Ausdauer und Kraft


Sunnys POV

Ungeduldig höre ich mir die Erklärungen von Four und Eric an. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, dass es endlich los geht. Hibbelig wackle ich von einem Fuß auf den anderen. Auf diesen Moment habe ich das ganze letzte halbe Jahr hingearbeitet. Endlich kann ich meinem Bruder beweisen, dass ich nicht mehr das kleine schwache Mädchen bin, was er beschützen muss. Vor Vorfreude muss ich unwillkürlich grinsen.

Schließlich betreten wir die Trainingshalle. Ich schaue mich neugierig um. Hier zu trainieren, wird bestimmt Spaß machen. Bisher hatte ich noch nicht das Vergnügen an so professionellen Geräten zu trainieren. Bei mir war alles nur improvisiert. Als erstes sollen wir 20 Runden zur Erwärmung laufen. Das ist doch ein Klacks. Ohne lange zu überlegen, laufe ich sofort los. Dabei bin ich aber in Gedanken ganz wo anders.

================Rückblende (vor ungefähr 5 Monaten)===============

Inzwischen sind gut vier Wochen vergangen, seitdem ich Eric das letzte Mal gesehen habe. Allerdings habe ich diese Zeit effektiv genutzt und mir einen Trainingsplan erstellt, den ich nun täglich konsequent umsetze. Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich total unmotiviert bin. Doch dann denke ich daran, was Eric für ein Gesicht machen wird, wenn ich ihm beweisen kann, was ich draufhabe. Das gibt mir den nötigen Schwung, um mich aufzurappeln.

Mein Training beginnt schon bei kleinen Dingen, zum Beispiel gehe ich zu Hause und in der Schule nur noch die Treppen rauf und runter, anstatt mit dem Fahrstuhl zu fahren. Am liebsten würde ich auch jeden Tag zur Schule hin und zurück joggen. Doch so was wäre für eine Ken zu auffällig, also muss ich mein Ausdauertraining leider auf den Nachmittag verschieben. Nun sitze ich gerade im Bus und bin auf dem Nachhauseweg.

In unserer Wohnung angekommen, stelle ich schließlich fest, dass meine Mutter noch nicht zuhause ist. Aber wenn es nicht so gewesen wäre, hätte mich auch sehr gewundert. Sie arbeitet in den letzten Wochen nämlich immer sehr lange, so dass ich sie nur noch selten zu sehen bekommen. Also begebe ich mich in mein Zimmer und erledige so schnell wie möglich meine Hausaufgaben. Anschließend führt mich mein Weg in die Küche, wo ich mir Rührei brate.

Zurzeit achte ich darauf, viel Eiweiß zu mir zu nehmen, denn ich habe gelesen, dass Eiweiß für ein effektives Training unerlässlich ist. Frisch gestärkt und mit meinem gepackten Rucksack mache ich mich auf den Weg. Kaum, dass ich unseren Wohnkomplex verlassen habe, fange ich an, los zu rennen. Zielstrebig laufe ich zu dem verlassenen Haus im Viertel der Fraktionslosen. Hier geht mein Ausdauertraining weiter, immer die Treppe rauf bis zum Dach und wieder runter.

Mittlerweile schaffe ich schon 20 Mal hintereinander, ohne großartig aus der Puste zu geraten. Bei meinem ersten Versuch war ich bereits nach dem dritten Mal außer Atem und musste eine Pause einlegen. Außerdem weiß ich inzwischen auch genau, wo die gefährlichen morschen Stellen sind, so dass ich ihnen problemlos ausweichen kann. Bei der letzten Runde bleibe ich auf dem Dach und hole meine Wasserflasche aus dem Rucksack.

Ich gönne mir eine kurze Pause und genieße die warmen Sonnenstrahlen. Gedanklich bin ich bei Eric. Ob er sich überhaupt freuen wird, mich wieder zu sehen? Früher habe ich mich bei ihm immer total geborgen gefühlt. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, was ich nur bei ihm und bei meinem Vater gespürt habe. Aus diesem Grund ist mir meine Beziehung zu Eric auch so wichtig. Komischerweise hatte ich zu meiner Mutter nie so einen Draht.

