Sehnsucht

Lyla

Mit einem Mal beugte er sich noch näher zu mir herunter und schloss die Augen. Ich konnte seinen süßen Atem an meinen Lippen spüren - ebenso wie das Verlangen, die seinen zu berühren. Benommen von der Anziehung dieses Augenblicks, schloss auch ich die Augen und kam ihm ein Stück näher.

Dann spürte ich, wie er einen Arm um meine Taille legte und tief einatmete. Ich war ihm dankbar, dass er uns Zeit ließ. Er bewegte sich nur minimal, strich mit seiner anderen Hand über meine Wange und senkte seine Lippen an diese Stelle. Ich erschauderte unter seinen Berührungen. Es fühlte sich so wahnsinnig gut an.

Da ich keinen Widerstand leistete, machte er weiter. Matthew liebkoste meinen Hals, meinen Nacken und strich immer wider mit seinen Lippen über meine Haut. Dabei hielt ich überrascht den Atem an und seufzte wohlig, als seine Hände sich in meine Haare gruben.

Wie lange war es her, dass ein Mann mich so berührt hatte? Oder hatte Jason mich je so berührt?

Erschrocken wich ich zurück, als Matthew Lippen im Begriff waren, die meinen nun doch zu berühren. Jason! Oh mein Gott! Ihn hatte ich ja vollkommen vergessen.

Wie konnte ich bloß nach so kurzer Zeit einem anderen Mann so nahe kommen, wo wir uns doch erst vor ein paar Wochen getrennt hatten. Das war nicht richtig. Es fühlte sich an, als würde ich ihn hintergehen.

"Es...es tut mir leid", stammelte ich aufgewühlt. Matthew sah mich verdattert an, während ich aufsprang und wie eine Verrückte hin und her lief. Dabei murmelte ich vollkommen überfordert vor mich hin:" Was bin ich nur für ein Mensch..Ich hätte nicht...Das hätte...nicht. Oh mein Gott!"

"Lyla, was ist mit dir?", erklang Matthew besorgte Stimme am Rande meiner Wahrnehmung. "Hab ich etwas falsch gemacht? Ging es dir zu schnell? Du weißt, ich lasse dir Zeit" Unsicherheit war in seiner Stimme zu hören. Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit.

Er konnte doch nichts dafür, dass ich immer noch Gefühle für Jason hegte. Und er konnte auch nichts dafür, dass ich ihn abgewiesen hatte. Er war eigentlich nur daran Schuld, dass ich jetzt dieses Leben lebte. Jason hätte ich so oder so verloren.

Seufzend drehte ich mich um und blickte Matthew, der nun ebenfalls aufgestanden war, schuldbewusst entgegen. "Nein", seufzte ich ergeben. "Das ist es nicht" Wie sollte ich ihm das bloß erklären? Er würde mich sicherlich für verrückt erklären.

Mein Begleiter zog die dichten Augenbrauen zusammen und sah mich nachdenklich an. "Was ist es dann, Lyla?" Seine Ungeduld war kaum zu überhören. Erneut stöhnte ich auf. Das war doch nicht zu fassen. Wieso konnte ich nicht einfach ehrlich sein? Als ich stumm blieb, kam Matthew langsam auf mich zu, griff nach meinen Händen und nahm sie in seine. Dann blickte er mir tief in die Augen.

"Lyla", begann er sachte. "Du kannst mir vertrauen. Ich bin für dich da. Ganz gleich, was dich bedrückt. Ich möchte doch nur, dass es dir gut geht. Verstehst du?" Ich nickte artig. Seine Worte klangen einfach zu schön, um wahr zu sein. Aber ich konnte ihm nicht vertrauen - noch nicht.

"Ich würde gerne zurück reiten", gab ich leise von mir.

Er zuckte zurück. Mir schien, als hätte es ihn getroffen, dass ich mich ihm nicht öffnete. Doch eines musste er wissen: Ich würde vielleicht eines Tages seine Frau werden, aber das hieß noch lange nicht, dass er alles über mich wissen musste.

Vor allem die Sache mit Jason nicht. Das blieb mein Geheimnis.

"Wie du wünschst", meinte meinen Gegenüber völlig neutral, wandte sich von mir ab und holte unsere Pferde. Danach ritten wir schweigsam zum Schloss zurück.

