Kapitel 10

Am nächsten Tag konnten wir noch, mehr oder weniger, in Ruhe frühstücken. Ich selbst konnte nun die kommende Gefahr spüren. Nur wusste ich nicht, wann sie uns erwischt. Am vorigen Abend hatten Ely und ich in unserem Zimmer die Zusammenarbeit ausprobiert. Dank ihr hätte ich die Zeit des Überfalls erfahren sollen. War aber nicht so. Darum war ich beim Frühstück etwas... enttäuscht.
„Ach, komm her und lächel mal ein bisschen.“, sagte Jo und umarmte mich.
„Wie kann ich fröhlich sein, wenn das, was immer super klappt, diesmal gar nicht funktioniert?“, beschwere ich mich gedankenverloren.
Darauf antwortete er nicht, sondern drückte mich nur noch fester an sich. Ich sah, wie Toni seine Hand auf Elys legte und sie ihre Finger verschränkten.
„Seht's positiv. Wir wissen zumindest Bescheid.“, ermunterte uns Leo.
Iris schnaubte.
„Ich werde gleich nach oben gehen und mich vor die Kameras setzen.“, kündete Mat an.
„Hier gibt’s Kameras?“, wunderte sich Bell.
„Ja. Andy hat mir den Raum mit Bildschirmen dafür gezeigt.“
„Mach das. Und warne mich, wenn was ist. Ich werde immer im Kontakt mit dir bleiben.“, nickte Iris zustimmend.
„Ai, ai, Käpten.“, sagte Mat und stellte die rechte Hand an die Schläfe.
Wir andere lachten, schmunzelten, grinsten oder kicherten.
Nach dem Frühstück ging der Junge, wie schon gesagt, hoch, die anderen in den Gemeinschaftsraum und ich blieb in der Küche, weil ich noch Cris anrufen wollte.
„Was ist passiert?“, fragte er ohne Umschweife.
„Ebenfalls hallo. Ich finde auch, dass der Tag super ist.“
„Anna, was-ist-los?“
„Warum soll unbedingt was los sein?“, wollte ich wissen.
„Weil du mich nur anrufst, wenn etwas los ist. Jetzt sag!“
„Ach, nix Besonderes. Wir werden heute einfach von einem Kerl angegriffen, der möglicherweise stärker als wir acht zusammen ist.“
Kurz war es still.
„Ich komme zu euch.“, sagte mein Bruder schließlich.
Ich verdrehte die Augen. „Criiis, wir sind keine Kinder.“
„Bell und Mat?“, entgegnete er.
„Sie sind nicht volljährig, aber sie sind keine Kinder. Vor allem Bell. Und Mat hatte mehr als ich erlebt. Du vergisst, wer wir sind, Bruder.“
„Ja, stimmt.“
„Du stimmst so einfach zu?“, wundere ich mich.
„Na wenn du dich schon von mir verabschiedest...“
Ich lachte. „Du glaubst nicht, dass ich sterben kann?“
„Doch! Aber ganz bestimmt nicht heute. Also wünsche ich euch viel Glück.“, sagte Cris ganz ruhig und fügte dann strenger hinzu: „Und ruf mich zurück!“
„Danke, werd ich.“, seufzte ich und legte auf.
Er ist unveränderlich... Mann, ich hatte wirklich Sorgen, dass wir alle sterben könnten. Nach kurzem Nachdenken ging ich zu den anderen.
Bis um zwei hatten wir nichts weiter als uns Sorgen gemacht. Dann sagte Iris plötzlich „Scheiße!“. Sofort verstanden wir, was los war. Okay, eigentlich nicht ganz. Denn als wir in den Kampfraum eilten, saß Mat auf einem Stuhl mit Seil gebunden.
„Hallo Leute.“, flüsterte Mat ruhig. „Der Auserwählte ist irgendwo hier. Bindet mich bitte los!“
Bell lief zu ihm und tat es.
„Warum greift uns keiner an?“, wunderte sich Leo.
„Warum rieche ich Rauch?“, fragte Toni.
„Toni, Leo, geht das Feuer löschen, schnell!“, befehlte Iris nach hinten blickend.
Die Genannten nickten und wollten schon wegrennen. Wollte der Mann uns teilen? Aber er konnte doch nicht wissen, wer geht und wer bleibt. Er konnte es doch nicht wissen, oder? Und wieso hatte mich Iris hier gelassen?
„Halt!“, rief ich und Leo und Toni stoppten. „Leo, wir tauschen.“
„Anna -“ Jo fasste mich am Arm.
