Kapitel 26
Als sie das Gebirge verließen, konnte Rhana unter sich nichts mehr erkennen, so hoch waren sie. Immer wieder verdeckten Wolken ihre Sicht und ansonsten erkannte sie lediglich weite Wälder und nur vereinzelt Wiesen. Immer mal wieder ragten kleinere Berge auf, die jedoch kaum mit der Gebirgskette der Drachen mithalten konnte.
»Wir werden in der Nähe des Passes landen«, erklärte Idris, was Rhana nicht wunderte. Sie hätte es sogar verstanden, wenn Freya noch im Gebirge gelandet wäre, um nicht aufzufallen. So fand sie es jetzt bereits etwas gewagt. Wer wusste schon, wer sie sehen konnte.
Allerdings schien Idris das nicht zum ersten Mal zu machen. Im Gegensatz zu Rhana, weshalb sie schwieg.
Als Freya jedoch in den Landeanflug überging, spürte sie ein Kribbeln im Bauch, das ihr nicht gefiel. Für einen kurzen Moment machte sich Angst in ihr breit, doch dann griff Idris sie fester. »Nach vorn lehnen«, hauchte er in ihr Ohr und schob sie so, dass sie sich nach vorn lehnen musste. Ihr Sitz wurde plötzlich viel fester.
Die Position half ihr das Gefühl zu fallen zu verlieren und das Kribbeln der Angst wurde weniger.
Rhana entschloss sich dazu, wenn sie zurückflogen, mehr darauf zu schien, wie Idris seinen Drachen dirigierte und auf ihn saß. Sicherlich konnte sie davon etwas lernen.
Jetzt aber musste sie erst einmal mit dem Aufprall klarkommen, der sie ganz schon durchrüttelte.
Von außen sah es zwar immer sanft und elegant aus, doch für Rhana war das nicht sonderlich angenehm.
Hinter ihr hörte sie Idris leise lachen, doch er sagte nichts, als er sich zuerst von Freya schwang. Dabei bewegte sich diese noch, was Rhana einen überraschten Laut ausstoßen ließ. Plötzlich war der Schutz in ihrem Rücken weg, was dafür sorgte, dass sie Panik bekam und sich festhalten, während sie darauf wartete, dass sich Freya soweit zu Boden senkte, dass Rhana absteigen konnte.
Doch auch, als sie zum Stehen kam, krallte sich Rhana noch immer fest. Ihr Herz schlug wild, während sie versuchte den verkrampften Griff zu lösen. Ihr Körper stand so unter Strom durch dieses plötzliche Ereignis, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte.
»Komm her«, forderte Idris und hielt die Arme in ihre Richtung einladend auf.
Als Rhana angespannt ihren Kopf in seine Richtung drehte, spürte sie das plötzliche Bedürfnis dort zu sein. Zurück bei ihrem sicheren Anker, auch wenn das Quatsch war. Trotzdem schaffte sie es, die Finger zu lösen und langsam von Freya zu rutschen, nur um förmlich in seine Arme zu fallen. Ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding.
Idris machte ein beruhigendes Geräusch, während er sie in den Armen hielt. »Beim ersten Mal ist es immer anstrengend«, versicherte er. Rhana stellte schnell fest, dass ihre Beine nicht nur wegen des Landens so zitterten. Sie spürte jeden Muskel darin. Als wäre sie das erste Mal seit längerer Zeit wieder auf einem Kamel geritten.
»Es ist ungewohnt«, bemerkte Rhana, die sich in Idris Armen überraschend geborgen fühlte. Obwohl sie sich nicht von ihm trennen wollte, wusste sie jedoch, dass das hier nicht richtig war. Sie sollte nicht derart vertraut mit ihm umgehen.
»Das wird mit der Zeit«, versicherte Idris, der sie noch immer festhielt, als befürchte er, dass sie gleich zusammenklappte.
Es war Rhana, die sich schließlich zittrig von ihm löste. Idris ließ es zu, schien aber selbst nicht so unsicher mit der Situation. Im Gegenteil. Er wirkte auf Rhana sehr gelassen und vielleicht sogar ein wenig desinteressiert.
