so, als wenn man mit ihm Spaß haben könnte. Und ich frage mich wirklich, warum er mit mir einen Kaffee trinken will. Als ich meine Neugier nicht mehr zügeln kann, bricht diese Frage aus mir heraus.

„Warum willst du das überhaupt?" Er zieht seine Augenbraue hoch.

„Du scheinst interessant zu sein!", lautet seine Aussage. Was ist das denn für eine Antwort? Doch bevor ich nachfragen kann, erklärt er weiter.

„Ich kenne niemanden, der sich zu Hause besser konzentrieren kann, als hier. Außerdem liest du sehr außergewöhnliche Bücher.", dabei überfliegt er die Titel meiner heutigen Ausbeute.

„In der Schule habe ich gelernt, wenn ich etwas nicht verstehe, muss ich mich mehr damit beschäftigen."

Na Super! Will er mir damit etwa sagen, dass ich für ihn nur ein neues Forschungsprojekt bin. Warum müssen die Ken immer nur so geradlinig und eingeschränkt sein? Seine Erklärung ist für mich mehr als verletzend. Schließlich habe ich, seitdem zuerst Eric und dann Will gewechselt sind, niemanden mehr, außer meiner Mutter. Ganz kurz hatte ich das Gefühl und die Hoffnung, dass ich wieder jemandem wichtig bin.

Aber nun will ich nicht länger über dieses Thema nachdenken. Um endlich meine Ruhe vor diesem Typen zu haben, willige ich ein, woraufhin er mich siegessicher angrinst. Schnell schnappe ich mir meine Bücher und ergreife die Flucht. Hoffentlich muss ich ihn nicht wiedersehen und finde irgendeine Möglichkeit, dieses Kaffeetrinken zu um gehen. Denn ich habe wirklich keine Lust irgendwelche unangenehmen Fragen beantworten zu müssen.

Am Abend liege ich schließlich ausgepowert von meinem Trainingsprogramm im Bett. Obwohl ich schon recht müde bin, will ich mir unbedingt noch etwas anschauen. Als ich vorhin schon auf der Heimfahrt in den Büchern geblättert habe, bin ich nämlich auf etwas äußert Interessantes gestoßen, was ich jetzt unbedingt genauer betrachten möchte. Wo war das nochmal? Ungeduldig schlage ich die Seiten um. Ach, hier!

Der Artikel handelt von sogenannten Schmerzpunkten. Ich lese den Text und bin beeindruckt. Hier wird gesagt, dass man mit genügend Druck auf einen dieser Schmerzpunkte bewusstlos werden kann. Auf der nächsten Seite befindet sich eine Abbildung, auf der diese Stellen gekennzeichnet sind. Ich studiere die Skizze intensiv. Vielleicht wird mir dieses Wissen irgendwann mal von Vorteil sein!

====================(Ende der Rückblende)================

Ok, das wäre eine Möglichkeit. So könnte ich Andy kampfunfähig machen, ohne ihn zusammen schlagen zu müssen und ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Allerdings habe ich dieses Wissen natürlich noch nie in der Praxis umgesetzt, deswegen habe ich auch keine Ahnung, ob es wirklich funktioniert und ich es schaffen kann. Immerhin muss man diese Stellen genau treffen und es ist genügend Kraft erforderlich.

Aber einen Versuch ist es auf jeden Fall wert. Wieder weiche ich Andys Schlag aus.

„Hört auf, um einander herum zu tanzen, kämpft endlich richtig!", höre ich Erics genervte Stimme. Spontan entscheide ich mich für die Schmerzstelle an der Schulter, da ich sie wahrscheinlich am einfachsten erreichen kann. Doch schnell wird mir klar, wie schwer es wird, Andys Schlägen und Tritten auszuweichen und gleichzeitig meinen zielgerichteten Angriff durchzuführen.

Da mir dies offensichtlich nicht möglich ist, weiche ich dem nächsten Schlag nicht aus, der mich hart an der Schläfe trifft. Ich versuche den Schmerz und das Schwindelgefühl zu unterdrücken und ducke mich unter seinem Arm hindurch, mit dem er mir gerade diesen Schlag verpasst hat. In der Bewegung drehe ich mich, so dass ich nun seitlich von ihm stehe und mit leicht verschleierter Sicht mein Ziel vor Augen habe.

