4. Ein schwieriges Projekt
Sonntag verstrich in einem Atemzug und der Montag starrte seiner Familie in die müden Augen. Sumi hatte sich erkältet und seine Eltern die halbe Nacht wachgehalten.
Den Rest der Nacht hatte das verschnupfte Mädchen bei ihm im Dachgeschoss verbracht. Ihr Schnarchen war sehr viel lauter als man es bei dieser Körpergröße vermutet hätte. Immer wieder wurde er davon geweckt und einschlafen war eine Tortur. Als endlich die Sonne aufging, klappte er seinen Laptop zu und schlich ins Bad.
Eine kalte Dusche war der einzige Weg wie er den heutigen Tag überleben würde. Er zog sich gerade an als er Sumi in der Tür bemerkte. Sie schniefte leise. Mit glasigen Augen und roter Nase gab sie ein trauriges Bild von ihrem eigentlichen fröhlichen Gemüt ab.
Sofort zog er sie in seine Arme und sprach leise mit ihr. Nichts war schlimmer als seine Schwestern krank zu sehen. Bei Evelyn war es genauso schlimm, auch wenn sie fast erwachsen war. Ihr Leid war für ihn kaum ertragbar. Behutsam hob er sie hoch und trug sie zu seinen Eltern. Beide hielten eine Kaffeetasse eng umschlungen.
"Hat sie wenigstens ein bisschen geschlafen?", fragte seine Mutter und drückte das kleine Mädchen an ihre Brust, "Young-Ho mach einen Tee. Sie braucht Flüssigkeit. Und danach Inhalieren wir, damit dieser furchtbare Husten besser wird."
Sein Vater machte sich daran die Anweisungen seiner Frau auszuführen. Liebevoll strich Jay Sumi über die Stirn. Sie war ganz warm. "Ich denke schon. Zumindest hat sie geschnarcht. Aber sie hat sich ständig herumgewälzt."
"Das heißt wohl nicht besonders erholsam für keinen von euch." "Das ist nicht so schlimm für mich." Young-Ho kam mit einer Kindertasse in der Hand zurück. Vorsichtig hielt er sie Sumi an die Lippen. Das Mädchen macht einige Schlucke und kuschelte sich dann wieder an seine Mutter. "Hast du heute Uni?" "Ja. Ich muss jetzt auch gleich los."
"Hey Jay!", Evelyn kam aus ihrem Zimmer und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, dann bemerkte sie Sumis Gesicht. "Mist, die Verkühlung ist schlimmer geworden?" Ihre Mutter nickte bekümmert, "Und ich hab den Laden heute Nachmittag."
"Den Nachmittag kann ich doch übernehmen. Ich hab noch nichts vor und wenn du mir sagst, worauf ich achten muss und immer erreichbar bist, übernehme ich Sumi.", bot Evelyn an. Ihre Eltern sahen sich nachdenklich an. Man konnte sehen, wie sie sich nur durch Blicke verständigten. Eine Gabe, die der eines Saki sehr nahekam. Schließlich nickten sie und wandten sich wieder ihren Kindern zu.
"Ich habe einen anderen Vorschlag. Warum übernimmst du nicht den Laden, Evie. Du weißt doch schon was zu tun ist." "Ich weiß nicht. Bist du sicher?", Zweifel huschte über Evelyns Gesicht. Völlig alleine hatte sie diese Verantwortung noch nie getragen. Jay wunderte sich, woher dieser Sinneswandel seiner Eltern kam. Sumi hustete laut und beendete damit die Diskussion.
"Bitte sei um halb drei im Laden. Dein Vater wird dir sagen, was noch erledigt gehört. Und ich kümmere mich mal um die Kleine. Habt einen schönen Tag und passt auf euch auf.", Katarina gab ihnen beiden einen Kuss und scheuchte sie aus der Tür. Keine Minute zu spät, ihr Bus würde gleichkommen. Hastig rannten sie zur Busstation und sahen sich um.
"Ist er schon gefahren?" "Sieht nicht so aus.", meinte Jay und zeigte auf die wartenden Menschen. Evelyn stieß einen erleichterten Seufzer aus. "Zum Glück. Ich kann heute nicht zu spät dran sein."
