Kapitel 24
Idris dachte nicht daran, zu Klopfen, sondern öffnete einfach die Tür, um das Zimmer der Direktorin zu betreten.
Überrascht blieb er stehen, als er den Mann mit den dunkelblonden Haaren und intensiv grünen Augen hinter dem Schreibtisch erblickte.
Dieser hob den Blick. Seine Lippen zu einer Linie verzogen, als wolle er gleich losmeckern, doch dann erkannte er Idris und entspannte sich ein wenig.
Idris musterte das Gesicht, das seinen in gewissen Zügen sehr ähnlich war. Er musste Lir nicht kennen, um zu sehen, dass er angespannt war.
Idris sah sich suchend um. »Wo ist Mutter?«, wollte er wissen, denn es war nicht normal, dass Lir den Papierkram machte. Er hasste ihn.
»Ihr geht es nicht gut«, gab Lir wenig begeistert von sich, schob die Dokumente von sich und lehnte sich zurück. »Warum bist du hier?«, wollte er wissen, was Idris dazu veranlasste nach links auf das kleine Sofa zuzugehen und sich darauf niederzulassen.
»Dieses Mädchen. Rhana. Sie ist in den Fluren zusammengebrochen. Ich habe sie in ihr Zimmer gebracht«, erklärte Idris mit monotoner Stimme, als würde es ihn nicht stören. Das tat es aber, denn er wusste nicht, ob seine Anwesenheit damit zusammenhing oder nicht. Hatte er sie vielleicht irgendwie verletzt? Dabei hatte er sich Mühe gegeben, sie nicht zu berühren.
»Erzähl mir, was vorgefallen ist«, forderte Lir, der seine Hände ineinander verschlang und sein Kinn darauf ablegte, um Idris zu mustern.
Diese stieß den Atem aus, bevor er ihm Detail beschrieb, was sie getan hatten.
Lir lauschte, nickte ab und an, unterbrach ihn allerdings nicht. Erst, als er fertig war, räusperte er sich. »Es klingt nicht, als wärst du schuld«, bemerkte er, was bei Idris dazu führte, dass er das Gefühl hatte, endlich wieder Luft zu bekommen.
Es war nicht seine Schuld? Er hatte sie nicht unabsichtlich verletzt? Das hätte er dich nie verziehen.
Sie war nicht das erste Mädchen, das hier zur Schule ging, doch sie hatte etwas an sich, das ihn faszinierte. Sie schimmerte wie ein stiller Bergsee, der von der Sonne beschienen wurde. Klar, rein und tief.
»Aber was hat die dann?«, wollte er besorgt wissen und blickte Lir mit seinen sandfarbenen Aigen fast schon verzweifelt an.
»Sie kommt aus einem Wüstenland«, erklärte Lir, der seine Hände wieder löste, um eines der Dokumente zu nehmen. Sein Blick huschte kurz darüber, bevor er ein weiteres griff. »Genau genommen aus Savrana«, fügte er hinzu, als er Rhanas Dokument in den Fingern hatte. »Dort ist es am Tag sehr heiß und in der Nacht klirrend kalt. Überall ist Sand und die Sonne brennt unbarmherzig. Zudem ist die Ebene eher flach.«
Idris nickte neugierig, verstand aber nicht, wie das die Antwort auf seine Frage sein konnte. War ihr vielleicht zu kalt gewesen?
Lir war jedoch noch nicht mit seiner Ausführung fertig. »Sie ist mit einem Drachen hergeflogen. Das allein muss ihr viel Kraft gekostet haben. Die Höhe, die Tunnel, die Brücken. Das alles ist neu für sie und vermutlich hat ihr Körper auf die dünne Luft reagiert.«
Idris runzelte die Stirn. Davon hatte er gelesen. Je höher ein Berg, desto dünner die Luft und desto schwerer war es, zu atmen. War es das?
Für ihn hatte das nie ein Problem dargestellt, doch wenn er darüber nachdachte, hatten auch die ersten Schüler am Anfang oft Schwächeanfälle erlitten.
»Was kann ich tun?«, fragte er, denn er wollte irgendwie helfen.
Lir griff zum Schreibtisch und öffnete eine Schublade. Dort holte er eine kleine Ampulle hervor. »Gib ihr das hier mit etwas Tee«, sagte er und stellte es auf den Tisch.
Idris verengte die Augen. Er hatte die Medizin griffbereit. Also hatte er genau gewusst, warum Idris hier war. Nutzte er ihn als Ausrede, um keine Dokumente zu bearbeiten? Was tat er da eigentlich?
Idris musterte die Medizin, versuchte dabei aber auch zu wehen, was auf den Dokumenten stand.
Neben einem Bild von Rhana sah er auch eines dieses blonden Mannes, der hier herumlief und dem er noch nicht begegnet war.
