Kapitel 64
Als Rhana mit Idris zusammen ein zweites Mal bei ihr zuhause ankam, wurde sie mit einer überschwänglichen Umarmung seitens ihres Bruders empfangen. »Ich kann es nicht fassen, dass du uns besuchen kommst«, lachte Ruonir, während er Rhana fest an sich zog und sich sogar mit ihr drehte.
Rhana lachte freudig, während sie sich festkrallte.
Das hatte Ruonir schon früher gemacht, doch mittlerweile war sie ein wenig zu alt für diese Sache. Sie spürte, dass ihr ein wenig schwindlig wurde, weshalb sie sanft auf Ruonirs Schulter klopfte.
Dieser setzte sie sofort wieder auf den Boden ab und nahm strahlend ihre Hand. »Komm rein und erzähl«, forderte er, bevor er zu Idris sah. Sein Lächeln verrutschte nicht, doch es war nicht mehr ganz so strahlend. »Du natürlich auch.«
Rhana verdrehte innerlich die Augen. Ruonir mochte Lewin nicht und ihr war klar gewesen, dass er auch mit Idris nicht sonderlich zufrieden sein würde. Das war wohl so ein Großer-Bruder-Ding, weil er sie beschützen wollte. Gleichzeitig versuchte er jedoch auch, nicht unhöflich zu sein.
Idris schien sich davon nicht stören zu lassen, bis plötzlich ihr Ziehvater Unori im Türrahmen auftauchte.
Sowohl Idris, als auch er erstarrten, was Rhana etwas die Stirn runzeln ließ. Sie wollte gerade etwas sagen, da ergriff Unori das Wort: »Junge, du kommst mir irgendwie bekannt vor«, bemerkte er. »Sind wir uns schonmal begegnet? Du erinnerst mich an jemanden.«
Rhana spannte sich an, denn sie verstand diese Frage nicht. Sie glaubte nicht, dass Idris schon einmal mit Unori in Kontakt gekommen war. Immerhin lebte Idris im Gebirge und bis dorthin gingen die Handelsrouten nicht.
Idris lächelte leicht. »Vielleicht kennt Ihr meinen Vater. Wir sehen uns sehr ähnlich. Er hat früher mit der Tavanis-Handelsgesellschaft zusammengearbeitet«, erklärte Idris, was Rhana nur noch weniger glauben konnte. Was auch daran lag, dass Lir Idris gar nicht so ähnlich sah. Wenn sie sich das recht überlegte, war es unmöglich Lir mit Idris zu verwechseln. Oder sah Lir ihm vielleicht in jungen Jahren ähnlicher.
Unori brummte leise. »Wie ist dein Name?«, wollte er wissen, was Rhana dazu veranlasste unruhig zu werden. Gerade, wenn es um die Nachnamen ging.
»Idris Raenac-Naytas«, erwiderte er ruhig, als wäre für ihn nichts dabei.
Unori rieb sich das Kinn. »Raenac-Naytas. Ein Doppelname. Ja, der kommt mir bekannt vor. Giro könnte wirklich mit deinem Vater gehandelt haben«, sagte er schließlich, was Rhana zu Idris schielen ließ, doch sie sagte nichts dazu. Trotzdem fragte sie sich, warum sie das Gefühl hatte, dass Idris log.
Darauf würde sie ihn später ansprechen. Hier war nicht der richtige Zeitpunkt. Sicherlich hatte er seine Gründe.
»Lass uns erstmal reingehen«, bat sie an ihren Ziehvater gerichtet, der noch immer Idris im Blick hatte. Trotzdem brummte er und trat ein, damit auch die anderen durch die Tür konnten.
So schlängelten sie sich alle durch den Flur, bevor sie die Küche und den Esstisch erreichten, an dem sie Platz nahmen.
Rhana packte den Kuchen aus, den sie in der Stadt gekauft hatte und teilte ihn auf.
Während sie das tat, fragte sie sich, was Idris wohl dachte. Nicht nur über das Haus, das so ganz anders war als sein Zimmer. Sich über ihre Familie. Ob er mit Ruonir klarkommen würde? Sie hatte, wenn sie ehrlich war, keine Lust auf Streit zwischen den beiden. Sie wollte, dass sie sich mochten, was Rhana überraschte. Bei Lewin war es ihr immer recht egal gewesen.
»Lasst es euch schmecken«, bat sie, um die Stille zu durchbrechen.
Währenddessen machte sie einen Tee, der hier beliebt war.