Bevor er reagieren kann und sich wieder zu mir dreht, führe ich meinen Plan durch und drücke ihm auf die empfindliche Stelle. Sofort sackt er in sich zusammen. Ich lasse mich neben ihm auf meine Knie fallen, um wieder richtig zu mir zu kommen. Erst als ich etwas Rotes auf dem Boden unter mir erkenne, wird mir bewusst, dass ich eine Platzwunde am Kopf habe. Andy hat richtig was auf dem Kasten. Er hätte mich fast mit einem einzigen Schlag außer Gefecht gesetzt.

Ich hebe meinen Blick und sehe, dass inzwischen alle um den Ring versammelt sind und mich schockiert und erschrocken anstarren. Eric fängt sich als erster und fragt: „Was war das denn?"

„Ein Kampf?", es klingt mehr wie eine Frage als eine Antwort, was vielleicht daran liegt, dass ich immer noch leicht neben mir stehe. Nun kommt Milly mit einem besorgten Ausdruck in den Ring gestürzt und bückt sich zu Andy.

„Ihm geht es gut, er ist nur bewusstlos und wird in ein paar Minuten wieder zu sich kommen.", beruhige ich sie. Ich will ihr helfen, Andy auf eine Bank zu legen, doch Four hindert mich daran und trägt ihn selber. Währenddessen stützt Milly mich und bringt mich zur Krankenstation. Ich sehe noch kurz Erics besorgten Blick, bevor er sich wieder lautstark an die anderen wendet und neue Anweisungen erteilt.

Kurze Zeit später bin ich zusammen mit Milly wieder auf dem Weg zum Trainingsraum. Ich bin gerade wirklich glücklich, dass sie mir nicht böse ist. Es war richtig rührend, wie besorgt sie um mich war und mir selbst auf der Krankenstation nicht von der Seite weichen wollte. Endlich weiß ich, wie es ist, eine beste Freundin zu haben. Im Trainingsraum suchen wir sofort nach Andy. Er sitzt noch auf der Bank, ist aber wieder bei Bewusstsein.

Milly rennt gleich zu ihm. Nervös folge ich ihr.

„Tut mir wirklich leid!", entschuldige ich mich schnell, als ich bei den beiden angekommen bin.

„Hey, kein Problem. Ich glaube, dich hat es schlimmer erwischt!", meint Andy mit einem Blick auf meine genähte Platzwunde.

„Halb so wild!", winke ich ab.

„Beim nächsten Mal werde ich deinen rechten Haken nicht unterschätzen.", meine ich grinsend, doch dabei entgeht mir Andys nachdenklicher Blick nicht.

„Was ist los?", frage ich nach, doch Andy schüttelt nur leicht mit dem Kopf. Irgendwas scheint ihn zu bedrücken. Milly fällt es jetzt auch auf, denn sie legt ihre Hand auf seinen Arm.

„Ach, das ist nicht so wichtig.", meint er ausweichend. Ich bin mir sicher, dass da mehr dahintersteckt, aber ich möchte ihn nicht bedrängen und lasse es deswegen dabei.

„Sag mal Sunny, warum hast du mich eigentlich nicht richtig angegriffen?", spricht er ein anderes Thema an.

Ich erkläre ihm, dass ich keinen Sinn darin sehe, meine Freunde bewusstlos zu schlagen, worauf er kurz verstehend nickt. Gerade als wir uns wieder den anderen anschließen wollen, ruft Eric durch den Raum, dass das Training für heute beendet ist. Ich will gleich mit meinen Freunden zum Ausgang gehen, doch da höre ich wieder seine Stimme.

„Sunny, du bleibst hier. Wir müssen noch etwas besprechen!"

Och nein! Darauf habe ich jetzt wirklich keine Lust! Außerdem habe ich heute auch noch das Treffen mit Jasper. Deswegen kann ich nur hoffen, dass Eric mich nicht zu lange aufhält. Etwas genervt trotte ich in seine Richtung und warte einfach ab, was nun wohl auf mich zu kommt.

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Wie hat euch dieses Kapitel gefallen? Was wird Andy wohl für ein Geheimnis verbergen? Wie könnte das Gespräch zwischen Eric und Sunny verlaufen? Und seid ihr schon gespannt auf das Treffen von Jasper und Sunny? Bitte teilt mir eure Ideen und Gedanken mit!

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