Kapitel 1
Hitze flimmerte über den weiten, rostbraunen Sand der Wüste, die Savrana umgab. Jeder Atemzug fühlte sich trocken und sandig an und doch war er Rhana so vertraut, wie nichts anderes.
Der Himmel war klar und ließ die Sonne gnadenlos auf den Sanf krachen, der bereits vor Hitze glühte.
Wolken waren hier so selten wie der Regen, der nur einmal im Jahr für ein paar Tage fiel.
Dünen formten sanfte Bögen, von dem ungezügelten Wind der Wüste geglättet. Nur einzeln ragten dunkelbraune Felsen empor, die von einer längst vergangenen Zeit sprachen.
Auf einem von ihnen hatte es sich Rhana so gemütlich gemacht, wie es ging.
Ihr langes, schwarzes Haar war unter dem beigefarbenem Leinenumhang verborgen, der auch vor ihrem Mund lag, um ihre Kehle vor dem Sand zu schützen. Kleidung, die außerhalb der Oase ein Muss war.
Immer noch fasziniert von ihrer Heimat, beobachtete sie die sanften Bewegungen des Sandes, die durch den Wind verursacht wurden. Sein Rauschen in ihren Ohren war für Rhana wie Musik.
Die Töne der Stadt, die in ihrem Rücken lagen, waren hier draußen kaum noch zu hören. Nur, wenn der Wind günstig stand, drangen Stimmen und manchmal sogar die Töne einer Oud, einer Laute, an ihr Ohr.
Rhana genoss die Einsamkeit, die dieser Ort bot, doch gleichzeitig wartete sie. Schon seit Tagen erwartete sie die Wiederkehr ihrer Familie, weshalb sie den flimmernden Horizont gut im Auge behielt.
Dort entdeckte sie kleine, dunkle Punkte, die sich gegen den flimmernden Himmel abhoben.
Rhana erhob sich erwartungsvoll, während sie weiter auf die Stelle starrte. War das wieder eine Fata Morgana oder kam die Karawane ihrer Familie endlich in Sicht?
Das erste Zeichen darum, dass es keine Luftspiegelung war, waren die Sandwolken, die an den Rändern der Karawane aufwirbelten.
Dann trug der Wind das ferne Klappern der Hufe und das Schleifen der Wagenräder an ihr Ohr.
Vorfreudige Erwartung machte sich in ihr breit, während sie darauf wartete, endlich mehr erkennen zu können.
Wo war ihr Ziehvater und ihr Bruder? Führten sie die Karawane an? Waren sie erfolgreich gewesen?
Während die Kamelkarawane langsam näherkam, erkannte Rhana die einfachen, beigefarbenen Mäntel, welche die Reisenden schützten. Was sie aber überraschte war das Aufblitzen von glänzenden Sätteln und metallenen Beschlägen.
Die Karawane ihres Vaters hatte nie sonderlich viel Wert auf diese Dinge gelegt. Sie waren sogar absichtlich sehr unauffällig unterwegs, da sie es vermeiden wollten, von Wegelagerern überfallen zu werden. Rhana konnte daher mit Sicherheit sagen, dass nicht die komplette Karawane die ihrer Familie war.
Nervös beobachtete sie, wie die Karawane langsam näherkam.
Dann entdeckte sie unter den einfachen Gewandungen der Händler ihrer Karawane einige Reisende, die auffälligere Farben und Gewänder trug. Ihre Kamele waren zwar zum Reiten gedacht, doch auch sie trugen bunte Tücher und teilweise schimmernde Beschläge.
Unwillig verzog sie den Mund, als sie eine bekannte Gestalt entdeckte. Sein Umhang flatterte im Wüstenwind, was ihn auf eine gewisse Art und Weise edel wirken ließ. In Rhana löste sein Erscheinen jedoch eher Unwillen aus. Trotzdem war diese Empfindung kaum so stark wie die Freude, als sie ihren Bruder am Anfang der Karawane entdeckte.
Als sie noch näherkamen, erkannte Rhana ihn noch besser. Sein Gesicht strahlte Entschlossenheit und Zufriedenheit aus. Es schien, als wäre auf der Reise alle gut gegangen.
Seine warmen, braunen Augen entdeckten sie, da er genau wusste, wo sie immer auf die Karawane wartete. Auf seinen Lippen breitete sich ein warmes Lächeln aus.
Ruonirs kastanienbraunes Haar war kaum bedeckt und so erkannte Rhana auch die sonnenblonden Strähnen, die ihm, zusammen mit dem Wind, der seine Haare zerzauste, ein verwegenes Aussehen verliehen.