Als wir die Pferde einem Stallburschen übergaben, versuchte ich noch einmal mit Matthew zu reden. Ihm zu gestehen, dass ihn mochte, aber noch nicht so weit war, mein Herz für einen anderen Mann zu öffnen. Doch ehe ich ihn erreichen konnte, eilte er auch schon ohne eines weitere Blickes auf mich ins Schloss zurück.

Mir sank der Mut.

Gerade eben hatten wir uns doch gut verstanden. Wir waren im Stande gewesen, uns näher zu kommen und besser kennenzulernen, aber dann, dann hatte ich alles ruiniert. Wäre dies doch bloß nicht geschehen.

Vertieft in meinen Gedanken ließ ich mich von den Bediensteten zurück in meine Gemächer begleiten, in denen ich den Rest des Abends zur Ruhe kam. Nicht einmal das Festmahl, welches zu Ehren von Mirandas Geburtstag gegeben wurde, konnte mich aus dem Zimmer locken.

Ich brauchte nun einfach etwas Ruhe.

Louise, das Hausmädchen, hatte mir freundlicherweise etwas Essen beiseite gestellt und mir vorhin ein Tablett vorbei gebracht. Als der Geruch von frischem Fleisch in die Nase stieg, kam es dann doch über mich. Ich aß schweigsam und völlig allein in meinen Gemächern zu Abend, während meine Gedanken bei Jason verweilten.

Wie sehr ich ihn vermisste. Mir fehlte seine gute Laune, seine anzüglichen Sprüche und sein Freigeist. Auch seine zärtlichen Berührungen fehlten mir unheimlich. Am liebsten würde ich mich in seine starken Arme werfen, ihn mit meinen Armen umklammern und nie wieder loslassen. Er sollte mir sagen, wie sehr er mich liebte. Mir dabei in die Augen sehen und mir direkt in meine Seele blicken. Ich wollte ihm durch sein braunes, zerzaustes Harr streichen und ihm spielerisch auf die Nasenspitze küssen.

Doch das Alles würde nie wieder geschehen. Wahrscheinlich würde ich Jason auch nie wieder zu Gesicht bekommen. Mir war es schleierhaft, ob der König von Bredinia persönlich mit dem Herzog aus Rumina verkehrte.

Und vielleicht wollte ich Jason auch gar nicht wieder sehen - glücklich verheiratet mit einer anderen Frau, die womöglich sogar ein Kind von ihm erwartete.

Irgendwann hielt ich die Sehnsucht nach ihm nicht mehr aus und mir kam die Idee, ihm einfach einen Brief zu schreiben. Ich musste wissen, wie es ihm in den letzte Tagen und Wochen ergangen war. Das war von äußerst wichtiger Bedeutung für mich.

Nur wage blieb die Hoffnung in mir zurück, dass auch ich ihm fehlte.

Als ich an dem Tisch platz nahm, in den Schubladen nach Papier und Feder suchte, überlegte ich, was und wie ich ihm schreiben konnte.

Schließlich konnte man nie so genau wissen, wer meinen Brief in die Hände bekam. Und sollte Matthew ihn lesen, würde es für mich bestimmt Konsequenzen haben.

Nachdem ich die Feder in die Tinte führte, sie abstrich und wieder herauszog. Setzte ich vorsichtig auf dem Papier an und begann wie von selbst ein paar Worte zu verfassen.

Geliebter Jason,

ich vermisse Dich schrecklich.
Verzeih mir , dass ich Dir nicht eher geschrieben habe. Ich wusste einfach nicht, wie ich Dir das alles ohne Missverständnisse erklären sollte.
Nun, da ich mich endlich eingelebt habe und weiß, was ich Dir mit diesem Brief mitteilen möchte, kann ich es aufschreiben und hoffen, dass es Dich erreicht.
Du fehlst mir so sehr. Ebenso unsere Ausflüge, unsere Zweisamkeit und unsere gemeinsame Vorstellung, all das zu tun, wovon wir schon immer geträumt haben.
Auch wenn Matthew  gut zu mir ist, wird er Dich niemals ersetzen können, denn meine Gefühle für Dich sind einfach zu stark.
Wenn es Gottes Wille ist, dann werden wir uns eines Tages wieder begegnen.

In Liebe

Lyla


Eine Träne rollte mir über die Wange, als ich den Brief mit etwas Kerzenwachs und einem Siegel verschloss. Morgen würde ich eines der Mädchen anweisen, diesen Brief mit einem Boten nach Rumina zu schicken, in der Hoffnung, er würde seinen rechtmäßigen Weg finden.

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