4. Purpur
Im Jahre 1734, Gänge des Schlosses der Königsfamilie
Prinz
Die fünf Wachen, die vor der Tür gestanden hatten und die Dienstmagd begleiteten mich, sie mit mir in der Mitte, die Wachen als Eskorte um uns.
Mein Kopf drehte sich jedoch immer wieder zurück zu der Tür, aus der wir gerade gekommen waren.
Was Mutter wohl von dem Mädchen wollte?
"Mandy?"
"Hmm?", fragte diese, ihre braunen Augen gedankenverloren ins Leere gerichtet.
Einen Augenblick später jedoch, errötete sie und schüttelte energisch den Kopf.
"Ja, Herr?!"
Überrascht hob ich eine Augenbraue und musterte sie, ohne jedoch stehen zu bleiben.
Was beschäftigte sie so sehr, dass sie sogar die respektvolle Anrede vergaß?
Ich beschloss, dieses Mal darüber hinwegzusehen und mich auf die Stillung meiner Neugier zu konzentrieren.
"Lenke die Wachen ab, ich werde mich zurück schleichen. Mal sehen, was die Beiden besprechen."
Das Dienstmädchen würde das sicher nicht hinterfragen, geschweige denn mir widersprechen.
Ich wurde jedoch ein weiteres Mal überrascht, als sie sagte:
"Aber Herr! Die Königin-
Abrupt blieb ich stehen und fuhr zu ihr herum.
"Ich weiß selbst, was Mutter gesagt hat! Aber ich will wissen, was da gesprochen wird, das wir nicht wissen dürfen!", antwortete ich ein wenig zu laut, wütend auf die Dienstmagd, dass sie mir überhaupt widersprach, wütend auf mich selbst, dass ich ihr so viel erzählt hatte.
Die Wachen blieben ebenfalls stehen, beobachteten das Spektakel neugierig, aber auch ein wenig besorgt. Nicht, dass sich das Hündchen noch gegen seinen Herrn wandte.
Ich wusste, dass sie so dachten und es erfüllte mich mit Genugtuung. So würden zumindest sie sich nicht gegen mich wenden, sollte ich Mandy bestrafen.
"Du wirst mir nicht noch einmal widersprechen, ist das klar? Als Strafe wirst du eine Woche lang für das ganze Schloss kochen und danach noch deine üblichen Pflichten erledigen."
Die Wachen stöhnten mitfühlend und die Dienstmagd erbleichte.
Ich nickte zufrieden und setzte meinen Weg in die entgegengesetzte Richtung fort, wandte der Dienstmagd den Rücken zu, hörte lediglich durch ihr Keuchen, dass sie mir immer noch folgte.
"Aber, junger Herr-
"Schweig! Und tu' gefälligst, was ich dir aufgetragen habe, sonst könnte meine Strafe härter ausfallen!"
Ohne innezuhalten rief ich:
"Edgar!"
Jetzt schien die Dienstmagd sich zu entfernen, zu begreifen, dass es klüger war, zu schweigen, denn ihre leichten Schritte entfernten sich.
Einen Moment später hörte ich einen der Wachen, der näher kam. Die anderen blieben zurück, dafür sorgte Mandy, ich hörte ihre Stimme auf die Anderen einreden.
"Sag der Köchin, dass sie dieser unbeholfenen Magd beim Kochen ein bisschen zur Hand gehen soll. Ich möchte nicht eine Woche lang Verbranntes vorgesetzt bekommen."
Seine Schritte verstummten.
"Selbstverständlich, mein Prinz."
Nur das Klirren seiner Rüstung verriet, das Edgar ging.
Unbeirrt schritt ich weiter, auf leisen Sohlen und hinter allem verborgen was mir Schutz bot, um weder gehört noch gesehen zu werden.
Ich hatte Erfolg, denn die Beiden sprachen ungerührt weiter, ohne mich zu bemerken. Vorsichtig legte ich ein Ohr an die Tür, um zu lauschen.
"Und wie alt bist du?", fragte das Mädchen.
Stirnrunzelnd betrachtete ich eine Maserung in der Holztür.
Ich hatte ja mit vielem gerechnet, doch damit nicht.
"Fünfunddreißig."
"Er ist ein Mensch. Bist du etwa ein Halbblut?"
Halbblut?
"Nein."
"Aber wie...?"
