Im Schatten der Bäume


Lyla

Nach der ärztlichen Untersuchung, die anscheinend zu Auroras Zufriedenheit verlaufen war, brachte man mich zurück in meine Gemächer.

Innerlich freute ich mich schon auf ein paar Stunden Ruhe. In diesem Schloss war man nur sehr selten allein und manchmal war ich eben gern allein. Dann hatte ich Zeit für mich, konnte meinen Gedanken freien Lauf lassen und für einen Moment in eine andere Welt abtauchen - nämlich in meine eigene!

In die Welt, in der nichts unmöglich war. Ich würde dort nicht in diesem Schloss festsitzen, sondern mit meinem Eltern ein hübsches Haus am Waldrand beziehen. In meiner Welt würde Jason an meiner Seite sein, mich umarmen und küssen - beinahe so wie früher. Doch auch er wäre nur ein ganz normaler Mensch - kein Herzog von einem anderen Land und schon gar nicht mit einer Fremden verlobt.

Als mir jedoch die Tür zu meinem Gemach geöffnet wurde, erblickte ich Matthew an meinem Fenstersims lehnen. Er hatte mir den Rücken zugewandt, sodass ich nur von hinten mustern konnte. Er trug wie gewohnt dunkle Kleidung, die im Kontrast zu seinen dunkelblonden Haare ganz hervorragend zu ihm passte.

Die Tür wurde hinter mir geschlossen und wir blieben allein zurück. Ein wenig verwirrt über sein unangekündigtes Erscheinen blieb ich unsicher im Raum stehen. Ein König durfte sich wohl alles erlauben, auch in das Gemach von einer Frau zu platzen. 

Schweigend trat ich an ihn heran, stellte mich neben ihn und erhaschte ebenfalls einen Blick aus dem Fenster. Mir entging dabei nicht, wie er mich von der Seite anstarrte. Er sollte ruhig den Anfang machen.

Ein selbstsicheres Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Dann entdeckte ich im Hof zwei Pferde. Einen Rappen und einen Schimmel in voller Montur, jedoch ohne Reiter. Daneben entdeckte ich weitere Pferde mit einigen Wachen und ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte.

"Wie ich hörte, ist deine Untersuchung gut verlaufen", merkte Matthew an und brach somit die Stille im Raum. Ich wandte mich ihm zu und schaute etwas verblüfft, ehe ich mir wieder bewusst machte, dass es nicht angemessen war. Diese dummen Benimmregeln - ich hasste sie. 

Natürlich wusste er bescheid darüber, was ich tat oder nicht tat. Er bekam alles mit, ohne überhaupt dabei gewesen zu sein. Wahrscheinlich erkundigte er sich regelmäßig nach meiner Entwicklung, um abzuwägen, ob ich auch gut genug sei.

Ich schnaubte verärgert. Schließlich hatte er mich doch erwählt und nicht ich ihn. Ich hatte dieses Leben doch niemals gewollt. Der Grund für mein Bleiben war einzig und allein meine Familie. Damit sie im Wohlstand leben konnten.

"Bist du nur deswegen her gekommen?" Meine Stimme klang gepresst, obwohl ich versuchte höflich zu bleiben. Matthew zog nur verblüfft eine Augenbraue in die Höhe, antwortete aber nur mit einem Kopfschütteln. "Weshalb dann?", hakte ich nach. Misstrauisch beäugte ich ihn.

Er konnte doch nicht einfach ohne Grund in meine Gemächer eintreten, aus dem Fenster starren und klar stellen, dass ich hier kein eigenes Leben mehr hatte.

Lächelnd strich er sich durch sein lockiges Haar, welches im widerspenstig in die Stirn hing. Seine blauen Augen strahlten mich freudig an und er schien vollkommen entspannt zu sein. Es erinnerte mich an den Nachmittag, den wir gemeinsam am See verbracht hatten.

Er war so sorglos und normal gewesen. Diese Seite mochte ich an ihm. 

