Kapitel 4

Donnerstag, 7 Uhr morgens. Mein Handy klingelte. Wer denn jetzt schon wieder?
„Anna, dein Ernst?“, meldete sich Ely schlaftrunken.
„Nicht mein. Sondern...“, antwortete ich genau so müde und blickte auf den Display meines Handys. „...meiner Oma. Oma? Was will denn sie so früh?“
„Nimm doch endlich ab!“ Ely schmiss ein Kissen nach mir, verfehlte aber. Ich folgte ihrem Hinweis und nahm ab. „Oma?“
„Ja, guten Morgen, Anna.“, antwortete diese völlig wach. “Sag mal, was ist bei euch los?“
„Nichts. Außer, dass keiner von den Auserwählten etwas spürt...“
Ely sah mich fragend an, winkte aber dann ab. Oma wusste alles. Ich vertraute ihr.
„Ich rede gerade über deine Familie.“, entgegnete diese unzufrieden. “Zuerst rufen mich deine Eltern an. Dass du plötzlich umgezogen bist und sie gar nicht angerufen hast. Dann werde ich auch von Cris angerufen! Er meinte, er hat wegen dir Stress und dass du die Eltern nicht angerufen hast, weshalb sie ihn anrufen. Was ist bei euch los?!“
„Oma, es ist sieben Uhr... Du konntest mich auch später anrufen.“, ging ich aus das Thema nicht ein.
„Nein, konnte ich nicht. Ich verlange eine Erklärung.“
„Oh Mann. Jetzt auch du noch! Mama und Papa denken halt, dass ich noch klein bin, und wollen mich nicht aus den Augen lassen. Hab zumindest du Verständnis mit mir.“, flehte ich genervt.
So ein Morgenanfang gefiel mir so gar nicht.
„Cris hat es. Noch. Ruf deine Eltern an!“
„Ist ja gut! Werde ich, wenn es alle so dringend haben.“
„Genau.“ Ich wusste einfach, dass sie gerade nickte. “Was meintest du vorhin nochmal? Ihr spürt nichts?“
„Ja. Also...“ Ich zögerte und rollte mich auf den Rücken. “Es passiert seit einigen Tagen nichts. Gab es bei euch irgendwelche Vorfälle?“
Sie schwieg eine Weile. „Nein, keinen Einzigen. Nicht einmal kleinen.“
„Ich versteh das nicht.“
„...und ich hatte es nicht einmal mitbekommen.“
„Ist es schlimm?“, wollte ich wissen.
„Ja.“, sagte sie kurz. “Das Böse sammelt sich. Es wird ausbrechen.“
Wo konnte sie die ganzen Informationen her haben? „Woher weißt du das?“
„Erfahrung. Also, seht zu, dass ihr da unbeschadet rauskommt.“, riet sie mir.
„Werden wir.“, versicherte ich und fügte hinzu: “Tschüssii.“
„Viel Glück.“, wünschte meine Oma.
Wir legten auf. Dann erzählte ich Ely die letzten Kommentare meiner Oma. Sie war davon gar nicht begeistert.

Bell, Leo und Mat saßen am Tisch und aßen, als Toni, Ely, Jo und ich die Küche betraten. Wir nahmen Teller aus dem Schrank, holten uns das Frühstück, aßen stehend. Zu unser aller Wundern betrat Iris die Küche.
„Das gibt’s doch gar nicht!“, sagte sie gleich und wir musterten sie verständnislos.
„Hast du dich ausreichend ausgeruht?“, fragte Toni ironisch.
„Deine Frechheit kannst du dir ersparen, Toni.“, entgegnete sie giftig und sah ihn kalt an. “Also, in der Welt passiert seit Tagen gar nichts mehr.“
„Ach ne, wussten wir ja gar nicht.“, meinte Jo und ich gab ihm einen Stoß.
„Oh Leute! Es tut mir leid wegen dem Stress meinetwegen. Ich habe die letzten Tage geforscht.“
„Wir auch.“, warf Ely unzufrieden ein.
„Du hättest ruhig aus deinem Zimmer kommen und Andy 'nen klaren Kopf machen können.“, sagte Mat.
„Mann, ich bin wütend auf ihn! Er hat uns was ganz Wichtiges verschwiegen. Das darf nicht sein. Das müsst auch ihr verstehen.“, verteidigte sich Iris.
„Das tun wir.“, stimmte Leo ihr ruhig zu.
„Ich glaube, es ist nicht der richtige Zeitpunkt zum Streiten.“, widersprach Bell und gab Iris keine weitere Möglichkeit zum Diskutieren.
„Iris, worauf willst du hinaus?“, sprach ich sie auf das vorherige Thema an.
Ich habe schon einen Streit mit meiner Familie und einen weiteren bei den Auserwählten brauche ich wirklich nicht.
„Dass wir uns auf das Schlimmste vorbereiten sollen.“, antwortete Iris ernst. “Wenn es mal anfängt, werden wir keine Ruhepause haben.“
Als ob wir das nicht selber schon wussten., dachte ich und Toni sprach gleich in diesem Moment meine Gedanken aus.
„Schön.“, kommentierte Iris seine Worte. “Warum hattet ihr das denn nicht getan, wenn ihr das gewusst, oder geahnt habt?“
Gute Frage, interessiert mich auch.
„Wer hat denn das gesagt?“, wunderte sich Andy aus der Tür und wir blickten ihn überrascht an.
Seit wann stand er da? Das war nicht fair, er konnte sich unsichtbar machen, wann er wollte, und unbemerkt zulauschen. Wie fies.
Iris war etwas fassungslos, was für sie sehr ungewöhnlich war, und wusste zuerst nichts zu antworten. Dann schnaubte sie. „Das weiß ich halt.“
„Gut, dass du endlich mal rauskommst. Dann isst mal auf und lasst uns mit der Arbeit anfangen, Leute. Übrigens Mat, ich will dir was zeigen.“, wechselte Andy schnell das Thema, wartete Mats Nicken ab und verließ zufrieden die Küche.

