Kapitel 43
Das Ruckeln der Kutsche, in der Rhana und Lewin Platz genommen hatten, machte sie zunehmend nervöser. Sie wusste, dass sie sich dem Herrschaftssitz in den Nordlanden näherten, doch bereit dafür fühlte sie sich nicht.
Obwohl Idris ihr die letzten zwei Wochen neben Etikette und Tanzen auch die wichtigen Persönlichkeiten der Nordlande erklärt hatte und Rhana sogar einen Abstecher nach Savrana gemacht hatte, um die Bücher ihrer Handelsgesellschaft auszuleihen, hatte sie das Gefühl, etwas vergessen zu haben.
Lewin legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel und strich über das himmelblaue Kleid, das ihren Körper umspielte wie Wasser. Ein Geschenk von Idris, von dem Lewin nichts wusste. »Ich bin da«, versicherte er ihr beruhigend.
Allerdings halte das Rhana nur bedingt. Bei den Übungen hatte er sich teilweise nicht gut angestellt. Als Adliger aus den Aüdlanden glaubte er zu wissen, wie er sich zu geben hatte und Rhana machte sich Sorgen, dass das noch zu Problemen führte. Während ihrer Aufgabe konnte sie nicht auch noch Babysitter spielen.
Sie hatte das Ziel an Fürst Javar Rudonin heranzukommen und einen Handel mit ihm einzugehen. Das war das Wichtigste und dabei musste sie sehr vorsichtig sein.
Yuvan würde mit Lotta anwesend sein, doch was Rhana wirklich beruhigt, war die Tatsache, das scheinbar sogar Idris anwesend war.
Wie er auf das Fest kommen würde, hatte er ihr nicht verraten, doch sie musste so tun, als würde sie ihn nicht kennen.
Yuvan war davon gar nicht begeistert gewesen, doch Rhana verstand noch immer nicht, wie deren Beziehung war. Auch, weil sie in den letzten Tagen Lir viel mit Idris gesehen hatte. Jeden Morgen unter ihrem Fenster. Dort hatten sie Schwertkampf geübt. In einer solchen Schnelligkeit, dass Rhana kaum hinterher gekommen war.
Als Rhana bemerkte, dass ihre Gedanken um Idris kreisten, spürte sie Hitze in ihr Gesicht steigen. Wieso war das in letzter Zeit immer so? Konnte sie nicht an andere Dinge denken?
Aber Idris war so spannend und mysteriös.
Rhanas Gedanken waren so gewandert, dass Lewin sie völlig unerwartet traf, als er sagte: »Wir sind gleich da.«
Sofort blickte Rhana zum Fenster, zog den leichten Vorhang zur Seite und musterte die Umgebung. Hier war alles so anders als in Savrana. Noch nie hatte sie so viel Wiese und Bäume gesehen, doch richtig genießen konnte sie es nicht. Sie war einfach zu aufgeregt.
Als sie schließlich hielten, öffnete ihnen Soraya die Kutschentür. Sie war als ihre Kutscherin eingesprungen, damit sie dafür sorgen konnte, dass sie auch sicher ankamen. Der Weg aus dem Gebirge bis nach Kavalare war recht weit gewesen, doch zum Glück war nichts geschehen.
Lewin stieg zuerst aus, bevor er Rhana eine Hand reichte.
Diese trug ein wunderschönes, blaues Seidenkleid, das sie leicht raffte, um nicht die wenigen Stufen der Kutsche hinabzufallen oder es gar kaputt zu machen.
Der Stoff schmiegte sich sehr schön an ihren Körper und die goldenen Verzierungen schimmerten in der Sonne, ohne zu auffällig zu wirken.
Selbst die kleinen, stilisierten Drachen, welche aus goldenen Fäden an den weiten Ärmeln des Kleides angebracht waren, wirkten nicht aufdringlich. Sie zeugten von fabelhafter Handwerkskunst.
Als sie die Kutsche verlassen hatte und ihre Beine fest am Boden standen, sah sie auf. Leichter Wind spielte mit den lockeren Strähnen ihrer Haare, die elegant hochgesteckt waren. Trotzdem erkannte sie das Gebäude vor sich sehr gut.