»Und das wird helfen?«, fragte Idris, der ihm gern geholfen hätte. Allerdings gab es Dinge, die Nae uns Lir unter dich ausmachen mussten. Da wollte uns konnte er sich nicht einmischen.
»Ja. Solange es ihr nicht gut geht, erlaube ich dir, ihr Zimmer zu betreten«, meinte Lir, der ihm die Medizin noch weiter zuschob.
Idris erhob sich und nahm sie in die Hand. An der Art der Flasche erkannte er, dass es dich um eine pflanzliche Medizin handelte, sie seine Mutter immer mit Magie vermischte. Sie war also sehr stark. Bei der Dosierung musste er aufpassen.
»Danke«, murmelte er und machte dann einen Schritt zurück.
Lir machte eine scheuchende Bewegung mir den Händen, die Idris zeigte, dass er sich zwang, weiter zu arbeiten.
Er wollte dabei nicht stören, weshalb er das Zimmer wieder verließ und sich auf den Weg zu Rhana machte.
Ihr Zimmer lag in der Nähe der Familienwohnräume und damit nicht weit vom Zimmer der Direktorin entfernt.
Idris wanderte über die Brücke und blieb für einen Moment auf dieser stehen. Sein Blick wanderte über das Gebirge, das schon immer seine Heimat war.
Er atmete die kühle, klare Luft tief ein und schloss genießerisch die Augen, während der Wind mit seinen Haaren spielte.
Idris hatte sich schon immer gefragt, warum er seinen Eltern kaum ähnlich sah, doch beide hatten das immer abgestritten.
Leise stieß er die Luft aus, bevor er sich abwandte und sich Richtung Rhanas Zimmer bewegte.
Warum interessierte er sich so für dieses Mädchen? Hatte er nicht aus den letzten Malen gelernt? Er war nun einmal nicht wie alle anderen und würde es auch nie sein.
Statt menschlichen Freunden sollte er einfach bei den Drachen bleiben. Allerdings verstand seine Mutter das wohl nicht. Manchmal fragte sich Idris, ob Nae die Schule aus Ausrede nutzte, damit er unter Menschen kam.
Natürlich hatten die Drachenreiter eine andere Aufgabe, doch aktuell war die Bedrohung eher gering. Zumindest die, die von den verdammten Artefakten ausging. Es konnte sich natürlich auch um etwas Anderes, Neues handeln, doch noch sah Idris nicht viel davon.
Zudem würde es dauern, bis die aktuelle Generation weit genug war, um in den Kampf zu ziehen. Sie waren such sehr wenige.
Yuvan war am vielversprechendsten, auch wenn Idris das nur ungern zugab. Sein Charakter war schwierig, doch seine Fähigkeiten ausgeprägt.
Bei Rhana war er sich nicht sicher. Aktuell schien sie ihm wie eine zarte Knospe, die gegen einen Schneesturm kämpfte. Warum war sie überhaupt hier? Seine Eltern hatten die ausgewählte, aber warum?
Manchmal wünschte er sich, er könnte die Dokumente sehen, die Lir auf dem Schreibtisch hatte. Sicherlich würde ihm das einige Einblicke in Rhanas Vergangenheit geben. Es war immerhin dumm zu glauben, seine Eltern wurden irgendjemanden auf der Schule ausnehmen.
Idris stieß den Atem aus und betrachtete die Zimmertür. Es fühlte sich falsch an, einfach einzutreten, doch Rhana schlief. Er würde sie wecken müssen, damit sie die Medizin nahm, doch sollte er klopfen oder einfach eintreten?
Idris kannte sich nicht gut mit Menschen aus. Was war in so einer Situation angebracht?
Er entschied sich dazu, die Tür einfach zu öffnen. »Rhana, ich habe dir Medizin besorgt«, machte er auf sich aufmerksam.
Die junge Frau, die er vor kurzem selbst ins Bett gebracht hatte, drehte sich ein Stück.
Der Raum war halbdunkel, doch Idris konnte sehen, als wäre es Tag. Darum sah er ihre Augen auch genau, die scheinbar nach ihm suchten. Müde und ausgelaugt.
Hoffentlich war es wirklich nur die Höhe und nichts Schlimmeres.
»Medizin?«, murmelte sie, als sie ihn entdeckt hatte.
Sie so hilflos zu sehen erinnerte Idris an ein frisch geschlüpftes Drachenjunges und weckte seinen Beschützerinstinkt.
»Ja. Von der Direktorin«, erwiderte Idris, der direkt auf sie zuging. »Komm, setz dich auf«, forderte er und griff ihr gleich darauf unter die Arme, um sie hochzuheben. Sie war nicht schwer und auch, wenn sie nicht mithalf, weil sie wohl etwas überfordert war, schaffte er es leicht, sie aufzusetzen und an das Bettende zu lehnen.
