Zunehmende Schwierigkeiten
Lyla
Am nächsten Morgen wurde unsanft von einem Gewitter geweckt. Am Himmel zuckten die Blitze, während der Donner das ganze Haus beben ließ. Erschöpft richtete ich mich auf, strich mir die Tränen aus dem Gesicht und ging wie gewohnt meinen Aufgaben nach.
Nachdem ich mich angezogen hatte, eilte ich durch den Regen zur Scheune, öffnete mit einem Ruck die Tür und trat in den Stall. Zerknirscht betrachtete ich die Pfützen zu meinen Füßen. Sie wurden immer größer und tränkten das getrocknete Heu für die Tiere.
Eigentlich wollten wir die vielen Löcher im Dach schon seit Wochen schließen, doch Vater hatte kaum Zeit gehabt, um Holz aus dem Wald zu besorgen und mir hatte er strengstens untersagt, auf das einsturzgefährdete Dach zu klettern.
Es sah nicht besonders gut aus und würde nicht mehr lange halten. Auch jetzt schwankte die Scheune heftig im Wind, die Tiere gaben beunruhigende Laute von sich, sodass ich zu ihnen eilte, um sie zu beruhigen.
Wenn unsere Milchkuh zu sehr gestresst wurde, dann gab sie tagelang keine Milch, weshalb ich lange auf sie einredete, ihren Kopf kraulte und ihr Futter hinhielt. Nach und nach beruhigte sie sich, während auch das Gewitter vorüber zog. Zurück blieb der stetige Regen.
Gewohnt leichtfüßig wich ich den Pfützen aus, griff nach einem sauberen Eimer, holte den Hocker ran und begann die Kuh zu melken. Viel Milch bekam ich nicht aus ihr heraus, zum Frühstück sollte es allerdings reichen.
Zurück in unserem Haus, stand Mutter schon in der Kochstube und schnitt ein paar Scheiben Brot von der Stulle ab. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass es teilweise verbrannt war. Merkwürdig, Mutter achtete stets darauf, dass das kostbare Brot keine dunklen Stellen aufwies.
Als ich ihr einen guten Morgen wünschte und den Eimer Milch neben ihr abstellte, um einen Krug aus dem Schrank zu holen und die Milch nach dem Abkochen um zu füllen, sah ich es. Über Mutters Gesicht liefen Tränen.
Besorgt musterte ich sie. Sie weinte sonst nie, ganz gleich wie schlimm die Situation auch war. Sie blieb stark. "Was ist los?", fragte ich mit tonloser Stimme. Tröstend legte ich ihr einen Hand auf den Rücken, während sie sich zu mir umdrehte und sich die Tränen aus den faltigen Augenwinkeln strich. In ihren grauen Augen erkannte ich, wie verloren sie in diesem Augenblick wirkte. Etwas stimmte nicht.
"Wo ist Vater?", fragte ich leicht panisch. War ihm etwas geschehen bei dem Unwetter? Trieb er sich etwa draußen auf den Feldern rum, um diese Uhrzeit?
Ehe ich nach draußen laufen konnte, um nach Vater zu suchen, griff meine Mutter nach meinem Arm und hielt mich auf. "Nicht!", sagte sie mit krächzender Stimme. Ich blieb stehen. Verwirrt runzelte ich die Stirn. "Was ist los? Sprich mit mir.", forderte ich unnachgiebig.
"Der Bruder deines Vaters ist vor ein paar Tagen verstorben.", erklärte sie niedergeschlagen und ließ sich auf einen Stuhl am Tisch fallen. Er knarzte laut. Hier fiel bald alles auseinander. Überrascht über diese Nachricht, setzte ich mich gegenüber von ihr hin. "Onkel William ist tot?", hakte ich nach, viel zu geschockt, um noch mehr herauszubringen. Meine Mutter nickte.
Onkel William hatte ich im Leben vielleicht vier oder fünfmal zu Gesicht bekommen, aber jede unserer Begegnungen hatte Spuren hinterlassen. Er war der herzlichste Mensch gewesen, dem ich je begegnet war. Für ihn gab es nichts Schlechtes im Leben, er hat immer nur das Gute gesehen und den Moment gelebt, so wie er auf ihn zukam.
"Ist Vater bei seiner Familie?" Gesehen hatte ich Williams Frau und seine Kinder nie, doch ich wusste, dass es sie gab und das reichte vorerst. Wieder nickte Mutter. "Dein Vater hilft ihnen über den ersten Schock hinweg zukommen. Doch da ist noch mehr." Ich zog die Brauen zusammen. Da war noch mehr?
"William hat deinen Vater und mich seit Monaten unterstützt. Ohne ihn können wir den Hof nicht halten, Lyla. Unser Leben geht den Bach runter..." Ihre Stimme brach als ein Schluchzen sich anbahnte. In Schock verfallen, realisierte ich nicht, wie ich aufstand, Mutter in die Arme schloss und sie weinen ließ. Ich bemerkte nicht, wie Liv, meine kleine Schwester, herunter kam und uns beide umschlang. Irgendwann weinten wir alle. Keiner von uns hatte die Kraft, etwas Aufbauendes zu sagen - oder überhaupt etwas zu sagen.
Unser Leben war nie einfach gewesen, aber das es so endete wollte ich nicht. Uns musste etwas einfallen, um mehr Einnahmen zu erzielen und so der Armut zu entgehen. Wir könnten unsere Felder vielelicht verpachten und anbieten, sie gegen Lohn zu bewirtschaften. Oder wir verkauften Berta, die Milchkuh oder...
Es hatte alles keinen Sinn. Wo würden wir enden?
Nachdem wir uns wieder fingen, aßen wir das magere Frühstück schweigsam. Niemand rührte sich wirklich, man könnte meinen wir wäre erstarrt.
Mich traf es besonders hart, erst der Abschied von Jason und dann das, wie hatte ich das verdient? Augenblicklich bereute ich es, keine Almosen von Jason angenommen zu haben. Oft genug hatte er mir angeboten, uns zu unterstützen. Jedoch habe ich jedes Mal abgelehnt.
Da wusste ich aber auch noch nicht, dass es so schlimm um uns stand. Eines war gewiss, ich würde alles tun, um nicht im Ruin zu landen.
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