Kapitel 9

„Wir wissen alle, dieser Mann wird uns bald finden, wir werden gegen ihn antreten, wir müssen gegen ihn gewinnen. Sonst hat alles andere keinen Sinn. Wir werden ab jetzt trainieren. Immer. Vor allem, was wir noch schlecht drauf haben oder gar nicht können, obwohl wir das können müssten. Und wir müssen herausfinden, wie Leo, Ely und Anna uns behilflich sein können.“, klärte uns Iris auf.
„Wir waren immer behilflich.“, entgegnete ich.
„Ja, aber ihr hattet meistens eure Fähigkeiten dabei nicht benutzt. Abgesehen von der Bombe vor zwei Jahren.“
„Mit meistens meinst du immer?“, fragte Leo unzufrieden.
Iris nickte. „Ja.“
„Stimmt nicht.“, widersprach Ely.
Oh Mann, das wurde ja wieder zu einem Streit. Mich nervte das langsam. Und ich merkte, dass nicht nur mich. Bell kam dazwischen.
„Wie eine anständige und noch denken könnende Person will ich euch eine Idee... vorstellen.“
Sie klang wieder viel älter als sie war. Das nervte auch irgendwie. Hm, ich glaube, ich bräuchte dringend eine Pause.
„Also, ich schlage euch vor, uns einen Tag lang nicht zu streiten. Überhaupt keine Streite.“
„Aber wenn man anderer Meinung ist, was soll man dann tun, wenn nicht dem Anderen zu widersprechen?“, meinte Toni.
Wer hätte seine Frage schon nicht erwartet? Leider hatte er Recht, das muss ich zugeben.
„Bis zehn zählen.“, antwortete Bell lächelnd.
Wie bitte?
„Bis zehn zählen...?“ Toni hob eine Augenbrau und blickte kurz Iris an. „Wird nie im Leben klappen.“
„Versuch's. Ich sag ja nur, wir sollen es zumindest versuchen.“
Außer Toni war jeder dafür. Das Experiment fing gleich an. Und nicht zu diskutieren, war schwer. Schwerer als ich gedacht hatte, obwohl ich mich nicht daran erinnerte, viel zu streiten. Ob es doch so war, fragte ich später Jo und er verneinte. Und irgendwie hasste ich unser Experiment. Warum auch immer.
Eine Sache wegen dem Trainieren. Wir wiederholten alles Mögliche, was wir bis zu diesem Moment gelernt hatten. Manches kostete uns immer noch Mühe. Am Ende waren wir so erschöpft, dass wir nicht mal zu Abend aßen, sondern gleich schlafen gingen.
Mit jedem Tag wurden die Aufgaben schwerer. Ich wunderte mich, was alles Iris bei Andy gelernt hatte und wie gut sie uns alle kannte. Da verstand ich, warum Andy ausgerechnet sie gewählt hatte. Ich stimmte seiner Entscheidung zu, voll und ganz.
„Anna, ich weiß noch, wie du uns die Kälte des Todes zugesendet hattest.“, fing Iris am fünften Tag an.
„Du weißt das noch?“, unterbrach ich sie. „Sogar ich kann mich nicht daran erinnern. Gut, jetzt ein bisschen schon.“
„Andy hat mir die Aufgabe erteilt, alles zu merken. Und das tat ich auch.“
„Du kannst dir so gut Kleinigkeiten merken?“, fragte Mat verwundert.
„Wohl nicht erwartet?“, grinste Iris. „Es ist einfach eine Erweiterung davon, dass ich die Vergangenheit der Dinge weiß. Und in diesem Kampfraum passierte Vieles.“
„Es ist unfair, dass wir, Mädchen, voll die ähnlichen Fähigkeiten haben.“, meinte Ely.
„Ich stimme zu.“, meldete ich mich.
„Ich auch. Aber jetzt zurück zur Sache. Ich will, dass du, Anna, das Geschehen wiederholst.“, verlangte Iris.
