Ausreden

Lyla

"Nur parieren, Mary" Ich zügelte mich. "Etwas langsamer. Die Spitze des Schwertes etwas höher halten und dann vorstoßen!", wies Zora an. Sie stand mir gegenüber und verbesserte meine Haltung stetig. Es war aber auch gar nicht so einfach, wie es anfänglich ausgesehen hatte. Das Schwert, welches sie mir in die Hand gedrückt hatte, wog schwer in meiner Hand, ebenso wir der Schild in der anderen Hand.

Dabei die Balance zu halten, stellte sich als schwieriger raus wie gedacht. Der Körper musste eine gewisse Spannung haben. Das vermeintlich schwache Bein, also in meinem Fall das linke, stand etwas weiter vor. Das Standbein, welches der Festigung des Standes diente, war etwas nach hinten gerückt.

Nachdem ich die richtige Position eingenommen hatte, hatte ich ein Schwert in die rechte und einen Schild in die linke Hand gedrückt bekommen. Doch mit dem Gewicht des Schildes hatte ich keinesfalls gerechnet, sodass ich prompt das Gleichgewicht verloren und zur Seite gekippt war.

Bei dieser Aktion hatte Mistress Roydon nur den Kopf schütteln können. Sie hielt mich für ungeschickt - das sah ich ihr an. Es verschaffte mir aber auch Antrieb, ihr zu beweisen, dass ich es besser machen konnte.

"Halte beide Hände auf der gleichen Höhe", riet sie mir beim weiteren Betrachten meiner Bewegungen. Ich folgte ihren Anweisungen unsicher.

Niemals hätte ich gedacht, dass der erste Schritt so schwierig für jemanden wie mich sein würde. Schließlich konnte ich gut mit Pfeil und Bogen umgehen und hatte schon des Öfteren Kaninchen und sogar ein Reh geschossen. Aber der Umgang mit einem Schwert schien etwas ganz anderes zu sein, wie mir soeben bewusst gemacht wurde.

Nach einigen weiteren Anläufen, fand ich schlussendlich die richtige Balance und führte die Hiebe zu meiner und Zoras Zufriedenheit aus. Das machte mich ein wenig stolz. Denn wenn sie mir weiter Stunden geben würde, konnte ich meine Technik verfeinern und bestimmt in Zukunft so kämpfen wie sie. Der Anfang versprach schon etwas Vielversprechendes.

Und Mistress Roydon schien mir eine gute Lehrerin zu sein. Sie korrigierte meine Haltung, wo sie nur konnte. Lobte mich, wenn ich etwas gut machte und gab mir Ratschläge, wie ich es in Zukunft besser machen konnte.

in vielen Dingen half mir ihr Zusprechen auf jeden Fall weiter.

"Nun gut. Wir sollten es für heute gut sein lassen", beendete sie meine Stunde, kam mit langen Schritten auf mich zu, nahm mir Schild und Schwert aus der Hand und führte mich zu einem Hocker an der Bar.

Es war eine Holztheke, wie man sie aus den Kneipen kannte. Im hinteren Teil des Raumes standen auch noch kleine Tische mit einigen Bänken. An der Theke selbst waren Hocker aufgestellt. 

Mistress Roydon trat hinter die Theke, goss uns beiden etwas Wasser in den Becher und deutete auf den Platz vor der Theke. Ich setzte mich schnaufend. 

"Das war wirklich gut, Mary", lobte sie mich und nahm einen großen Schluck aus ihrem Becher. Ich tat es ihr gleich und genoss das kühle Nass, wie es meinen Hals hinunter lief und meinen Durst löschte. "Wenn wir jeden Tag eine Stunde trainieren, wirst du schon bald die Kunst des Schwertkampfes beherrschen."

Ich lächelte. "Das heißt, du nimmst mich auf?" Natürlich wollte ich auf Nummer sicher gehen. Sie nickte lachend und strich sich eine rote Haarsträhne zurück. "Aber natürlich gegen eine faire Bezahlung" Mein Grinsen wurde breiter, dann nickte ich ernst.

Wir verhandelten eine fairen Preis aus, tranken unsere Becher leer und ich verabschiedete mich höflich von ihr, ehe ich den Heimweg antrat.

Ich ließ mir viel Zeit und dachte über die gelernten Dinge gründlich nach. Zudem musste ich mir überlegen, wie ich täglich das Schloss verlassen konnte, ohne dass mich jemand dabei erwischte. Da musste ich besonders geschickt vorgehen.

Ehe ich den Rückweg in meine Gemächer antreten konnte, wurde ich von einer Bediensteten benachrichtigt, dass der Herzog mich unbedingt im Musiksaal sprechen wollte. Da ich schlecht ablehnen konnte, machte ich mich auf den Weg dahin und versuchte vergeblich meine Kleider zu ordnen.

Am liebsten hätte ich vorher ein Bad genommen, da ich ganz verschwitzt war. Meine Kleidung klebte ebenso wie meine Haare an meiner feuchten Haut. Ich sah ziemlich verboten aus. Und ich konnte es leider nicht auf das Wetter schieben. Denn auch wenn es warm draußen war, war es nicht so warm, um so auszusehen.

Die passende Ausrede musste mir auf dem Weg zu Jason noch einfallen, auch wenn der Weg nicht mehr weit war. Vielleicht konnte ich ja sagen, dass ich im Garten mit den Hofdamen dieses neue Spiel ausprobiert hätte, bei dem man mit einem Schläger einen Ball durch kleine Öffnungen kicken musste.

Aber dann würde er womöglich Fragen stellen, auf die ich keine Antwort hätte, zum Beispiel: Mit wem ich meine Zeit verbracht hatte oder ob das Spiel mich begeisterte?