"Eigentlich wollte ich einen Ausritt antreten. Draußen ist es wirklich herrlich. Doch da du anscheinend nicht gut auf mich zu sprechen bist, frage ich dich lieber nicht, ob du mich begleitest" Empört holte ich Luft. Seine Grinsen wurde breiter. 

Matthew besaß auch noch die Frechheit, sich über mich zu amüsieren. Das war ja wohl die Höhe! Wütend funkelte ich ihn an, während er leise kicherte und sich vom Fenster abwandte.

Es schien mir, als wolle er einfach so verschwinden - ohne mich!

"He", rief ich ihm hinterher. "Du kannst mich nicht einfach so hier stehen lassen" 

Matthew drehte sich zu mir herum und lächelte mich herausfordernd an. Er spielte mit mir, das gefiel mir ganz und gar nicht. "Ich darf alles. Ich bin der König, schon vergessen." Er zwinkerte mir zu und ich holte tief Luft, ehe ich ihn am Ende noch anfiel, um ihm das blöde Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen.

"Nein", seufzte ich ergeben. "Das habe ich nicht vergessen" Seine Miene änderte sich, sein Lächeln wurde schwächer. Es schien mir, als würde er verstehen, dass er sich unpassend verhalten hatte. Nur allzu deutlich ist die Aussage, dass er ein König war und ich nur seine Untertanin. Vorerst.

"Verzeih", kam es verlegen von ihm. Er strich sich erneut durch das Haar und seufzte. "So war das nicht gemeint" "Schon gut", erwiderte ich. 

Mir war unser Rangunterschied nur deutlich bewusst. Natürlich wusste ich, wo ich stand, aber er wusste auch, dass ich bald höher stehen werde, wenn er mich dann doch noch zur Frau nehmen wollte.

"Also", begann er wieder mit mehr Enthusiasmus und streckte eine Hand nach mir aus. "Begleitest du mich?" Alles in mir schrie mich an, zu verneinen, weil er meinen Stolz soeben mehrfach verletzt hatte. Doch ich nahm seine Hand entgegen, lächelte und folgte ihm zu den Pferden.

Eine Auszeit würde mir sehr gut tun und dafür eignete sich ein Ausritt ganz hervorragend. Auf dem Rücken eines Pferdes konnte man sich einfach nur wohlfühlen. Man spürte die volle Kraft  des Tieres, während es den Weg in einem gleichmäßigen Galopp vorwärts bewegte. Mir kam es dann immer so vor, als würde ich fliegen. Vor allem, wenn der Wind mir entgegen peitschte und mir die Haare zerzauste.

Heute jedoch passierte nichts dergleichen. Lenas Frisur hielt jeder Wehe stand, als Obsidian mich durch die Wiesen trug. Er war ein atemberaubend schönes Tier.

Ein Fell so weiß wie Schnee, Augen so blau wie das Meer und einen Körper so stark wie Stein. Mir gefiel seine Ausstrahlung von Stärke und seine Anmut beim Laufen. Da fühlte ich mich umso wohler auf seinem Rücken.

Auch Matthews Pferd Mystery strahlte in voller Pracht. Ein Rappen so schwarz wie die dunkelste Nacht. Anmutig, schön und willensstark. Anfänglich wehrte er sich merklich gegen Matthew, er buckelte und stieg. Erst als Matthew in voran trieb, wurde er ruhiger und ließ zu, dass jemand anderes die Führung übernahm.

"Er ist ein wenig temperamentvoll", hatte Matthew gesagt, ehe er den Rappen in einen schnellen Galopp trieb. Daraufhin hatte ich nur gelacht und mein Pferd hinterher gescheucht.

Das Temperament des Pferdes war gigantisch, doch das machte es nur noch schöner.

Eine Weile ritten wir schweigsam durch die Wiesen und Felder. Dabei genoss ich dieses kleine Gefühl von Freiheit. Der Wind wehte nur leicht und zog nicht sonderlich fest an meiner Kleidung, sodass ich auch ohne Umhang nicht fror. Matthew hatte recht gehabt, das Wetter war herrlich. Warm, trocken und hell.