Mat war den ganzen „Arbeitstag“ keine Ahnung wo. Erst beim Abendessen fanden wir heraus, dass er oben bei Andy gewesen ist. Und das bedeutete definitiv nichts Gutes, wenn er einem von uns plötzlich seinen Wohnbereich zeigte. Wie lange hat er noch zu leben? Mat erzählte uns über die tolle Wohnung und dachte nicht über Andys Gründe nach. Und ich fragte mich, wie viele von uns sich in diesem Moment darüber Sorgen machten.
Um eine Sache klarzumachen: Wir hatten Andy geschworen, unsere Kräfte so wenig wie möglich zu benutzen, wenn es keinen richtigen Grund dafür gab. Aber ab und zu tat das jeder - vor allem Mat beim Spielen.
Andy gesellte sich uns zu, halbwegs. Er lehnte mit dem Rücken an dem Kühlschrank, lauschte den Gesprächen zu, gab manchmal Kommentare und lachte ab und an. Seit... vielleicht zwei Wochen war das Abendessen nicht mehr so gewesen. Wegen meinen Gedanken wurde ich etwas unruhig und das sah man mir an. Aber keiner sagte auch nur ein Wort. Nur Jo legte seine Hand auf meine.
Später habe ich doch noch meine Eltern angerufen. Trotz des großen Widerwillen.

***

Ich und Ely wachten im gleichen Moment panisch auf.
„Andy!“, sagten wir gleichzeitig und sprangen aus den Betten.
Als wir unser Zimmer verließen, waren wir nicht die Einzigen. Jeder von uns acht blieb kurz vor der Tür stehen, um die Blicke auszutauschen. Es herrschte angespanntes Schweigen und keiner wagte ein Wort. Zusammen eilten wir die Treppe hoch bis ganz nach oben. Die Tür war zum ersten Mal offen. Schlechtes Zeichen, gemeine Überraschung.
Bell schüttelte den Kopf, ging ein paar Schritte zurück zum Geländer. „Nein, ich will nicht hin. Ich bleibe hier.“ Sie setzte sich auf den Boden, umschloss die Knie mit den Armen.
Iris sah sie an und ging entschlossen rein.
„Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist!“, rief Leo ihr hinterher, aber Iris hörte nicht auf den armen. Es tat mir wirklich leid, wie Iris mit ihm umging.
„Ey, ich glaube, es ist besser, wenn ihr, Mädels, erstmal hier bleibt und wir reingehen.“, schlug Toni vor.
„Wir haben es ja alle mitbekommen.“, fügte Jo hinzu.
So blieben Bell, Ely und ich vor der Tür sitzen. Mir brannten die Tränen in den Augen. Ich wusste, was uns erwartete, denn wie Jo schon gesagt hat, wir hatten es alle gespürt.
„Andy!“, hörten wir in Kürze Iris' Stimme.
Erschrocken tauschten wir drei die Blicke aus... und liefen doch in Andys Wohnung. Sie war riesengroß und nahm das ganze Stockwerk ein.
Nach kurzem Suchen fanden wir das Schlafzimmer. Unsere Jungs kauerten an einer mehr oder weniger freien Wand mit gesenkten Köpfen. Iris weinte vor Andys Bett, wo der Mann lag.
Leo sah hoch. „Er atmet nicht.“, sagte er leise.
Ich fiel auf die Knie, ließ den Kopf hängen und mein Gesicht wurde mit Haaren bedeckt. Da Jo aufstehen wollte, streckte ich den Arm zu Seite aus und hielt ihn auf. Also blieb er sitzen. In dieser Zeit rannte Ely zu Iris und sie umarmten sich.
Ich sah Bell am Tisch in der Nähe des Fensters stehen. Sie las vor: „Leute, liebe Auserwählten, Leo, Iris, Toni, Ely, Jo, Anna, Mat und Bell... Es tut mir wirklich leid, dass ich euch so spät Bescheid gesagt hatte. Aber es war besser so. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse. Mein Tod ist kein Weltuntergang. Also haltet zusammen, streitet euch nicht und macht wie immer weiter. Obwohl zur Zeit nichts passiert, wissen wir alle, dass es nicht lange so bleiben wird. Ruft bitte meine Eltern an.
Ich bin sehr froh, euch kennengelernt zu haben. Es hatte mir Spaß gemacht, bei euch zu sein. Ihr könnt alles schaffen, glaubt daran. Vergesst nicht, ihr - wir sind eine Familie. Und macht euch keine Gedanken über mich.“

Ich sage lieber nichts dazu, wie die nächsten drei Tage vergangen waren.

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