Es fuhr nur ein Bus von ihnen in die Stadt. Der geheiligte und verteufelte 16A. Niemand hasste diesen Bus so sehr wie Jay und seine Schwester. Entweder er kam zu früh oder zu spät und wenn man mal die Verspätungen des Buses miteinrechnete kam er genau richtig. Es war zum Verrücktwerden.
"Hast du heute auch Uni?", Jay nickte, "Kurs über Rechnernetze, glaub ich. Nichts allzu Aufregendes, aber zumindest was Neues." "Du bist echt so ein Genie. Manchmal beneide ich dich."
"Mach das Bloß nicht. Ich find's einfach nur spannend. Eigene Programme erstellen, kreativ sein. Ich bin bei weitem kein Genie." Evelyn verzog das Gesicht. "Naja du kriegst dein Studium auf jeden Fall besser hin als ich."
"Was ist los? Brauchst du wo Unterstützung?" Evelyns Betriebswirtschaftsstudium hatte es in sich, aber bis jetzt hatte sie keinerlei Schwierigkeiten gehabt. "Nur diesen einen Kurs, aber da kannst du mir nicht helfen."
"Sicher?" "Ja, ich frage Mama später. Sumi klang echt nicht gut." "Nur eine Erkältung, Evie. Sie wird wieder, aber ziemlich sicher, dass sie uns alle anstecken wird. Ich fühls schon in der Nase.", eine grobe Übertreibung, aber Evelyn trat sofort einen Schritt von ihm weg.
"Ihhh, du bist kontaminiert!", lachte sie. Der Bus kam und erwartungsvoll traten die Menschen an den Rand des Bürgersteiges. Es dauerte keine zwanzig Minuten und sie waren an ihrem Ziel. Der nächsten U-Bahnstation. "Bis später, Bruderherz."
"Viel Spaß auf der Uni.", sie trennten sich und Jay fuhr weiter in die Stadt hinein, seine Uni war tief und alt im Herzen von Wien verankert. Die Sonne strahlte hell vom Himmel und erwärmte langsam die nachtfrische Luft. Es tummelten sich bereits viele Studenten in den hohen Hallen der Universität Wien.
Ihre Stimmen wanderten weit und wurden von den Marmorwänden- wie Säulen zurückgeworfen. Die Uni genoss nicht den besten Ruf, aber sie war gratis und bot die Kurse an, die Jay interessierten. In seinem Fachbereich würde er immer einen Job finden, auch wenn sein Abschluss von keiner berühmten Universität kam.
"Jay! Hey, alter, du kommst ja doch!", ein junger Mann, im selben Alter mit kurzen schwarzen Haaren und einem Vollbart lief auf ihn zu. Amirs weiße Zähne blendeten, das strahlenden Lächeln glich einem Scheinwerfer,
"Ich hab echt nicht mehr mit dir gerechnet, Fremder. Wo warst du die letzten Wochen?" In der Kanalisation zu großen Teilen, aber das konnte er seinem Freund nicht sagen. Deshalb lächelte er und zuckte mit den Schultern.
"Beschäftigt.", was keine Lüge war. Das probierte er erst gar nicht. Amir schüttelte nur amüsiert den Kopf. "Es ist eine Frau, oder? Nichts lenkt dich so sehr ab wie eine Hammer Frau.", verdammt, vielleicht hatte Evelyn recht und er bekam langsam einen Ruf. Bevor er antworten konnte, warf Amir einen Blick auf die Uhr und wurde unruhig.
"Der Kurs fängt gleich an." "Weißt du wo-", er kam nicht dazu die Frage auszusprechen. Natürlich wusste Amir wo der Kurs stattfand. Sein Kommilitone war stets bestens vorbereitet und über alles informiert. Ohne ihn würde Jay das Studium vermutlich nicht schaffen. Mit einem genervten Grummeln zog er Jay durch die Gänge.
"Der Kurs ist im Audi Max." Der größten Vorlesungshalle, die die Uni zu bieten hatte. "Audi Max? Bist du sicher? Ich dachte, das wäre nur ein kleiner, unwichtiger Kurs."