Auf unserem Weg begegneten wir kaum einer Menschenseele, aber einigen Wildtieren hin und wieder. Rehe, die über die Felder liefen. Hasen die aus dem Unterholz kamen und Vögel, die um uns herum sangen.

Wären die Wachen nicht gewesen, hätte ich denken können, ich wäre in meiner Traumwelt gelandet. Alles hier schien so friedlich und vollkommen. Es scherrte niemanden, wie ich mich verhielt. Niemand betrachtete mich von oben bis unten und mäkelte an mir herum.

"Es ist wunderschön, nicht wahr?", erklang Matthews Stimme plötzlich neben mir. Ich fuhr erschrocken zusammen. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass er sich neben mir gesellt hatte. "So schreckhaft, Mylady?", spottete er. Ich verdrehte die Augen. "Ich habe einfach nur die Zeit genossen" Matthew lächelte.

"Ja. Das sieht man dir an." Dann wandte er sich ab und zeigte auf eine Reihe voller Bäume. "Dort vorn werden wir rasten. Ich habe uns einen Korb machen lassen." 

Überrascht hob ich den Blick. Einen Korb? Für uns? Er hatte vorhin doch noch nicht einmal wissen können, dass ich ihn begleiten würde. War er sich seiner etwa so sicher?

Als er meinen Blick erwiderte, grinste er vielsagend. "Ich dachte mir, dir könnte ein wenig Abstand nicht schaden", beantwortete er mir die unausgesprochene Frage. Verrückt, ging es mir durch den Kopf.

Sein Verhalten mir gegenüber war also doch nicht gleich fordernd. Das beruhigte mich.

"Danke", kam es zögernd von mir. Also wollte Matthew das es mir gut ging und ich mich wohl fühlte, auch wenn eine große Aufgabe mich belastete. Es zeigte mir, sein gutes Herz.

"Keine Ursache", gab er schulterzuckend zurück. "Aber jetzt ist Schluss damit. Wettrennen?" Ich erkannte seine Siegessicherheit in seinen Augen und trieb mein Pferd mit einem lauten Ruf voran - ohne ihm zu antworten.

Protest erklang, als er versuchte mich einzuholen. Was er konnte, konnte ich schon lange.

"Los, Obsidian", sprach ich meinem Pferd Mut zu und gab ihm abermals die Schenkel. Er würde auch dieses Mal verlieren - da war ich mir sicher.

Noch wenige Schritte und wir würden den Waldrand erreichen. Ich lachte. Als ich ich mich jedoch umdrehte, um Matthew siegessicher anzustrahlen, verging mir das Lachen mit einem Mal. Mein Begleiter war nicht wie zu erwarten hinter mir, sondern direkt neben mir.

Er preschte mit seinem Rappen voran und schien im Begriff dazu, mich einzuholen und sich den Sieg zu holen. Das konnte doch nicht sein. Obsidian und ich hatten einen deutlichen Vorsprung gehabt und waren mindestens ebenso schnell wie Matthew auf Mystery.

Ich trieb mein Pferd voran, sah den Waldrand und hörte eine Stimme laut jubeln, ehe wir in einen leichten Trapp und danach in den Schritt fielen.

Ich führte Obsidian herum und sah zu Matthew herüber. Er streckte die Hand in die Luft und machte eine Siegesfaust. Dann lachte er, sprang vom Pferd und wandte sich mir zu.

Seine blauen Augen blitzten amüsiert auf, als er meinen Schmollmund bemerkte.

"Du kannst doch nicht immer gewinnen", tadelte er und machte Anstalten, mir vom Pferd herunter zu helfen. Ich wehrte seine Hände ab. "Ich kann das allein" Meine Stimme klang ein wenig gereizt. Eine gute Verliererin war ich noch nie gewesen.

