Kapitel 12 - Die Magd
England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
St. George, Skirrid Inn
4. November 1898, 11:44 Uhr
Geschirr klirrte und bereits seit den frühen Morgenstunden belebten die ersten Gäste den Schankraum. Vier Männer saßen zusammengerückt an einem der Tische, unterhielten sich über das Wetter und den Fortlauf irgendwelcher Bauarbeiten. Als der Doktor und Kyle nach unten kamen, hatten die Herren immerhin freundlich genickt. Einer hatte ihnen sogar angeboten, sich zu ihnen zu setzen. Ihre Ärmel waren hochgeschoben, die Kleidung schmutzig und in ihren Gesichtern stand der Dreck so wie die Luft um sie herum. Der Doktor lehnte in seiner kurz angebundenen Art ab, aber Kyle mischte sich ein. Er erklärte den Herren, dass sie jenen vielleicht heute Abend Gesellschaft leisten könnten, nun aber zuerst ein handfestes Frühstück vorzögen. Das sorgte für den einen oder anderen Scherz, doch wenigstens nicht für Empörung.
Inzwischen saß Kyle auf einem der harten Stühle. Nachdem er nach mehrmaligem Hin und Her rutschen eine einigermaßen bequeme Position gefunden hatte, nippte er an seiner Tasse mit frischem Schwarztee. Heute Morgen hatte ihm Elly freundlicherweise eine ganze Kanne aufgebrüht und bei Gott: Die hatte er bitter nötig. Gefühlt die ganze Nacht hatte ihm Stroh durch das kratzige Laken gepiekt, sodass er irgendwann frustriert in das fleckige Kissen schreien wollte. Er war todmüde und benötigte viel zu lang, ehe er endlich in einen ungenügsamen Schlaf gefallen war. Jetzt stiegen weiße Kringel duftendem Dampfes über der Tasse auf, während sein Blick an einem unbestimmten Punkt an der Wand hing.
Elly hatte eine kleine Platte mit Wurst und Käse aufgetischt, außerdem Röstbrot und Porridge. »Bitte«, bemerkte Elly in einem leichtherzigen Tonfall. Indes stellte sie zu dem aufgetischten Brunch einen kleinen Tiegel und einen kleinen Korb an frischem Brot auf den Tisch. »Die Marmelade habe ich selbst gemacht. Die Holunderbeeren sind dieses Jahr besonders süß«, erzählte sie stolz und wischte sich die Handflächen an der Schürze ab. Auch heute wirkte das junge Mädchen ermattet, auch wenn ihre leichte Art es gut zu überspielen wusste. Zweifellos musste es anstrengend sein, nun, wo Mr. Andrews nicht mehr da war und Mrs. Andrews offensichtlich noch nicht in der Lage war, ihr zur Hand zu gehen.
»Müssen sie jetzt das Gasthaus allein bewirten?«, fragte Dr. Archer, während er sich die angebotenen Speisen besah und sich schließlich für ein paar Scheiben Röstbrot entschied. Ellys Lächeln verblasste, dann spähte sie kurz über ihre Schulter, als wollte sie sichergehen, dass es niemand hörte. »Ms. Andrews ist schon seit einer kleinen Weile nicht mehr von sonderlich guter Gesundheit«, erzählte sie in etwas nüchternen Tonfall, »und seit Mr. Andrews so plötzlich von uns schied, ist Ms. Andrews sehr« sie suchte nach den richtigen Worten, »... mutlos? Ihr Verlust ist sehr groß.« Elly warf einen Blick zur Seite. Dorthin, wo das Trauerbild mit den Kerzen stand, die bereits wieder entzündet waren.
In diesem Moment klapperte etwas in der Küche. Ein metallener Klang, scheppernd wie ein Alarmsignal und Elly riss die Augen auf. »Oh nein! Mein Eintopf!«, stieß sie aus und ihr Rock wehte gleich einer winkenden Fahne hinter dem Mädchen her, als sie in die Küche eilte.
Am Nachbartisch hatte einer der dort sitzenden Dorfbewohner das aktuelle Gesprächsthema wohl aufgeschnappt.
»Wird immer schlimmer mit ihr. War ja schon die letzten Monate nicht ganz bei sich. Aber jetzt spricht sie mit nahezu niemandem mehr.« Klang eine Stimme mit rollenden Windungen in den Raum und einer der Männer schüttelte den Kopf.
