Abschied


Der Tag war gekommen.

Jason würde Bredinia auf unbestimmte Zeit verlassen und ich war mir sicher, dass er nicht so schnell wiederkommen würde, wie es mir wünschte.

Mein Egoismus schnürte mir die Kehle zu, denn er war untypisch für mich. Normalerweise ging es mir nur um das Wohl der anderen, insbesondere um das meiner Familie. Doch heute schien alles anders.

Der Morgen hatte für mich wie gewohnt sehr früh begonnen, doch half ich nicht , wie sonst üblich, Vater beim Ernten oder Mutter beim Einmachen von Obst und Gemüse, sondern blies Trübsal am Flussufer. Ohne morgendliche Stärkung hatte ich das Haus verlassen und war bei Sonnenaufgang Richtung Norden gegangen, um an meinen geheimen Ort zu schleichen, an dem ich gerne saß und las, wenn ich denn mal Zeit für mich hatte.

Mein Lieblingsbuch befand sich natürlich in meinem Gepäck, sowie eine kleine Decke und ein Wassertank. Den Weg erklomm ich in etwa einer halbe Stunde zu Fuß. Und ich war wirklich sehr froh, als ich die Stelle durch das Dickicht kriechend erreicht hatte.

Geschickt breitete ich die Decke am Baumstamm der Eiche aus, legte mein Tasche daneben und ließ mich schwerfällig gegen den breiten Stamm plumpsen. Danach schloss ich für einen kurzen Moment die Augen, atmete einmal tief ein und aus und öffnete sie wieder.

Vor mir erstreckte sich die kleine Lichtung, die ich so liebte. Eine Wiese so groß wie ein Tümpel, grün und saftiges Gras wuchs darauf, sowie auch Gänseblümchen und Löwenzahn. Ein Kaninchen hopste darüber und verschwand kurz darauf wieder im tiefen Wald. Und das Wasser rauschte in einem stetigen Rinnsal kaum fünfzehn Schritt von mir entfernt in Richtung Süden.

Alles wirkte so friedlich, dass meine Unruhe sich beinahe in Luft auflöste.

Seufzend griff in neben mich, wühlte in meiner kleinen Tasche nach dem Buch und schlug es an der der Stelle auf, an den ich den Pfaden eingeklemmt hatte.

So saß ich da, genoss das Rauschen des Wassers und das Zwitschern der Vögel, während ich völlig vertieft in die Geschichte nicht einmal mehr mitbekam, wie lange ich schon hier verweilte.

Erst als ein aufgeregtes Rufen ertönte, schreckte ich auf. Mein Kopf fuhr in die Höhe noch bevor eine Stimme ertönte:" He, das Wasser ist herrlich. Komm her, Miranda" Ein blonder Schopf schwamm dort im Fluss und kam geradewegs auf mich zu - eher gesagt auf die Lichtung, auf der ich saß.

Doch er schien mich nicht gesehen zu haben, denn er schwamm auf dem Rücken, den Kopf zu einem Mädchen gedreht, welches ich auf der anderen Seite ausmachen konnte, als ich aufstand.

"Hier drüben kannst du auch wieder an Land, hab keine Angst", setzte der Junge hinzu, drehte sich nun um und tauchte ab. Neugierig ging ich ein paar Schritte näher ans Ufer und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als der Fremde direkt vor meinen Füßen aus dem Wasser auftauchte und mich an sah.

"Oh lieber Gott!", schrie ich und fasste mir mit der Hand an die Brust, während ich einen Schritt nach hinten taumelte. "Du hast mich erschreckt"

Der Junge lachte ein heiseres Lachen, welches mir eine Gänsehaut bescherte. "Verzeih mir", gab er zurück und lächelte. Er sah wirklich gut aus. Etwa mein Alter, blondes Haar und blaue Augen, so blau wie das Meer. Der Ansatz eines Bartes zierte sein markantes Gesicht und sein Lächeln entblößte eine Reihe schöner Zähne.

"Ich wollte dich nicht erschrecken", gab der Fremde von sich, hievte sich aus dem Wasser und stand mir nun gegenüber. Meine Augen wurden groß. Große, breite Schultern. Einen gutgebauten Oberkörper und muskulöse Beine.

Zudem trug er nichts weiter, als seine Beinkleidung, was mir einen Blick auf seinen schönen Körper erleichterte.

Benommen schüttelte ich den Kopf und konzentrierte mich darauf, den Fremden nicht allzu unschicklich anzustarren, zumal Jason mich heute erst verlassen würde.

