Kapitel 18
„Philip...“, staunte Iris.
Jo versuchte, für einen Moment seine Verwunderung zu überwinden und beförderte den Anti-Mann mit einem Schlag in Ohnmacht. „Wieso ist er hier?“, fragte er dann.
Der Junge stand vor Bells Glaskasten mit einem Stift und Block Papier in den Händen. Bell drückte sich gegen die Glaswand und schüttele heftig den Kopf.
Mir ging ein Licht auf. Das war es, was Ely und in ihrer Vision gesehen hatten. Bell hatte gar nicht uns beide gesehen, es waren nicht wir, die sie warnen sollte. Aber warum sollte sie Philip davon abhalten, ihr zu helfen?
Die Kräfte... So gut ich Bell kante, hatte sie bestimmt ihre Kräfte eingesetzt, um sich selbst zu befreien, doch es war kein Riss entstanden und sie konnten nirgendwo raus. Sie waren noch da, in diesem Glaskasten. Wenn Philip den Kasten zerbrechen würde, würde es eine Explosion geben...!
Aber als es mir endlich klar wurde, war es bereits zu spät. Ich schaffte es nicht mal, meinen Mund aufzumachen, bevor der laute Knall erklang und ich betäubt wurde. Eine Druckwelle riss mich von den Füßen und ich wäre sogar hingefallen, wenn da nicht Jo gewesen wäre, die ein Bein nach hinten gestellt hatte, um nicht umzufallen, und mich aufgefangen hätte. Ein Splitterregen fiel auf uns herab und Jo schloss mich schützend in eine Umarmung. Dann nahm er meine Hand und zog mich eilig hinter sich her. Er schrie mir etwas entgegen, doch außer einem Piepen konnte ich erstmal nichts hören.
„Lauf!“, drang schließlich seine Stimme zu mir durch. „Lauf, Anna! Lauf!“
Durch die freigelassene Energie waren viele andere Glasknäste geplatzt, aber wir liefen an den verwirrten Menschen vorbei zu Philip, der weiter hinten zwischen all den Scherben lag und schwer atmete. Iris rannte schon auf Bell zu, Ely schloss sich ihr von irgendwo rechts von uns an. Die anderen liefen zu den gestürzten Anti-Leuten, damit sie uns nicht mehr angreifen konnten.
„Helfe ihm, ich geh die anderen unterstützen.“, meinte Jo und war im nächsten Augenblick weg.
Ich kniete mich vor den Jungen hin, ohne auf die Glassplitter zu achten, und fasste ihn leicht an der Schulter an. „Philip, kannst du mich hören?“
Er öffnete die Augen und sah mich gequält an.
„Kannst du aufstehen?“
„Hilf mir hoch. Bitte.“, sagte er leise, sodass ich ihn in diesem ganzen Lärm kaum verstehen konnte.
Ich stand auf, nahm seine Hände und half ihm vorsichtig auf die Beine. „Das war sehr mutig von dir.“, meinte ich und sah mich um, um sicherzugehen, dass wir gerade außer Gefahr waren.
„Ich... kann sie alle auslöschen.“, schlug Philip unsicher vor.
Die anderen Auserwählten kämpften gerade gegen die Anti-Leute: Mat versuchte, einen Mann am Boden zu halten. Iris befreite sich aus dem Griff eines anderen, indem sie ihm den Ellbogen in den Bauch rammte. Ebru trat einem Dritten gerade auf den Fuß. Toni wurde ein Messer vor die Kehle gestellt, doch er holte sein eigenes hervor. Leo verteidigte sich gegen die Angriffe des Fünften. Jo entriss dem Letzten sein Gewehr und schlug ihm damit auf den Kopf. Wir konnten sie nicht umbringen – wir waren einfach nicht so. Die Auserwählten gab es zum Schutz von Menschen, nicht zu ihrer Tötung.
„Nein, mach das nicht!“, widersprach ich.
Und in diesem Moment kam mir eine Idee. Jo hatte erzählt, dass er auf keinen Fall jemanden in der Übergangssphäre lassen durfte, weil dieser dort dann stecken bleiben würde und er keinen Zugang mehr hätte.
