Kapitel 15
Als Rhana das Zimmer der Direktorin betrat, wusste sie nicht, was sie erwartet hatte. Vermutlich eine Höhle, die aus blankem Stein bestand und kein so schön eingerichtetes Zimmer. Sie konnte kaum erkennen, dass sie sich in einem Felsen befanden, was ihre innere Unruhe milderte.
Die Wände waren mit Holz verkleidet und hinter einem ebenfalls hölzernen Schreibtisch saß die schönste Frau, die Rhana je gesehen hatte.
Es war nicht das hellblaue Haar, das ihr um die Schultern fiel, oder die dunkelrote Strähne, die sie an der rechten Seite hatte. Auch nicht die intensiven, goldenen Augen oder das runde, fast puppenhafte Gesicht. Es war das strahlende Leuchten, das sie zu umgeben schien wie ein göttlicher Schein.
Als sie Rhana erblickte, huschte ein sanftes Lächeln über ihre Lippen.
Rhana trat ein und vollführte einen Knicks, wie sie es auch schon bei Königin Suna getan hatte. Dieses Mal ging es ihr leichter von der Hand, da sie wusste, was sie tun musste.
Ein leises, sanftes Kichern drang an Rhanas Ohr. »Kein Grund für diese Förmlichkeit«, sagte sie beruhigend. »Ich bin Nae. Die Direktorin dieser Schuler«, stellte sie sich vor.
Rhana erhob sich und wollte etwas erwidern, als sich Kaza aus ihren Armen befreite und direkt auf den Schreibtisch der Direktorin sprang.
Keuchend versuchte sie, die Drachin zu fangen, bevor sie landete, doch es gelang ihr nicht.
Sie fegte über alles, was dort lag hinweg und blieb dann direkt vor Nae sitzen, um sie eingängig zu beschnuppern. Dabei machte sie zufriedene Fiepsgeräusche.
Rhana hingegen hatte das Gefühl, jemand würde ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Erst Lewin und jetzt Kaza. Waren denn hier alle gegen sie? Sie wollte doch nur einen guten Eindruck machen.
Erneut erklang dieses sanfte Kichern. Rhana beobachtete, wie Nae den Drachen leicht über den Kopf streichelte, als wäre er eine Katze. »Hallo, meine Süße«, sagte sie sanft. »Es ist schön, das du hergefunden hast. Wie ist es dir ergangen?«
Rhana fragte sich, was Nae erwartete, denn als Kaza fiepende Laute von sich gab und mit den Flügeln wackelte, wusste Rhana nicht, was das werden sollte.
Nae hingegen lachte leise. »Rhana hat sich gut um dich gekümmert? Du magst sie? Das ist schön«, sagte sie lächelnd, als wüsste sie genau, was er Drache wollte. Dann wandte sie sich an Rhana. »Das hast du sehr gut gemacht. Kaza mag dich und akzeptiert dich als ihre Mutter.«
Für einen Moment fragte sich Rhana, ob sie sich verhört hatte. »Mutter?«, fragte sie entsetzt. »Aber wie kann ich eine Drachenmutter sein? Ich bin doch nur ein Mensch.«
Sie spürte den Druck, der auf einmal auf ihren Schultern lag. Selbst für ein eigenes Kind war sie viel zu jung und jetzt ein Drache?
Wie sollte sie dieser Verantwortung gerecht werden?
»Keine Sorge«, erwiderte Nae, die Kaza sanft hochhob und selbst dann von ihrem Schreibtisch aufstand, um zu Rhana zu gehen. »Drachenkinder schlüpfen nicht so leicht. Kaza ist bei dir geschlüpft, was heißt, dass eure Verbindung sehr stark ist. Du wirst klarkommen. Versuch dich selbst nicht zu sehr damit zu stressen und mach so weiter, wie bisher«, riet ihr Nae, die Kaza sanft in Rhanas Arme setzte.
Sofort drehte die Drachin sich und um stupste Rhanas Gesicht an, bevor sie darüber leckte. Diese lachte leise, weil die raue Zunge kitzelte.
»Aber was ist, wenn ich etwas Falsch mache?«, fragte sie, denn selbst bei der Auswahl der Nahrung war sie sich unsicher.
Nae legte ihr eine Hand auf die Schulter. Von dieser ging sanfte Wärme aus. »Darum bist du hier. Du wirst alles lernen, was du über Drachen wissen musst. Keine Sorge, wir lassen dich damit nicht allein.«
Das beruhigte Rhana wieder, auch wenn sie sich fragte, was wohl passiert wäre, wenn sie nicht auf die Schule gewollt hätte? Wäre Kaza trotzdem irgendwie zu ihr gekommen oder nicht, weil das Artefakt gefehlt hätte? Wäre Kaza vielleicht nie geboren?
Dieser Gedanke stimmte sie traurig, denn der kleine Drache hatte ihr Leben zwar auf den Kopf gestellt, doch Rhana wollte ihn definitiv nicht mehr missen.
»Danke für Eure Hilfe«, flüsterte Rhana, die das Gefühl hatte, irgendwas sagen zu müssen. Dabei nahm sie Kaza fest in den Arm, um ihr zu zeigen, wie gern sie diese hatte.