Einen Moment stand eine unausgesprochene Frage im Raum, welche, war mir unklar.
Dann antwortete Mutter seufzend:
"Ich hätte ihn nie allein lassen können."
Das Mädchen schnaubte.
"Ach ja? Und warum nicht?"
"Wenn du Mutter wirst, wirst du es verstehen."
"Ich wusste es. Wo ist er? Ich würde gerne unseren Nachwuchs sehen."
Unseren Nachwuchs?
"Woher...?"
"Ich kann es riechen. Wie alt ist er? Und ist er ein Halbblut? Ich würde ihn gerne sehen."
Sie kann es riechen? Was interessiert sie mein Alter? Und was ist ein Halbblut?
"Er ist achtzehn und nein."
Wie das Mädchen es herausgefunden hatte, schien Mutter nicht im Geringsten zu stören.
Dieses kicherte.
"Und ich habe dich schon für ein Kindchen gehalten, aber er...!"
Mutter seufzte.
Kindchen?! Na warte...!
"Willst du diese Maskerade wirklich aufrechterhalten?", fragte meine Mutter.
Sie klang niedergeschlagen.
Das Mädchen schnaubte lediglich verächtlich. Das schien sie häufig zu machen.
"Wenn hier einer eine Maske trägt, dann du. Sag' mal, warum?"
Warum was?
Plötzlich bemerkte ich, dass Mandy neben mir stand.
Ich zuckte zusammen.
Wann hat sie das gemacht? Und wie? Ich habe sie gar nicht kommen hören!
Mandy schaute reuevoll zu Boden, machte aber keine Anstalten zu gehen.
Bevor ich vollends an die Decke gehen konnte, antwortete Mutter:
"Tja, warum? Ich denke, ich hatte genug. Ich wollte an einem Ort bleiben, besonders nach der Geburt meines Sohnes. Ich wollte diesen Ort wachsen sehen. Und da haben sie mich zu ihrer Königin gemacht."
Was?
Inzwischen verstand ich gar nichts mehr. Diese beiden unterhielten sich wie zwei alte Freundinnen und sprachen so in Rästeln, dass man meinen könnte, sie seien verrückt geworden.
"Und wo ist dann dein Mann?", fragte das Mädchen weiter.
Langsam wurde ich wütend.
Was gehen diese Fremde unsere Angelegenheiten an?!
Meine Fingerknöchel wurden weiß, so fest packte ich den Saum meiner Hose.
Ich knurrte zornig als Mutter ohne zu zögern antwortete:
"Er weilt nicht mehr unter uns. Er ist tot."
Sie schnappte entsetzt nach Luft.
"Was?! Wie kann das sein?!"
Das Mädchen klang aufrichtig bestürzt, entsetzt und ungläubig.
Mutter schwieg.
"Nun sag' schon!"
"Wie ist dein Name?"
Hör' auf auszuweichen und erzähl' mir sofort, was passiert ist! Immerhin geht es mich genauso sehr etwas an!"
Wohl kaum!
"Nein, verdammt!"
Ich lächelte grimmig, der Griff um meine Hose lockerte sich etwas.
So! Jetzt zeigt sie es ihr!
"Liegt deine Sturheit etwa an den zwei Grazien da draußen?!", fragte sie verächtlich.
Was!? Wie kann sie...?
Blitzschnell huschte mein Blick umher, vorbei an kunstvollen Bronzestatuen, Ritterrüstungen, Gemälden, Wandfackeln und großen Erkerfenstern. Die Vorhänge, die zur Seite gebunden worden waren, schienen das einzige Versteck für zwei Menschen darzustellen. Kurz entschlossen ergriff ich Mandy's Hand und löste hastig einen Vorhang von den Seilen, sodass er schützend vor uns fiel. Ich drückte die Dienstmagd und mich fester gegen die Fenster, damit keine Beule in dem schweren Stoff zu sehen war und lauschte mit klopfendem Herzen. Als ich das Knarren der alten Tür vernahm, versteifte ich mich. Zwar waren wir verborgen, es fiel jedoch mindestens genauso sehr auf, dass dies der einzige vorgeschobene Vorhang war.
"Na, hoffentlich war euch das eine Lehre. Jetzt können wir uns endlich ungestört unterhalten. Ach, und noch etwas, 'Prinzchen', ich an deiner Stelle würde aufpassen wo ich meine Nase reinstecke, wenn es mich nichts angeht. Nur wenn man das hin und wieder tut, lebt man länger."
