Kapitel 2
„Was willst du?“ Das Mädchen saß auf der Badewanne, sie weinte nicht mehr.
Ich setzte mich zu ihr. „Du bist Anabell...“
„Bell.“, verbesserte sie leise.
„Gut. Ich heiße Anna. Weißt du, warum du hier bist?“
„Weil ich die Männer verbrannt habe.“
„Fast. Weil du Fähigkeiten hast, die einfachen Menschen helfen können.“
Sie sah mich mit einer gewissen Angst an. „Ich will aber niemandem helfen. Ich will zu Mama und Papa und Lukas. Sie suchen mich.“
Ich seufzte. „Bell, so viel es mir auch leid tut, dein Bruder ist tot. Du hast es gesehen, ich habe es gesehen. Ich war dabei.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, du irrst dich. Man hat ihn rausgebracht, ihn gerettet!“
„Du weißt doch, dass es nicht so ist...“
„Ich will das nicht hören! Lass mich! Bringt mich nach Hause.“ Sie wich wieder meinem Blick aus. Und ich schwieg. Dann sah sie mich an. „Hörst du, Anna? Lass deinen Freund, mich zurückbringen. Oder ich tue es selbst.“ Sie stand auf, die Hände zu Fäusten geballt.
Da klopfte es.
„Anna, komm mal raus. Du musst das auch sehen.“, meinte Jo.
Ich ging zur Tür und schloss auf. „Bell, bleib hier oder komm mit raus. Nicht wegteleportieren.“
Sie entschied sich zu bleiben, wo sie war.
Mat saß auf dem Bett mit einem Laptop auf seinem Schoß, die anderen standen um ihn herum, sodass sie auf den Bildschirm blicken konnten. Nur Andy saß auf dem Sessel und beteiligte sich nicht darin, Alleswisser. Ich gesellte mich zu meinen Freunden.
„Mat hat nach neusten Nachrichten gesucht.“, erklärte Ely.
<<“... Was geschieht denn jetzt? Die Menschen stürmen aus dem Gebäude! Wurden sie entlassen?“ Der Reporter lief zu einem Mann, der nach Luft schnappte. „Was ist passiert?!“ - „Sie haben einen unschuldigen Jungen erschossen! Einen kleinen Jungen! Vor Augen seiner jüngeren Schwester! Und dann sind sie entflammt! Sie sind einfach so entflammt! Es sind Menschen gekommen, sie haben uns rausgelassen. Sie sind jetzt drinnen. Und das Mädchen.“ Der Mann war in Panik geraten und wurde zum Krankenwagen gebracht. Dann wurden andere Menschen befragt, aber jeder erzählte das Gleiche.>>
Mat stoppte das Video und zeigte mit dem Finger in die Menge. „Da sind wir, seht ihr?“ Dann machte er das Video wieder an. „Und da sind wir weg. Und jetzt schaut...“
Mit lautem Krach stürzte das Gebäude ein und man sah nichts weiter als Staub. Mir blieb die Luft weg. Noch ein bisschen und wir wären gestorben.
„Mama und Papa denken, ich bin tot?“, kam es links von uns. „Ich muss zu ihnen. Ich muss zeigen, dass ich lebe!“
Toni eilte zu Bell, aber es war nicht nötig. Sie schaffte es nicht, sich zu teleportieren, sondern fiel um. Kopfschüttelnd stand Andy auf und ging zu ihr und Toni, der ihn fragend ansah.
„Na endlich.“, seufzte Andy.
„Ist sie bewusstlos?“, fragte Toni.
„Ja. Zu viel Energie verbraucht. Du musst es doch von Ely wissen.“
„Ja... Haben die Männer wegen ihr gebrannt? Sie ist doch noch klein.“
Andy seufzte erneut. „Aber stark. Stärker als ich dachte.“
„Ist das gut oder schlecht?“, wollte Leo wissen.
„Na ja, beides.“
„Es wird schwer sein, sie zu trainieren, wenn sie schon mit neun nach einem großen Energieverbrauch immer noch voller Kraft ist.“, meinte Iris.
“Genau. Gut, Iris.“, nickte Andy ihr zufrieden zu. „Kurzgefasst: nützlich, aber anstrengend.“
„Was sind ihre Fähigkeiten?“, fragte Ely.
„Anna.“, ließ mich Andy die Frage beantworten.
Bevor ich das aber tat, legte er Bell auf das freie Bett.
„Bell ist wie Andy.“
Darauf folgte erstauntes Schweigen. So wie alle anderen, verstand auch ich, dass die nächsten Jahre nicht leicht werden.
Alle, die noch standen, setzten sich irgendwohin und die nächsten zehn Minuten sagte keiner ein Wort.
In Iris' Augen sah ich eine Frage. Aber sie sprach sie nicht aus. In einer Stunde wurde Bell wach. Und zwar, weil wir zu laut waren. Denn einer nach dem anderen fingen wir an, wieder zu reden.
