Freundschaften
Sunnys POV
Nun sitze ich in der Cafeteria bei den Ferox. Hier geht es sehr laut zu. Das bin ich von den Ken gar nicht gewohnt. Dort ist immer alles recht gesittet abgelaufen, allerdings gefällt es mir so um einiges besser. Gegenüber von mir sitzt Andy. Er kommt von den Amite und ist als Letzter vom Dach gesprungen. Unten beim Netz hat er dann sofort ein Gespräch mit mir begonnen. Ihm hat es gefallen, was ich zu dem vorlauten Candor gesagt habe.
Neben ihm hat sich Milly, eine ehemalige Candor, hingesetzt. Sie hat rote Haare, die ziemlich wild in krausen Locken um ihr Gesicht wirbeln und dazu extrem grüne Augen. Da sie diesen Typen von den Candor, ich glaube sein Name ist Hudson, von früher kennt und nicht sonderlich gut leiden kann, kam sie auch gleich zu mir. Sie erzählt zwar wirklich viel, aber trotzdem verstehen wir uns ganz gut. Ich bin sehr froh, gleich zwei neue Freunde gefunden zu haben.
Außerdem bin ich total überrascht, wer mich bereits am Netz freudestrahlend empfangen hat und jetzt auch neben mir sitzt. Er hat vor 2 Jahren die Ken verlassen, aber ich wusste bis heute nicht, wohin er gegangen ist. Automatisch muss ich daran denken, wie ich ihn vor ziemlich genau 4 Jahren kennengelernt habe.
===================Rückblende (vor ziemlich genau 4 Jahren)======================
Gerade komme ich mit meiner Mutter von dem Gebäude zurück, in dem die Bestimmungszeremonie stattgefunden hat. In der Wohnung lasse ich mich gleich auf den nächsten Stuhl fallen. Ich bin von den Geschehnissen noch so geschockt, dass ich gar nicht weiß, ob das wirklich passiert ist, deswegen gehe ich in Gedanken alles noch mal durch, angefangen bei heute Morgen.
Ich sehe Eric noch genau vor mir, wie er sich frühs vor dem Spiegel die Haare geordnet und dabei doch noch eine Strähne übersehen hatte, die ich ihm dann glattgestrichen habe. Ich spüre noch genau, wie er während der Zeremonie meine Hand gehalten hatte. Ich höre noch genau, wie sein Name aufgerufen wird. Ich fühle noch genau, wie er mich loslässt, aufsteht und mir mit den Worten "Bleib stark, meine Kleine" einen Kuss auf die Stirn drückt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie er die Treppen herunter geht und zu den Schalen läuft.
Doch dann sehe ich nur noch rot, die Farbe von seinem Blut und dann mischt sich das rot mit schwarz, der Farbe der Ferox. Schließlich verschwimmt alles vor meinen Augen. Genau wie jetzt in diesem Moment wieder, wenn ich daran zurückdenke. Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen und lasse mich alles nur noch verschwommen sehen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass mein Bruder mich verlässt.
Eric war doch immer für mich da. Er hat mir immer geholfen, mich immer getröstet, mir immer zugehört und mich immer zum Lachen gebracht. Ich fühle mich gerade schrecklich allein und verlassen. Verzweifelt schluchze ich laut auf. Dabei habe ich gar nicht bemerkt, dass meine Mum auch noch im Wohnzimmer ist, bis sie anfängt zu sprechen.
"Was? Denkst du wirklich, dass du einen Grund hast, um traurig zu sein?", sie klingt verbittert. Ich schaue sie an. Sie hat ganz rote, verweinte Augen.
"Mum, ...", doch weiter komme ich nicht.
"DU hast keinen Grund, aber ICH. Ich habe gerade mein einziges Kind verloren." Ich will sie trösten.
"Aber Mum, du hast doch noch mich ..." Sie unterbricht mich wieder.
"Dich! Du bist doch an allem schuld. Wegen DIR passieren mir all diese schlimmen Dinge. Wegen DIR habe ich schon meinen Mann verloren. Und wegen DIR habe ich jetzt auch meinen Sohn verloren!"
Ich will zu ihr gehen, doch sie lässt mich nicht.
"VERSCHWINDE! Ich will dich heute nicht mehr sehen!!", schreit sie mich an. Das ist zu viel. Ich renne los, einfach immer gerade aus, so schnell wie meine Füße mich tragen. Bis ich irgendwann nicht mehr kann und mich erschöpft an einer Hauswand herabgleiten lasse. Dabei laufen mir die Tränen unaufhörlich über meine Wangen.