„Wiederholen? Damals war ich gestresst. Und ich weiß nicht, wie das geht. Und – ehe du mich unterbrichst – das muss nicht nur mit Gefühlen zusammenhängen, sonst würde ich das vielleicht jeden Tag machen.“
Sie hörte mir gelangweilt zu, dann hob sie kurz eine Augenbraue hoch.
„Ist mir egal. Du musst es machen.“
Eine Herausforderung also. Eine weitere Sache, die ich nicht ausstehen kann. Aber sobald Iris Bell ihre Aufgabe erklärt haben würde, würden alle mit etwas Neuem anfangen. Mit etwas Ungewöhnlichem. Ich auch. Außer Iris, die uns im Auge behielt.
Da sie meinte, wir sollen uns gegenseitig helfen, hatte die Hälfte von uns „Pause“, während die andere arbeitete. Jo half Bell beim Teleportieren. Sie beide erschienen gerade vor Ely und mir.
„Wow! Du hat mich fast in zwei Hälften geteilt!“, rief Jo überrascht.
„Tut mir leid! Tut mir wirklich leid!“, flehte Bell erschrocken.
Ich ging auf die andere Seite und strich Jo dabei über die Schultern.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt.
Er sah auf sich herab und betastete seinen Bauch mit flachen Händen.
„Soweit ich weiß, ja. Genau aus diesem Grund arbeite ich mit Bell zusammen und nicht jemand von euch.“
„Darüber bin ich wirklich froh.“, lächelte ich. „Na dann, viel Glück. Wir müssen weiter arbeiten.“
Ich widerstand dem Drang, Jo zu küssen – Nein, das ist nicht lächerlich. –, weil uns die kleine Bell beobachtete. Sie hielt mich aber auf.
„Mach.“, meinte sie und zuckte die Schultern.
Jo und ich lachten kurz. Dann ging ich zu ihm zurück und gab ihm schließlich doch noch einen Kuss. Danach grinste er breit und ich stieß ihn leicht an.
„Waaas?“, wollte ich wissen und lächelte immer noch, so wie auch er.
Er schüttelte den Kopf. „Nichts, nichts.“
„Hey!“, rief Iris durch den Raum und wir flohen auseinander.
Ely teilte mir mit, dass ich jetzt dran bin, also musste ich irgendwie auf die Kälte des Todes zurückgreifen. Und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie.
Eine Sache half immer – Konzentration. Augen schließen, innere Ruhe finden, ruhig atmen, an das Nötige denken, sich nicht ablenken lassen. Das half nicht sehr, darum zählte ich außerdem bis zehn. Und das half! Mein Unterbewusstsein öffnete sich. Ich konnte die Kälte aus mir fließen spüren.
„Es klappt. Du hast es geschafft!“, hörte ich Ely irgendwo ganz weit weg.
„Schön.“, antwortete ich und versuchte, die Konzentration nicht zu verlieren.
Ich öffnete langsam die Augen. Ely fröstelte. Ich verstärkte die Kälte.
„Mach ruhig weiter. Weiter bis zum Geht-nicht-mehr.“, feuerte sie mich an, wofür ich ihr dankbar war.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und rieb sich mit den Händen über die Oberarme. Zwei weitere Male konnte ich die Kälte verstärken. Dann ließ ich es sein und musste eine Minute lang schwer ein- und ausatmen. Ely legte eine Hand auf meine Schulter und blickte mich besorgt an. „Alles gut?“
„Ginge besser, aber ja. Ich brauch nur eine Pause.“
Ich setzte mich auf den Boden mit dem Rücken zur Wand und Ely tat es mir gleich.

***
Am nächsten Tag war ich vor Ely wach und als diese aufwachte, sah sie bedrückt aus. Auf meine Was-ist-los-Frage seufzte sie.
„Ich habe den Angriff gesehen. Sieht nicht gut für uns aus.“
„Wer hätte auch darauf gewettet?“
Ely hob kurz die Augenbrauen hoch.
