Kapitel 48

Rhana trat auf den Balkon und atmete die kühle Nachtluft ein. Lewin war mit einem Lord in ein Gespräch vertieft und so hatte sie ein paar Minuten für sich.

Es war wirklich hart in seiner Nähe zu sein, ohne das Geschehen anzusprechen. Außerdem schien er nicht von ihrer Seite weichen zu wollen. Auch jetzt war sie sich seiner durchdringenden Blicke bewusst. Immer wieder schielte er von seinem Gespräch zu ihr, als würde er befürchten, wie würde verschwinden.

Das waren aber nicht die einzigen Blicke, die sie spürte. Auch Idris, der sich noch immer auf dem Fest befand, warf ihr manchmal kontrollierende, nachdenkliche Blicke zu. Yuvan tat es ihm gleich und auch Königin Lumielle sah manchmal nachdenklich zu ihr.

Rhana gefiel das gar nicht, doch zumindest hatte sie das Gefühl, wenigstens ihrer Aufgabe nachgehen zu können.

Mittlerweile war sie mit einigen Fürsten aus den Nordlanden in Kontakt getreten und hatte den Namen ihrer Handelsgesellschaft verbreitet. Ein Fürst, dessen Eltern aus den Südlanden stammten, der aber in den Nordlanden geboren war, hatte um eine sehr seltsame Sache geben. Sie solle seinen Verwandten einen Brief übergeben, wenn sie zurückkehrte.

Rhana hatte eingewilligt, denn es war sicher nicht falsch einen kleinen Gegengefallen offen zu haben.

Je mehr Fürsten sie für sich gewann, desto besser. Nicht nur für ihre Aufgabe. Sobald sie wieder Zuhause bei Ruonir war, würde sie die Handelsgesellschaft übernehmen, wie ihr Vater es sich gewünscht hatte. Das hieß, sie konnte schon jetzt dafür arbeiten, was ihr auch Spaß machte. Der Handel war ein sehr interessantes Gebiet, in dem sie aber auch noch einiges zu lernen hatte.

»Ah, Lady Tavanis«, erklang eine Stimme, die Rhana nicht sofort einordnen konnte. Als sie sich umwandte, entdeckte sie Fürst Javar, der zu ihr auf den Balkon kam.

Sofort schielte Rhana zu Lewin, der noch immer in ein Gespräch vertieft war, aber scheinbar nichts gegen Javars Anwesenheit hier hatte. Also ließ sich Rhana darauf ein. »Fürst Javar«, sagte sie und vollführte einen Knicks. »Was führt Euch hierher?«, fragte sie, obwohl es ihr klar war, dass dieser mit ihr sprechen wollte.

»Mir scheint, als hätten einige Männer ein Auge auf Euch geworfen«, bemerkte er, wobei er irgendwie belustigt klang.

Rhana schob sich eine ihrer schwarzen Strähnen hinter ihr Ohr, denn der Wind wurde zunehmend stärker und ließ die Baumkronen rauschen. »Ist dem so?«, fragte sie überrascht, da sie dieses Thema nicht erwartet hatte.

»Sind Euch die Blicke, die Euch Lord Idris zuwirft, nicht aufgefallen?«, fragte er, wobei Genugtuung in seiner Stimme mitschwang.

Rhana fragte sich, ob das wieder so eine Sache war, wo Idris seine Finger im Spiel hatte. Er schien Fürst Javar sehr gut zu kennen und wenn Rhana das richtig einschätzte, gab es eine gewisse Konkurrenz zwischen ihnen. Sie konnte es also nutzen, um Javar auf ihre Seite zu ziehen.

Daher tat sie so, als wüsste sie nicht, von wem Javar sprach. »Lord Idris?«, fragte sie, als erinnere sie sich nicht an ihn. »Bitte verzeiht, ich bin heute sehr vielen Menschen begegnet. Nicht alle machen einen solchen Eindruck auf mich, dass ich ihre Namen behalte.« Hoffentlich war das nicht zu viel.

Das Lächeln, das sich auf Javars Lippen legte, zeigte ihr jedoch, dass sie wohl nicht ganz falsch lag.

»Dann ehrt es mich, dass Ihr Euch an mich erinnert«, brachte Javar hervor. Genau das, was Rhana gewollt hatte.

Sie lächelte. »Der Tanz mit Euch war sehr faszinierend«, gestand sie. »Außerdem seid Ihr eine wichtige Persönlichkeit. Es wäre dumm von mir, Euch keine Beachtung zu schenken.«

Rhana hätte bei solchen Worten vermutlich sofort einen Rückzieher gemacht, weshalb sie hoffte, es nicht zu übertreiben.