Sie machte eine Pause.
"Nun kommt schon raus, oder soll ich zu euch kommen?"
Es klang wie eine Drohung.
Angespannt hielt ich den Atem an, ich würde ganz sicher nicht hier raus kommen, bis sie sagte:
"Dann eben nicht. Aber bildet euch nicht ein, dass ich nicht weiß, dass ihr dort seid. Es ist bloß Energieverschwendung, mich weiter mit euch abzugeben. Und, 'Königin', ich würde gerne noch einmal mit Mandy sprechen."
Warum verachtet dieses Mädchen nur unsere rechtmäßigen Titel?
Meine Dienstmagd neben mir zuckte zusammen und krallte sich in meinen Arm, vergaß jeden Rangunterschied mit dieser Geste.
Mein Kopf schnellte zu ihr.
Ihr schmales Gesicht was totenbleich, enstellt vor Angst.
Mühsam versuchte ich mir zu entziehen, doch ihre Hand glich einem Schraubstock.
"Mutter? Bist du etwa auch verrückt geworden?", fragte ich also stattdessen laut.
Es war Wahnsinn, in einem Bienenstock herumzustochern, doch ich wollte Antworten. Wollte wissen, was diese ganzen kryptischen Aussagen bedeuteten und woher die beiden sich kannten.
Die Angesprochene seufzte leise.
"Nein. Sei so gut und gehe trainieren. Notfalls begleite ich dich höchstpersönlich."
"Aber-, fuhr das Mädchen dazwischen.
"Ich weiß, was du sagen willst und ich verstehe dich, aber wir können auch später noch reden. Wir haben viel Zeit, das weißt du besser als ich."
Einen Moment herrschte Stille.
"Mandy? Sei so gut und geh' zu ihr."
Die Dienstmagd schnappte nach Luft, ließ aber meinen Arm los, als hätte sie ein Brandeisen berührt.
Ich rieb mir erleichtert das Handgelenk. Sie hatte einen wirklich kräftigen Griff.
"Keine Sorge, sie ist nicht gefährlich. Mein Sohn muss noch viel lernen, um Menschen richtig einschätzen zu können."
"Siehst du? Das freche Mädchen ist sehr wohl ein Mensch, also muss sie verrückt sein!"
Ich lachte auf, froh darüber, recht behalten zu haben, denn ich hatte tatsächlich einen Moment geglaubt-
Du sehnst dich einfach zu sehr nach einem Abenteuer., schalt ich mich reuevoll grinsend.
"Weißt du, ich werde dich begleiten. Ich habe sowieso noch etwas zu tun. Und jetzt komm."
Zögerlich kamen wir hinter dem Vorhang hervor, während uns die grünen Augen der Königin ernst musterten. Die beige Seide ihres bodenlangen Kleides glitt mit einem leisen Rascheln hinter ihr her, als sie auf uns zukam.
"Nun komm, mein Sohn.", sagte sie und lächelte, wobei sie mir die Hand auf die Schulter legte.
Plötzlich sog sie scharf die Luft ein und ließ ihre Hand zu meinen Rippen wandern. Als sie mit einem Mal so fest zudrückte, dass der Schmerz glühend heiß aufloderte und mir das Atmen beinahe unmöglich machte, befürchtete ich, dass mir die Knie den Dienst versagen würden.
Nun war es an mir, nach Luft zu schnappen.
"Was ist los?", fragte Mutter.
Da ich sowohl ihren als auch den durchdringenden Blick des Mädchens auf mir spürte, zischte ich:
"Es ist nichts, Mutter."
"Lüg' mich nicht an! Wir gehen jetzt ins Krankenzimmer, keine Widerrede!", sprach die Königin.
Oh Gott, bitte nicht!, flehte ich stumm, doch meine Gebete wurden nicht erhört.
Um keinen Preis wollte ich ins Krankenzimmer.
Denn dort würde mich der Höllenfürst höchstpersönlich mit seiner kühlen, rein pragmatischen Art strafen und mich abschätzig von oben herab ansehen.
Nein, ich wollte meinen Bruder wirklich nicht sehen.
Aber hatte ich überhaupt eine Wahl?
Im Jahre 1734, Zimmer des Prinzen der weißen Rose
Nur mühsam konnte ich die angestaute Wut unterdrücken.
