17
"Ich muss dich sprechen. Ein Auto ist auf dem Weg. " Ihre Stimme dringt durch das Handy in mein Ohr, sie klingt hektisch. Mit tonloser Stimme antworte ich: "Ich muss dich auch sprechen." Muss ich das? Immer noch kann ich nicht einschätzen, ob oder wie sehr ich Zoe vertrauen. Doch anstatt auf eine Antwort von ihr zu warten, beende ich das Telefonat. Einige Sekunden lang lege ich den Kopf in den Nacken und starre an die Decke. Dann drehe ich meinen Kopf zu Lucas und sage: "Ich muss weg."
Fragend sieht er mich an: "Was? Warum?" Ich schüttle nur den Kopf: "Kann ich nicht sagen, tut mir leid." Ungläubig betrachtet er mich.
"Wieso nicht? Das Geheimnis ist bei mir sicher."
Ein kurzer Blick in seine Augen hätte beinahe gereicht, mich umzustimmen. Ich verspüre das Verlangen, ihm jede Kleinigkeit zu erzählen und ihn in die Sache einzuweihen. Aber ich kann nicht, ich darf nicht. Ich würde nicht nur mich, sondern auch in schreckliche Gefahr bringen und ist es nicht genau das, was ich verhindern will? Also schüttle ich erneut den Kopf. Mit einem verwirrten Tonfall spricht er: "Ich habe gedacht, du triffst dich mit mir. Ich finde es komisch, einfach zu gehen ohne zu sagen, was los ist. "
Seine Worte treffen mich, dennoch hat er Recht. Es ist nicht fair, ihn hier sitzen zu lassen. Jedoch habe ich keine Wahl, ich brauche Antworten auf meine Fragen. "Wir...wir können uns morgen nochmal treffen! Und ich verspreche dir, nichts wird dazwischenkommen!"
Noch immer sehe ich Verwunderung in seinen Augen, doch er nickt: "Ok. Ich vertraue dir. Ich fände es nur schön, wenn du mir irgendwann erzählst, was los war. "
Ich spüre, wie eine riesige Last von meinen Schultern fällt. Er versteht es. Er versteht mich. Er ist viel zu nett für mich, begreife ich da. Andere wären sauer, während er, wenn auch verwundert, akzeptiert, dass ich wegmuss und ihm jedoch nicht sage wohin. "Ja", verspreche ich daher, "ja, irgendwann erzähle ich dir alles!" Er lächelt und ich fühle mich direkt nochmal besser. Als ich nun einen Blick aus dem Fenster werfe, steht ein schwarzes Auto dort. Ich muss los. "Bis morgen dann", sage ich zu ihm. Für einen Moment stehen wir uns noch gegenüber, schauen uns in die Augen und ich kann nur hoffen, dass auch er dasselbe Glück wie ich empfindet.
Die weißen, schier unendlich langen Gänge begrüßen mich wie einen alten Freund. Mit gesenktem Kopf eile ich den Gang entlang, hoffe, den Weg zu Zoë allein wiederzufinden. Vergeblich. Als ich an wenigen Fenstern vorbeikomme, weiß ich, dass ich mich verlaufen habe. Verdammt. Irgendwie muss ich wieder zurück auf den richtigen Weg kommen. Ich ändere die Richtung und gehe wieder den menschenleeren Gang zurück, den ich hergekommen bin. Allerdings fällt mir diesmal eine eingerückte Tür ins Auge. Vorsichtig nähre ich mich ihr und erkenne viele unauffällige Schnörkel, die sie zieren. Dadurch hebt sie sich von den Türen in dem mir bekannten Teil des Gebäudes ab. Kann es sein, dass sich etwas besonders hinter ihr verbirgt. Ich trete noch einen Schritt näher und fahre mit dem Finger die Muster nach. Plötzlich ertönt eine Stimme und erschrocken zucke ich zurück. Eine zweite Stimme antwortet und bei genauerem Hinhören kann ich sie als die von Theresa Evans identifizieren. Kurz denke ich nach, dann gehe ich erneut auf die Tür zu, lege behutsam mein Ohr daran und versuche den gesprochenen Worten zu lauschen.
"Also ist sie jetzt wieder in unserer Obhut?", fragt die für mich fremde Stimme. "Ja", antwortet Theresa, "für das Erste sind wir sicher. Aber wir müssen vorsichtig sein: Sie hat ihren Verbündeten, den Rebellen, ein Zeichen gegeben. Sie hat uns verletzlich aussehen lassen. Das wird sie ermutigen. " "Wir wissen nicht, wo die Rebellen sich aufhalten und wie viele es sind?" "Wir haben Vermutungen, keine Beweise." Schweigen.
Schließlich beginnt die fremde Person wieder zu sprechen: "Wo hat man das Mädchen gefunden?" "Liam hat mir gesagt, sie sei auf dem Weg zu dem Haus von Elly Jones gewesen. Bevor sie es jedoch erreichen konnte, fand er sie", antwortet Theresa und ich muss stutzen.