Und um ehrlich zu sein, kannte ich weder die Menschen hier, noch ihre Freizeitaktivitäten.

Dumme Idee!

Nun war es zu spät für weitere Ausreden, denn ich hatte die Tür erreicht, sie wurde mir geöffnet und ich trat zähneknirschend in den Raum ein.

Jason saß auf einem Sofa, welches mittig im Raum stand. Hinter ihm spielten einige Musikanten ein mir unbekanntes Lied. Es war sehr sanft und melodisch, beinahe lieblich. Ich lächelte. Meine verkrampften Muskeln schienen sich ein wenig zu entspannen. Es war herrlich.

Doch als Jason mich bemerkte, machte er eine einzige schnelle Handbewegung, sodass die Musikanten aufhörten zu spielen.

Als er sich erhob, um mir entgegen zu kommen, knickste ich leicht. Er sah großartig aus, eben so wie ein Mann von großer Bedeutung. Mein Lächeln wurde breiter, während er mich nachdenklich musterte.

"Lasst mich und meine Cousine bitte allein. Ich rufe, wenn ich etwas brauche", wies er an und Wachen sowie die Spieler verließen augenblicklich den Raum. Wir waren allein. Mein Lächeln erstarb, ehe Jason etwas sagte. Sein Blick sprach Bände. Seine sonst so klaren grünen Augen, waren beinahe schwarz und sein Blick schien mehr als nur ein wenig ernst zu sein.

Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe herum.

"Setzen wir uns doch", erklang seine Stimme tief. Unsicher nickte ich, kaum fähig etwas zu erwidern. Er verhielt sich merkwürdig.

"Also", krächzte ich. Gott, was war denn nun los? Ich räusperte mich und suchte nach mehr Mut in der Stimme. "Du hast nach mir rufen lassen?", fragte ich nachdem wir platz genommen hatten.

"Allerdings", bestätigte Jason und legte mir eine Hand an die Wange. Sein Blick war misstrauisch. "Ich wollte eigentlich darüber sprechen, dass ich dir gestatte, das Schloss, wann auch immer du es für nötig hältst zu verlassen" Überrascht hob ich die Augenbrauen. Er wollte mir meine Freiheit zurückgeben?

"Wirklich?", rief ich vor Freude. "Das sind ja tolle Neuigkeiten" Stürmisch umarmte ich meinen geliebten Freund und drückte ich ganz fest. Wie schön, dass er eingesehen hatte, dass es sinnlos war, mich hier festzuhalten.

"Das war aber noch nicht alles", hörte ich ihn ernst sagen. Verwirrt löste ich mich wieder von ihm. Dann sah ich fragend zu ihm herüber, wartete auf eine Ausführung.

Jason seufzte schwer, strich sich durch das braune Haar und sah mir danach tief in die Augen. Ich schluckte. "Mir ist zu Ohren gekommen, dass der König von Bredinia nach seiner Verlobten sucht. Sie sei angeblich bei einer Reise überfallen worden und seitdem habe niemand mehr etwas von ihr gehört oder gesehen"

Meine Augen wurden groß. "Bitte was?", platzte es aus mir fassungslos heraus.

Matthew war auf der Suche nach mir? Und er hatte eine Geschichte erfunden, um mich wiederzufinden? Das konnte doch wohl nicht wahr sein!

"Er hat eine sehr hohe Belohnung auf dich ausgeschrieben. Auch in Rumina hängen Steckbriefe mit deinem Gesicht aus", merkte er zerknirscht an.

"Verdammt!", rief ich hilflos aus. "Was machen wir denn jetzt?" Panik kroch in mir hoch. Was wenn mich jemand erkannte und Matthew bescheid wüsste? Was wenn er es schon wusste?

"Jason, ich muss fort!" Es war die einzige Lösung. Ich musste erneut untertauchen und eine andere Persönlichkeit annehmen, sodass er mich nicht finden würde.

Beruhigend strich Jason über meine Arme, als ich dabei war vollkommen durchzudrehen. "Lyla, nein, du kannst mich nicht wieder verlassen" Seine Stimme klang gequält und am liebsten würde ich ihn in die Arme nehmen und ihm versprechen, ihn niemals zu verlassen. Doch ich konnte nicht. "Jason, er ist uns schon ganz nahe", versuchte ich meinen Freund zu überzeugen, dass es das Beste wäre, wenn ich sein Schloss verlassen würde.

"Nein", sprach er dagegen. "Du wirst nicht gehen. Zumindest jetzt noch nicht. Alle hier kennen dich als meine Cousine und du siehst deinem Portrait kaum noch ähnlich. Mit ein bisschen Hilfe, erkennt dich bald keiner mehr als Lyla Jane Mightway." 

Natürlich war mir bewusst, dass er nur versuchte, mich zum Bleiben zu überreden, doch es klang so verlockend, hier bleiben zu können. Denn genau das wollte ich im Grunde meines Herzens - bei ihm bleiben.

"Bist du sicher?" Meine Zweifel ließen sich nicht vollständig aus dem Weg räumen, denn es würde dennoch ein Risiko bleiben, hier zu sein. Matthew könnte auf den Gedanken kommen, dass ich meine Liebe zu Jason nicht aufgegeben hatte und dann würde er hier einmarschieren.

Jason blickte mich flehend an. Ich wurde beinahe weich. "Bitte, Lyla", sagte er leise. "Ich kann nicht ohne dich" 

Dann beugte er sich vor und küsste meine Lippen mit solch einer Heftigkeit, dass ich für den ersten Moment leicht überfordert war, bis ich mich besann und ihm die Arme um den Hals schlang.

Dabei überkam mich ein seltsames Gefühl der Schuld.

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