Die Männer beobachteten sie, was Rhana durchaus unangenehm war. Es fühlte sich so ans, als würden die alle etwas von ihr erwarten, von dem Rhana nicht wusste, was.
Nachdem sie den Tee serviert hatte, ließ sie sich ebenfalls am Tisch nieder. »Die Schule ist wirklich sehr interessant«, setzte sie an, da die Blicke von Unori und Ruonir abwartend wurden. »Ich habe alle möglichen, interessanten Leute kennengelernt.« Sie wusste nicht, wie sie es sonst beschreiben sollte. Immerhin konnte sie kaum sagen, wer alles mit ihr auf die Schule ging. Sie wusste ja nicht einmal, wie sie Idris beschreiben sollte. Ihre Verbindung zur Königin der Nordlande verstand sie noch immer nicht.
Allerdings konnte Rhana über die Handelsverträge, die sie mit Lord Javar geschlossen hatte, reden, ohne Sorge haben zu müssen, etwas auszuplaudern. Sie war ganz in ihrem Element und bemerkte so gar nicht, wie sie sich mit ihrem Bruder in den Details der Dinge verlor.
Irgendwann erklang Unoris leises Lachen. »Du bist deiner Mutter wirklich ähnlich. Sie kam auch immer mit neuen Kontakten und irgendwelchen lukrativen Handelsbeziehungen zurück, wenn sie unterwegs war«, bemerkte er gut gelaunt und entspannt.
Rhana fragte sich, ob auch ihre Mutter für die Drachenreiter diese Handelsbeziehungen geknüpft hatte. Vielleicht war das auch der eigentliche Grund, warum es ihre Handelskarawane überhaupt gab.
»Ich denke halt immer an mein Erbe«, bemerkte sie mit einem Lächeln.
Unori grinste, als würde er sich an etwas erinnern, das ihm gute Laune machte. »Und lass mich raten: Du überlässt den Rest der Handelsroute und den Verkauf uns?«, fragte er, als würde er das schon kennen.
Rhana hob eine Augenbraue. »Natürlich. Ich bin immerhin auf der Schule und habe keine Zeit dafür.«
Unori lachte leise, bevor er sich kommentarlos wieder seinem Essen widmete.
Ruonir blickte zu Rhana und musterte sie von der Seite. »Du bist viel erwachsener geworden, seitdem du auf der Schule bist«, bemerkte er, doch es klang eher nachdenklich.
Überrascht blickte Rhana zu ihm. »Es ist wirklich viel passiert«, bemerkte sie unsicher, wie viel sie sagen konnte. Die Dinge, die um sie herum passiert waren, hatten ihre Sicht auf die Welt ein wenig geändert. Früher war sie definitiv naiver gewesen. Sie hatte das Böse nicht gesehen und manchmal wünschte sie sich, sie wäre noch die Alte. Allerdings würde sie dann auch viele Dinge missen, die sie bekommen hatte. Darunter Kaza und Idris.
»Ich hoffe sehr, die Schule ist nicht zu schwer«, bemerkte Ruonir, schien aber nicht auf die Unterrichtsfächer hinauszuwollen. Immerhin wusste er von Kaza, konnte aber durch Unoris Anwesenheit nicht nach ihr fragen.
»Es ist anstrengend, doch auch sehr schön. Ich lerne so viel und sehe viele Dinge«, schwärmte Rhana, die sich vor ihrer Zeit auf der Schule niemals hätte träumen lassen, jemals in die Nordlande zu kommen.
Ruonir stieß die Luft aus, als wäre das nicht ganz die Antwort, die er gewollt hatte, die ihn aber trotzdem beruhigte. »Wie lange kannst du bleiben?«, fragte er, was Rhana schief lächeln ließ.
»Ich fürchte, nur bis heute Abend«, gestand sie leise und schielte zu Idris. »Es ist nicht so einfach hierherzukommen und die Reise lang.«
»Sag, wenn du Hilfe brauchst. Du weißt, dass du uns mit der Karawane jederzeit begleiten kann«, mischte sich plötzlich Unori ein.
Rhana lächelte dankbar. »Danke, aber es ist schon alles geregelt. Du musst dir keine Sorgen machen«, versicherte sie, bevor sie sich nun endlich ihrem Essen widmete.
Der Rest des Gespräches drehte sich um den Handel mit den Nordlanden und die Möglichkeiten und Risiken, die sich dadurch ergaben.
Rhana fühlte sich wohl und geborgen, doch ihre Gedanken kreisten immer wieder darum, dass diese Zeit nur von kurzer Dauer sein würde. Bald war es so weit. Bald würden sie eingreifen müssen.
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