„Jo!“, rief ich. Er sah kurz erschrocken zu mir. „Jo, die Übergangssphäre!“
Es brauchte einen Augenblick, doch seine Augen weiteten sich, als ihm mein Gedanke endlich verständlich wurde, und er verschwand mit dem Typen. Dann sah ich ihn kurz bei Toni stehen. Er fasste den Anti-Mann am Arm an und war mit ihm wieder weg. So teleportierte er alle unsere Gegner, noch bevor eine Minute verstrich.
Wir sammelte uns bei Bell zusammen, die gerade von Ely untersucht wurde. Ich musste Philip beim Gehen leicht stützen.
„Danke.“, sagte Bell und sah ihn ernst an.
„Philip, geht’s dir gut?“, fragte Ely besorgt. Ich sah rote Abdrücke auf ihrem Hals.
Der Junge nickte.
„Leute, ich schlage vor, wir holen die übrigen Menschen raus, bevor hier noch mehr Antis auftauchen, und verschwinden. Das System hier ist nämlich kaputt. Heißt: der Schutz dieser Glasdinger ist ausgeschaltet und wahrscheinlich piept es schon irgendwo im Hauptquartier.“, berichtete Mat.
„Jo, setzt du die Menschen vor einem Krankenhaus ab? Sie brauchen einen Arzt.“, trug Iris ihm auf.
Da werden sich die Krankenschwestern aber wundern, wenn so viele Leute auf einmal bei ihnen auftauchen.
„Mach ich.“, nickte Jo und zögerte dann. „Ehm, Bell... Wenn... du noch Kräfte hast und mir helfen kannst, würde ich es schaffen, alle Menschen gleichzeitig zu teleportieren.“
Ich staunte. Soweit ich wusste, hatte er diese Erweiterung seiner Fähigkeit nicht im Unterricht geübt.
„Nein, Jo.“, widersprach Iris gleich.
„Bist du dir sicher, dass sie alle ankommen werden“?, fragte Bell jedoch.
„Bell, nein, du bist zu schwach.“, bestreitete auch Ely diese Idee.
„So ziemlich sicher. Aber wie gesagt, ich brauche Hilfe.“, antwortete Jo.
„Jo!“, entgegneten Iris und Ely gleichzeitig.
„Hilf mir hoch.“, meinte Bell und streckte die Arme aus.
Jo griff danach und zog sie auf die Beine. Sie schlossen die Augen unter Iris' und Elys Protestrufen.
„Lasst sie das jetzt doch machen!“, mischte sich Ebru ein. „Meine Fresse, wenn andere Antis kommen, sind wir geliefert!“
„Außerdem können wir Jo sich doch nicht allein hin und her teleportieren lassen!“, meldete nun auch ich mich. „Was, wenn ER gefangen wird?“
Am Rande meiner Sicht bemerkte ich etwas, über meine Arme lief ein Schauer.
„Jemand kommt.“, flüsterte Leo.
„Leute, da!“, schrie Philip panisch und zeigte nach rechts.
„Antis!“, rief Toni warnend und zog Ely schützend hinter sich, breitete die Arme aus.
Ich weiß nicht, wann es geschehen war, aber ich fand mich neben ihr und Ebru stehen und Philip an mich drücken. Vor uns standen Leo und Iris, ihre Arme waren genauso ausgebreitet wie Tonis. Hinter uns befanden sich Jo und Bell, und Mat schützte sie in der gleichen Stellung wie Iris, Leo und Toni uns. Ich hörte Schüsse und sah kleine Explosionen, als Toni seine Fähigkeit an den Kugeln ausübte. Die von Mat aufgehaltene Munition hing überall in der Luft. Manche Männer schossen unter Iris' Einfluss in eine andere Richtung.
Und dann nahm ein Lichtblitz plötzlich meine Sicht weg. Alle Geräusche verschwanden sofort und ich befand mich für einige Sekunden in einem weißen, unendlichen Nichts. Dann löste sich das Weiß auf und ich stand in unserem Kampfraum, neben mir alle meine Freunde wie ich sie zuletzt gesehen hatte.
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