„Bringt mich nach Hause.“, verlangte Bell und wir wurden leiser.
Andy setzte sich auf ihr Bett. „Wir brauchen dich, verstehst du das nicht? Wir brauchen deine Fähigkeiten.“
„Ihr wart aber ohne mich klargekommen.“, warf sie ein.
„Du wirst es aber ohne uns nicht. Deine Kräfte werden größer. Wenn du nicht trainierst, wird es einen Ausbruch geben.“ Er sah schnell zu Mat rüber und dann zurück zu dem Mädchen. „Es wird schlimme Folgen geben, wenn's soweit kommt.“
„Ich werde meine Eltern verletzten?“
„Ja, wirst du.“
Mat tat, als ob er nicht zuhörte, und suchte im Internet nach Flugtickets. Er tat mir leid, denn ich wusste seine Geschichte.
Da Jo etwas weg von mir saß, legte er den Kopf schief, statt etwas zu fragen. Ich deutete mit dem Blick auf Mat und Jo nickte verständnisvoll. Aber gleich danach winkte er ab. Ich sollte mir keine Gedanken um Mat machen.
„Ich will nicht, dass mit ihnen etwas geschieht. Ich werde mitkommen...“, meinte Bell traurig.
Ely ging zu ihr und umarmte sie kurz.
„Willkommen!“
Die Atmosphäre zwischen uns wurde wieder sorgenlos, doch Iris wirkte auch nach unserer Rückkehr - am nächsten Tag - nach Hause immer noch etwas bekümmert. Warum, erfuhr ich am nächsten Tag, als sie Andy ansprach, als alle schon oben zur Mittagspause waren und ich etwas aus dem Übungsraum holen wollte. Ja, ich habe zugelausch.
„Andy, Bell ist doch nicht umsonst hier. Du hast sie nicht zufällig gefunden. Deine Gedanken sind von mir geschützt, aber das weiß ich auch so. Ich will eine Erklärung.“
„Du machst dir umsonst Sorgen. Geh essen.“, lenkte Andy sie ab.
„Nein.“, widersprach Iris hart. “Du erzählst es mir jetzt, oder ich gehe.“
Andy sah sie erstaunt an. „Du kannst nicht einfach so gehen. Und wohin auch?“
„Mir egal. Was ist los?“
„Iris...“
„Nein. Nicht ausweichen.“
Jetzt sah auch ich, dass Andy etwas verbarg.
Er seufzte. „Ich will es noch nicht sagen.“
„Wann dann? Wenn es schon zu spät ist? Wenn man schon nichts mehr unternehmen kann?!“
„Lass mir Zeit zum Nachdenken. Ich werde in den nächsten Tagen alles erzählen.“
„Seit wann behältst du Bell im Auge?“
„Warum?“, fragte Andy nach.
„Sag. Seit wann? Seit wann weißt du, was wir nicht ahnen?“
„Lass mir Zeit.“
Ich eilte die Treppe hoch. Sonst würde mich Iris sehen, denn sie sagte:
„Bis morgen. Ich will morgen alles von dir hören. Sonst geh ich. Hier hält mich nichts.“
Oben, in der Küche sahen mich alle fragend an, denn nach dem Treppenaufsteigen schnappte ich nach Luft.
„Fragt nichts. Ich war die ganze Zeit hier, okay?“, sagte ich, als ich mich an den Tisch setzte.
Dann kam Iris in die Küche, ganz sauer.
„Na, schlechter Tag?“, neckte Toni sie.
Er hatte einen ganz unpassenden Moment ausgesucht.
„Halt den Mund.“, warf Iris ein.
„Was ist los?“, fragte Leo.
Iris verdrehte die Augen und verließ wieder die Küche. Offensichtlich würde sie jetzt in ihr Zimmer gehen.
„Anna...?“, meinte Ely.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich sag lieber nichts. Ich sollte nichts hören.“
„Aber du hast es.“, stellte Jo fest und ich nickte.
„Sollen wir dich weiter nerven oder abwarten, bis wir alles selbst erfahren?“, wollte Mat wissen.
Nett von ihm, dass er das fragte. Ich entschied mich für das Zweite. Bell sah von ihrem Essen zu mir hoch und schüttelte den Kopf. Für ihren Alter besaß sie ganz schön viel Intelligenz, muss ich sagen.
Andy kam zu uns und blieb im Durchgang stehen. „Aha, Iris ist in ihrem Zimmer... Na dann, egal.“
An diesem Tag kam Iris nicht mehr raus und verpasste somit den Unterricht.
Als ich nach Hause kam, teilte ich meinen Eltern mit, dass ich ab jetzt in dem Studentenheim meines Unis Wohnen würde. In Wirklichkeit zog ich zu den Auserwählten um. So konnte ich mehr Zeit mit Jo verbringen und musste nicht mehr jeden Tag um sechs aufstehen.
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