Die goldenen Verzierungen auf dem edlen, türkisfarbenen Band, das seine Haare schon hielt, seitdem er laufen konnte, glänzten im Licht der Sonne.
Dann entdeckte Rhana eine Narbe in seinem Gesicht, die neu war. Ihr Herz setzte vor einem Moment aus. Waren sie erneut Gefahren begegnet?
Ruonirs sonnengebräunte Haut zeigte allerlei dieser Spuren, doch Rhana kannte jede von ihnen.
Obwohl sie stolz darauf war, dass Ruonir mit seinem Vater und der Karawane so erfolgreich war, machte sie sich doch auch Sorgen. Sie wusste sehr gut, wie gefährlich die Wüste war und eigentlich sollte es ihre Aufgabe sein, die Karawane anzuführen. Doch dafür war sie noch zu jung. Zumindest war sie das lange gewesen.
Bald schon war ihr achtzehnter Geburtstag und sie durfte endlich mitreisen.
Rhana konnte gar nicht sagen, wie sehr sie sich darauf freute, auch wenn sie Angst davor hatte. Bisher war es ihr nur erlaubt, sich um die Angelegenheiten hier zu kümmern.
Da die Karawane ihr Erbe war, war sie schon als kleines Kind in die Handelsgeschäfte eingewiesen worden. Zumindest in alles, was nicht in der Wüste oder dahinter stattfand. Darum war sie mit 14 Jahren auch die jüngste Händlerin hier in Savrana und kannte so gut wie jeden Händler, der bei ihrer Karawane kaufte, persönlich.
Sie folgte der Karawane mit ihren Augen und begann dann, langsam von ihrem Aussichtspunkt zu klettern und sich Richtung Savrana zu begeben.
Der Wind, der gerade noch trocken und heiß war, wurde sanfter. Er trug einen weichen Hauch der üppigen Gärten und Palmen mit sich.
Die einfachen Bauten mit den flachen Dächern schmiegten sich perfekt in die Landschaft. Sie wirkten, als wären sie aus dem Wüstensand selbst gebaut, dennoch strahlten sie eine ganz eigene Schönheit und Anziehungskraft aus.
Rhana atmete den Geruch der Oase ein und entspannte sich immer mehr, je näher sie den Klängen ihrer Heimat kam.
Sie näherte sich den schmalen Gassen und spürte bereits das pulsierende Leben. Händler boten ihre Waren feil. Glänzende Mineralien bis hin zu kunstvollen Stoffen war hier alles vertreten. Rhana wusste das sehr gut, denn ihre Familie hatte schon immer für Nachschub gesorgt.
Süßer Duft von Gebäck stieg ihr in die Nase, als sie einen der vielen Bäcker passierte. Er vermischte sich mit dem herben Duft der Kräuter, die an einem Stand angeboten wurden. Getrocknet, da sie frisch hier kaum zu bekommen waren.
Das alles bildete ein so betörendes Aroma, dass Rhana für einen Moment stehenblieb und die Augen schloss.
Der Klang der Oud wurde lauter, als sie die Hauptstraße überquerte und sich langsam dem Punkt näherte, an dem die Karawane die Stadt betreten würde.
Für sie gab es nur einen einzigen Weg, der sie direkt durch das große Haupttor führen würde. Dort wurden immer alle Neuankömmlinge, aber vor allem die Waren kontrolliert.
Was ihr Vater ihr wohl aus Naytan mitgebracht hatte?
Einen Moment blieb Rhana stehen und blickte auf das Schloss, in dem im Moment die Großmutter der Königin residierte.
Die Mauern aus Sandstein, die sich farblich kaum von den Felsen der Umgebung abhoben, strahlten dennoch eine Aura von Macht aus. Die Architektur dieses Schlosses war ein Meisterwerk und angeblich schon hunderte von Jahre alt.
Wenn Rhana die wunderschönen, filigranen Verzierungen betrachtete, konnte sie sich das kaum vorstellen.
Ob ihr Verlobter Lewin wohl hier war, um die Königin zu treffen? Sie hoffte es sehr, denn sie selbst hatte nicht sonderlich viel Lust, mit ihm zu sprechen.
Ihr Vater hatte vor vielen Jahren diese Verlobung organisiert, damit sie in guten Händen war. Ein Zeichen seines Erfolges, denn Lewin hatte Verbindungen zur Königsfamilie.
Rhana wandte sich von den hohen Türmen mit den goldenen Kuppeln ab. Mittlerweile müsste die Karawane die ersten Dinge abgeladen haben und sie würde nicht mehr bei der Arbeit stören.
