Kapitel 66
Rhana sah sich genau um. Nicht nur versuchte sie, sich die Gesichter der Mienenarbeiter einzuprägen, sie versuchte auch, Fürst Javar zu entdecken. Allerdings nahm sie dabei nur eine Bewegung im Inneren der Mine wahr. Dort, wo es zu dunkel war, um Genaueres zu erkennen.
Der fremde Mann, der sie hergeführt hatte, brachte das pferdeähnliche Tier zum Stehen. »Wir sind da, Lady Rhana«, sagte er, womit er die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich zog.
»Das soll die Erbin der Handelsgesellschaft sein?«, murmelte eine der Frauen zu einem dicklicheren Mann, der nur die Schultern zuckte.
Rhana bekam ein ganz ungutes Gefühl, als sie langsam abstieg. Auf dem Tier wäre sie zu angreifbar.
»Ist Fürst Javar noch gar nicht hier?«, fragte sie, denn immerhin war sie hier mit ihm verabredet.
Der Mann, der sie geführt hatte, lächelte, bevor er die Kapuze von seinen schwarzen Locken zog. »Keine Sorge, er wird sicher gleich hier sein«, beruhigte er Rhana, die zu ihm aufsah. Dabei erkannte sie einen leichten Rotschimmer in seinen Augen, den sie nicht ganz einordnen konnte.
Rhana räusperte sich leise, denn sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Einfach warten?
»Es gibt jemand anderen, der gern mit Euch sprechen würde«, wurde Rhana informiert, wobei der Mann mit den schwarzen Locken zur Höhle deutete.
Sofort huschte Rhanas Blick nach dort, während sie sich anspannte. Vermutlich war es wirklich schlauer gewesen, Idris Hilfe anzunehmen, denn der Mann, der dort aus den Schatten trat, machte ihr Angst.
Sein halbes Gesicht war verbrannt, wie auch seine Kopfhaut, sodass seine blonden Locken nur auf einer Seite wuchsen. Auch eines seiner Augen war mit einer Augenklappe verdeckt, während das andere tief in den Augenhöhlen lag.
Er schien sich seines Aussehens zwar bewusst, doch gleichzeitig unternahm er keinen Versuch, sich zu verstecken. Sein Selbstbewusstsein machte Rhana nur noch unruhiger. Wer war das und was wollte er ihr von ihr? War er vielleicht einer der Minenarbeiter, der Javar vertreten sollte? Aber Rhana erkannte bei ihm kein Artefakt. Zumindest kein Auffälliges.
Als das grüne Auge sich auf Rhana richtete, spürte sie einen plötzlichen Druck, der sie umgab. Dann das leichte Knistern von Magie, das sie von ihrem Artefakt kannte. Ihr Schild war aktiviert worden, denn etwas drohte, sie anzugreifen. Rhana verstand jedoch nicht, was.
Der Mann lächelte und machte einen Schritt auf sie zu. »Lady Rhana«, sagte er mit rauer Stimme, die zeigte, wie viel er schon erlebt hatte. Rhana konnte nur raten, dass seine Stimmbänder bei dem Brand, den er offensichtlich überlebt hatte, beschädigt worden waren. »Ihr seid interessiert daran, die abgebauten Steine in den Süden zu transportieren«, sagte er und machte noch einen Schritt auf Rhana zu. Diese fühlte sich, dank des Schildes zwar sicher, doch irgendwas fühlte sich trotzdem anders an. »Ich habe Euch ein besseres Angebot zu machen. Eines, das Ihr nicht abschlagen könnt«, fühlte er hinzu. Rhana spürte Interesse und Neugier in sich aufsteigen.
»Das da wäre?«, fragte sie nicht abgeneigt.
Rhana spürte, wie der Druck um sie herum zunahm, doch ihr Schild half ihr. Zumindest hatte sie das Gefühl.
Der Mann, der sich nicht vorgestellt hatte, aber mit ihr handeln wollte, winkte einen seiner Männer zu sich. Dieser überreichte ihm einen kleinen Anhänger, den der Mann nun Rhana hinhielt.