================(Ende der Rückblende)================

In meinen Gedanken versunken, drehe ich eine Runde nach der anderen. Dabei habe ich total vergessen, die Runden mit zu zählen. Allerdings laufen alle anderen auch noch, also laufe ich einfach mit, bis ich an Four vorbeikomme.

„Hey Sunny. Du müsstest doch schon mehr als 20 Runden gelaufen sein, oder?", fragt er mich.

„Keine Ahnung. Ich habe vergessen zu zählen!", meine ich nur mit einem Schulterzucken, laufe dann aber trotzdem weiter.

Dabei spüre ich sowohl den fragenden Blick von Four, als auch den beeindruckten von Eric. Doch ich bleibe erst stehen, als bereits einige der anderen sich schnaubend und pustend auf dem Boden fallen lassen. Mir ist gerade erst warm geworden. Also hat sich mein kontinuierliches Training wirklich ausgezahlt. Zufrieden mit mir selbst und meinem Eifer im letzten halben Jahr, gehe ich lächelnd zu meinen Freunden, die gerade stehen geblieben sind.

Sofort fällt mir auf, dass Milly sehr abgekämpft aussieht, wohingegen Andy kaum außer Atem ist. Erstaunlicherweise waren sie trotzdem beide gleichzeitig fertig. Meine Vermutung ist, dass Andy sich extra Millys Tempo angepasst hat. Schließlich sind mir die Blicke nicht entgangen, die sich die beiden heute Morgen zugeworfen haben. Wenn sich da mal nichts entwickelt. Die beiden würden wirklich sehr gut zusammenpassen.

Allerdings haben Eric und Four offensichtlich nicht die Absicht, uns eine Pause zuzugestehen, denn sie kommandieren uns sofort zu sich, was mit einem lauten und genervten Stöhnen von einigen quittiert wird. Mich persönlich stört es nicht, deswegen bin ich auch die erste, die sich bei ihnen einfindet. Dabei muss ich über Erics Blick schmunzeln. Er scheint sichtlich überrascht, dass ich noch nicht so ausgepowert bin, wie die anderen.

Nachdem sich alle versammelt haben, beginnt Four uns die richtige Schlagtechnik zu erklären und führt anschließend einige Schläge und Tritte vor, die wir im Anschluss üben sollen. Aufmerksam beobachte ich ihn dabei. Natürlich habe ich bereits selber auch schon einiges ausprobiert. Allerdings hatte ich noch nie die Gelegenheit einem Profi zuzuschauen. Deswegen achte ich auf jede Kleinigkeit, um mich weiter verbessern zu können.

Als Four seine Ausführungen beendet hat, fordert Eric uns lautstark auf, uns zu den Boxsäcken zu begeben und die vorgeführten Übungen auszuführen. Wieder bin ich als erste dort und nehme die richtige Position ein. Dabei versuche ich mich genauso hin zu stellen, wie es Four gerade vorgeführt hatte. Ich selber hatte immer eine etwas andere Haltung, aber bereits nach dem ersten Schlag fällt mir auf, dass es so um einiges besser funktioniert.

Nun mit einer, hoffentlich recht perfektionistischen, Technik schlage und trete ich auf den Boxsack ein, der bereits wild hin und her schaukelt. Dabei fällt mir allerdings auf, dass es wesentlich schwerer ist, diesen Sack zum Schwingen zu bringen, als meinen eigenen selbstgebauten. Doch das stört mich keineswegs, viel mehr bin ich glücklich, endlich ordentliche Trainingsgeräte zu haben, um meine Leistung weiter steigern zu können.

===============(Rückblende vor ungefähr 5 Monaten)=================

Immer noch auf dem Dach sitzend, schüttle ich schnell mit dem Kopf, um die Gedanken an Eric und unsere Beziehung zu verdrängen. Schließlich steht noch einiges auf dem Plan. Denn nun geht es mit Krafttraining weiter. Da heute so schönes Wetter ist, beginne ich damit gleich auf dem Dach. Zuerst Kniebeugen und Liegestützen. Inzwischen schaffe ich bereits 50 Kniebeugen und 30 Liegestützen.

