Langeweile
Lyla
"Mir ist langweilig", jammerte ich und ließ mich auf das Sofa gegenüber von Jason plumpsen. So hatte ich mir meinen Neuanfang nicht vorgestellt. "Ich möchte nicht einfach untätig hier rumsitzen, Jason. Ich möchte mehr als das Innere deines Schlosses sehen. Versteh das doch" Ich zog einen Schmollmund.
Darauf verdrehte Jason die Augen und seufzte tief. Er wirkte wahnsinnig ernst und grüblerisch, als ob ein Krieg ausbrechen würde, wenn ich die Schlossmauern für ein paar Stunden verließe.
"Lyla, so versteh doch...", setzte er erneut seine Predigt an. Schon am gestrigen Tag und am Tag davor hatte er mir eingeredet, es sei zu gefährlich, mich allzu weit vom Schloss zu entfernen. Auf meine Frage, warum er dieser Ansicht war, gab es nur eine murmelnde Begründung und ein herrisches "Nein". Würde ich nicht auf Jasons Hilfe angewiesen sein, wäre ich auch ohne seine Erlaubnis gegangen, aber ich war hier völlig allein.
Eine Fremde in einem fremden Land. Zuvor hatte ich Rumina nur von einer Weltkarte aus betrachten können und nun war ich wahrhaftig hier - in Aya, der Hauptstadt. Doch ich durfte sie nicht einmal richtig kennenlernen, anderen Menschen begegnen und neue Orte entdecken.
Nein, ich saß sowie auch zuvor in Bredinia, in einem Schloss mit mindestens tausend Wachen fest. Ein wirklich schönes Leben.
"Du hast selbst gesagt, ich sei ein Freigeist, Jason. Also bitte, halt mich hier nicht fest, sondern lass mir meinen Freiraum", entgegnete ich ernst und setzte mich aufrecht hin.
Er ließ sich mir gegenüber auf einen gepolterten Stuhl nieder und seufzte schwer. Erschöpft sah er mich mit seinen dunkelgrünen Augen an und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Mir schien es so, als würden ihm seine nächsten Worte sehr schwer fallen. "Lyla, ich bin doch nur besorgt um dich. Versteh doch, dass Bredinia und Rumina sich auf keinem guten Zweig stehen. Du wirst hier am Hofe zwar toleriert, weil du angeblich meine Cousine bist, aber dort draußen kann ich nicht auf dich achten. Wenn die falschen Menschen erfahren, dass du aus Bredinia bist, kann es dich in Schwierigkeiten bringen"
Er machte eine Pause und sah mir entgegen. Natürlich hatte er recht, was diese verzwickte Situation betraf, aber es war nun einmal nicht so, dass ich dem Tode geweiht sein würde, wenn jemand erfuhr, dass ich aus Bredina stammte. Zumal es auf den ersten Blick auch nicht zu erkennen war.
"Aber...", setzte ich schon aufgebracht zu einem Widerwort an, als Jason eine Hand hob und mich sofort unterbrach. Ich stöhnte. Ließ ich mich denn immer nur von anderen leiten?
"Ich war noch nicht am Ende, Lyla", sagte er versöhnlich und lächelte leicht. Kleine Fältchen umspielten seine Mundwinkeln und es erwärmte mein Herz augenblicklich. Jasons Lächeln war einzigartig und ansteckend. Auch auf meine Lippen schlich sich ein Lächeln, in der Hoffnung, es würde etwas Schönes kommen. Etwas, mit dem ich leben könnte.
"Also heute Abend findet hier auf dem Festplatz ein Spektakel mit allerlei Belustigungen statt. Vielleicht möchtest du es mit mir gemeinsam besuchen. Wäre das ein Kompromiss?", schlug er vor und rückte näher an mich heran, um meine Hand zu nehmen.
Unter der Berührung schauderte ich leicht. Seine Finger waren warm und kräftig und umschlossen die meinen gänzlich. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich zuerst auf unsere Hände, dann wieder in seine Augen, die beinahe flehend zu mir herab sahen.
Es war ein Kompromiss, das musste ich zugeben. Und auch wenn ich mehr wollte, als ein Spektakel am Hof beizuwohnen, so wusste ich, dass es für Erste das Beste war, nachzugeben und dem Vorschlag zuzustimmen.
Ich seufzte, verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen und nickte. "Ja. Ich würde gerne mit dir zum Fest gehen, aber nur unter einer Bedingung" Ich lächelte aufgeregt, während Jason schmunzelte. "Die wäre?"
