Es ist an der Zeit

Lyla

Am nächsten Morgen wurde ich recht unsanft geweckt, als der Hahn des Nachbarhofes krähte. Stöhnend zog ich die Decke über den Kopf. Noch ein paar Minuten und ich hätte das Ende des Traums noch erleben dürfen.

Jason und ich lagen gerade noch im taufeuchten Gras und beobachteten die aufgehende Sonne, als er mir näherkam und plötzlich alles vorbei war. Bei dem Gedanken an ihn seufzte ich und zog die Decke frustriert von meinem Körper. Es hatte ja alles keinen Sinn, ich musste aufstehen und meine Aufgaben erledigen.

In letzter Zeit versuchte ich mir jede Menge vorzunehmen, um nicht an Jason denken zu können. Er fehlte mir so unglaublich, dass es schmerzte. Deshalb ließ ich es gar nicht erst zu, dass ich an ihn dachte oder vor mich hin philosophierte, wie er auf seinem Pferd angeritten kam und mir sagte, er könne ohne mich nicht leben.

Dieser Gedanken war töricht. Jason Malek würde eine andere Frau heiraten und mit ihr glücklich werden. Da gab es keine Platz für mich - ein einfaches Mädchen vom Lande.

In meinem eingespielten Trott zog ich mir meine Arbeitskleidung an, band mir die Haare zu einem schnellen Zopf und ging nach unten in die Kochstube.

Am Tisch entdeckte ich im fahlen Licht einer Kerze meine Eltern sitzen. Sie sprachen so  leise miteinander, sodass ich kein Wort verstehen konnte. Vor ihnen lagen ein kleines Stück Brot und eine dünne Scheibe Käse.

Seit meinem Aufstand im Schloss hatten wir tatsächlich Vorräte an Lebensmitteln erhalten, die es uns ermöglichten regelmäßig Mahlzeiten einzunehmen. Es war zwar immer noch nicht besonders viel, um davon wirklich gesund zu leben, doch es war genug, um ein Sättigungsgefühl in unseren Mägen hervorzurufen.

Meine Eltern wurden auf mich aufmerksam, als ich am Tisch angelangte und sie begrüßte. "Guten Morgen", kam es von mir zögernd. Darauf folgte nur ein unverständiges Gemurmel. Leicht verunsichert darüber, was ihr Blick zu bedeuten hatte, setzte ich mich zu ihnen an den Tisch, griff nach dem Krug und füllte mir etwas Milch in meinen Becher. Dann nahm ich einen Schluck und hoffte, dass sie den Blick wieder von mir genommen hatte.

Doch als ich den Becher absetzte und zu ihnen herüber schielte gab ich die Hoffnung auf. Ich fragte mich natürlich, ob ich etwas getan hatte, was sie vielleicht nicht als gut erachteten.

Nach einer Weile des Schweigens fragte ich bedrückt:" Habe ich etwas verbrochen?" Mein Blick flog zu Mutter herüber, die sich räusperte und benommen den Kopf schüttelte. "Nein, mein Schatz", kam es beschwichtigend von Mutter. "Es betrifft dich nicht"

Erleichtert atmete ich auf. Die Frage jedoch, aus welchen Grund sie sich so merkwürdig verhielten, war damit noch nicht beantwortet. "Wen dann?", fragte ich verwirrt und griff nach Brot und Käse. Mein Magen grummelte.

Schon lange hatte ich morgens nichts mehr zu mir genommen und doch war es ungewohnt, dass mein Magen Geräusche von sich gab. Vielleicht hatte ich es einfach nur unterdrückt...

"Das ganze Volk, aber ganz im besonderen die königliche Familie", erklärte mein Vater, während ich mich n meinem ersten Bissen verschluckte und heftig zu husten begann. "Die königliche Familie?", entfuhr es mir röchelnd. Was konnte wohl Bedeutendes geschehen sein, dass es uns alle betraf. Etwas Gutes wohl kaum, sonst würden meine Eltern nicht so ein Gesicht machen, ging es mir durch den Kopf.