„Wir tauschen.“, wiederholte ich bestimmt.
Es ergab einfach mehr Sinn. Denn wenn Toni das Feuer nicht löschen konnte, konnte ich es mit der Kälte versuchen.
Und solange Toni und ich das Feuer löschten, das übrigens im Klassenraum brannte, wussten wir leider nicht, was bei unseren Freunden passierte. Mit Wasser hatten wir es zumindest nicht aus gekriegt. Toni und ich einzeln auch nicht. Aber zusammen. Wie er es mit Leo geschafft hätte, weiß ich nicht. Geister konnten kein Feuer löschen. Da bin ich mir völlig sicher.
Wir eilten zurück in den Kampfraum.

Bell wurde von dem Mann festgehalten, in seiner Hand bemerkte ich ein Messer. Mat lag auf dem Rücken am Boden, Hände auf den Rippen, und atmete schwer. Ely sah zwischen ihm und dem Mann hin und her, wusste nicht recht, was sie machen sollte. Jo lehnte an der Wand rechts von der Tür mit vor Schmerz zugekniffenen Augen. Iris starrte den Mann wütend an und saß an der Wand mit Häkeln für verschiedene Bewaffnung, welche um sie herum lag. Ich sah viele Schnitte auf ihrer Haut und Kleidung. Und ihre rot-braunen Haare waren merkwürdig kurz, wenn man bedenkt, dass sie fast bis zur Taille gereicht hatten. Leo stand wackelig und ebenfalls mit einem Messer links von dem Mann.
„Ihr brauchtet gar nicht, euch zu beeilen. Das war doch überhaupt nicht nötig. Ihr seht doch, wie gut eure Freunde klarkommen. Oder soll ich besser Familie statt Freunde sagen?“, grinste mich der Mann breit an.
Fragend sah mich Toni an und ich starrte wütend auf den Mann vor mir.
„Halt die Fresse.“, rief Ely.
Ich hatte die Auserwählten bei einem Gespräch mit Cris als Familie genannt, Ely hatte mich gehört.
„Elianor, Elianor... Dich fragt ja keiner.“, meinte der Angreifer irgendwie freundlich.
Toni verengte wütend die Augen und ballte die Hände zu Fäusten.
„Eine kurze Wiederholung. Ihr sieben seid mir völlig egal. Ich brauch nur Anabell. Um genau zu sein, will ich sie tot.“
Leo rannte los.
„Lass deine Finger von ihr!“, brüllte er.
Aber er wurde von einer Energiewelle zurückgeworfen und wir andere Stehende taumelten von der Wucht.
„Doch genau aus diesem Grund werdet ihr heute so wie Bellchen enden.“, sprach der Mann weiter.
Plötzlich flossen Tränen über Bells Wangen und sie zeigte keinen Widerstand mehr. Bellchen... Hatte jemand aus ihrer Familie sie so genannt? Ihre Mutter? Ihr Vater? Ihr Bruder? Ihr Bruder... Ihr Bruder wurde umgebracht.
„Wegen dir ist Lukas tot?, flüsterte Bell leise.
„Nein, Bellchen, wegen dir.“
Ihr gaben die Knie nach, sie schloss die Augen, die Tränen fanden kein Ende. Alles, was um Iris herum lag, schwebte hoch. Die Luft um Toni zitterte, als versende er glühende Hitze.
„Weißt du, Anton,“ Den Namen sprach er mit Betonung auf das „o“ aus. „wenn du auf mich feuerst, wirst du Bellchen verletzen. Oder deine Freundin da – Elianor. Mein Schutz wehrt alles ab. In diesem Fall, wohin ich will. Denkt also darüber nach, was ihr tut, sonst schadet ihr euch gegenseitig.“
Er quatscht mir zu viel.
„Wozu brauchst du überhaupt ein Messer?“, fragte ich.
„Für alle Fälle.“
„Bell, gebe nicht auf.“, keuchte Mat.
„Schon zu spät, Matthew. Mattilein...“
„Ohhh Schnauze!“, schrie Iris und schmiss etwas, was wie eine Art Messer war, aber nur länger.
Einen Meter vor dem Mann wurde das Spitze Ding abgefangen und in Elys Richtung zurückgeworfen. Sie konnte nur knapp ausweichen und darum hinterließ das „Messer“ einen Schnitt auf ihrem linken Arm.