Fasziniert von dem dunklen, schwarzen Funkeln, starrte sie diesen an. Der Anblick allein zog sie in ihren Bann und ihr Herz klopfte aufgeregt. Wie schön er war. Sie wollte ihn haben.
Ein Gefühl, das sie zwar innerlich überraschte, gegen das sie sich aber nicht wehren konnte.
»Diese Steine sind besonders. Es gibt nur wenige davon«, erklang die Stimme des Mannes, doch Rhana konnte sich nur auf den Stein konzentrieren. Es fiel ihr schwer, die Worte zu verstehen. »Ich bin gewillt, sie zu verkaufen und Ihr könnt sie an Eure Leute weiter verkaufen«, sagte er, als Rhana ihre Hand danach ausstreckte.
Kurz, bevor sie den Stein jedoch mit den Fingern erreichte, erklang ein lautes, tiefes Brüllen, das Rhana aus ihrer Trance riss.
Das Gebirge um sie herum bebte und irgendwo lösten sich Steine, die donnernd zu Boden gingen.
Rhana wankte, als der Boden vibrierte. Instinktiv taumelte sie zurück, als ein großer, kristallener Drache zwischen ihr und dem fremden Mann landete.
Er war kleiner, als Rhana ihn in Erinnerung hatte, doch sie hatte ihn schon einmal gesehen.
Die Kristalle, die seinen Körper zierten, machten ihn so viel schöner als andere Drachen. So viel majestätischer.
»Er versucht dich zu manipulieren. Hör nicht hin«, knurrte er in einer Stimme, die Rhana bekannt vorkam und die sie doch nicht zuordnen konnte.
Ein sprechender Drache? Sie war einem solchen noch nie begegnet und wusste nicht so recht, was das zu bedeuten hatte.
Ein Laut wurde ausgestoßen, der herablassend klang. »Sieh an, ein Schoßdrache«, spuckte der blondgelockte Mann aus, bevor er einen Schritt Richtung Mine ging. »Kümmert euch darum. Aber versucht das Mädchen nicht zu verletzen. Sie ist lebendig mehr wert als tot«, wies er an.
Bevor der Kristalldrache sich auf ihn stürzen konnte, schwang einer der Minenarbeiter seine Hacke.
Der Drache wich zurück und dem Angriff aus, während die Spitzhacke summend durch die Luft sauste. Sie streifte eine Schuppe seine Klaue, doch Rhana erwartete nicht, dass sie wirklich Schaden anrichtete. Allerdings täuschte sie sich.
Die Schuppe wurde abgerissen und in ihre Richtung geschleudert. Dabei wurde sie schwarz und löste sich in Rauch auf.
Rhanas Herz schlug heftig in ihrer Brust. Was war das? Wie konnte diese Hacke ... nein. Keine Hacke. Es musste sich um ein verdorbenes Artefakt handeln!
In einem Instinkt streckte Rhana ihre Hand aus und legte ihr Schild um die Pfote des Drachens. Sie kannte ihn nicht, doch er war gekommen, um sie zu retten. Daher würde sie sich beteiligen und so gut helfen, wie es ihr möglich war.
Als verstände der Drache, dass seine Pfote nun geschützt war, holte er mit dieser aus und schlug in Richtung des Mannes mit der Hacke.
Dieser blockte, doch die Kraft des Drachen war so stark, dass er trotzdem von den Beinen gerissen wurde.
Allerdings war er nicht allein.
Aus allen Richtungen begannen plötzlich die Minenarbeiter anzugreifen und mit seinen Hacken auf den Drachen, der genug Angriffsfläche bot, einzuschlagen.
Obwohl Rhana sich die größte Mühe gab, ihr Schild mit den Angriffen wandern zu lassen, gelang es ihr doch kaum. »Du bist zu groß«, keuchte sie, da es wirklich schwierig war, den Schild auszuweiten. Sie hatte nur einen begrenzten Radius. »So kann ich dich nicht schützen.«
Ein Knurren ertönte, bevor der Drache plötzlich zu Rhana schnellte. Diese sah die spitzen, gefährlichen Zähne des Tieres auf sich zuschießen, was das Blut in ihren Adern gefrieren ließ.