Da lebte ich nun schon so lange, hatte endlich eine Artgenossin gefunden und da machte sie sich aus dem Staub!
Aber da gab es ja noch etwas:
Sie hatte einen Sohn.
Klar, beide waren Kinder. Sie selbst war fünfunddreißig Millionen Jahre alt, wobei sie das Wort 'Millionen' lautlos mit dem Mund geformt hatte. und ihr Sohn war erst achtzehn Jahrtausende alt. Natürlich hatten wir sofort gemerkt, dass Mandy und das Prinzchen lauschten, doch es hatte mir gefallen, sie ein wenig zu verwirren. Sie würden daraus eh nicht schlau werden, selbst wenn sie ihr ganzes kurzes Leben damit verbringen würden. Letztendlich waren aber auch die Königin und ihr Sohn Kinder.
Aber erst einmal musste ich sie ja kennenlernen. Vielleicht waren sie ja erwachsener als ich dachte.
Doch trotzdem waren noch so viele Fragen offen:
Wann und wie war ihr Mann gestorben? Es war beinahe unmöglich, uns umzubringen und die junge Frau hatte auch nicht so gewirkt, als sei dies ein Selbstmord gewesen. Und wieso war sie Königin geworden? Sie musste doch genauso wie alle anderen wissen, was beschlossen worden war! Nämlich, dass wir uns gepflegt aus der Geschichte der Menschen heraushalten wollten.
Was sollte diese heuchlerische Aussage 'Ich hätte ihn nie alleine lassen können.'? Er war ein verdammter Mensch! Eine Runde Mitleid für das Waisenkind, dass so eben zu einem Prinzchen befördert worden war. Aber es gab Abertausende von ihnen! Und ihn zum Prinzen zu machen, war auch definitiv nicht ihr bester Geistesblitz. Abgesehen davon war es doch schon schlimm genug, dass sie sich zur Königin aufgeschwungen hatte.
Da trat Mandy näher, bleich wie der Tod.
"Dir werde ich schon nichts tun. Nun komm her. Wie alt bist du?"
Sie runzelte die Stirn.
"Ich bin siebzehn. und ihr?"
"Sechzehn, schätze ich.", sagte ich und schaute prüfend an mir herunter.
Ja, ich sah definitiv aus wie sechzehn.
"Sweet Sixteen, hm?"
Sie betrachtete mich weiterhin skeptisch, jedoch hatte sie keine andere Wahl als mir zu folgen, als ich sie dazu aufforderte.
"Also an meinem sechzehnten Geburtstag ist nichts Besonderes passiert und schon gar nicht das, was ich mir mehr als alles andere gewünscht habe. Das war das enttäuschenste Jahr in meinem Leben, bereite dich darauf vor, denn die Geschichten sind alle erlogen.", fuhr sie verdrossen fort.
Ich lachte laut auf.
Glaubte dieses Kind von einem Menschen solche Märchen wirklich? Wie kindisch! Man musste die Dinge selbst in die Hand nehmen damit sie in Erfüllung gingen und nicht auf ein Wunder koffen, das lernte doch schon jedes Kind! Aber offenbar waren selbst die Dienstboten hier verwöhnt genug, um die Realität dort draußen nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Und ich meinte noch nicht einmal die ganz grausamen Fälle von armen Kindern, die sich Tag und Nacht fast bis zum Tode schufteten, hungern und töten mussten um nicht getötet zu werden und ihre todkranke Mutter und ihr halbes Dutzend Geschwister zu versorgen, wobei der Vater die Familie verlassen hatte. Nein, ich redete noch von einer einfachen Bauernfamilie, die sich ab und an wohlhabende Dinge leisten konnte und trotzdem immer der Steuern wegen auf etliche Wünsche verzichten mussten. Selbst von diesen Menschen ahnte das junge Ding nichts.
Ich verübelte es den Menschen nicht, dass sie Luxus, Reichtum, Einfluss und Bequemlichkeit mochten, denn ihr Leben war kurz und meist grausam. Doch es gefiel mir ganz und gar nicht, dass andere, weniger erfolgreiche, ärmere Menschen darunter leiden mussten.
Und selbst wenn sie die Exsistenz solcher Menschen leugneten, machten sie sich in meinen Augen mitschuldig.