»Wo sind wir hier?«, fragte sie, um sich selbst von ihren Gefühlen abzulenken. Sie konnte spüren, dass sie rot im Gesicht war, denn dieses glühte, weshalb sie sich von Idris abwandte und sich umsah.
»In der Nähe von Kavalare, der Hauptstadt der Nordlande«, erklärte Idris und folgte ihren Blicken. »Hier geht die Passstraße entlang.«
Die Passstraße verband die Südlande mit den Nordlanden, war aber erst seit zwei Generationen wieder passierbar. Obwohl es keinen Krieg mehr zwischen den beiden Reichen gab, war der Handel jedoch auch noch nicht so ausgebaut.
Zumindest hatte Rhana das gehört. Es jetzt aber gleich mit eigenen Augen zu sehen, erfüllte sie nicht nur mit Staunen, sondern auch mit Ehrfurcht.
Seitdem sie die Entscheidung getroffen hatte, auf die Akademie für Drachenreiter zu gehen, hatte sie zwar noch nicht viel über das Drachenreiten gelernt, doch dafür viele andere Dinge. Sogar einige, die sie mehr interessierte. Zudem kam, dass sie in wenigen Tagen mehr herumgekommen war als in ihrem ganzen Leben.
Vor einigen Wochen hätte sie nicht einmal davon geträumt, jemals einen Fuß in die Nordlande zu setzen und jetzt stand sie hier, in irgendeinen Wald.
»Und das ist wirklich sicher?«, fragte Rhana, die zu Freya blickte. Diese hatte sich zu Boden gelegt und schien fast mit der Umgebung zu verschmelzen. Eine Tatsache, die Rhana nicht sonderlich überraschte. Immerhin war sie ein Pflanzendrache. Mit diesem Namen musste mehr verbunden sein als Pflanzen, die unter ihren Schuppen wuchsen.
»Keine Sorge«, erwiderte Idris, der zu Freya ging, um einen kleinen Sack von ihren Beinen zu lösen. Dieser war Rhana bisher gar nicht aufgefallen, doch nun holte Idris dort Mäntel heraus. Einen davon reichte er ihr. »Wir sind Reisende. So werden wir nicht so sehr auffallen.«
Rhana nahm den Mantel entgegen und besah ihn sich. Er war ganz anders als das, was sie aus Savrana kannte. Trotzdem zog sie ihn über. Er verdeckte genug, damit man sie vermutlich nicht gleich erkannte. Sogar eine Kapuze gab es. »Und wie geht es jetzt weiter?«, wollte Rhana erneut wissen, denn sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte.
Idris deutete ihr, ihm zu folgen. »Komm einfach mit. Wir werden ein Stück laufen müssen«, erklärte er, was Rhana jedoch nicht störte. Jetzt, nach dem Flug war es sogar eine ganz angenehme Abwechslung. Trotzdem war sie sich unsicher, was sie von ihrer Umgebung halten sollte.
Freya war auf einer Lichtung gelandet, doch sie waren von dichten Bäumen umgeben, die Rhana so nicht kannte. Idris steuerte direkt darauf zu, was ihr ein unwohles Gefühl beschwerte.
Schnellen Schrittes folgte sie Idris und schloss zu ihm auf. Es war ihr lieber, wenn sie in seiner Nähe war, damit sie sich zwischen den dichten Bäumen nicht verlief. »Sowas sehe ich zum ersten Mal«, bemerkte sie, wobei die dicken Baumstämme und die dichten Baumkronen ihre Aufmerksamkeit fesselten. In Savrana gab es derartige Bäume nicht. Nur Palmen, die eher weit auseinander standen.
Idris blickte überrascht zu Rhana, bevor er sich umsah, als versuche er, herauszufinden, was sie meinte. »Die Bäume?«, fragte er irritiert nach.
Rhana schüttelte den Kopf. »So einen dichten Wald«, erklärte sie, bevor ihr Zeh gegen etwas stieß.
Überrascht, dass da eine Wurzel im Weg war, kämpfte sie einen Moment um ihr Gleichgewicht, wobei sie sich sogar kurz an Idris festhielt, um nicht zu fallen.