Das sah vor circa vier Wochen, bei meinem ersten Training, noch ganz anders aus. Damals habe ich mit viel Mühe und Not gerade mal drei ordentliche Liegestützen und zehn Kniebeugen geschafft. Allerdings ist auch noch genug Luft nach oben. Deswegen versuche ich mich jeden Tag etwas zu steigern. Im Anschluss folgen verschiedene Übungen zum Aufbau und der Kräftigung der Beinmuskulatur.

Als ich damit fertig bin, gehe ich wieder in das Gebäude zu meinem provisorischen „Trainingsraum", setze mich dort auf einen Hocker und trainiere jetzt mit meinen Hanteln weiter. Naja, eigentlich sind es keine Hanteln, aber was soll ich machen? Ich lebe immer noch bei den Ken, da kann man leider nicht einfach so ordentliche Trainingsgeräte bekommen. Doch die Gewichte in meiner Hand erfüllen ihren Zweck.

Außerdem bin ich auch etwas stolz über meine Kreativität. Wer kann schon von sich behaupten, dass er mit Flaschen trainiert? Und dadurch, dass ich unterschiedlich große Flaschen mit unterschiedlich schwerem Material, wie zum Beispiel Sand, Kies, Wasser, etc., gefüllt habe, stehen mir leichtere und schwere Gewichte zur Verfügung. Natürlich habe ich dabei darauf geachtet, dass die Flaschen bis oben hin gefüllt sind und sich das Gewicht deswegen nicht verlagern kann.

Inzwischen gerate ich ziemlich ins Schwitzen, doch ich kämpfe weiter. Nachdem ich auch hier alle Übungen beendet habe, trinke ich gierig aus meiner Wasserflasche. Immer noch mit der Flasche in der Hand, bewege ich mich langsam zu meiner nächsten Hürde und führe die Flasche währenddessen immer wieder zu meinem Mund, um weitere Schlucke der erfrischenden Flüssigkeit zu mir zu nehmen.

Nun stehe ich vor meinem größten Feind und schaue hoch. Ob ich es heute wenigstens einmal schaffen kann? Schließlich habe ich doch mittlerweile schon einiges an Muskelmasse aufgebaut. Entschlossen stelle ich die Flasche neben mich. Wer nicht wagt, kann nicht gewinnen! Also strecke ich meine Hände hoch, umfasse die Stange, spanne meinen ganzen Körper an und versuche mich mit aller Kraft nach oben zu ziehen.

Mittlerweile brennen meine Arme schon und fangen leicht an zu zittern, doch so schnell gebe ich nicht auf. Das muss doch machbar sein! Und tatsächlich schaffe ich es diesmal unter großem Kraftaufwand!! Mein erster Klimmzug! Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, schüttle ich meine Arme aus. Hilfe! Tut das weh! Das muss unbedingt noch besser werden. Aber für heute kann ich zufrieden sein, schließlich habe ich es endlich geschafft!

Von der Stange, die praktischerweise in dem halb zerfallenen Haus auf der richtigen Höhe aus der Wand ragt und mein Gewicht ohne Probleme aushalten kann, gehe ich zu meinem neuen Spielzeug, meinem selbstgebauten Boxsack. Diesen konnte ich erst gestern fertigstellen. Den passenden Sack mit der richtigen Größe und der nötigen Stabilität habe ich in unserem Keller entdeckt. Etwas schwieriger war es allerdings genügend Sand zu finden, um ihn zu füllen.

Doch jetzt hängt er hier. Ich hoffe nur, dass ich ihn so gut an dem Haken an der Decke befestigt habe, dass er mir beim Training nicht auf den Kopf fällt. Nun wird sich zeigen, ob dieser spezielle Knoten wirklich so stabil ist, wie es uns der Bauer bei den Amite vor ein paar Jahren erzählt hatte, als ich mit Eric zusammen bei der Arbeit in der Scheune geholfen hatte.