Matthew lachte, lief herüber zu seinem Pferd, tätschelte seinen Hals und band die Zügel um einen dicken Ast. ich tat es ihm gleich und wandte mich den Wachen zu, die nun eintrafen und sich in naher Ferne positionierten.

"Lust auf ein Picknick?", fragte Matthew und präsentierte mir stolz den vollgepackten Korb. Auf den ersten Blick bekam ich Törtchen und Pralinen mit Schokolade überzogen zu sehen, was mich sofort in Versuchung brachte. Matthew, der meinen Blick gesehen haben musste, lächelte über meine Stummheit. "Das heißt dann wohl ja", schlussfolgerte er, stellte den Korb ins Gras und breitete eine Decke auf dem Boden aus.

"Nimm doch Platz", bot er mir höflich an und ließ sich neben mir nieder, griff in den Korb und reichte mir ein Törtchen, welches ich gierig entgegen nahm.

Sie machten einfach süchtig. So etwas Leckeres hatte ich lange nicht gekostet. Schon gar nicht in der Zeit vor meinem Leben auf dem Schloss.

"Die sind gut, nicht wahr?" Ich schmunzelte, als mein Blick auf Matthew fiel, der sich gierig die Finger leckte. Er lachte unbefangen. "Gut ist noch völlig untertrieben" Da musste ich ihm ausnahmsweise zustimmen. Sie waren hervorragend.

Nach einer Weile verging mir der Appetit und die Stille wurde mir von Minute zu Minute unangenehmer. Vor allem sein Blick machte mich zunehmend nervös. Mein Begleiter schien jeden noch so kleinen Fleck meines Körpers zu begutachten und wenn ich ihn bei seiner - nicht gerade unauffälligen Musterung - erwischte, grinste er nur wie ein kleiner Junge.

"Warum siehst du mich so an?", fragte ich ihn nach einem weiteren undeutbaren Blick ihm. Meine Augen waren geschlossen. Ich genoss die kühle Luft im Schatten der Bäume und die friedvolle Ruhe, die uns umgab. "Darf ich dich etwa nicht ansehen?", kam seinen Gegenfrage amüsiert.

Auch ohne die Augen zu öffnen, wusste ich, dass sein Lächeln anzüglich sein musste. Matthew hatte so eine amüsante, verspielte Art an sich. Er sah das Leben manchmal so leicht, obwohl es doch gar nicht der Wirklichkeit entsprach. Mir gefiel seine Haltung zum Guten. Das machte ihn zu einem fröhlichen Menschen, den man leicht mögen konnte. Anders als sein Vater.

Seufzend öffnete ich die Augen und begegnete wie erwarten seinem stechenden Blick. Wie es mir schien, saß er nun näher bei mir. Seine Hand kaum zwei Finger von meiner entfernt und sein Gesicht so nah, dass ich seinem Atem spüren konnte.

"Doch schon", kam es beschämt von mir. "Aber du siehst mich an, als wäre ich deine Beute, die du versuchst zu jagen" Der Vergleich passte in etwa auf unsere Situation. Matthew war der Jäger und ich das Reh, dass er erlegen wollte. In unserem Fall wollte er mich erobern und nicht töten.

Matthew lachte kurz auf und schüttelte den Kopf, sodass seine Locken um sein Gesicht flogen. "Du bist verrückt!", gab er von sich und griff nach meiner Hand. Augenblicklich zuckte ich zusammen und sah ihn verunsichert an. Er wurde ernst, als er sagte:" Du bist so viel mehr als das, Lyla" 

Hitze stieg mir in die Wangen. Verlegen schlug ich die Augenlider herunter und mied seinen glühenden Blick. Legte er mir etwa gerade offen, dass er mich mochte?

Natürlich mochte ich ihn auch, aber weiter hatte ich bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gedacht. Zögernd öffnete ich die Augen und stellte mich seinem Blick mit einer gewissen Neugierde.

"Und was bin ich für dich?", brachte ich mutig hervor. Ein Lächeln umspielte seine vollen Lippen, ehe er hauchte:" Meine Auserwählte"



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top