Wirklich diesen Menschen als einzelnes menschliches Individuum zu helfen, erwartete ich ebenso nicht. Dafür hatten sie weder die Mittel noch die Macht. Doch einfach nur zusehen war nicht richtig, besonders mit der Begründung, dass es ihnen selbst doch gut ginge. Aber das war eine der vielen Sachen, in die ich mich nicht einmischen konnte und durfte. So schwer es mir auch fiel, ich durfte keine Revolution starten oder die Menschen sonst wie aufstacheln. Und damit mich das nicht Tag und Nacht in den Wahnsinn trieb, vertrieb ich mir nun hier die Zeit. Denn anders als das Prinzchen vielleicht denken mochte, hätte ich jederzeit verschwinden können, schon bevor er mich wirklich bewusst registriert hätte. Dann wäre ich nicht mehr als eine Bewegung im Schatten der Bäume für ihn gewesen.
Stirnrunzelnd blieb Mandy stehen, zögerte, sich auf einen von mir dargebotenen Stuhl zu setzen.
"Was ist daran so lustig? Es entspricht der Wahrheit.", erwiderte sie mit einem Hauch von Trotz in der Stimme, setzte sich aber dennoch.
Gut. Ein Anfang.
"Wie lautet dein vollständiger Name?", fragte ich, ignorierte ihre Frage, und schloss die Tür.
Ich wusste, dass meine grünen Augen berechnend aufblitzten, während ich mir eine lange Haarsträhne um den Finger zwirbelte.
Mandy versuchte erst mir mit den Augen zu folgen, zuckte bei meiner Frage aber zusammen, machte sich klein, wich meinem Blick aus und murmelte kaum hörbar:
"Amanda Rose, Mylady. Doch alle hier nennen mich nur Mandy."
Innerlich seufzte ich.
Und wieder zwei Schritte rückwärts.
Doch obwohl sie sich unterwürfig und gehorsam zeigte, so makellos, dass es ein Mensch nicht gemerkt hätte, spürte ich ihn mehr, als dass ich den Groll in ihren Augen sah. Sie hasste und fürchtete mich, war aber von der Königin gezwungen worden, sich mir unterzuordnen und meinen Anweisungen Folge zu leisten. Und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Na, dann schauen wir mal, ob wir diesen Groll freisetzen können., dachte ich verschmitzt.
"Sag mal, wo hast du eigentlich leben gelernt, Mädchen? In diesem lächerlichen Schloss? Dienstmagd, dass ich nicht lache!", sagte ich also provokant und stolzierte weiter um ihren Stuhl herum, wie bei einem Verhör.
Schließlich war ich nicht dafür bekannt, Ziele wieder zu verwerfen. Dafür liebte ich die Herausforderung viel zu sehr.
Amanda stand so ruckartig auf, dass der Stuhl mit einem dumpfen Krachen umkippte, machte aber keine Anstalten diesen wieder aufzustellen.
"Was fällt dir eigentlich ein?! Ich komme aus einer Dienstbotenfamilie, die schon seit Generationen der Königsfamilie dient!", fauchte sie wutentbrannt.
Offensichtlich hatte ich mit ihrer 'niederen Herkunft' aus dem Dienstbotengeschlecht einen Nerv getroffen.
Das Mädchen fuhr fort:
"Und du, du bist nichts weiter als eine Gefangene, also hör'gefälligst auf, solche großen Töne zu spucken! In meiner Familie werden bessere Manieren gelehrt als irgendwo sonst! Nirgendwo wird man angemesseneres, einwandfreieres Verhalten gegenüber den Herrschaften finden, also halt' deinen vorlauten Schnabel!"
Sie hatte sich immer mehr in Rage geredet, war immer lauter geworden, bis sie aus vollem Halse schrie. Die Dienstmagd baute sich drohend vor mir auf, hob die geballte Hand, schlug aber nicht zu.
Na immerhin besaß sie so viel Menschenverstand - immerhin hatte da die Natur etwas richtig gemacht - mich nicht anzugreifen. Denn dann hätte sie sterben müssen. Da wäre mir der Zorn meiner Artgenossin egal. Bei ihrem Schössling war es ja noch irgendwie unterhaltsam gewesen, hier wäre es lediglich ein gescheiterter Versuch.
Ich lächelte gelassen.
Perfekt. Genauso wollte ich sie haben.