Java lachte leise. »Mir scheint Lord Idris ist an Euch interessiert«, bemerkte er, wobei Rhana glaubte einen fragenden Unterton zu vernehmen.

Sie lächelte ruhig, doch innerlich war sie aufgewühlt. Was war denn hier los? Das war gar nicht gut.

»Das tut mir sehr leid für ihn, aber ich bin bereits verlobt.« Das sollte sie lieber gleich deutlich machen, bevor Javar noch anfing, ihr Avancen zu machen. Das konnte sie in der aktuellen Situation nicht gebrauchen. Lewin würde durchdrehen.

Auf Javars Gesicht bildete sich für einen kurzen Moment ein Lächeln. »Mit diesem Jungen, Sunrena?«, fragte er, was Rhana überraschte. Dass er sich Lewins Nachnamen gemerkt hatte, zeigte ihr, dass da definitiv mehr Interesse im Spiel war, als sie angenommen hatte.

»Ja. Lewin und ich sind schon seit Kindertage über ein Arrangement unserer Eltern verlobt«, erklärte Rhana. Ihr Ziel war es zu zeigen, dass Lewins Anspruch schon länger bestand, doch Javar wirkte eher überrascht.

»Ich hätte nicht erwartet, dass es so etwas in eurer Gegend gibt«, bemerkte er nachdenklich. »Scheinbar haben die Südlande doch einige Dinge von uns übernommen«, murmelte er vor sich hin.

Rhana sah ihn verwirrt an. »Könnt Ihr mir erklären, was Ihr meint?«

Javar blickte ihr ins Gesicht und lächelte. »Soweit mir bekannt ist, ist es unüblich in Eurer Region derartige Verbindungen einzugehen«, sagte er, was Rhana leicht die Stirn runzeln ließ.

Als Kind hatte sie mit Lewin viel gespielt, da er noch in Savrana gelebt hatte. Von der Verlobung hatte sie erst durch einen Brief von Lewins Vater erfahren, nachdem ihre eigenen Eltern verschwunden waren.

»Vielleicht ist es unüblich«, murmelte sie zu sich, denn wenn sie darüber nachdachte, kannte sie niemanden, die eine derartige Vereinbarung hatten. Außerdem erinnerte sie sich noch daran, dass Unori nicht begeistert gewesen war. Sie erinnerte sich sogar, was er damals gemurmelt hatte: »Giori würde seine Tochter nie auf diese Art verkaufen.«

Jetzt, wo Javar es so deutlich ansprach, fragte sich Rhana, was da wirklich vorgefallen war. Aber eigentlich war es auch egal. Sie hatte sich mit Lewin als ihren Partner abgefunden.

Darum schenkte sie Javar auch ein Lächeln. »Aber bisher gibt es keine Probleme in diesem Arrangement«, sagte sie, was gelogen war. Noch immer hatte sie Angst vor Lewin. Ob er sie gerade jetzt beobachtete? Leider stand sie mittlerweile mit dem Rücken zu den Fenstern, sodass sie die Gesellschaft nicht mehr sehen konnte.

Javar musterte sie nachdenklich. »Du verdienst jemand Besseren«, bemerkte er, als würde er Lewin kennen. Oder sie.

Rhana gab sich Mühe, nicht ihre Augenbraue nach oben zu ziehen. Was wollte er ihr damit sagen? War das seine Art sie auf seine Seite zu ziehen.

»Und Ihr kennt diesen Jemand?«, fragte sie vorsichtig und ließ sich erst einmal darauf ein.

Javar strahlte. »In den Nordlanden ist es üblich als Fürst einen Harem zu besitzen. Wollt Ihr nicht meinem beitreten? Eine solche Schönheit wie ihr hat es verdient von ihrem Mann verwöhnt zu werden«, sagte er mit vollem Ernst, was bei Rhana fast dafür sorgte, dass ihr die Gesichtszüge entglitten. Allerdings schaffte sie es, sich zusammenzureißen.

Meinte er das ernst?

Rhana räusperte sich leise. »Das Angebot ehrt mich, aber was wird dann aus meiner Handelsgesellschaft?«, fragte sie, als wäre sie nicht ganz abgeneigt.

Javar winkte ab. »Darum würde sich einer meiner Leute kümmern«, bemerkte er, was für Rhana die Frage aufwarf, ob es ihm vielleicht auch nur darum ging.

»Danke für das Angebot, aber ich muss leider ablehnen. Es liegt mir fern, mein Erbe in die Hände anderer zu geben«, erwiderte sie und straffte die Schultern. In diesem Punkt würde sie keine Kompromisse eingehen. Die Handelsgesellschaft gehörte ihr und nicht einmal Lewin würde in ihrer Ehe etwas dazu zu sagen haben.

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