So sitze ich jetzt schon eine ganze Weile hier. Mittlerweile habe ich jegliches Zeitgefühl verloren. Langsam beruhige ich mich etwas. Warum macht mich Mum immer für alles verantwortlich? Ich fühle mich gerade schrecklich ungerecht behandelt. Es war doch Erics eigene Entscheidung. Damit habe ich nichts zu tun gehabt. Mir wäre es auch viel lieber gewesen, wenn er bei uns geblieben wäre.
Oder ist er vielleicht doch wegen mir gegangen? Ich denke an gestern Nacht zurück. Da bin ich mitten in der Nacht aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Ich musste immer daran denken, dass Eric uns heute vielleicht verlässt. Also habe ich mich in sein Zimmer geschlichen und wollte mich mit zu ihm ins Bett kuscheln. Das habe ich schon früher immer gemacht. Jedes Mal, wenn ich einen schlechten Traum hatte oder wenn es verwittert hatte. Bei ihm habe ich mich dann sicher und geborgen gefühlt.
Doch gestern meinte er nur: "Georgie, für so was bist du jetzt wirklich langsam zu groß. Geh wieder in dein Bett." Dann hat er mir den Rücken zu gedreht. Kann es vielleicht sein, dass er keine Lust mehr darauf hat, immer für mich da zu sein? Habe ich ihn vielleicht einfach nur noch genervt? Hat Mum dann wirklich Recht?
Bei diesem Gedanken kommen mir wieder die Tränen. Doch in diesem Moment spricht mich jemand an.
"Hallo! Was ist denn los?" Ich sehe einen relativ großen Jungen, der ein bisschen älter als ich sein müsste und der mich mit aufmerksamen braunen Augen anschaut.
"Hey! Ich hatte heute nur einen ziemlich schlimmen Tag.", meine ich.
"Das tut mir leid. Willst du darüber reden?", fragt er mitfühlend. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will. Ich kenne ihn ja auch gar nicht. Das scheint er zu merken, deswegen fügt er hinzu:
"Ich bin Will und wir wohnen gleich hier um die Ecke. Meine Mutter macht den besten Kakao überhaupt. Danach geht es mir immer gleich viel besser. Du kannst gerne mitkommen. " Irgendwie mag ich ihn.
"Danke, das ist lieb. Ich heiße übrigens Georgie"
Keine fünf Minuten später sind wir bei Will zu Hause. Er betritt die Wohnung, ich folge ihm zögerlich. Aus der Küche höre ich eine Frauenstimme:
"Will, bist du schon wieder da?"
"Ja Mum, und ich habe jemanden mitgebracht." Jetzt schaut eine junge, hübsche Frau mit braunen langen Haaren und dunkelblauen Augen um die Ecke. Sie macht einen sehr netten Eindruck.
"Mum, das ist Georgie. Ihr geht es heute nicht so gut. Da habe ich ihr angeboten, etwas von deinem tollen Kakao zu trinken und mir von ihren Problemen zu erzählen. Darf ich mit ihr in mein Zimmer?", stellt er mich seiner Mutter vor.
"Natürlich mein Schatz! Ich bringe euch gleich einen Kakao.", meint seine Mutter, dann wendet sie sich an mich.
"Hallo Georgie, schön dich kennenzulernen. Du kannst mich Ann nennen."
Ich begrüße sie und werde im nächsten Moment schon von Will in sein Zimmer gezogen.
"Also, jetzt erzähl." Ich fange an, von meinem Bruder zu erzählen und dass er uns heute verlassen hat. Gerade als ich von dem Gespräch mit Mum berichten will, klopft es und Ann betritt mit einem Tablett das Zimmer. Darauf sind zwei Tassen mit Kakao und ein paar Kekse und Plätzchen.
Automatisch muss ich an meine Mutter denken. Ich weiß nicht, wann sie das letzte Mal für mich einen Kakao gemacht hatte. Und Will hat wirklich Recht. Der Kakao ist einfach köstlich. Nachdem ich bereits die halbe Tasse geleert habe, geht es mir wirklich gleich viel besser. Nun möchte Will aber noch den Rest meiner Geschichte erfahren. Also sage ich ihm alles. Er ist schockiert, als ich ihm die Worte meiner Mutter erzähle und kann verstehen, warum ich so aufgelöst bin.