Irritiert, sowohl von meiner Reaktion als auch von ihrer eigenen, trat Amanda wieder einige Schritte zurück.
"Ich sehe schon, seinem Herrchen mit wedelndem Schwanz hinterher zu laufen, selbst wenn er in den Tod rennt. Ohne Wenn und Aber Schläge einzustecken. Von diesem trotzdem nur in den besten Tönen zu sprechen. All das nur, um nicht hinausgeworfen zu werden. Das nennt man heutzutage wohl Manieren, aber ist das denn Leben?"
Amanda bebte vor Wut und schnaubte bei der letzten Frage, lauschte aber gezwungenermaßen dennoch.
Gut so.
"Bist du jemals ohne diesen Aufzug durch die Gegend gelaufen?", fragte ich weiter und deutete auf die Haube, das unförmige Ding was sie Kleid nannten, und auf die Schürze, alles in einem einheitlichen Weiß.
Ich ging durch den Raum wie ein Raubtier auf der Jagd, ohne Amanda aus den Augen zu lassen.
Dieses Mal hielt sie meinem Blick jedoch trotzig stand, reckte das Kinn und folgte im Gegenzug aufmerksam jeder meiner Bewegungen mit ihren braunen Augen.
"Nein. Aber das kann jemand wie du, der untersten Gesellschaftschicht geboren wurde, nicht verstehen. Dieser Stolz, dies-
Abrupt blieb ich stehen und taxierte sie mit funkelnden Augen.
"Ach ja? Wer sagt denn, dass das wahr ist? Woher willst du wissen, von wo ich komme und wer ich bin?", fragte ich, leise und ruhig. Zu ruhig.
Es wunderte mich, dass mich diese Behauptung so traf. Sonst machte ich mir doch nichts aus den unbedachten, oberflächlichen und respektlosen Kommentaren dieses Volkes.
Genau,, sagte ich mir.
und das wird auch so bleiben.
"Es ist offensichtlich, dass du arm bist, das sieht man dir an. Außerdem zwielichtig, agressiv und nicht von hier. Da kannst du nur von dort kommen, nur bei den Untersten dieser Gesellschaft benehmen sich die Menschen so...eigenartig."
Ich ignorierte, was sie gesagt hatte und stellte eine andere Frage.
"Bist du verheiratet?"
Sie wurde rot vor Verlegenheit und Wut.
"Natürlich nicht! Aber das hat dich nichts anzugehen, Gefangene!", zischte sie.
Ich hob eine Augenbraue, war aber nicht überrascht ob der Heftigkeit ihrer Reaktion.
Für einen Menschen war sie ziemlich garstig und aufbrausend. Sollte mir Recht sein.
Kein Wunder, wenn man man Tag und Nacht nur nett, zurückhaltend und still sein musste.
Dass sie jedoch nicht verheiratet war und das als Selbstverständlichkeit sah, überraschte mich schon.
Auch von der Unterdrückung der Frauen und Ausgrenzung verschiedenster Gesellschaftsgruppen wie zum Beispiel Dunkelhäutigen und Homosexuellen hielt ich nichts und war in gewisserweise froh, dass ich hier, an diesem kleinen Reich auf einer riesigen Welt, noch keine Dunkelhäutigen angetroffen hatte. Sonst hätte ich umziehen müssen, denn ich durfte sie nicht offen beschützen, im Geheimen würden einige sterben, bei denen ich nicht schnell genug war und das könnte ich nicht ertragen. Natürlich hatte ich schon viele Tote gesehen, aber nur weil ich nicht eingreifen konnte als ich klein war und in einem ehrlichen Kampf Mann gegen Mann.
Ebenso konnte ich nicht verhindern, dass Frauen als Sexspielzeuge und Gebärmaschinen für Männer gesehen wurden wurden, doch in dieser Hinsicht hatte die Königin zumindest ein paar Dutzend Frauen vor Traumatas bewahrt, so, wie Amanda sich brüstete.
Nur, dass mir das nicht reichte. Entweder ich half allen oder keinem. Sonst würde ich andere ja bevorzugen, und die von den Menschen geschaffene Grenze zwischen reich und arm, gut und böse, Glück und Unglück, würde sich durch mich vergrößern. Schon bei dem Gedanken daran wurde ich wieder wütend.