==================(Ende der Rückblende)===============

Das Training verläuft bisher wirklich gut. Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich die vorgeführten Schläge und Tritte, schon ausgesprochen gut beherrsche. Außerdem entgehen mir auch nicht die Blicke, mit denen mich sowohl Eric als auch Four mustern. Besonders achte ich natürlich auf Eric. Schließlich will ich seine Reaktion genau sehen. Tja, da hat er sich wohl getäuscht! Ich bin doch nicht so schwach, wie er immer dachte!

Genau in diesem Moment spüre ich seinen Blick wieder auf mir. Ich schaue aus dem Augenwinkel zu ihm und erkenne, dass er gerade mit Four spricht und beide dabei ständig in meine Richtung schauen. Allerdings lasse ich mich davon nicht aus der Ruhe bringen, sondern ziehe mein Training einfach weiter durch. Ab und zu werfe ich auch einen Blick auf die anderen Initianten und stelle schnell fest, dass einige ziemlich große Probleme haben.

Zusätzlich entgeht mir auch nicht das Rumgemotze von Eric, wenn jemand seiner Meinung nach 'hier völlig fehl am Platz ist!' oder 'aufhören soll, den Boxsack zu streicheln!'. Langsam frage ich mich, warum er eigentlich Ausbilder ist. Müsste er uns als Ausbilder nicht eigentlich helfen, dass wir besser werden und uns dazu entsprechende Tipps geben? Würde er mir helfen, wenn ich Hilfe bräuchte?

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als wir zum Essen entlassen werden. Die Mittagspause verläuft recht ruhig. So sitze ich an dem Tisch zusammen mit einigen der anderen Initianten, die aber alle sehr schweigsam sind. Und da wir sowieso nicht so viel Zeit zum Essen eingeräumt bekommen haben, konzentriert sich jeder nur auf den Teller, der vor ihm steht. Als ich fertig bin, betrachte ich Milly. Ich glaube, dass sie es hier schwer haben wird.

Mir ist vorhin immer wieder aufgefallen, wie Eric sie runter gemacht hatte, weil sie zu schwach ist. Andy hingegen scheint ein wirklich guter Kämpfer zu sein. Seine Technik ist echt beeindruckend. Wahrscheinlich hat er schon vorher trainiert. Wir müssen Milly unbedingt helfen. Ich will sie nicht verlieren. Vielleicht können wir ihr später einige Tipps geben oder sogar zusammen trainieren. Bevor ich weiter nachdenken kann, fordert Eric uns auf, wieder zum Trainingsraum zu gehen.

Dort versammeln wir uns vor Eric und Four. Dabei fällt mir der Blick von Eric auf, den ich aber nicht richtig deuten kann. Es sieht fast so aus, als wenn er sich Sorgen machen würde, aber ich verstehe nicht warum. Schließlich müsste er mittlerweile bemerkt haben, dass ich gut bin.

„Entsprechend der Tradition wird jetzt der erste Kampf stattfinden!", fängt Four an zu sprechen. Was? Jetzt bin ich wirklich überrascht!

Ich glaube, die meistens hier sind noch nicht für einen Kampf bereit. Das Gemurmel der anderen bestätigt mir diese Vermutung. Nun spüre ich wieder Erics Blick und höre im nächsten Moment schon seine Worte.

„Erster und letzter Springer in den Ring!" Erschrocken schaue ich Eric direkt in die Augen, während sich der letzte Springer bereits in Bewegung setzt. Nun kann ich Erics Ausdruck verstehen.

Ich starre ihn nur weiter an, bis mich jemand von der Seite anschubst und ich mich endlich aus meinem Schock lösen kann. Langsam bewege ich mich zum Ring. Während meine Augen auf die Person im Ring fokussiert sind, höre ich noch Erics Worte.

„Es wird gekämpft, bis einer nicht mehr kann!" Was? Mist!! In diesem Moment wird mir bewusst, warum Eric wollte, dass ich nicht zu den Ferox gehe! Was soll ich jetzt nur machen? Hatte er Recht? Gehöre ich wirklich nicht hier her?

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Gegen wen wird Sunny wohl kämpfen müssen? Und wie wird es ausgehen? Was denkt ihr?

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