„Ich sag doch, ich hab einen guten Schutz.“
Jo mühte sich auf die Beine. Wir waren alle zu weit im Raum verstreut, als dass er uns allen Schutz bieten konnte. Nur Mat lag in seiner Reichweite.
„Darf ich ihn explodieren lassen?“, fragte Toni an mich gewandt.
„Lieber nicht.“, antwortete ich und wusste, ich war an der Reihe zu kämpfen.
Ob uns die Kälte etwas nützen wird? Ich strengte mich an, aber sie wurde von dem Mann einfach eingesaugt und er lachte.
„Was hast du gegen Bell?“, rief Leo.
Er richtete sich auf. Jetzt waren wir zu fünft angriffsbereit.
„Die wird später stärker als ich. Und das gefällt mir nicht.“
„Soll es auch nicht.“, warf Jo ein und kauerte vor Mat, flüsterte etwas.
Iris stand langsam auf und schob die immer noch schwebenden Waffen beiseite.
„Warum greifst du uns nicht an?“, wollte sie wissen.
„Eh... Ich will, dass ihr mit den Kräften leer seid. Dann kann die kleine Bellchen sehen, was ihr ohne sie seid.“
„Eine schöne Zukunft.“, schnaubte Toni.
Jo klopfte Mat auf die Schulter, wechselte mit Ely die Blicke und die beiden tauschten die Plätze. Ely wollte Mat heilen, damit wir unser Zuhause vereint verteidigen konnten. Wir brauchten ihn, da Bell schon aus dem Spiel war. Die Heilung würde aber dauern. Ich wettete, Mat hatte gebrochene Rippen. Was war denn bei denen passiert?
Der Mann schüttelte Bell. „Hey! Willst du dich gar nicht wehren?“
„Als ob das hilft.“, brummte ich. „Lass sie einfach in Ruhe, du bescheuerte Fresse!“
Sogar ich war überrascht, mich das sagen zu hören. Aber ich konnte nicht mehr weiter so hilflos dastehen und nichts tun. Es musste dringend etwas getan werden. Das verstand nicht nur ich.
In der wenigen Tagen hatte Leo gelernt, die Geistern Gestalt annehmen zu lasen. Genau das tat er jetzt. Die Geister sollten unseren Gegner festhalten. Iris schloss sich Leo an. Sie versuchten, den Mann dazu zu bringen, Bell loszulassen. Jo wollte seinen Schutzschild abschalten. Toni lenkte den Mann mit verschiedenen Sachen dank Telekinese ab und ich half ihm dabei mit der Kälte – das Einzige bei mir, was einem überhaupt ein bisschen Schaden konnte. In dieser Zeit nahm sich Jo eine zweite Aufgabe vor: Bell aus bösen Händen zurück zu uns zu holen. Das war unsere einzige Chance für jetzt, solange Ely und Mat nicht mitmachten. Und solange Bell nicht zu sich kam. Auf jeden Fall brauchten wir sie. Aber irgendwie fand ich es lächerlich, dass alle acht etwas tun mussten, damit wir gewinnen konnten. Einfach lächerlich...
Da! Jo hatte es geschafft! Er zog Bell raus und rannte, sie fast tragend, in Richtung Tür. Wir hatten es alle geschafft... Bell sank kraftlos zu Boden. Jo redete auf sie ein, dass sie sich zusammenreißen und uns endlich helfen soll. Mat setzte sich auf, sah uns und schnellte auf die Beine, half Ely hoch. Sagte ihr etwas wie „Los, sie wird auf dich hören!“. So schlossen uns Mat und Jo an und Ely redete mit Bell. Toni und ich wurden ganz plötzlich zurückgeworfen und knallten gegen die „Bühne“ hinter uns. Das tat weh und ich sah Sterne. Erschrocken blickte mich Jo an, ich schüttelte den Kopf. Toni war schon auf den Beinen. Er gab mir die Hand und zog mich hoch, während die anderen weiterkämpften. Ich kriegte mit, wie Iris über den Boden rollte, kurz liegen blieb, sich dann auf die Hände stützte und aufstand. Leo wurde wieder mal zurückgeworfen, kam jedoch schnell hoch. Dann wurde Jo zurückgeschleudert und knallte mit dem Kopf gegen die Wand. Ohne nachzudenken, rannte ich zu ihm. Er war runtergerutscht und saß schwer atmend einfach nur da. Mat trat schützend vor uns.
„Eine Gehirnerschütterung bestimmt... Ich werd jetzt nicht einfach aufstehen können.“, berichtete mir Jo.

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