Maeva -um die es hier offenbar geht- war in meinem Haus, wir haben gesprochen. Hat Liam Theresa angelogen oder lügt sie gerade ihren Gesprächspartner an? Gehe ich von der ersten Option aus, frage ich mich, warum er es getan hat. Vielleicht um mich nicht in die Sache reinzuziehen? Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nicht erfahren. Also wende ich mich erneut dem Gespräch hinter der Tür zu.
"Liam...können wir ihm trauen?" Die Person scheint an ihm zu zweifeln. "Davon war ich überzeugt, bis aber dieses Mädchen, Elly Jones, zur Wächterin wurde. Ich kann nicht einschätzen, wie viel er für sie tun würde und wie loyal er uns noch ist, falls sie die andere Seite wählt und wir sie...beseitigen müssten. "
Interessant. Sehr interessant sogar. Sie vertrauen Liam wegen mir nicht mehr? Sie werden mich beseitigen, wenn ich mich für die andere Seite entscheide? Was meinen sie mit 'beseitigen '? Zu viele Fragen und ich weiß nicht, wem ich sie anvertrauen kann. Liam? Nein. Dafür steht er doch noch zu sehr hinter den Plänen der Organisation. Doch was sind diese Pläne überhaupt? Mir fällt nochmal auf, wie wenig ich überhaupt weiß. Das muss sich ändern. Und wie auf ein Stichwort legt sich plötzlich von hinten eine warme Hand auf meinen Mund.
Panisch reiße ich die Augen auf und versuche mich zu befreien. "Sag bloß nichts! Mach kein Geräusch, dann nehme ich meine Hand weg!", zischt eine mir bekannte Stimme ins Ohr. Zoe. Ich gehorche und höre auf mich zu wehren. Sie zieht ihre Hand weg und ich drehe mich zu ihr um. "Geh einfach unauffällig hinter mir her und sag kein Wort!", flüstert sie mir zu. Sie klingt angespannt. Ich nicke nur, während in meinem Kopf tausend neue Fragen entstehen. Aber ich muss mich wohl noch etwas gedulden.
Schnell bewegen wir und durch die langen und zum Glück menschenleeren Gänge, bis mir das Gebäude wieder vertrauter vorkommt. Schließlich erkenne ich auch die Tür, durch die Zoe mich zieht und mit einer Wucht wieder schließt. Erleichtert lässt sie sich auf das Sofa fallen, doch ihr Blick liegt auf mir. "Was hattest du dort zu suchen? Das ist der private Bereich von Theresa Evans. Du kannst echte Probleme bekommen, wenn du dort erwischt wirst", sie klingt verärgert und gleichzeitig besorgt. Ich zucke mit den Schultern und lasse mich auch auf das Sofa fallen: "Mich hat niemand aufgehalten." Sie runzelt die Stirn: "Das ist sehr seltsam. Normalerweise wärst du gar nicht dorthin gelangt. " Was will sie damit sagen? Ich verstehe es nicht. Jedoch hat mich auch etwas verwundert. "Wenn dort niemand hindarf, wieso warst du dort?", frage ich sie. Die Antwort kommt sehr schnell: "Ich habe gewisse Beziehungen, der Rest geht dich nichts an." Ich beschließe, die Sache erstmal auf sich beruhen zu lassen. "Wieso wolltest du mich sprechen?", will ich stattdessen von ihr wissen. Sie holt tief Luft und beginnt:
"Ich habe vor ein paar Tagen von einem Problem gesprochen. Ich denke, du weißt inzwischen, dass Maeva gemeint war. " Ich nicke, sie fährt fort: "Hier geht die Erzählung herum, dass sie auf dem Weg zu deinem Haus war, als Liam sie fand. Kannst du mir was dazu sagen? Stimmt es, was man sich erzählt?" Ich muss zurückdenken an das Gespräch, welches ich vorhin belauscht habe. Anscheinend hat Liam sie angelogen. Soll ich dasselbe bei Zoe tun? Ein Gefühl in meinem Inneren sagt mir, ich kann ihr trauen. Mein Verstand dagegen findet es sinnvoller, keinem zu vertrauen. Doch ich muss reden. Und Zoe war Maevas Freundin. Sie würde es niemals unterstützen, wie diese behandelt wird. Also spreche ich mit leiser Stimme: "Nein. Nein, es stimmt nicht. Maeva war bei mir, als Liam sie fand. Wir haben geredet. " Zoes Augen weiten sich und für einen kurzen Moment fürchte ich, sie könne herausstürmen und allen die Wahrheit erzählen. Anstatt steigen ihr Tränen in die Augen und mit bebender Stimme flüstert sie: "Bitte! Bitte, erzähl mir wie es ihr geht! Erzähl mir alles! Ich bitte dich!" Als eine Träne, zwei Tränen ihre Wange runterkullern, beschließe ich, ihr zu vertrauen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top