Der Kontrollpunkt war immer ein geschäftiger Ort, da hier auch die Wachposten stationiert waren. Jetzt aber wo die Karawane ihre Waren ablud, war es noch wuselige.
Bunte Stoffe und exotische Gewürze dominierten das Bild.
Rhana zog ihren Mantel zurück und legte ihr schwarzes Haar frei. Hier in den Mauern der Stadt war der Wind sanfter und der Sand weniger unangenehm. Die Pflanzen, die überall wuchsen, sorgten für eine sehr angenehme Atmosphäre.
Ein stämmiger Mann mit dunklem Haar und sonnengegerbter Haut, der sich äußerlich kaum von den restlichen Händlern unterschied, kam auf sie zu. »Vater«, strahlte Rhana, die sich sofort in die Arme des Mannes warf.
Dieser tätschelte sanft ihr Haar und schloss sie einen Moment in den Arm.
Unori war nicht ihr richtiger Vater, doch er hatte sie aufgenommen.
Früher hatte er ihren Vater, dem Besitzer der Karawane, als Leibwache loyal gedient. Das war auch der Grund, warum er nach dem Tod ihres Vaters die Karawane anführte. Damit sie diese eines Tages erben konnte. »Wie war eure Reise?«, fragte Rhana, die sich etwas von ihm löste und ihn musterte.
Die dicke Narbe, die quer über seine Nase und sein gesamtes Gesicht ging, war ein deutliches Zeichen dafür, wie gefährlich die Wüste sein konnte.
Aus demn Augenwinkel bemerkte sie Ruonir, der mit geschickten Händen die Waren auslud, sortierte und erfasste. Er war schon richtig gut eingearbeitet, was Rhana wirklich gefiel. Irgendwann auch außerhalb von Savrana mit ihm zu arbeiten war ihr größter Wunsch. Jetzt aber würde sie ihn gleich bei der Sichtung und Sortierung unterstützen, denn sie hatte eine gute Vorstellung davon, welcher Händler was bestellt hatte. Es gab zwar auch Listen, doch Rhana merkte sich die Dinge immer recht gut. In vier Jahren lernte man die eigenen Kunden sehr gut kennen. Gerade, weil die meisten immer wiederkehrten.
Es gab zwar noch andere Karawanen in Savrana, doch die der Tavanis waren am bekanntesten. Dafür hatte ihr Vater mit seiner charmanten Art gesorgt und Rhana wollte das Erbe fortführen, das er ihr hinterlassen hatte.
Bevor ihr Vater jedoch antworten und ihr von den Abenteuern erzählen konnte, trat Lewin an sie heran.
Sein langes, dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, wehte im sanften Wind der Oase. Seine tiefen, braunen Augen durchbohrten Rhana mit einem durchdringenden Blick, der sie immer unruhig machte. Dennoch versuchte sie sich an einem Lächeln. Es zitterte leicht auf ihren Lippen und jeder, der sie kannte, wusste, dass sie sich unwohl fühlte. Nur kannte Lewin sie nicht sonderlich gut.
»Es ist schön, Euch zu sehen, Lady«, sagte er und hob die Hand, wobei die vielen Armreife an seinen Handgelenken klirrten. Auffordernd reichte er ihr die Hand und nur widerwillig legte Rhana ihre in seine.
»Was führt Euch hierher, Lord Lewin?«, fragte sie und spielte Interesse vor, während er ihre Hand hob und an seine Lippen führte. Sein leichter, brauner Bart kitzelte ihren Handrücken und die Berührungen seiner Lippen ließen ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken wandern.
»Die Königinnenmutter Sunna möchte uns sehen«, sagte er mit rauer, tiefer Stimme, die eigentlich angenehm sein könnte, wüsste Rhana nicht, dass Lewins Geduld sehr gering war.
Seine Worte erleichterten Rhana, weshalb sie nun doch etwas fröhlicher lächelte. »Dann möchte ich Euch nicht weiter aufhalten. Ich werde meinem Vater dabei helfen, die Waren zu sichten«, sagte sie, denn diese Aufgabe hatte sie schon immer übernommen.
Lewis Blick wurde überrascht, bevor er den Kopf schüttelte. Das Diadem, das seine Haare hielt, reflektierte dabei die Sonne und blendete Rhana kurz. »Das wird nicht möglich sein, wenn die Königinnenmutter Euch sehen will.«
Rhana hatte das Gefühl, ihr Herz würde für einen Moment aussetzen. Die Königinnenmutter wollte sie sehen? Wieso?
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