Um das zu überspielen und den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, rollte ich mit den Augen als ich erwiderte:
"So, und jetzt lassen wir das 'Gefangene' mal schön. Oder was meinst du, warum mich die Königin selbst von den Fesseln befreit und dich mir nur zu bereitwillig zugewiesen hat?"
Das Dienstmädchen zuckte zusammen, funkelte mich aber auch zornig an.
"Was willst du von mir?", fragte diese plötzlich, wich aber nicht mehr meinem Blick aus, sondern hielt ihm fest stand.
Zufrieden lächelnd betrachtete ich Amanda.
Da war sie. Die selbstbewusste, schöne, junge Frau, die sich hinter Uniform und Amt verbarg.
"Warst du schon einmal außerhalb dieses Schlossgeländes?", stellte ich die Gegenfrage.
Sie schüttelte ohne zu Zögern den Kopf.
"Ich wurde sogar hier geboren."
Damit leuchtete auch ein, dass sie die Gepflogenheiten der ärmeren Gesellschaft nicht kannte. Aber entschuldigen tat es das nicht.
"Und wie willst dann kochen, waschen und nähen, wenn du nicht einkaufst?"
Sie zögerte kurz, dann sagte sie:
"Ich kaufe nicht ein, das tun die Aushilfen der Köchin. Und auch die haben die Schlossmauern noch nie überschritten."
"Wie das?", tat ich überrascht, obwohl ich die Antwort bereits ahnte.
"Das Schloss hat eigene Läden auf dem Gelände.", sagte das Dienstmädchen mit Stolz in der Stimme.
Ich seufzte.
"Interessiert es euch denn überhaupt gar nicht, was vor eurem Schlösschen vor sich geht?"
Amanda zuckte mit den Schultern.
"Warum sollten wir uns mit den Menschen dort draußen beschäftigen?"
Sie verzog ein wenig das Gesicht.
"Wir haben hier alles, was wir brauchen. Was sollen wir uns in ihr Leben einmischen? Jeder lebt nunmal das Seine."
Es war gut, dass es dort irgendwo tief in ihr einen Funken gab, der ihre eigene - und nur ihre eigene - Meinung vertrat. Wie sie schon sagte lebte jeder sein eigenes Leben und hatte demnach auch irgendwie irgendwo eine eigene Meinung - nicht, dass man sie immer äußern konnte.
Doch ich würde dafür sorgen, dass sie alles - das schloss alle Gesellschaftsschichten, die Umwelt und die Art, nach der die Gesellschaft mit diesen Dingen umzugehen pflegte - wahrnahm. Es wäre sicherlich interessant zu beobachten, wie sie darauf reagieren würde.
Viele waren verrückt geworden oder daran zerbrochen, würde es dieser Dienstmagd vielleicht gelingen, damit umzugehen? Amanda schien einen starken Charakter zu besitzen. Das würde ein wahrlich interessantes Experiment werden. Wenn ich schon den Schein wahren und als Gefangene gelten musste um hier zu bleiben, konnte ich auch gleich eine neue Nebenaktivität starten.
Und ich hatte auch schon den Hebel gefunden, mit dem ich ansetzen konnte. Jetzt musste ich ihn nur noch irgendwie erreichen. Je nachdem, was sich daraus ergeben würde, würde ich dann weitersehen.
"Was ist deine Lieblingsfarbe?", bohrte ich weiter und ließ unsere kleine Meinungsverschiedenheit erst einmal auf sich beruhen.
"Warum sollte ich sie dir verraten?", schoss sie zurück.
Die Dienstmagd schien mit jedem Wortwechsel an Selbstsicherheit zu gewinnen.
Es gab keinen Grund, mir die Frage zu beantworten.
Zumindestens keinen offensichtlichen, den ich erzählen konnte, ohne dass sie argwöhnisch wurde.
Wie erwartet, verunsicherte Amanda mein prüfender Blick und mein ansonstiges Schweigen.
"Was ist nun?", fragte ich.
Entnervt wandte sich die Gefragte ab und griff nach der Türklinke. Offenbar schlug die Selbstsicherheit jetzt schon in Leichtsinn um.
Sie hielt erschrocken inne, als sie meinen Finger im Kreuz spürte, die Tür bereits einen Spalt breit geöffnet.
"Du solltest mir niemals den Rücken zudrehen oder mich ignorieren.", flüsterte ich und wusste, dass es sowohl zärtlich als auch bedrohlich klang.