"Unwichtig, vielleicht. Aber der Professor ist nur zu Gast hier. Ein Experte und hoch dekoriert. Jeder hier will ihn reden hören, deshalb wurde Abend noch die Lokation verändert. Sie vermuten einen Wahnsinns Andrang heute. Und wenn ich mich umschaue, könnte ich mir das schon vorstellen."
Zusammen mit gefühlt hundert anderen strömten sie in den Audi Max. Reihenweise Plastikstühle mit aufklappbaren Tischen umrundeten ein großzügiges Podium mit Leinwand. Die hohen Wände waren mit großen Fenstern versehen, durch die die Morgensonne ungehindert eindringen konnte. Der Raum heizte sich bereits auf.
Jay ließ sich ziehen, er war nur selten an der Uni. Alles was er von zuhause machen konnte, wurde dort erledigt und nicht in einem verstaubten alten Gebäude mit schlechtem Empfang und noch schlechterem Internet. Dazu kam das die Cafeteria eine Tragödie war und er nicht teuer essen gehen konnte. Seine Eltern waren bei weitem nicht wohlhabend und die kleinen Programmierjobs nicht annähernd lukrativ genug.
"Schau da sind Leo und Amelia." Wie ein Magnet wurde Amir zu ihren gemeinsamen Freunden gezogen. Die zwei hatten ihnen natürlich Plätze freigehalten. Wie in der Oberstufe. Jay schüttelte fassungslos den Kopf. "Woher wusstet ihr, das wir kommen?"
"Soll das ein Witz sein? Als würde Amir auch nur einen Kurs verpassen.", Leo, mit seinen langen locs und dem Piercing in der Nase zuckte mit den Schultern. "Und wenn du nicht gekommen wärst, hätten wir dort unsere Tasche abgelegt."
"Aber Amir hatte so ein Gefühl, weißt du. Er hat gemeint, du kommst also haben wir für dich reserviert.", erklärte Amelia in ihrer hohen Glockenstimme. Sie trug ein blaues, langes Kleid, feminin und altmodisch. Ihre blonden Haare waren mit einer Masche versehen. Jay lächelte sie an. "Er hatte also wieder eines seiner geheimnisvollen Gefühle?", neckte er Amir und erntete einen bösen Blick.
"Lass diese Scherze. Nicht in dieser Zeit. Ich hab nur den Titel der Vorlesung gesehen und geraten. Sonst nichts." Sein Freund hatte Recht. Über Hellsichtigkeit scherzte man nicht. Besonders dann nicht, wenn es tatsächlich Hellsichtige da draußen gab.
Jay hatte bereits eine Person mit einer ähnlichen Gabe getroffen und wenn das auch nur ein anderer mitbekam, konnte es für Amir böse ausgehen. Amelia griff nach Amirs Hand.
"Tut mir leid. Das war dumm." Unwirsch winkte Amir ab und holte seinen Laptop aus der Tasche. Leo und Amelia hatten ihre bereits auf dem Schoss. Seit dem Studienbeginn saß Jay stets neben Amelia und Amir. In der Orientierungsphase hatte sich ein ähnlicher Humor herausgestellt.
Die ersten zwei Semester waren sie kaum zu trennen gewesen. Tag und Nacht hatten sie entweder bei Jay oder Amir zuhause verbracht und ewig viel programmiert, gehackt oder gespielt. Da die Küche in Amirs WG die größte war, wurde sein zuhause am häufigsten beschlagnahmt.
Amelia wohnte zuhause. Ihre Familie war groß und die Wohnung klein aus diesem Grund, stand ihr Heim nie zur Debatte. Im zweiten Jahr kam dann Leo an die Uni. Er war Austauschstudent aus Namibia und würde in Wien seinen Master vollenden. Ein tatsächliches Genie. Wüsste Evelyn, was Leo alles draufhatte, würde sie dieses Wort niemals wieder mit ihm in Verbindung bringen.
Leo freundete sich augenblicklich mit Amelia an und zog schließlich mit ihr in eine WG. Der Auszug von zuhause hatte ihr gutgetan. Sie war wunderschön. Blasse Haut, helle, intelligente Augen. Dazu diese merkwürdige Kleidung, die ihr aber irgendwie perfekt zu passen schien.