»Stimmt schon. Aber wen wundert es denn? Sie hat ihren Mann verloren«, setzte ein anderer mit milderer Stimme dagegen. Der Dritte, ein Blondschopf, lachte hingegen und klopfte sich auf den Schenkel.
»Mein Weib würde bestimmt nicht so um mich trauern.«
»Ach keine Sorge, ich würde sie schon trösten!«, mischte sich ein anderer ein und sie stießen sich in scherzender Rauheit ein wenig in die Seiten. Es klang wie das typische Geschwätz einer Runde Waschweiber. Alle lachten und Kyle seufzte, hob seine Tasse an und blies bemessen den Dampf hinfort, der sich über der Oberfläche des dunklen Tees kringelte.
»Ein Wunder, dass sie überhaupt noch weint.« gab schließlich der vierte von sich und schnaubte fast schon verächtlich. Anscheinend verstanden Kyle und Dr. Archer die Anspielung nicht. Die anderen Herren jedoch durchaus, denn zustimmendes Brummen und Nicken ging durch die Männerrunde.
»Warum das?«, wagte Dr. Archer dazwischenzufragen. Das Grinsen des blonden Kerls wurde breiter, schrägte im Mundwinkel ab und er neigte sich weiter nach vorn. Der Tisch knarzte laut unter der Last auf der Tischkante.
»Hatte es nicht leicht mit ihrem Mann, die gute Arabella«, meinte er in verheißungsvollem Tonfall. Scheppern ertönte aus der Küche und da erst fuhr er fort, als hätte er eine Pause setzen wollen, um die Spannung zu steigern. »Hatte ziemlich schmutzige Finger, der gute Andrews. Nicht nur wegen seiner Arbeit in der Küche.« Der Mann wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen. »Konnte seine Finger einfach nicht bei sich behalten...«
»Schluss jetzt!« Ein lautes Poltern ließ den Tresen erzittern, als Elly das Tablett mit den herausgebrachten Humpen auf die Platte knallte. Ale schwappte über den Rand hinweg, verteilte sich in braungelben Flecken über das Tablett und ruinierte das Rührei, weil es sich in einem Schwall darüber ergoss. »Man spricht nicht schlecht über die Toten!«, herrschte das junge Ding die Herren in einem barschen Tonfall an und ließ den Blick in schneidender Strenge über die Männer gleiten.
»Schämen solltet ihr euch! Solche Dinge zu sagen – und dann noch vor den Gästen!« Dabei deutete sie auf Dr. Archer und Kyle. Nur Letzterer hatte den Blick direkt zur Szene gerichtet und nicht den Anstand, wegzuschauen und beschäftigt oder gar unschuldig auszusehen, so wie es Dr. Archer tat. Dieser hatte die Zeitung von vor zwei Tagen aus London vor sich ausgebreitet und tat so, als hätte er nichts mitbekommen. Man konnte die Empörung in den Zügen der jungen Frau deutlich sehen. Ihr zarter Anschein schien hinter den blitzenden Augen verschwunden zu sein, während das Reh nun aus dem Nichts Klauen offenbarte. »Raus mit euch«, beendete Elly streng und hob die Hand bedeutungsvoll mit ausgestrecktem Zeigefinger Richtung Tür.
Überrumpelt rutschten die großen Kerle auf ihren Stühlen, als hätten sie mit einem Mal Feuerameisen in den Hosen. Nur einer verschränkte die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen.
»Die Wahrheit ist's! Der alte Bock ist allem nachgestiegen, das einen Rock anhatte!«, grollte er und die Augen der jungen Frau fixierten ihn.
»Raus hier. Sofort«, wiederholte Elly, als wäre sie die Herrin des Hauses. Diesmal erhoben sich die Ersten der Dorfbewohner unter dem lauten Scharren der alten Stühle. »Ihr redet schlecht über einen Toten, noch dazu den ehemaligen Hausherrn. Ich will euch hier nicht sehen, bis euch wieder einfällt, was Respekt ist.« Ellys Stimme klang aufgewühlt, auch wenn sie sich sichtlich um Ruhe bemühte.