Irritiert wollte sie sich umdrehen, doch ich hielt sie zurück.
Dann beugte ich mich noch näher zu ihr heran und hauchte an ihre Halsbeuge:
"Ich bin nicht wie du. Nur, dass du es weißt."
"Das ist mir bewusst. Schließlich vergleicht man auch keine Zuchtstute mit einem Packesel."
"Bete, dass du der Packesel bist.", fauchte ich tödlich leise.
Es ärgerte mich, dass sie das letzte Wort hatte behalten wollten, doch noch mehr verdross es mich, dass es mich überhaupt interessierte.
Schnell zog ich zwei dunkelbraune Haare von ihrem Kopf und enfernte mich, schneller als ein Mensch schauen konnte, wieder von ihr.
Mit großen Augen betastete sie ihren Hinterkopf, während sie die Tür schloss und sich wieder umdrehte.
Amanda öffnete den Mund und schien etwas Erbostes sagen zu wollen, klappte ihn aber bei meinem warnenden Blick hastig wieder zu.
Zwar wollte ich, dass Amanda eine eigene Meinung entwickelte, die oberste Regel des Experiments lautete jedoch:
Das Experiment und alle Kandidaten darin hatten sich mir unterzuordnen.
Interessiert musterte ich die beiden Haare. Sie waren eben, dick und gesund. Dafür musste ich mich nicht nur auf meine Augen verlassen, meine Finger waren eine große Hilfe.
Es war ein wirklich gutes Material für ein Experiment, auch in dieser Hinsicht. Sauber, unschuldig und gesund. Wobei, wie unschuldig sie war würde sich noch zeigen. Aber zumindest war sie fast unwissend. Damit konnte ich ohne große Umstände so gut wie bei Null starten.
"Hmm... Was passt zu deinem Haar? Ein kräftiges Rot vielleicht...?"
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie das Gesicht verzog.
"Wieso kein Rot?", fragte ich.
Einen Moment zögerte sie noch, dann sagte Amanda:
"Es ist die Farbe von Blut. Ich hasse es, Blut zu sehen."
"Soll das heißen, wenn du rot siehst, klappst du einfach um?", fragte ich ungläubig und verächtlich.
Das konnte ja noch ein ganz schönes Stück Arbeit werden, dass ich mir da vorgenommen hatte.
Die Angesprochende richtete sich kerzengrade auf.
"Nein. Ich mag sie einfach nicht."
"Sag mir einfach, welche Farbe du magst, mir wird von diesem Ratespiel langweilig.", sagte ich genervt.
Mit einem nicht nur schelmischen Grinsen fügte ich leise hinzu:
"Es ist doch nicht etwa grün?"
Ich wusste um meine Ausstrahlung während ich das sagte, dafür hatte ich schon ausreichend andere Experimente gemacht.
Meine Augen wirkten mehr giftgrün und glühten somit wie die einer Schlange, die kurz vorm Zuschnappen war. Das rabenschwarze Haar unterstrich meine überirdische Schönheit, ich musste wirken wie Medusa höchstpersönlich. Dies war auch meine Absicht. Es war Unsinn, dass Menschen voreinander im Staub krochen, doch mich, als eine ihr überlegene Rasse, hatte sie zumindest zu respektieren. Besser, zu fürchten.
Ebenso wie ein Beutetier, dass instinktiv spürte, wenn es ein Raubtier vor sich hatte.
Zudem waren die Auserwählten die einzigen, die die Menschheit mit einem Wimpernschlag auslöschen und die Welt retten konnten. Ein bisschen Respekt war also durchaus angebracht.
"Purpur.", murmelte Amanda eingeschüchtert, allerdings war noch nicht ihr ganzes Sein wieder hinter der Fassade, die sich 'Mandy das Dienstmädchen' nannte, verschwunden. Das war gut zu sehen.
Ich klaschte scharf in die Hände, wobei die Magd zusammenfuhr, und ließ die unheilvolle Ausstrahlung verschwinden wie Nebel im Sonnenschein.
"Dann ist es entschieden. Sehen wir mal, was sich daraus machen lässt."
Bevor Amanda erneut fragen konnte, wofür ich diese Auskunft denn nun wollte, erklang eine männliche Stimme und entband mich somit von einer Anwort.
Nicht, dass ich ihr andernfalls eine Antwort gegeben hätte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top