"Mein Schwester traut sich einfach nicht ins Wasser, ist das zu fassen?", fragte er mich belustigt und musterte mich danach ausgiebig. Ehe ich vor Scham rot anlaufen konnte, sagte er verblüfft:" Wir haben doch schon Bekanntschaft miteinander gemacht oder irre ich mich?"

Mit einem Mal fielen mir die Schuppen von den Augen, während ich ihn nochmals gründlich unter die Lupe nahm. Er hatte recht, irgendwoher kam er mir bekannt vor, doch mir fiel es beim besten Willen nicht ein, woher.

"Lyla Jane", hauchte er mit einer Stimme, die mir die Sprache verschlug. "Verzeih mir bitte, dass ich dich vor ein paar Tagen nicht gesehen hab. Auf dem Marktplatz war so einiges los" Noch bevor er den Satz zu Ende gebracht hatte, wusste ich nun doch, wer er war.

Der Junge vom Markt. "Matthew?", fragte ich unsicher, ob ich mir den richtigen Namen gemerkt hatte. Doch auf sein darauffolgendes Nicken, seufzte ich erleichtert.

"Nun", begann er belustigt, "man sieht sich immer zweimal im Leben" Danach schüttelte er seine Haare aus und setzte sich ans Ufer, sodass seine Beine im Wasser baumelten. "Setz dich ruhig neben mich. Mir ist gerade nach Gesellschaft" Ohne Wiederworte ging ich seiner Bitte nach, setzte mich zu ihm, zog die Schuhe und Strümpfe aus, um dann auch meine Füße ins Wasser zu halten.

"Was führt dich her?" Seine Frage klang mehr oder minder interessiert, als er auf das Wasser blickte und mit seinen Füßen darin strampelte. Meine Antwort jedoch kam etwas unbeholfen, da ich nicht so recht wusste, wie ich mit diesem ungeplanten Besuch umgehen sollte. "Äh, ich ruhe ein wenig hier aus. Und um ehrlich zu sein habe ich auch niemand sonst hier jemals gesehen"

Es stimmte. Hier kam nie jemand her, weder auf meine Seite des Flusses, noch auf die andere Seite, auf der das Mädchen immer noch stand und uns beobachtete.

"Heute schon", bemerkte Matthew. "Hmm", machte ich. Irgendwie störte es mich einerseits, dass sie mir die Einsamkeit meines Ortes genommen hatten, doch andererseits fühlte ich mich in seiner Anwesenheit sehr wohl.

"Ich wollte einfach mal eine neue Stelle testen. Diese ist perfekt, weil dich kaum jemand zu Gesicht bekommt und es so still und friedlich ist" Er sprach mir aus der Seele und das gefiel mir irgendwie. "Das ist der Grund, warum ich her komme", gab ich zu und sah ihn an.

Matthew wandte sich zu mir und schenkte mir ein Lächeln, welches mein Herz schneller schlagen ließ. Danach verschwand er in einem Satz im Wasser und rief auf seinem Rückweg noch:" Wir werden uns wiedersehen, Lyla Jane"

Schon war ich wieder allein.

Gegen späten Nachmittag, als die Sonne schon bereit war wieder unterzugehen, machte ich mich auf dem Heimweg, um Jason zu verabschieden.

Bei jedem Schritt, den ich machte und somit näher zum Haus kam, wurde mir mulmiger zu Mute. Ich wollte ihn einfach nicht gehen lassen - nicht so, nicht jetzt.

Schon von Weitem sah ich die edle Kutsche vor unserem Haus stehen und entdeckte eine Gestalt kaum ein Schritt davon entfernt, wie sie auf mich zu warten schien. Es war riskant, dass die Leute vom Dorf ihn dort sahen und sich fragten, was ein Mann mit so einer Kutsche vor unserem Haus machte.

Als ich näher kam begegnete ich seinem Blick und wäre beinahe wieder umgedreht. Vorbei war der Tag ohne Sorgen. Vorbei waren die friedvollen Stunden und der Besuch eines Fremden. Vorbei war unsere Beziehung.

Erst als ich in seinen Armen lag und er versuchte sein Gleichgewicht zu halten, wurde mir bewusst, dass ich die letzten Schritte gerannt war. Doch das war mir gleichgültig, sollten wir doch im Dreck landen, uns darin in die Arme fallen und im Unglück suhlen.

"Oh Jason", seufzte ich schweren Herzens und sog ein letztes Mal seinen Duft ein. Es war eine Mischung aus Thymian und Moschus. Einfach unwiderstehlich. "Du wirst mir fehlen" Seine Umarmung wurde fester, als er erwiderte:" Du mir auch, Lyla"

Dann löste er sich von mir, beugte sich herab und berührte ein letztes Mal meine Lippen.

"Ich liebe dich"

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