»Los komm«, murmelte einer seiner Freunde seinem Kumpel zu und klopfte ihm auffordernd auf die breite Schulter. Jetzt erhob sich auch der Letzte und gemeinsam stapften die Männer aus der Stube. Elly folgte den Männern festen Schrittes bis zur Tür und blieb dort im Rahmen stehen. Es erinnerte Kyle an den gestrigen Abend, als das Mädchen die ältere Frau genauso energisch fortgescheucht hatte. Die Männer ließen eine gedrückte, schwere Stimmung zurück, die im Gegensatz zu den Herren nicht so einfach durch die Tür hinausgleiten wollte. Elly stand noch einen Moment an der Pforte des Gasthauses und blickte den rauen Kerlen nach, die mit sich entfernenden Stimmen draußen weiter diskutierten, was angemessen gewesen war und was nicht.
Herbstlicher Sonnenschein tastete über die Türschwelle und wurde ausgeschlossen, als Elly schnaubend die Tür schloss und sich wieder den Gästen zuwandte. Schwungvoll warf sie den langen, dunklen Zopf zurück über ihre Schulter und schritt energisch zu den verbliebenen Herrschaften. Im Gang sanken ihre Schultern wieder tiefer, ihre Angriffshaltung zerfloss regelrecht und das Mädchen wischte sich die Handflächen an der Schürze ab, die über ihrem grünen Rock lag. Mit ihr schwang erneut ein blumiger Duft heran.
»Es tut mir leid, dass Sie das hören mussten«, meinte sie mit ruhigerem Ton, doch noch immer lag ein Hauch der Härte um die weich geschwungenen Lippen.
Vermutlich schämte sie sich für dieses Verhalten vor den Fremden. Kyle winkte ab. »Schon gut, Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wir haben praktisch nichts mitbekommen«, meinte er und lehnte sich im gleichen Zug in seinem Stuhl zurück. Ellys Miene hellte sich ein klein wenig auf. Dann beugte sie sich vor und legte ihre schlanken, kühlen Finger über seine Hand, die auf dem Tisch neben der Tasse ruhte. Kyle trug Handschuhe, doch er brauchte ihre Finger nicht zu berühren, um zu sehen, dass sie von kleinen und bereits verblassten Narben und Stellen geröteter Haut bedeckt war. Fleißige, zarte Glieder, die hart arbeiteten.
»Vielen Dank. Sie sind wirklich ein Gentleman. Die sollten sich ein Beispiel nehmen«, meinte sie und zwinkerte Kyle spielerisch zu. Mit dieser Bemerkung schien sie beruhigt zu sein, denn sie wandte sich dem verlassenen Tisch zu und machte sich daran, die Gläser und Krüge abzutragen und anschließend das hinterlassene Durcheinander an verschüttetem Ale am Tresen fortzuwischen.
Erst als sie in der Küche verschwunden war, ließ Dr. Archer den Blick über den Rand der schwarzen Lettern auf seiner Zeitung zu Kyle wandern. »Hat die junge Dame eben mit dir geschäkert?«, fragte er und Kyle schnaubte, während er sich mit der linken über den Handrücken fuhr. Ein Kribbeln blieb zurück, versank jedoch kurz darauf wieder, während er nach seiner Tasse griff.
»Natürlich hat sie das. Ich bin unwiderstehlich«, gab Kyle zurück und Dr. Archers Augenbraue glitt nach oben wie ein Wurm über einem Angelhaken. Und genauso schien er an Kyles trockenen Worten angebissen zu haben, während dieser sich nun besonders ausladend durch das Haar fuhr und dabei breit grinste. »Ich bitte dich. Schau mich doch an! Ich werde allein durch meine Anwesenheit Herzen brechen.«
Dr. Archer öffnete den Mund, schloss ihn dann aber schnell wieder und stieß etwas aus, das man fast für ein amüsiertes Schnaufen halten konnte! Dann blickte er wieder auf seine Zeitung, schien jedoch nicht wirklich zu lesen. Seine Augen fixierten einen Punkt, statt den Zeilen zu folgen.
»Wie dem auch sei. Was die Herrschaften angedeutet haben, war ziemlich unverschämt«, meinte er und Kyle stimmte ihm stumm zu. Aber Elly hatte die Situation ziemlich resolut gelöst.