»Was machst du da?«, wollte Rhana benommen wissen, als hätte sie erst jetzt verstanden, dass er sie aufsetzte. »Es dreht sich alles«, murmelte sie und griff sich an den Kopf.
»Wird gleich besser«, versprach Idris und sah sich kurz im Raum um. Er entdeckte die Karaffe kalten Tee, die jeder Schüler bei der Ankunft bekam. Rhana schien diese noch nicht angefasst zu haben.
Idris nahm sich das Glas daneben, füllte etwas Tee hinein, bevor er drei Tropfen der Medizin dazu gab. Das sollte genügen, dass sie sich etwas besser fühlte.
Als er zu Rhana zurückkehrte, wirkte sie etwas verwirrt. Sie starrte das Glas verwundert an.
»Trink das«, forderte Idris, der sich fragte, was Rhana wohl durch den Kopf ging.
Zitternd nahm sie das Glas, bevor sie daran roch. »Was ist das für Tee?«, wollte sie wissen, bevor sie ihn trank. Stattdessen schien sie ihn analysieren zu wollen.
»Bergkräuter. Einige davon habe ich selbst gepflückt«, erklärte er, bevor er sich zu ihr ans Bett setzte. »Das andere hat die Direktorin gemacht. Was da drin ist, weiß ich leider nicht.«
»Oh«, machte Rhana, die dann das Glas ansetzen und langsam trank. Ein überraschter Laut verließ ihre Lippen. »Das schmeckt wirklich gut«, bemerkte sie, als hätte sie selbst nicht damit gerechnet.
Idris schmunzelte. »Natürlich, warum sollte man es sonst trinken?«, wollte er wissen. Für ihn war es klar, dass der Tee schmeckte. Vielleicht war er nicht jedermanns Geschmack, doch es war eher selten, dass jemand ihn nicht mochte.
»Bei uns schmeckt Medizin immer bitter«, bemerkte Rhana, die sofort noch einen Schluck trank.
Idris hob überrascht eine Augenbraue. Er kannte nur die Medizin seiner Mutter und die war nie bitter. Sie schmeckte immer fantastisch.
»Ist das so?«, fragte er deshalb überrascht. »Ich kenn nur die des Gebirges.«
Rhana gab einen nachdenklichen Laut von sich und besah sich das Getränk.
»Hast du es gut«, bemerkte sie schmunzelnd. Ihr war anzusehen, dass sie sich bereits etwas erholte. Die Blässe ließ nach und sie wirkte nicht mehr ganz so zerbrechlich.
Idris schwieg, denn er wollte ihr nicht zu viel von sich preisgeben. Immerhin verließ er nur wirklich selten das Gebirge. Nur, wenn seine Eltern dabei waren oder als die letzten Drachenreiter ausgeschwärmt waren. Allein wäre er aufgeschmissen.
Während er so darüber nachdachte, wollte er das Gebirge gern wieder verlassen, doch es gab nicht so viele Möglichkeiten.
Einer Eingebung folgend, wandte er sich an Rhana. »Wir haben nicht das passende Leder im Lager«, meinte er dann, obwohl es eine Lüge war. Er hatte gar nicht nachgeschaut. »Wir können aber in eine Stadt und dort welches besorgen«, bot er an, denn im Moment wollte er gern Zeit mit ihr verbringen.
Rhana blickte ihn überrascht an und sah dann auf das leere Glas in ihren Händen. »Ich will wirklich keine Umstände machen und ich glaube, ich habe nicht so viel Geld«, sagte sie kleinlaut und ein wenig enttäuscht.
Idris machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sieh es als etwas für Kaza. Sie würde ein gutes Geschirr gebrauchen. Darum wird das auch die Schule bezahlen«, erklärte er, was Rhana jedoch auch nicht so gefallen schien. Idris bekam das Gefühl, dass sie niemanden Probleme machen wollte und dafür lieber zurücksteckte. Kein gesundes Verhalten.
Idris beobachtete Rhana, die nachdenklich das Glas in den Händen drehte. Sie schien sich unwohl zu fühlen, doch noch hatte sie nicht abgelehnt.
Schließlich lächelte sie schief. »Ist das wirklich in Ordnung?«, fragte sie, als würde sie erwarten, dass Idris seine Meinung doch änderte.
Dieser nickte jedoch nur. »Natürlich. Damit kannst du Kaza besser die Welt zeigen und erklären«, versicherte Idris. Es schien, als wäre Kaza ihr wunder Punkt. Rhana schien der Typ, der ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellte, dafür aber für andere da war. Das war Idris schon aufgefallen, als sie in den Tunneln fast zusammengeklappt wäre. Er sollte sie im Auge behalten, damit niemand diese Sache ausnutzte.
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