Kapitel 49

Rhana blickte aus dem Fenster, während sie mit Lewin auf dem Rückweg zum Gebirge war. Dort würden Drachen auf sie warten. Für die Allgemeinheit übernachteten sie jedoch in einer Taverne vor dem Pass. Immerhin war es glatter Selbstmord das Gebirge in der Nacht mit einer Kutsche zu durchqueren.

»Das Ganze lief doch recht gut, auch wenn ich nicht verstehe, warum Idris so viel Steine in den Weg gelegt hat«, bemerkte Lewin augenverdrehend, während er Rhana musterte.

Diese fragte sich, von was er sprach, denn eigentlich war Idris sehr hilfreich gewesen, um die Aufmerksamkeit des Fürsten zu erlangen. Aber vielleicht sah Lewin das auch anders, weil sie viel mit Fürst Javar gesprochen hatte und er sich eher um die anderen Adligen gekümmert hatte. Was ebenfalls hilfreich war, denn er hatte einige Aufträge an Land gezogen, deren Ausarbeitung ein neuer Besuch hier bedeuten würde. Also etwas Gutes, um die Kontakte auszubauen.

Rhana wandte sich vom Fenster ab, bevor sie Lewin direkt anblickte. Eigentlich wollte sie nicht darüber sprechen, doch ihr war klar, dass sie es musste, bevor Lewin es irgendwie anders herausfand. »Fürst Javar hat mich gebeten, in seinen Harem einzutreten«, sagte sie unvermittelt und ernst.

Lewin blickte sie erst überrascht, dann schockiert an, bevor er seine Faust ballte. »Dieser Kerl. Wie kann er nur«, knurrte er wütend.

»Ich habe abgelehnt und gesagt, dass ich verlobt bin«, erwiderte Rhana ruhig, auch wenn sie das bereits vor der Einladung getan hatte. Zu erwähnen, was Javar über Lewin gesagt hatte, war vermutlich keine gute Idee. So emotional wir dieser gerade war, würde er Fürst Javar vielleicht sogar angreifen und damit ihren Plan gefährden. Das durfte nicht passieren.

Lewin sah irgendwie zufrieden aus, auch wenn Rhana das Lächeln auf seinen Lippen nur schwer einschätzen konnte. »Das hast du gut gemacht«, lobte er, sodass sich Rhana ein wenig wie ein Gund fühlte. Gleichzeitig spürte sie aber auch eine gewisse Wärme der Zufriedenheit in sich aufsteigen. Er lobte so selten, dass es sie freute.

Auch wenn es Javar nicht interessiert hatte, dass sie verlobt war. Das musste Lewin allerdings nicht wissen.

Rhana wandte ihren Blick wieder zum Fenster. Draußen war es bereits recht dunkel, doch Soraya, die ihre Kutsche fuhr, konnte sehen, als wäre es Tag. Auch die Tiere, die zwar optisch aussahen wie Pferde, jedoch kleinere Drachen waren, hatten keine Peobleme. Anders wäre es auch nicht möglich gewesen, an der Taverne vorbei und ins Gebirge zu gelangen.

Rhana war noch immer fasziniert davon und war sich sicher, dass es sich um die Macht eines Artefaktes handeln musste. Vielleicht das von Soraya? Sofern sie eines besaß. Obwohl sie eine Vampirin war. Vielleicht gingen damit noch andere Fähigkeiten einher, die Rhana so nicht kannte.

Bisher hatte sie nur nie die Zeit gefunden, das ganze zu untersuchen oder den richtigen Leuten Fragen zu stellen. Ob Idris wohl erklären konnte, wie das ging?

Bei dem Gedanken an Idris spürte sie plötzliche Traurigkeit und Schwermut in sich aufkommen. Seitdem sie ihm im Flur von sich geschoben hatte, war er nicht wieder zu ihr gekommen. Er hatte sich die ganze Feier über von ihr ferngehalten. Ob er bemerkt hatte, dass Lewin eifersüchtig war?

Rhanas Gedanken wurden jäh unterbrochen, als die Kutsche plötzlich hielt. So schnell, dass es kaum ein geplanter Stopp gewesen sein konnte, denn Rhana fiel förmlich von ihrem Sitz.

Lewin fluchte ungehalten, bevor er sich aufrappelte. Rhana hingegen brachte einen Moment, um dich wieder zu fangen. Sie war mit ihrem Arm direkt gegen den gegenüberliegenden Sitz geknallt und nun zog sich ein unangenehmer Schmerz ihren Arm nach oben. Hoffentlich hatte sie sich nicht ernsthaft verletzt.

»Du bleibst hier«, befahl Lewin, der aus der Kutsche stieg.

Rhana folgte ihm mit ihren Blicken, bevor sie sich langsam erhob. Ihr Arm schmerzte zwar, doch es war aushaltbar. Eher wie eine Dehnung als ein Bruch.

Vorsichtig blickte Rhana zum Fenster hinaus, doch nur Dunkelheit empfing sie. Es frustrierte sie, dass sie nichts sehen konnte. Wie sollte sie so helfen?

Instinktiv glitt ihre Hand zur Haarnadel, um sie zu ziehen.

Mittlerweile hatte sie genug damit geübt, um andere mit einem Schutzschild zu versehen, doch dafür musste sie diejenigen sehen. Ein Problem bei dieser Finsternis.

Rhana wandte sich vom Fenster ab, als es draußen laut krachte. Lewin fluchte und Soraya schrie. Dann krachte es erneut und die Kutsche wackelte.

Taumelnd versuchte Rhana Halt zu finden, doch erneut krachte es, sodass die Kutsche noch heftiger wackelte.

