Kapitel 5

Als Rhana nach dem Gespräch mit ihrem Adoptivbruder zurück zu ihrem Zuhause kam, wartete dort Lewin auf sie. Sein Blick richtete sich wütend auf Ruonir, als hätte er ein Problem mit dem Mann. »Wo bist du gewesen?«, fragte er ruppig und wandte sich an Rhana.

»Ich habe den Sonnenuntergang betrachtet«, bemerkte sie nüchtern, da sie sich von seiner Art nicht stressen lassen wollte.

Lewin blickte noch einmal zu Ruonir, bevor sie diesen ignorierte. Stattdessen trat sie auf Rhana zu und nahm ihren arm. »Komm mit. Wir essen bei mir«, sagte er, ohne Rhana zu fragen, was sie davon hielt.

Ruonir wollte nach Lewins Arm greifen und dafür sorgen, dass er Rhana nicht mitziehen konnte, doch diese schüttelte lediglich den Kopf.

Weil sie wusste, wie anstrengend es werden konnte, wenn Lewin und Ruonir aneinandergerieten, wenn Lewin schlechte Laune hatte, ließ sie sich mitziehen. »Wir sehen uns später«, rief sie ihrem Adoptivbruder zu und folgte Lewin in die Kutsche.

Solange er nur ein Essen wollte, war das in Ordnung.

Irgendwas schien ihn verärgert zu haben, weshalb sie hoffte, dass sich seine Laune besserte, wenn sie allein waren und aßen.

Obwohl Rhana sah, dass Ruonir gar nicht begeistert war, schenkte sie ihm ein entschuldigendes Lächeln, bevor sie sich in die Kutsche setzte.

Lewin setzte sich zu ihr und gab dann dem Kutscher ein Zeichen, dass er losfahren sollte.

Kaum waren sie um die Ecke gebogen, wandte sich Lewin Rhana zu. »Was läuft da zwischen dir und ihm?«, knurrte er und fixierte Rhana mit kaltem Blick.

Dieser verdrehte die Augen. »Ruonir ist mein Bruder«, erwiderte sie ruhig. »Wir haben uns unterhalten und den Sonnenuntergang angeschaut.«

Obwohl sie und Lewin kaum Zeit miteinander verbrachten und eigentlich eher auf dem Papier verlobt waren, war er doch ein sehr eifersüchtiger Mann, wenn er in ihrer Gegenwart war. Das war schon immer so gewesen und Rhana hasste es.

»Über was habt ihr gesprochen?«, wollte Lewin wissen, während er erneut ihren Arm griff. Sein Blick durchbohrte sie regelrecht.

»Ich habe mit ihm über das Angebot gesprochen«, erwiderte Rhana. »Immerhin ist er meine Familie und sollte wissen, wenn die Möglichkeit besteht, dass ich bald nicht mehr da bin«, erklärte sie, während sie spürte, dass sich Lewins Griff um ihren Arm verstärkte. Das Bedürfnis sich loszureißen war groß, doch sie wusste, dass es Lewin nur noch wütender machen würde.

»Du hast mit ihm darüber gesprochen?«, knurrte er, wobei sein Griff noch fester wurde. »Was hast du dir dabei gedacht?«

»Ich hab ja nichts verraten, was ich nicht verraten durfte«, versuchte sie Lewin zu beschwichtigen, doch sein Griff wurde nicht sanfter.

Stattdessen funkelte er sie noch immer wütend an. »Und was heißt, dass die Möglichkeit besteht?«

Rhana zuckte leicht und blickte auf ihren Arm. »Du tust mir weh«, bemerkte sie, was Lewin dazu veranlasste, seinen Griff kurz zu lockern, doch er hielt sie weiterhin fest.

»Du hast mir nicht geantwortet«, sagte er, als die Kutsche schon vor einem großen Anwesen hielt.

Statt jedoch auszusteigen, blieb Lewin sitzen und starrte Rhana weiterhin an.

»Ich weiß nicht, ob ich das Angebot annehme«, bemerkte sie, denn noch war sie sich nicht sicher. Sie sah die Vorteile, aber auch die Nachteile.

»Was soll das heißen?«, fuhr Lewin Rhana an, die ihn überrascht anblickte. Sie war es zwar gewohnt, dass er laut wurde, aber sie hatte nicht erwartet, dass er so reagierte. »Du wirst dieses Angebot annehmen, hörst du?«, knurrte er, wobei seine Stimme überraschend drohend klang. »Du wirst mich auf diese Schule begleiten.«

Seine Stimme klang endgültig und Rhana konnte die Drohung dahinter hören. Außerdem wusste sie, dass sie es schlimmer machte, wenn sie jetzt widersprach. Also nickte sie, damit Lewin seinen Willen bekam.

Was jedoch nicht hieß, dass sie ihre Entscheidung von seinem Willen abhängig machte. Sie würde genau das tun, was sie sich vorgenommen hatte. Den Abend über darüber nachdenken, was ihr wichtiger war. Herauszufinden, was mit ihren Eltern geschehen war, oder bei ihrer neuen Familie zu bleiben und ein ruhiges Leben in Savrana führen.