Sie waren in einem Innenhof, der von einer großen Mauer umgeben war und trotzdem schien eine gewisse Eleganz vorzuherrschen. Dabei war das Grundgebäude definitiv eher wehrhaft erbaut. Mehr wie eine Burg, die als Kampfplatz dienen sollte. Rhana hatte das Gefühl, als wüsste die Besitzerin nicht, ob sie eine wehrhafte Burg oder ein prunkvolles Schloss wollte. Lag das an einem Generationenkonflikt? Als was dieses Gebäude wohl ursprünglich erbaut worden war?
»Die Besitzerin hat Geschmack«, bemerkte Lewin leise, der einige Statuen im Auge hatte.
Rhana folgte seinem Blick. Diese waren wunderbar gearbeitet und sicherlich nicht sonderlich billig. Ob sie dadurch aber gleich sagen würde, dass die Besitzerin Geschmack hatte ... Die Positionierung und alles ringsherum wirkte sehr unerfahren und mehr wie ein Versuch sich anzupassen.
»Viel Erfolg«, flüsterte ihnen Soraya zu, als Lewin Rhana den Arm reichte. Diese nahm ihn an und ließ sich dann auf das große Tor führen.
Es gab einige Kutschen und Kutscher, die noch hier im Hof warteten, die Pferde versorgten oder die Kutschen kontrollieren. Adlige erkannte Rhana allerdings nicht, weshalb sie erwartete, dass sie restlichen Gäste entweder noch kamen oder bereits im Inneren waren.
Kurz bevor sie das Tor erreichten, erklang das Rattern einer Kutsche und die Hufe von Pferden auf dem steinigen Boden wurde laut.
Überrascht blieben sie beide stehen und wandten sich um.
Die Kutsche, die hineinfuhr war prunkvoll und auf ihr prangte groß das Symbol der Seelenkatze. Ein goldener Katzenkopf. Nicht zu übersehen und Rhanas Gefühl von Ästhetik nach viel zu klobig.
»Ein Raenac«, murmelte Lewin, der sich spürbar anspannte.
Rhana nickte und beobachtete die Kutsche. Idris hatte ihnen gesagt, wie sie mit den Angehörigen der Familie umgehen mussten, weshalb sie warteten. Es wäre unhöflich vorzugehen. Außerdem würde sich Rhana besser fühlen, wenn jemand vorging, der wusste, was zu tun war. Sie war immerhin das erste Mal hier. Ob man ihnen Fehler verzieh?
Als die Kutsche hielt und der elegant gekleidete Kutscher die Tür öffnete, schnappte Rhana nach Luft. Das hellbraune Haar war so verwegen, wie sie es aus der Akademie kannte. Allerdings war Yuvan in edle Gewänder gekleidet, die ihn gleich viel umgänglicher wirken ließen. Von dem wilden, jungen Mann, den sie aus der Schule kannte, schien nichts mehr zu existieren.
Er stieg aus, drehte sich zur Kutsche um und reichte Lotta die Hand. Diese sah schön aus, dass Rhana sich sofort unzureichend fühlte.
Das hellblaue Haar der jungen Frau war mit Schmuck hochgesteckt und das Kleid ähnelte einem Traum aus roter Seide und Perlen.
»Das ... hab ich jetzt nicht erwartet«, gab Lewin zu, wobei Rhana sein aufgeregtes Zittern spüren konnte.
Sie konnte nur zustimmend nicken, denn dass Yuvan zu der Familie der Herrscher der Nordlande gehörte, hatte sie nicht erwartet. Wie sollte sie ihm jetzt noch gegenübertreten? Was sollte sie sagen?
Ihr Mund wurde ganz trocken, als sie Yuvan auf sich zukommen sah.
Wie es sich gehörte, vollführte sie einen Knicks. Lewin schaltete zum Glück auch und verneigte sich, wenn auch widerwillig.
Yuvan neigte lediglich leicht den Kopf. »Schön, dass ihr kommen konntet«, sagte er, als wären sie zwar Bekannte, aber nicht, als wäre das alles hier irgendwie geplant.
»Es war uns eine Ehre, eine solche Einladung zu erhalten«, erwiderte Lewin, was es Rhana ein wenig leichter machte. Hier war es so, dass die Männer, aufgrund der alten Traditionen, mehr zu sagen hatten als die Frauen. Daher war es sinnvoller, wenn sie Lewin sprechen ließ, auch wenn sie sich jedes Mal angespannt fühlte, wenn er den Mund aufmachte.