»Vorsichtig«, murmelte dieser und half ihr dabei, die Wurzel zu überqueren und wieder einen festen Stand zu haben. »Bei solchen Wäldern musst du auf den Boden achten«, erklärte er mit ruhiger Stimme.
Rhana hatte sich nie viel aus dem Boden gemacht. Außer, wenn sie weiter in die Wüste gegangen war. Dort aber auch nur, um Verwehungen zu bemerken und nicht darin zu versinken.
Hier aber schien alles zum Hindernis zu werden und Rhana das Bewegen zu erschweren.
Widerwillig hielt sie sich an Idris fest und ließ sich führen. Dass es um sie herum immer dunkler wurde und die Sonne bald schon nicht mehr richtig durch das Blätterdach drang, ließ sie immer wieder frösteln. Alles wirkte sehr bedrohlich. Vermutlich aber auch nur, weil sie diese Art von Wäldern einfach nicht kannte.
Schließlich traten sie hinaus auf einen Pfad und Sonne empfing sie wieder. Wärme fiel auf Rhanas Mantel, was sie erleichtert seufzen ließ. So war es schon besser. Das beklemmende Gefühl war weg und die Wiesen, die sich nun um sie herum erstreckten, luden dazu ein, zu erkunden.
»Das hier ist die Passstraße«, erklärte Idris, der direkt auf den eher kleinen Weg trat.
Rhana hatte mit einer viel größeren Straße gerechnet. Vielleicht sogar mit einer gepflasterten. Das hier war jedoch nur ein Trampelpfad.
Rhana blickte den Weg entlang, doch sie konnte außer ihnen niemanden ausmachen. Er schien auch nicht sonderlich viel genutzt, was vielleicht wirklich daran lag, dass der Handel zwischen den beiden Reichen noch am Anfang stand.
»Ich muss gestehen, ich bin etwas enttäuscht«, bemerkte Rhana, die sich irgendwo im Nirgendwo wiederfand. Sie hatte zumindest mit einigen Händlern gerechnet. Vielleicht sogar mit Gebäuden, die an der Handelsstraße erbaut waren.
Idris lachte leise. »Das kann ich verstehen. Es scheint, als wäre es trotz der Zeit, die ins Land gezogen ist, noch nicht rentabel, in die Straße zu investieren.«
Davon hatte Rhana keine Ahnung, weshalb sie einfach nur nickte.
Idris sah sich kurz um, als müsste er sich orientieren, bevor er loslief. Schnell folgte Rhana ihm.
Um sie herum zwitscherten Vögel und immer wieder konnte Rhana das Rauschen des Windes in den Bäumen hören. Selbst der Geruch war so viel angenehmer als alles, was sie bisher gerochen hatte. Was das wohl für Blumen waren? Wuchsen sie in den kleinen Wäldern, die immer wieder auf den Wiesen zu sehen waren?
»Wir werden uns gleich der Hauptstadt Kavalare nähern«, erklärte Idris plötzlich, doch für Rhana sah nichts danach aus, als würde hier eine Hauptstadt sein. »Mach nur nicht den Fehler das, was du kennst, zu erwarten. Die Nordlande sind ein kriegerisches Volk, das noch nicht so lange sesshaft ist. Ihre Dörfer waren früher so aufgebaut, dass sie mobil waren«, erklärte er ungefragt, was Rhana überraschte. Wenn es um das Königshaus der Nordlande ging, schien er eher kurz angebunden, doch geschichtlich redete er gern.
»Also so wie die Nomaden in der Wüste«, meinte Rhana überrascht, denn das kannte sie. Wobei viele Karawanen noch immer so unterwegs waren. Sie bauten kleine Zeltstädte in die Wüste, die sie bei Bedarf wieder abbauen konnten.
Idris nickte leicht. »So in etwa.«
Rhana versuchte, die Umgebung mit anderen Augen zu sehen und ihre Erwartungen hinabzuschrauben, doch so richtig vorstellen, was sie erwarten würde, konnte sie nicht. Wenn die Nordlande so kriegerisch waren, verstand Rhana nicht, warum Idris unbedingt hier nach Leder schauen wollte. Wäre die Südlande nicht besser dafür geeignet?
»Dort hinten?«, rief Rhana aufgeregt, als sie am Horizont so etwas wie ein Gebäude entdeckte.