»Sie scheint sich nichts gefallen zu lassen«, bemerkte Kyle wieder ein wenig ernster und griff in die Tasche seiner Weste. Ein leises Klicken war zu hören, als der Deckel der goldenen Taschenuhr aufsprang. »Ich schätze, der Constable dürfte demnächst eintreffen.« Der Zeiger rutschte leise klickend der Zwölf entgegen. Vermutlich waren die Männer deshalb in der Stube gewesen. Das erklärte ihre schmutzigen und verschwitzten Sachen. Nun jedoch folgten seine Gedanken dem Zeiger nachfolgend zu dem anstehenden Treffen. Kyle brodelte nicht gerade vor Vorfreude auf die Unterredung mit dem Bürgermeister.
Zum Glück war es leicht, sich als freischaffende Detektive auszugeben, da jene im Vergleich zu Polizeibeamten keine Ausweise besaßen. Jeder konnte Schnüffler werden und seine Nase in Angelegenheiten anderer Leute stecken. Zumindest so lange, bis ihm jemand das neugierige Ding eindellte. Die einzige Gemeinsamkeit hatten Polizisten und Privatdetektive in puncto Beliebtheit beim Volk... nämlich keine. Niemand mochte Büttel, vorwiegend in großen Städten. Korruption war keine Seltenheit und insbesondere bei den armen Leuten sahen die meisten Hunde des Gesetzes gern weg. Sie riskierten ihr Leben selten für eine Straßenratte.
»Ist gestern noch ein Gast angekommen, Miss?«, fragte Dr. Archer dann plötzlich aus dem Blauen heraus und reckte ein wenig den Kopf, um zu der jungen Magd zu blicken. Kyle hatte ihn selten so viel Aufmerksamkeit in irgendeine Richtung lenken sehen, wenn es sich nicht um etwas Wissenschaftliches wie die Untersuchung des Vogels handelte. Jetzt hatte er einen ähnlich konzentrierten Blick.
Ellys Blick fand den des Doktors und sie neigte das Haupt leicht zur Seite, um den Kopf damit schräg zu legen. Eine der braunen Strähnen hing ihr vor die Augen und sie wischte jene mit einer so automatisierten Bewegung zurück, dass es nach Gewohnheit aussah. »Nein. Wie kommen Sie darauf?«, sprach sie ihre Gedanken aus und sammelte indes einen der Krüge von dem verlassenen Tisch.
»Ich verstehe.« Normalerweise wäre hier Schluss gewesen. Stattdessen sprach der Doktor weiter. »Dann hoffe ich, wir haben nicht zu viel Unordnung verursacht. Ich habe gestern bemerkt, dass wir wohl etwas mehr Schmutz als gedacht hereingeschleppt haben.«
Elly sah ahnungslos aus. Dann, mit einem Mal, weiteten sich ihre Augen ein wenig und sie verlagerte ihre Haltung. Es war kaum auffallend und zeigte sich nur darin, wie sie die Schultern einen Hauch anzog. Ellys Finger hielten eine Sekunde in der Bewegung inne, ehe sie nach dem nächsten Krug griffen. »Aber nicht doch. Was bringt Sie zu dieser Annahme?«, fragte sie merklich interessierter nach. Und Kyle erkannte, dass der Doktor sie gerade geködert hatte. Nur womit erschloss sich ihm nicht so ganz.
Ihre Frage veranlasste Dr. Archer dazu, die Zeitung ganz sinken zu lassen. Papier raschelte, als er sie in den Knickstellen zusammenfaltete und die Hand darauf ablegte. »Ich habe gestern Nacht ein Geräusch auf dem Gang gehört. Doch als ich nachsehen wollte, war nichts zu erkennen. Nur etwas Dreck auf dem Flur«, erklärte er in einem sachlichen Tonfall, jedoch merklich leiser. Vielleicht wollte er nicht, dass jemand anderes außerhalb dieses Raumes es zu hören vermochte. Hier an diesem Ort ging etwas vor sich und nach den Ereignissen des gestrigen Abends, konnten sie auch dezent angespannt reagieren. Auf der anderen Seite hatten sie viel mehr beunruhigende als entschärfende Hinweise gefunden und waren erst am Anfang dieses Auftrages.
Ellys Finger griffen nach dem Zopf über ihrer Schulter und fühlten den weichen Windungen des Flechtmusters nach. Sie wirkte mit einem Mal angespannter. Als hätte Dr. Archer an der Seite einer Fidel ein klein wenig zu fest gedreht, sodass sich mit einem Mal die gesamte Klangfarbe veränderte. Ihr Blick glitt zu der Tür, die in den oberen Stock führte, dann wieder zu den Gästen. Anschließend wischte sie sich die Finger ein paar Mal öfter als nötig gewesen wäre an der Schürze ab und kam dem Tisch wieder näher. Sie nahm das kleine Tigelchen mit Marmelade in die Hände und das schlanke Kinn fiel ab, neigte sich dem Brustkorb entgegen und zeichnete Unsicherheit in das junge Gesicht.