Nae lächelte und drehte sie zur Tür. »Lass uns jetzt einen passenden Ort für dich und Kaza suchen. Mit einem Drachenbaby ist es immer kompliziert. Die erste Zeit wird sie bei dir im Zimmer schlafen. Sobald sie groß genug ist, kann sie in ihre Höhle ziehen«, erklärte Nae, während sie mit Rhana den Raum wieder verließ.
Lir, der die ganze Zeit neben der Tür gestanden hatte, beobachtete beide und folgte ihnen recht stumm.
Rhana war sich jedoch seines musternden Blickes durchaus bewusst, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was er bedeuten sollte.
»Wenn du etwas suchst, verlass dich auf Kaza. Sie mag zwar klein und jung sein, doch als Drache wird sie instinktiv die Dinge finden, die du suchst«, sagte Nae, als sie erneut an der Brücke ankamen. Dieses Mal schaffte es Rhana allerdings nicht, auch nur einen Schritt zu machen. Ihre Beine zitterten, während ihr Atem schneller wurde. Die Angst lähmte sie förmlich, denn vor ihrem inneren Auge begann die Brücke zu bröckeln und unter ihren Füßen zu verschwinden. Sie hatte sogar das Gefühl zu fallen, obwohl sie noch immer fest auf ihren Füßen stand.
Nae blieb in der Mitte der Brücke überrascht stehen und musterte sie besorgt.
Rhana spürte Hände auf ihren Schultern und sah nach hinten zu Lir. Sein Blick war besorgt, aber irgendwie auch ernst. »Du musst keine Angst haben«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Selbst, wenn du fällst. Ein Drache wird dich auffangen«, beruhigte er Rhana, doch diese konnte nicht ahnen, dass er tatsächlich darüber nachdachte, sie über die Brücke zu werfen, um es ihr zu zeigen.
»Lir, untersteh dich«, tadelte Nae, die aber auch ein wenig belustigt klang.
Rhana, die zu viel Angst hatte, die Brücke zu betreten, konnte den beiden nicht ganz folgen. Für sie gab es nur die Angstzone der Brücke, die ihre Gedanken völlig einnahm.
Nae kehrte zu Rhana zurück und nahm ihre Hand. »Komm«, sagte sie sanft und ihre Stimme löste ein Stück das Gefühl der Angst. Als Rhana dann die warme Haut spürte, hatte sie das Gefühl die scharfen Kanten ihrer Gedanken wurden geglättet, sodass sie nicht mehr nur die Gefahr sah.
Langsam machte sie einen Schritt vor den anderen, obwohl ihre Beine noch immer zitterten. »Denk an etwas Schönes«, riet Nae ihr, wobei ihre Stimme seltsam zärtlich und ein wenig hallend klang. Fast so, als wäre sie mit Magie durchwoben, auch wenn Rhana keine wirkliche Ahnung davon hatte.
Was auch immer die beiden gerade taten, Rhana lief über die Brücke, ohne es wirklich selbst zu bemerken.
Als sie am anderen Ende angekommen war, stieß sie ein Seufzen aus und sackte erschöpft zu Boden.
»Das hast du gut gemacht«, lobte Nae, die nicht wirkte, als wäre sie durch Rhanas Angst irgendwie genervt. Stattdessen gab sie Rhana das Gefühl, dass es nicht schlimm war.
»Wie soll ich so denn hier zurechtkommen?«, fragte Rhana mit belegter Stimme, während Tränen in ihre Augen stiegen. Sie hatte versucht sich einzureden, dass es nicht schlimm war, doch sie verstand so langsam, wie diese Schule aufgebaut war. Das hier würde nicht die einzige Brücke sein, die sie überqueren musste.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, versicherte Lir, der noch immer hinter ihr stand, als würde er sie schützen wollen. Was ein seltsames Gefühl war, denn sie kannte den Mann nicht. Er war zwar jetzt ihr Lehrer, doch konnte sie ihm deshalb vertrauen?
Nae ging langsam zu ihr in die Hocke und nahm erneut ihre Hand. »Ich habe gehört, du kletterst gern«, sagte sie, was Rhana überraschte.
Sie sah auf und blickte sie zögernd an. Recht hatte sie, doch das hatte bisher nur, vergleichsweise kleine, Felsen in ihrer Heimat eingeschlossen. Manchmal auch Bäume. Aber damit hatte sie nie ein Problem gehabt.
Rhana zwang sich dazu, langsam zu nicken. Dabei bemerkte sie, wie Nae ihre Hände mit ihren Fingern sanft massierte, als würde sie so versuchen weiteren Stress abzubauen. »Was hilft dir dabei, beim Klettern Ruhe zu bewahren?«, fragte sie, doch Rhana konnte darauf nicht antworten. Darüber hatte sie selbst nie nachgedacht. Allerdings schien Nae auch nicht sofort eine Antwort zu wollen. »Versuch darüber nachzudenken und schau, ob du das auch bei den Brücken anwenden kannst. Es gibt zwar einige Brücken, doch es gibt auch immer andere Wege. Sie sind zwar länger, aber die meisten Brücken kannst du umgehen.«
Rhana spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel. Sie konnte die Brücken umgehen. Was für ein Glück.
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