Vater nickte. Dann zogen sich seine dunklen Augenbrauen zusammen und er strich sich nachdenklich durch den Bart. Er wirkte sehr erschöpft. "Dem alten Greis ging es an den Kragen" Mir war schleierhaft, ob es ihn freute oder nicht, denn sein Ton war ernst und sein Blick starr auf den Tisch gerichtet.

Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch.

"Du meinst der König ist tot?" Die freudige Überraschung war in meinen Worten kaum zu überhören - und das wollte ich auch gar nicht.

Dem alten Griesgram geschah das ganz recht. Schon längst hätte er von Gott bestraft werden sollen. Endlich wurden meine Gebete erhört und ich musste ihm nie wieder gegenüber treten. Dieser Tag würde der schönste Tag meines Lebens werden, wer hätte das gedacht.

"Kind, hör auf zu lächeln als wärst du vom Teufel besessen", fuhr Mutter mich an. "Entschuldige, Mutter", log ich und versuchte, das Grinsen hinter einer bekümmerten Miene zu verstecken. Natürlich warf dieses Ereignis fragen auf: Wie war er gestorben? Wer hatte ihn vielleicht sogar ermordet? Gab es eine öffentliche Versammlung, auf der wir feiern durften?

"Was geschieht denn nun?", fragte eine Stimme hinter meinem Rücken. Ruckartig drehten wir uns herum, entdeckten Liv, wie sie nur in einem weißen Nachthemd bekleidet und mit zerzaustem blonden Haar auf der Treppe saß und augenscheinlich gelauscht hatte.

"Himmel! Olivia, du kannst dich doch nicht einfach so an uns heranschleichen", entfuhr es Mutter erschrocken, während sie die Hand auf die Brust legte, um ihr Herz zu beruhigen. Auch Vater schien leicht erschrocken, dennoch erwiderte er nichts.

"Komm her, Liv", forderte ich sie winkend auf. Sie nickte schüchtern, entschuldigte sich bei unserer Mutter für ihr Verhalten und nahm neben mir platz. Ich reichte ihr meine Hand, die sie sofort umklammert und mir dankend zulächelte.

Meine Schwester war so unschuldig und rein. Sie hatte ein besseres Leben als diese verdient und vielleicht konnten wir es ihr nun bieten. "Es wird alles besser werden, Olivia", versprach ich ihr hoffnungsvoll und drückte ihr Hand. Jetzt, wo der König nicht mehr unter den Lebenden weilte, gab es Hoffnung, möge sie auch noch so klein sein. Der Prinz würde uns in ein Leben zurückholen, von welchem wir immer geträumt hatten. Da war ich mir sicher. Denn in seinen Augen konnte ich sehen, wie viel Leid es ihn kostete, die Menschen in solch schlechten Zustand zu sehen.

Gespannt starrten wir alle zu Vater, der endlich weitererzählen sollte, bevor ich vor Neugier noch platzte. "Nun", begann er und räusperte sich, "Im Dorf heißt es, er sei eines natürlichen Todes gestorben. Und sein Sohn Matthew hätte eine Ansprache gehalten, in der er dem Volk seine Treue gelobt hätte. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber wir sollten Vorsicht walten lassen."

Bei seinen Worten dachte ich an den Mann zurück, den ich nun schon ein paar Mal zu Gesicht bekommen hatte - ganz zufällig und ohne Zwang. Ein Mann mit einem eigenen Willen, einer kindlich verspielten Seite und einem guten Herzen. Ich erinnerte mich, wie er sich für mich - für das Volk - sogar gegen seinen Vater gestellt hatte.

"Er wird seinem Versprechen gerecht werden", fügte ich laut hinzu. Vater wandte sich mir zu und zog ungläubig eine Braue hoch. "Was macht dich da so sicher?", fragte er. So sicher, dass ich mein Leben darauf verwetten würde, war es natürlich nicht. Doch etwas in seiner Ausstrahlung brachte mich dazu, zu glauben, dass es uns besser ergehen würde.

"Vertrau mir einfach", erwiderte ich zuversichtlich. "Es ist an der Zeit, dass sich die Welt endlich verändern. Er ist erst der Anfang, Vater"



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