Rhana wollte sich festhalten, als ihr klar wurde, dass die Kutsche nicht nur wackelte. Sie kippte!

Ein panischer Schrei verließ ihre Lippen, als ein tiefes Brüllen ertönte.

Ein Geräusch, das ihr erst sämtliche Härchen aufstellte, bevor sie es als das Brüllen eines Drachens identifizierte.

Sofort wurde sie innerlich ruhig. Ein Drache. Vielleicht Skargo, der Lewin retten kam. Sie waren außer Gefahr.

In dem Moment, in dem sie das dachte, bemerkte sie, dass die Kutsche zwar schief lag, aber nicht weiter kippte. Stattdessen wurde sie wieder aufgerichtet, sodass Rhana sich erheben konnte.

Ihre Beine zitterten vor Aufregung, doch ihr gelang es, zur Tür zu gehen.

Rhana aktivierte das Artefakt, das sie in einen schützenden Schleier hüllte, sodass sie nicht so leicht verletzt werden konnte. Warum es nicht aktiviert worden war, als die Kutsche angegriffen wurde, verstand sie zwar nicht, doch scheinbar funktionierte es nur mit direkten Angriffen, die ihr schaden sollten. Das musste sie sich dringend merken.

Als sie die Tür öffnete, bemerkte sie einen sanften, blauen Schein, der die Umgebung erhellte.

Dadurch konnte sie etwas sehen, dass sie lieber nicht gesehe hätte.

Blut. Überall auf dem Boden war Blut und färbte die grauen Steine in ein unangenehmes rotbraun.

Rhanas Herz klopfte heftig, als sie mit ihrem Blick den Spuren am Boden folgte und schließlich herausfand, was das Blut hinterlassen hatte.

Am Boden lag eine Gestalt, die eine unnatürlich grün-graue Haut hatte. Sie war klein und irgendwie menschlich, doch mit einem viel zu großen Kopf und großen Händen, die mit Krallen bewehrt waren.

In Rhanas Geist tauchten Bilder auf, die sie einmal in einem Buch gesehen hatte.

Goblins.

Nie hätte Rhana gedacht, dass diese wirklich existierten und es waren so viele.

»Du solltest doch in der Kutsche bleiben«, fuhr Lewin sie an, als er gerade einen der Goblins mit seinem Artefakt im Fesselgriff hatte.

Nur Sekunden später tauchte eine riesige Kralle auf, welche den Goblin einfach zermatschte.

Rhana schluckte, während sie ihren verletzten Arm an ihrem Bauch hielt, weil es die angenehmste Position war.

»Dort war es zu gefährlich«, bemerkte sie, starrte aber ganz gefesselt die Drachenklaue an. Sie schimmerte und gab den hellen Schein ab, doch das war es nicht, was sie so faszinierte. Es waren die Schuppen, die wirkten wie Glas. Hellblaues Glas.

Rhanas Blick wanderte über die Klaue zu dem Drachen hinauf. Sein ganzer Körper war mit diesen Schuppen überzogen und ließen ihn so ganz anders wirken als alle anderen Drachen.

Von seiner Schönheit völlig gefesselt, vergaß Rhana einen Moment, in welcher Gefahr sie sich befand.

Aus dem Augenwinkel erkannte sie eine Bewegung, doch als sie sich umwandte, wurde der Goblin, der sie ansprang, bereits von ihrem Schild aufgehalten und zurückgeschleudert.

Rhanas Atem ging schneller, obwohl sie erleichtert war. Trotzdem war sie mitten in den Kampf betreten und sollte nicht einfach nur herumstehen. Damit würde sie Lewin und dem Drachen nur im Weg stehen.

Aber was sollte sie stattdessen tun?

Lewins Artefakt schoss Seile, welche den Goblin festhielten, bevor der Drache auch diesen zerquetschte.

»Das war der Letzte«, bemerkte Lewin gut gelaunt. Er schien in diesem Kampf förmlich aufzugehen, was Rhana etwas besorgte.

Ihr war schlecht. Der Geruch des Blutes lag ihr schwer in der Nase und am liebsten würde sie wegrennen.

Lewin hingegen wirkte gelassen, als er nun auf sie zuschlenderte und sie musterte. »Interessantes Schild«, stellte er fest, bevor er zu ihren Arm blickte. »Bauchschmerzen? Ich hab dir doch gesagt, du sollst das scharfe Zeug nicht essen«, bemerkte er mit einem leicht tadelnden Ton.

»Ich hab keine Bauchschmerzen«, erwiderte Rhana, deren Stimme ruhiger klang, als sie erwartet hatte. »Ich hab mich am Arm verletzt.«

»Achso«, erwiderte Lewin, der sich umsah und zufrieden lächelte. »Diese Goblins waren wirklich lahm. Komm, lass uns weiter fahren«, meinte er und legte Rhana eine Hand auf den Rücken, um sie zur Kutsche zu schieben.

Rhana warf dem Drachen noch einmal einen Blick zu und bemerkte dann Soraya, die aus dem Gebüsch kam. Sie hielt zwei Dolche in der Hand, die genauso blutverschmiert waren, wie ihr Gesicht. Der Ausdruck ihrer Augen war grimmig, aber zufrieden.

Rhana ließ sich von Lewin in die Kutsche helfen, während ihr Arm noch immer schmerzte. Sie sollte diesen dringend untersuchen lassen, sobald sie wieder da waren. Erst einmal hörte sie jedoch Lewin zu, denn er erzählte davon, wie er die Goblins geschlagen hatte. Von dem Drachen erzählte er jedoch nichts, dabei war dieser wesentlich interessanter. Rhana hatte ihn noch nie gesehen. Ob er wohl von der Direktorin geschickt worden war?

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