Kapitel 6

Ich saß rechts von Ely auf dem Boden. Rechts von mir war Jo, dessen Hand ich gerade hielt. An Elys linker Seite hatte Toni Platz genommen und ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter. Neben Jo saß Mat und daneben Ebru – warum überrascht mich das nicht? Links von Toni war Leo, neben ihm saß Iris und Bell schloss den Kreis. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass Bell und Iris nebeneinander sitzen würden, doch Ely und ich hatten uns als ersten hingesetzt, also auch die Kreisbildung angefangen.
„Andy hatte sie >Die Anti-Leute< genannt. Es ist eine Gruppe von durchgeknallten Wissenschaftlern, die die Welt regieren wollen. Da Menschen mit Fähigkeiten sie aber immer daran hinderten, haben sie sich gegen uns alle verschworen.“, erklärte Iris. „Als Andy jünger war, hatte er auch zu einer Gruppe gehört, die die Welt zu retten versuchte. Das war in der Zeit, wo seine Schwester noch gelebt hatte. Die Gruppe funktionierte ähnlich wie unsere.“ Sie stoppte abrupt ihre Rede.
Ich war überrascht, wie viel Andy Iris erzählt hatte. Sie waren wohl wirklich wie Geschwister.
„Was war passiert, dass Andy plötzlich alleine stand?“, fragte Ely.
„Ihr Hellseher hatte den Tod seiner Schwester vorausgesagt. Sie wollten sie retten. Und waren alle draufgegangen. Andy hatte es nicht geschafft, zumindest einen von ihnen zu retten.“
„Und hat dann die Auserwählten gegründet?“, schlussfolgerte Leo.
Iris nickte. „Ja.“
„Das sagt uns aber nicht so viel über die Anti-Leute selbst.“, bemerkte Toni.
Zum Thema erwachsen geworden... Konnte er nicht abwarten oder was?
„Warum wusste ich, dass du das sagen wirst?“, entgegnete Iris giftig.
Sie mit ihren Streiten ey!
„Was? Du wusstest das? Kannst du etwa Gedanken lesen?“, erwiderte Toni voller Ironie.
Mat und Jo lachten leise. Ely und ich tauschten Blicke aus und sie verdrehte die Augen. Ja, ich wusste auch, dass damit nichts zu machen war.
„Du regst ja schon wieder auf.“, sagte Iris mit steinernem Gesicht und seufzte erschöpft. „So, reicht. Wie ihr gemerkt habt, sind alle Anti-Leute nicht nur in Wissenschaft gut, sondern auch militärisch ausgebildet. Das macht uns die Sache schwerer, denn sie werden immer besser. Ich weiß nicht, wie, aber sie gelangen irgendwie an Kraft. Andy wusste das auch nicht. Doch nun scheint es, als würden sie mit jedem Tod eines Auserwählten an Kraft gewinnen.“ Sie sah uns der Reihe nach an und ihr Blick blieb an Bell hängen. „Bell. Wenn es wirklich so ist, dann möchte ich dich nicht in Gefahr bringen. Und das hängt sowohl mit dir selbst, als auch mit deiner Kraft zusammen. Du bist so stark, dass es die Welt auslöschen könnte. Mir ist durchaus bewusst, dass wir auf deine Hilfe angewiesen sind. Aber ich will dein Leben nicht gefährden. Du kannst uns gern hier oder bei kleineren Einsätzen helfen, doch in dem Center war es kein Kinderspiel. Und Andy hatte mir eindeutig gesagt, dass du auf jeden Fall am Leben bleiben musst. Ich weiß deine Hilfsbereitschaft zu schätzen, Anabell, wirklich.“
Schweigen herrschte über uns. Jeder dachte über Iris' Worte nach. Wenn es denn so gefährlich war, wie sie es sagte, wieso suchten wir nicht aktiver nach anderen Auserwählten? Wir brauchte ganz sicher mehr Hilfe. Wieso gingen wir mit dieser Sache so leichtsinnig um? Wieso hatte uns so lange niemand was über die Anti-Leute erzählt?
„Ich werde euch nicht enttäuschen.“, ertönte Bells leise Stimme.

Am nächsten Morgen saßen wir wie gewöhnlich im Esszimmer. Yuhuu, letztes Jahr haben wir endlich ein Esszimmer entdeckt! Jetzt musste niemand von uns im Stehen essen oder hungrig darauf warten, dass ein Platz am Tisch frei wird. Dieses Zimmer hatte zwar keinen direkten Durchgang zur Küche, doch wir hatten uns einen gemacht.
Heute war ich mit dem Kochen an der Reihe gewesen und war deshalb noch müder als sonst. Aber zum Glück habe ich Hilfe von Jo bekommen. Außerdem konnte er besser kochen als ich.
Wenn ich mich so in der Runde umsah, merkte ich, dass nicht nur wir beide hier fast einschliefen. Das taten alle. Sogar Iris und Toni streiteten sich nicht. Na ja, nachdem wir gestern tagsüber geschlafen hatten, haben wir dann bis nach zwei Horrorfilme geguckt. Da ist es schon logisch, dass man früh um acht müde ist.
„Ich glaube, es wäre klüger gewesen, wenn wir nicht so früh aufgestanden wären.“, murmelte Mat und legte sich willenlos ein Stück von seinem Rührei in den Mund.
Mittlerweile war es schon so groß wie Jo. Schade. Manchmal wollte ich ihn gern noch wie einen kleinen Jungen behandeln.
„Klüger wäre es, wenn wir gestern früher schlafen gegangen wären.“, entgegnete Bell, die ihm gegenüber saß.
Da wachte Mat auf und beugte sich nach vorne. „WER hatte die Idee, Filme zu gucken?“
Doch Bell beachtete seine Worte nicht und aß mit einem kleinen Lächeln einfach weiter. Ich merkte, dass sie endlich wieder glücklich war. Ehrlich, man sah ihr das wirklich an.
„Warum müssen wir uns am frühen Morgen immer streiten?“, stöhnte Ely und lehnte sich an Toni, schloss die Augen.
„Ey, komm, wir streiten uns nicht nur am Morgen.“, lächelte Jo.
„Sei leise.“, meinte ich.
Er hörte für einen Augenblick auf zu essen und gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Leider hat er Recht.“, pflichtete Leo ihm bei.
„Streu kein Salz auf die Wunde, Leo.“, ermahnte ihn Iris.
„Jetzt wirklich.“, schnaubte Ebru.
„Leute, wir streiten uns gerade darüber, dass wir streiten.“, mischte sich Mat wieder ein.
„Und WER hat damit angefangen?“, warf Bell ein und sah ihn lächelnd an.
Ich mochte es, wenn die Atmosphäre zwischen uns so leicht war. Da hatte ich immer das Gefühl, als wären wir einfach nur Freunde, ohne irgendwelcher übernatürlicher Fähigkeiten. Und die Welt wäre heil und unschuldig. Diese Momente waren einfach unbezahlbar für mich, denn es gab so wenige von ihnen. So wenige...

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