Es tut wirklich gut mit ihm über alles zu reden. Zum Schluss bietet er mir sogar an, dass er ja in Zukunft so was wie mein großer Bruder sein kann, denn er meint, er hätte sich schon immer eine kleine Schwester gewünscht. Scheinbar kommt er mit seiner großen Schwester Cara nicht so gut zu recht. Ich bin begeistert von diesem Vorschlag. Nachdem ich mich dann auch noch von Ann verabschiedet habe, die mich sogar gedrückt hat und gesagt hat, dass ich jederzeit vorbeikommen kann, gehe ich am Abend glücklich nach Hause.
=========================Ende der Rückblende=========================
Nun bin ich logischerweise sehr glücklich, Will bei mir zu haben. Es war ziemlich schwer für mich, als er dann vor zwei Jahren ebenfalls die Ken und somit auch mich verlassen hatte. Wir waren zwei Jahre fast unzertrennlich und dann war er von heute auf morgen einfach weg. Da hatte ich mich wieder so gefühlt, als wenn mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen hätte.
Es kamen erneut all die Gefühle in mir hoch, die ich hatte, als Eric gewechselt war. Ich hatte mich wieder so einsam und verlassen gefühlt. Und ich hatte wieder geglaubt, meine Mutter hat mit allem Recht, dass es nur alleine an mir liegt, wenn mich immer alle Menschen verlassen, die ich liebe und die mir am Wichtigsten sind. Doch damals ist Eric wie aus dem Nichts aufgetaucht und hat mich aus diesem Tief herausgeholt.
Ja, Eric. Ich frage mich wirklich, was mit ihm nur los ist? Seitdem ich hier bin, hat er noch kein einziges Wort mit mir gesprochen und bisher hat er mich auch nur einmal kurz angelächelt. Ich hätte mir unser Wiedersehen wirklich anders vorgestellt. Deswegen schaue ich mich nach ihm um. Er sitzt ein paar Tische weiter weg und schaut zu mir. Ich kann seinen Blick aus dieser Entfernung nicht ganz deuten.
Ob er wohl so wütend ist, dass ich nicht auf ihn gehört habe? Ob er sich Sorgen um mich macht und denkt, dass ich die Initiation nicht schaffen kann? Ich weiß es einfach nicht. Ich möchte so gerne mit ihm sprechen. Schließlich habe ich ihn schrecklich vermisst. Andererseits bin ich aber auch enttäuscht von ihm. Warum traut er mir nichts zu? Gut, ich muss zugeben, dass ich früher wirklich schwach war, aber das hat sich inzwischen geändert. Ich bin nicht mehr das Mädchen, das bei jeder Kleinigkeit losheult und getröstet werden muss. Wenn es sein muss, werde ich das alles hier auch ohne ihn schaffen.
Will betrachtet mich von der Seite und folgt meinem Blick.
"Konntest du schon mit ihm sprechen?", fragt er mich leise. Er ist der Einzige, der weiß, dass Eric mein Bruder ist. Den anderen habe ich davon nichts erzählt. Nicht das sie denken, ich würde während der Initiation bevorzugt werden. Das habe ich schließlich gar nicht nötig. Ich schüttle den Kopf.
"Bisher nicht! Ich weiß auch gar nicht, ob er das möchte.", gebe ich zu bedenken.
"Wenn er dich früher wirklich so behandelt hat, wie du es mir erzählt hast, wird er auf jeden Fall mit dir sprechen wollen.", versucht Will mir Mut zu haben. Doch ich verstehe nicht wirklich, was er damit meint, deswegen schaue ich ihn fragend an.
"Na ja, du solltest wissen, dass ich in den zwei Jahren, die ich bisher hier bin, noch nie mitbekommen habe, dass Eric jemanden freundlich behandelt, beschützt und gar getröstet hat"
Jetzt bin ich überrascht. Scheinbar hat er sich in den letzten vier Jahren auch verändert, genauso wie ich.
"Hatte er denn nie eine Freundin?", will ich jetzt wissen. Will verneint. Das kann ich mir fast nicht vorstellen. Ich schaue wieder zu ihm. Er sieht doch gut aus. Oder bin ich da voreingenommen als seine Schwester?
Während ich noch meinen Gedanken nachhänge, schaut Eric mich nun direkt an, dann macht er mit dem Kopf eine Bewegung Richtung Ausgang. Ich nicke verstehend. Scheinbar will er doch mit mir sprechen. Im nächsten Moment steht er auf und geht raus. Nachdem ich Will Bescheid gegeben habe, folge ich ihm. Doch im Gang vor der Grube ist niemand. Habe ich seine Geste etwa falsch verstanden?
Ich folge dem Gang noch ein Stückchen, als ich plötzlich in eine dunkle Ecke gezogen werde.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top