Für einen kurzen Moment glaubte sie, er würde sie töten wollen, doch sein Ziel war der Mann hinter ihr. Er schnappte nach der Spitzhacke, deren Ziel eindeutig Rhana gewesen war.
Kaum berührten die Zähne die Hacke, breitete sich Schwärze aus und das Knurren wurde zu einem Wimmern, doch es gelang dem Drachen dennoch, die Hacke zu packen und in hohen Bogen wegzuschleudern.
Dampf stieg zwischen den Zähnen des Tieres hervor, bevor er in einem Brüllen dieses in Richtung der Mine schleuderte.
Hitze wallte auf und Rauch nahm Rhana ein, die ihre Augen zusammenkneifen und husten musste. Sie hatte noch nie einen Drachen Feuer spucken sehen und daher hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass es so unangenehm werden würde.
Durch den Rauch bemerkte sie, wie sich der Drache bewegte und kleiner wurde.
Um sie herum ertönten vereinzelte Schreie und Rhana roch verbranntes Fleisch, doch sie versuchte sich auf den Drachen zu konzentrieren, der plötzlich eine menschliche Form annahm.
Ohne groß darüber nachzudenken, legte Rhana das Schild um sich und den jungen Mann, der im Rauch langsam deutlicher zu sehen war.
Rhanas Augen weiteten sich, während sie die schwarzen Haare wahrnahm, die ihr so gut bekannt waren.
Schwer atmend saß Idris am Boden, während sich noch immer leichte, kristallene Schuppen auf seinem Körper befanden.
Für einen Moment glaubte Rhana, dass sie träumte, doch das Krachen auf ihr Schild, riss sie zurück ins Hier und Jetzt. Sie hatte keine Zeit, mit ihren Gedanken zu wandern. Sie waren in Gefahr.
»Idris«, keuchte sie und machte einen Schritt auf ihn zu, um sich zu ihm zu hocken.
Die Male an seinen Händen hatten sich über seine Arme gezogen und an seinem Mund waren ebenfalls schwarze Stellen zu erkennen.
»Nicht anfassen«, keuchte er, wobei es ihm schwer zu fallen schien, überhaupt zu sprechen.
Rhana, die ihre Hand an seine Wange legen wollte, hielt inne. Um sie herum krachte es immer mehr, während die Angreifer versuchten, ihr Schild zu zerstören. Rhana hatte jedoch nur Augen für Idris, der vor ihr immer weiter zusammensackte und förmlich zu verdorren schien.
»Warum hast du das gemacht?«, fragte sie und berührte seine Wange. Ein Schild fest um ihre Hand gelegt, damit sich Idris nicht so viele Sorgen machte.
»Es wird gleich jemand hier sein«, keuchte er und schloss einen Moment die Augen, während er sich an Rhanas Hand schmiegte.
Diese nahm ihn sanft in den Arm. Ihr gingen so viele Fragen durch den Kopf, doch die, die sich in den Vordergrund drängte, war die nach Hilfe. Was sollte sie tun? Wie konnte sie Idris helfen?
»Was ist mit dir?«, fragte sie. Immerhin kannten sie jetzt den Ursprung der Artefakte, oder? Konnte man Idris damit helfen?
Idris hob schwerfällig seine Hand. Er deutete nach draußen in den Rauch und die restlichen Flammen, weshalb Rhana dachte, dass dort vielleicht jemand war, der kam, um zu helfen, doch dann schossen die Schuppen von seinem Arm. Durch den Schild, hinaus in die Flammen.
Ein Schrei ertönte und eines der schlagenden Geräusche verstummte.
Rhana spürte den Druck, der auf ihr lastete. Er löste so heftige Kopfschmerzen aus, dass ihr Tränen in die Augen traten. Lange würde sie das Schild nicht mehr aufrechterhalten können.
Was sollte sie jetzt nur tun? Sie war keine Kriegerin und auch keine Heilerin. Konnte sie denn gar nicht helfen, außer ihr Schild zu nutzen?
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