"Ich entscheide, welche Attraktionen wir uns ansehen" Mein Gegenüber lachte. "Abgemacht" Dann standen wir auf und Jason zog mich in seine Arme.
Sehnsüchtig nach seiner Nähe schlang ich die Arme fest um seinen Körper und legte meinen Kopf an seine Brust. Wie sehr ich ihn doch über all die Zeit vermisst hatte. Kaum auszudenken, wie lange wir uns nicht gesehen hätten, wäre ich Matthews Frau geworden.
Doch jetzt, jetzt hatte ich meinen besten Freund wieder. Einen Mann, mit dem ich all meine Geheimnisse teilen konnte. Einer, der wusste, wie man mich behandelte und Zeit mit mir verbrachte, wenn ich es am meisten brauchte. Und ich brauchte Jason - mehr als jemals zuvor.
Irgendwo über meinem Ohr nuschelte Jason in mein Haar:" Ich bin so froh, dass du bei mir bist" Glücklich schloss ich die Augen und nickte an seiner Brust. Ich war auch froh hier zu sein - sehr sogar. Ich atmete seinen vertrauten Duft ein und lächelte abermals, ehe ich mich von ihm löste, zwinkerte und sagte:" Dann werde ich mich mal zurecht machen für heute Abend"
Verschwörerisch sah ich Jason in die Augen, strich über seine Brust und grinste breit. Mir war bewusst, dass ich ihm bloß ein wenig aufziehen wollte, doch in der Geste steckte so viel mehr - unzwar pure Sehnsucht.
Sehnsucht nach mehr als nur einer Umarmung. Es ging um so viel mehr. Mein Verlangen nach dessen Befriedigung war grenzenlos. Matthew hatte schon die ein oder andere Lust in mir hervorgerufen, aber Jason. Mit Jason war es früher - als ich noch auf dem Land gelebt habe - immer recht zaghaft von Statten gegangen. Nun aber, von der Lust gekostet, wollte ich mehr.
Doch ich wusste, dass ich als Adelige einen Ruf zu verlieren hatte. Ich durfte nicht zu leichtsinnig sein und musste mich hüten vor Getratsche, das mein Leben stark beeinflussen könnte.
Dennoch schien ich nicht allein in meinen Empfindungen zu sein. Jasons Blick wurde feurig. Er leckte sich über die Lippen und grinste zurück, ehe er gequält stöhnte:" Du machst mich noch verrückt, Lyla"
Ich lachte. "Das ist der Plan" Schmunzelnd schüttelte er den Kopf, während ich mich abwandte, um den Raum zu verlassen. Schließlich wollte ich nicht in Versuchung kommen.
"Bis heute Abend", säuselte ich noch, bis ich den Raum verließ und tief durchatmen konnte. Jasons verlangender Blick blieb mir jedoch im Gedächtnis.
Lächelnd eilte ich in meine Gemächer und ließ eine Bedienstete rufen, um mich für das Fest umzukleiden. Ein Glück, dass es im Schloss eine große Auswahl an Kleidern gab, sodass ich das passende wählen konnte.
Zayda entkleidete mich, um mir gleich darauf ein wunderschönen, rotes Kleid überzustreifen. Es wurde in einem dunklen Rot gehalten - beinahe so wie der Wein, den ich am Vorabend getrunken hatte - und an den Ärmeln bestand es nur aus einem Hauch von Spitze, ebenso wie ein Teil meines Dekolletees. Es sah gleichzeitig unschuldig und aufreizend aus. Perfekt!
Dann legte mir die Zofe noch eine goldene Halskette um, steckte mir kleine Ohrringe an und reichte mir zwei Ringe, die ich dann auf meine Finger schob. In passende Schuhe schlüpfte ich auch und kaum hatte ich mich versehen, entstammte ich eine Ahnenreihe von Hochgeborenen.
"Oh, es ist wunderschön", hauchte ich, als ich mein Spiegelbild so ansah. Zayda nickte strahlend. "Ihr seht bezaubernd aus, Mylady. Der Herzog wird begeistert sein", meinte sie ehrlich und knickste leicht. Ich wandte mich lächelnd zu ihr um. "Das habe ich dir zu verdanken, Zayda"
Das junge Mädchen errötete und senkte verlegen den Blick, was mich breiter Lächeln ließ. Sie war so ein liebes Mädchen. Jemanden zum Gernhaben.
"Das wäre dann alles. Dankeschön", sagte ich freundlich, woraufhin sie noch einmal knickste und dann meine Gemächer verließ.
Ein letzter Blick in den Spiegel und es konnte losgehen.
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