Idris schmunzelte. »Das ist die Taverne zum filetierten Rind«, erklärte er gut gelaunt. »Ich dachte mir, dass wir dort frühstücken, bevor wir einkaufen gehen. Die Taverne liegt an der Passstraße in der Nähe der Stadt.«
Rhana nickte, wobei sie sich gedanklich eine Karte der Gegend machte. Es war sehr gut, dass Idris ihr die Dinge so erklärte und auch immer wieder darauf einging, wo sie waren. Ob er das absichtlich machte?
Mit gezielten Schritten näherten sie sich der Taverne, während sich Rhana nah bei Idris hielt. Sie kannte sich hier mit den Gepflogenheiten nicht aus und würde daher ihn den Vortritt lassen.
Vor der Taverne blieb er stehen und musterte das Schild, das ein Rind zeigte, dessen Ende filetiert war. Rhana fand es eher abstoßend, doch es brauchte zumindest den Namen auf den Punkt.
Idris legte den Kopf schief und besah sich das Gebäude dann komplett. »Sieht fast noch so aus wie beim letzte Mal«, murmelte er zu sich selbst, bevor er die Tür öffnete und eintrat.
Rhana folgte ihn langsam. Dabei nahm sie den Geruch von Alkohol, Fleisch und Rauch wahr, der ihr sofort in die Nase stieg. Vermischt mit dem Geruch nach Schweiß, was sie leicht die Lippen verziehen ließ.
Idris blieb nicht stehen, sondern ging geradewegs auf die Holzkonstruktion zu, die schon einmal bessere Tage gesehen hatte. Die Theke war abgenutzt und hatte einige Flecken. Vermutlich von den Getränken, die zu lange nicht weggeputzt wurden.
Dahinter stand ein großer, stämmig wirkender Mann, der vermutlich in jungen Jahren ein Muskelberg gewesen war. Heute war jedoch das Alter über ihn hereingebrochen und verlieh ihn ein eher klobiges Aussehen.
Rhana konnte beobachten, wie Idris aus seinem Mantel etwas zog, das sie jedoch nur kurz aufblitzen sah. Vermutlich Geld.
Allerdings zeigte er es dem Wirt nur, der kurz einen musternden Blick darauf warf, dann eine Augenbraue hob und brummte.
Idris schien damit zufrieden, denn er wandte sich wieder an Rhana, um ihr zu deuten, ihm zu folgen.
Gemeinsam schlängelten sie sich durch die besetzten Tische zu einem Freien in der Ecke. Rhana war sich dabei den Blicken der anwesenden Männer bewusst. Diese machten den Großteil der Gäste aus, doch zwischen ihnen waren auch zwei Frauen, die an einem Tisch saßen und sich unterhielten. Vor ihnen standen zwei feine Gläser Wein.
Rhana ließ sich an dem Tisch nieder, den Idris ausgesucht hatte. »Was hast du dem Wirt gezeigt?«, fragte sie leise, weil sie nicht wollte, dass andere Gäste sie hörten.
Idris schmunzelte. »Nichts Wichtiges«, versicherte er, ging aber nicht weiter darauf ein.
Das machte Rhana jedoch noch neugieriger. Bisher hatte er nie so ausweichend reagiert, sondern wenigstens gesagt, dass er nicht darüber sprechen wollte.
»Da wir schonmal in der Stadt sind, würde ich vermutlich auch noch ... Freunde aufsuchen wollen«, bemerkte er mit einem unschuldigen Lächeln, als hätte er es Rhana nicht sofort gesagt, weil er Angst gehabt hatte, dass sie ablehnte.
»Kein Probleme. Wir haben ja Zeit«, erwiderte sie, auch wenn sie Kaza nur ungern mehrere Tage allein ließ. Sie waren zwar früh aufgebrochen, doch jetzt waren sie erst in der Taverne angekommen und es war bereits Mittag. Sie waren also doch recht lang geflogen. Zurück würden sie also vermutlich in der Nacht kommen, wenn sie am Abend losflogen. Hoffentlich war dafür genug Zeit und sie schliefen nicht irgendwo in der Stadt. Damit hatte Rhana nämlich nicht gerechnet.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top