»Ich wollte nichts sagen«, druckste sie und Kyles Körper versteifte sich. Etwas in ihm spannte sich an, ließ ihn sich wiederaufrichten und nach vorlehnen, damit er nur kein Wort verpasste. Ein Kribbeln zerstreute in seinem Nacken. Zweifellos unter der Ahnung einer verheißungsvollen Ankündigung, die diese Worte mit ihrem geraunten Summen mit sich trugen. »Weil Sie doch mit Henry -« sie brach kurz ab, »ich meine, dem Constable bekannt sind...«
Hatte sie gestern etwas von dem Ritual mitbekommen? Oder besaß das junge Mädchen Hinweise auf die seltsamen Ereignisse? Vielleicht sogar zu den Todesfällen oder dem, was im Wald geschehen war? Sie arbeitete in der Schenke und sicherlich bekam sie hier viel von allen Leuten mit?
Elly wischte erneut mit den flachen Händen über die Schürze. Es schien eine Angewohnheit zu sein, die ihr vermutlich gar nicht mehr auffiel. Das Mädchen wirkte tatsächlich, als grämte es sie, was sie sagen wollte. »Ich möchte nicht, dass jemand Probleme bekommt.« fuhr sie fort und senkte halb die Augenlider, während sie sich auf die Unterlippe biss.
Kyle spürte das unangenehme Drücken hinter seinen Augen. Der Doktor hingegen hatte den Blick direkt auf Elly gerichtet, schien aufmerksam an ihren Lippen zu hängen und erwartete die nächsten Worte.
»Ich verstehe. Wir werden schweigen«, versprach er und Elly schenkte ihm dafür ein leicht gezuckertes Lächeln. Doch der kleine Schwung in ihrem Mundwinkel verflog so schnell wieder, wie er gekommen war. Stattdessen tastete sie nach ihrem Zopf und befühlte das Ende, das durch ihre Finger glitt. »Gestern hatte ich ein wenig Ärger mit der Alten Mrs. Jäger«, erzählte sie gesenkt, »Ms. Andrew hat angewiesen, ihr nichts mehr von unseren Vorräten zu verkaufen. Die alte Dame bekommt nichts im Krämerladen, wissen Sie.« Ihre Lippen formten einen mitleidigen Bogen. »Ich musste sie fortschicken. Und heute Morgen fehlte mir plötzlich der Speck für den Eintopf.«
»Es ist... Speck verschwunden?« Kyle konnte nicht verhindern, dass seine Enttäuschung durchbrach.
Elly nickte dazu. »Ich bin mir ganz sicher, dass ich die Hintertür abgeschlossen habe. Aber heute Morgen fand ich Schmutz in den Gängen und in der Stube«, erzählte sie und wirkte unruhiger. Sie verlagerte erneut das Gewicht und ihre Finger zuckten. »Ich möchte der alten Dame keinen Ärger verursachen oder Behauptungen aufstellen«, betonte sie schnell und Dr. Archer tippte mit den Fingerkuppen auf dem Holztisch. Das war also alles. Nichts Unheimliches, das mit den Knochen zu tun hätte. Dennoch tat sich Kyle schwer mit dem Gedanken, dass eine derart alte Frau so einfach in ein Gasthaus einbrechen könnte.
»Es geht Ms. Andrews nicht gut. Ich möchte nicht, dass sie sich noch mehr aufregt«, meinte Elly und presste die Lippen aufeinander. Da streckte der Doktor die Hand aus, nahm die des Mädchens in seine und tätschelte es tröstend. Kyle blickte auf diese seltsame Szene und wusste damit genauso wenig anzufangen, wie mit dem mysteriösen verschwundenen Speck und dem Dieb auf schmutzigen Sohlen.
»Wir werden nichts verraten«, versicherte er und zog seine Hand dann auch schon zurück. Elly lächelte nun ein wenig mehr, schien erleichtert und wandte ihren Blick Kyle zu. Dessen Stirn lag immer noch in nachdenklichen und irritierten Falten.
Seltsam. Das hier war alles wirklich seltsam.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top