Lewins Gesicht hellte sich etwas auf und jetzt, da er seinen Willen hatte, ließ er auch von ihr ab. Plötzlich war er wieder der Gentlemen für den ihn viele Frauen hielten. Er stieg aus und reichte ihr die Hand, damit sie es leichter hatte, ihm zu folgen.

Dann führte er Rhana durch den kleinen Vorgarten, in dem der Weg durch kleine, in den Boden eingelassene, magische Steine beleuchtet wurde. Sie liebte diese Art von Gartengestaltung, doch heute hatte sie keine Augen dafür. Rhana hörte auch nicht wirklich zu, was Lewin ihr über das Essen erzählte, das er extra zur Feier des Tages auftischen ließ.

Ihre gesamten Gedanken drehten sich darum, ob sie das Angebot annehmen sollte oder nicht.

Es war so schwer herauszufinden, was sie wollte.

Als sie den Speisesaal von Lewins Anwesen betraten, beobachtete Rhana einige der Diener, welche die Speisen auf den Tisch stellten. Einige von ihnen dampften, während andere scheinbar kalt gegessen wurden.

Auffällig war, dass sogar die Karaffen mit den Getränken auf dem Tisch platziert wurden. Dabei legte Lewin sonst immer Wert darauf, dass er beim Essen bedient wurde.

Er führte Rhana zu einem Stuhl, der seinem gegenüberstand und zog ihn zurück.

Widerwillig ließ sich Rhana nieder und beobachtete Lewin, der sich ihr gegenübersetzte. Dann klatschte er in die Hände. »Lasst uns jetzt allein«, befahl er seinen angestellten, was Rhana sofort verunsicherte. In ihrem Magen machte sich ein seltsames Gefühl breit, denn sie wusste nicht, was er vorhatte. Gab es einen Grund, warum er mit ihr allein sein wollte?

Als wäre nichts, begann Lewin damit, zu Essen.

Rhana beobachtete ihn zuerst einen Moment, bevor auch sie sich etwas von den angebotenen Speisen nahm.

Sie begann mit einigen Trockenfrüchten, die sie schon als Kind gern gegessen hatte. Allerdings entdeckte sie auch den großen Skorpion, der das Zentrum der Speisen darstellte. Er war so groß wie ein Hund und soweit Rhana wusste ein Bewohner der Wüste, der nicht gerade selten war. Außerdem galt er als Delikatesse, da er nicht leicht zu fangen war.

Er war auf dem großen Tablett mit einigen, verschieden eingelegten Kaktusfrüchten eingelegt, was Rhana doch neugierig machte. Sie hatte noch nie Skorpion gegessen, da sie sich eher mit fleischlosen Speisen zufriedengab. Es war immerhin recht schwierig in der Wüste Tiere zu halten und zu gefährlich die Tiere der Wüste zu jagen.

Rhana hatte sich gerade einige der Kaktusfrüchte genommen und auf ihren Teller gelegt, als Lewin den Blick hob und sie musterte. »Also: Was genau hast du deinem Bruder alles erzählt?«, fragte er, was Rhana überraschte. Sie hatte wirklich geglaubt, dass sie dieses Thema beendet hatten.

Unwillig erwiderte sie seinen Blick. »Das, was ich dir bereits gesagt habe«, sagte sie mit ruhiger Stimme.

»Ist er es, der dir ausreden will, auf die Schule zu gehen?«, wollte er wissen. Rhana verstand nicht, woher die Idee kam, dass Ruonir es ihr ausreden wollte.

»Nein«, sagte sie deshalb stirnrunzelnd. »Es sind meine eigenen Zweifel.« Immerhin hatte Ruonir sie sogar darin bestärkt, dass sie gehen sollte.

Lewin schlug mit der Hand auf den Tisch, was das Geschirr klirren ließ, und Rhana zuckte zusammen, wandte den Blick aber nicht ab. »Er will nicht, dass ich mit dir dorthin gehe. Das ist es doch«, behauptete er, was Rhana leise seufzen ließ.

»Er weiß nicht einmal, dass du auch auf die Schule gehst«, sagte sie, bevor sie zur Gabel griff. Wenn das so weiter ging, würde sie gar nicht zum Essen zu kommen. Es schien, dass Lewin sich in Rage redete, was ihr gar nicht gefiel. Sie konnte im Moment jedoch nichts anderes tun, als ruhig zu bleiben. Ihr war bewusst, dass Lewins Einfluss weit genug reichte, um nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Familie, sehr zu erschweren. Das wollte sie auf keinen Fall, was auch der einzige Grund war, warum sie diese Beziehung, wenn man es denn überhaupt so nennen konnte, ertrug. Hoffentlich half die Schule dabei, ihn etwas zu ändern. Rhana hoffte, dass die Regeln dort streng genug waren, um Lewin auf den Boden der Tatsachen zu bringen.

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