Rhana konnte nicht einschätzen, wann er die Geduld verlor oder sein Temperament mit ihm durchging. Daher war sie auch sehr erleichtert, als diese Konversation endete und Yuvan sie bat, ihnen zu folgen.
Vielleicht machte sie sich zu viele Sorgen, denn als Verwandter der Königin der Südlande musste Lewin sich in diesem Gefilde auskennen. Es waren zwar die Nordlande, doch vielleicht war es gar nicht so anderes, als zuhause.
Nervös folgte Rhana Yuvan ins Innere des Gebäudes. Auch hier erinnerte alles an eine Burg, die man im Nachhinein versucht hatte, aufzuhübschen. Rhana musste gestehen, dass es hier besser gelungen war als draußen.
Die Teppiche waren weich und dämpften ihre Schritte. Die Wandteppiche strahlten etwas Gemütliches aus. Zudem waren sie aufgrund der feinen Handwerkskunst richtige Blickfänge. Einige von ihnen gingen mehrere Meter an der Wand entlang und zeigten Szenen aus Kämpfen. Darauf waren fast immer die Göttertiere abgebildet. Meistens eine riesige Seelenkatze und ein blauer Drache.
Rhana liebte es, wie detailgetreu die Drachen dargestellt waren. Außerdem konnte sie erkennen, wie teuer die Wandteppiche gewesen sein mussten.
Jetzt kamen ihnen auch immer mehr Menschen entgegen. Alle gehüllt in schöne Kleider und meist von Dienern begleitet.
Rhana fühlte sich zunehmend unwohler, doch Yuvan führte sie durch die Gänge, als wäre er hier zuhause. Vielleicht war er das auch, weshalb Nae ihn ausgewählt hatte.
Ein älteres Dienstmädchen kam auf ihn zu und knickste leicht. »Herzlich willkommen zurück«, grüßte sie Yuvan, der ihr ein charmantes Lächeln schenkte.
»Ich konnte auf meiner Reise in die Nordlande einige Kontakte knüpfen, die ich gern Königin Lumire vorstellen würde«, informierte er die Frau, die nur einen kurzen, musternden Blick für Rhana und Lewin übrig hatte.
Diese knickste erneut. »Ich werde Euch Ihr ankündigen«, sagte sie und wandte sich dann um.
Rhana lief ein Schauer über den Rücken. Sie würde sie der Königin ankündigen?
Obwohl ihr Ziel die rechte Hand der Königin der Nordlande war, hatte Rhana doch gehofft eine direkte Begegnung mit dieser zu umgehen. Sie wusste nicht, wie sie der Königin gegenübertreten sollte, was sie unruhig machte.
Rhana musste sich an das erinnern, was Idris ihr beigebracht hatte. Nach außen musste sie gefasst und selbstsicher wirken. Das war wichtig, wenn sie mit dem Adel in diesem Reich zu tun hatte.
Als die Dienerin im Flur außer Hörweite war, wandte sich Lewin an Yuvan. »Wie genau stehst du zur Königin?«, fragte er leise, aber neugierig.
Yuvan lachte leise. »Politische Unterhaltungen sind hier eher Fehl am Platz«, bemerkte er, wobei sich Rhana fragte, ob er nicht darüber reden wollte oder die Frage falsch verstanden hatte.
Darum mischte sie sich ein: »Ich glaube Lewin fragt, in welchem Verhältnis du zur Königin stehst, damit wir nichts falsches sagen.«
Yuvans Blick wurde überrascht. Lewin hatte seine Frage wohl wirklich ungünstig formuliert. Er senkte den Blick und kratzte sich leicht am Kopf. Rhana würde es fast als verlegen bezeichnen. »Meine Mutter ist die Schwester der Königin«, erklärte er leise und so, als wäre ihm das selbst eher peinlich.
Rhana wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Sie hatte damit gerechnet, dass einiges auf sie zukommen würde, doch das? Sie hatte wirklich nicht erwartet, dass so hohe Persönlichkeiten auf die Schule gingen.
Was Rhana dazu veranlasste, sich zu fragen, was wohl unter den Vergangenheiten der anderen steckte.
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