„Eine Frage nicht zum Thema. Hast du immer solche Kommentare in Gedanken?“
Ich zuckte leicht verwirrt die Schultern. „Ja.“
„Hm, etwas Neues. Also, wir werden hier angegriffen, morgen.“
„Schlecht, mehr oder weniger. Denkst du, der Mann weiß von deiner Vision?“
„Bestimmt.“
„Schade. Aber egal. Komm, wir sagen den anderen Bescheid.“
Wir krochen aus unseren Betten und teilten uns auf. Ely ging zu Iris und Bell und ich musste die beiden Jungszimmer besuchen und sie zu den drei Mädels bringen. Was ich auch tat.
Zum ersten Mal wollten wir uns zusammen einen Plan überlegen. Sonst verlief alles spontan. Wir mussten immer experimentieren. Und das war blöd. Ou, ich hab mich geirrt. Das war das vierte Mal... in zwei ein Halb Jahren.
Nach langem Mogeln war uns kein guter Plan eingefallen. Wir stießen immer wieder auf Problemchen. Das Nachdenken war genauso anstrengend wie das Trainieren in der letzten Woche. Außerdem hatten wir bis eins nichts gegessen.
„Ihr denkt also fest daran, dass wir nicht besiegen können.“, meine Mat halb fragend beim Kauen.
„Falsch. Wir hoffen, wir können gewinnen.“, verbesserte ihn Iris und trank einen Schluck von ihrem Kaffee.
„Man redet nicht mit vollem Mund.“, bemerkte Leo leise nebenbei.
Mat funkelte ihn böse an. Ach ja, 'Hört auf, mich ständig zu belehren!'.
Iris verschluckte sich und fing an zu husten. Lachend zu husten...
„Iris! Das darfst du nicht tun! Das ist unfair!“, rief ich unzufrieden und man starrte mich fragend an.
Iris hörte auf zu husten, lachte jedoch weiter.
„Du denkst zu laut.“, rechtfertigte sie sich.
„Was ist jetzt passiert?“, wollte Toni wissen.
„Sie liest meine Gedanken.“  erklärte ich und deutete mit einem Nicken auf Iris.
„Gar nicht.“, widersprach diese ruhig.
„Iris hat Recht. Du hattest zu laut gedacht.“, unterbrach Bell.
Außer uns Dreien blieb jeder verständnislos. Und wir hatten keine Lust zu diskutieren. Apropos diskutieren. Bells Experiment ging schief. Also machten wir nicht weiter.
Oh Mann, es war der letzte Tag vor dem „Angriff“ und wir alle verschwendeten die Zeit für einen Plan, den wir nie rauskriegen würden. Und das sagte ich später laut. Aber nicht jeder war meiner Meinung. Tja... Wir teilten uns auf. Genauer gesagt teilte uns Iris. So mussten Ely und Jo mit ihr überlegen. Die anderen durften trainieren. Am Ende des Tages kamen Jo, Ely und Iris bei uns im Kampfraum vorbei und berichteten, zu welchem Schluss sie gekommen waren.
„Der Plan lautet so:“, kündete Ely an und überließ das nächste Wort Jo.
„Wir werden... experimentieren!“
Dann erklang ein vielstimmiges enttäuschtes Ohhh.
„Wir sind enttäuscht von eurer Entscheidung.“, meinte Leo gelangweilt.
„Genau das hatte ich auch gesagt.“  sagte ich.
„Wir haben unser Bestes gegeben. Aber“, erklärte Iris und bei den folgenden Worten war ihre Stimme etwas empört „jemandem musste im letzten Moment einfallen, dass der Kerl dank Visionen unser Vorgehen erfahren könnte. Und dann wäre Schluss. Also hat unsere Entscheidung nichts damit zu tun, dass uns kein Plan eingefallen ist.“
Ich seufzte. Hm, ihnen ist also doch ein Plan eingefallen...
„Ich hasse zu experimentieren!“, warf Mat ein.
„Als ob nicht jeder.“, stimmte Toni zu.
„Tja, ihr müsst damit klarkommen.“  entgegnete Iris.
„Als ob es was bringt.“, widersprach Bell und wir sahen sie fragend an. „Ich meine, das Experimentieren.“
Bedenklich nickten wir.
„Leute, lasst uns essen gehen und dann ins Bett. Ich bin müde.“, schlug Leo vor.

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