Jay schenkte ihr ein wissendes Lächeln, dass sie gutmütig erwiderte. Sie hatten ihr kleines Abenteuer gehabt. Aufregend und gefährlich. Sie war jemand in den sich Jay wirklich verlieben hätte können. Hätte...nun, über mehrere Monate hatten sie immer wieder ihren Spaß zusammen gehabt. Bis klar geworden war, dass Jay nicht an einer ernsthaften Beziehung interessiert war, Amelia aber nichts anderes wollte.
Die Situation war nicht schön gewesen, aber nach einem langen, tiefen Gespräch waren sie sich einig geworden. Freunde. Sie würden Freunde sein. Darin waren sie gut und das hätte auch für sie die besten Vorteile, da keiner von beiden den anderen aus seinem Leben streichen wollte.
Im Stress des Studium waren ihre Gefühle ganz schnell untergegangen und Jay war froh, diese besondere Frau zu seinen Freunden zählen zu können. Nun musste er es nur noch irgendwie schaffen, dass Amir den Mut aufbrachte sie um ein Treffen zu bitten.
Er himmelte sie bereits seit Wochen an und Amelia wartete geduldig. Eine ihrer leichtesten Übungen. Und während Amir schwitzte und keuchte, lachte Leo über ihren seltsamen Paarungstanz.
"Also kennt einer von euch den Professor?", fragte er in die Runde um von Amir roten Wangen abzulenken. Jay machte es sich auf dem Plastikstuhl bequem und schaltete seinen heißgeliebten Laptop ein.
"Markus meinte, er habe ihn in einem anderen Kurs schon gesehen. Ein guter Redner.", Leo spielte mit seinen Locs und versuchte das breite Grinsen in seinem Gesicht unter Kontrolle zu bringen. Selbst wenn Jay nicht viel Zeit für seine Freunde hatte (die Arbeit für die Taube war intensiv) wusste er doch den neuesten Tratsch.
Ihre WhatsApp-Gruppe lieferte ihm all die Informationen, die er brauchte um die subtilen Hinweise zu erkennen. Markus war Leos neuer Liebhaber. Oder vielleicht sogar mehr. Noch war das Urteil nicht gefällt, aber Amelia zog ihn wegen stundenlangen Telefonaten auf.
Jay wollte gerade eine weitere Frage aussprechen, als er aus seinem Augenwinkel einen Mann Mitte vierzig auf die Tribüne zugehen sah. Er wirkte zielsicher und selbstbewusst, die braune Hose und das Grau-karierte Jackett ließen ihn noch mehr hervorstechen.
"Das muss er wohl sein.", murmelte Amir begeistert. Die Augen verdrehend merkte er wie sich die Stimmung im Saal veränderte. Die Zuhörer verstummten. Die Studentenschaft hielt den Atem an. Vermutlich hätte man eine Nadel fallen hören können. Der Professor stellte sich breitbeinig auf das Podium und stützte die Hände in die Hüften.
"Guten Morgen. Mein Name ist Professor Erich Morosan. Und wie euch sicher schon aufgefallen ist, bin ich nicht der übliche Lehrer für diesen Kurs. Aber ich schätze auch, deshalb seid ihr so zahlreich erschienen.", Er begann auf und abzugehen, behielt seine Zuhörer dennoch stets im Auge.
"Wieso also bin ich hier? Gute Frage. Berechtigte Frage. Ich bin hier im Auftrag der Regierung." Ein erschrockener Ausdruck huschte über die Gesichter der Studenten. Die immer strenger werdenden Regeln der Regierung waren an der Uni nicht gerne gesehen. Professor Morosan hob die Hände.
"Bevor ihr jetzt alle rausstürmt, hört mir nur noch einen Augenblick zu. Es geht um unser Land, unsere Gesellschaft. Und wie wir die nächsten Jahrzehnte prägen wollen. Seit IZANAGAS Verbrechen öffentlich sind, häufen sich die Probleme. Ökonomische wie auch Soziale. Es muss sich etwas verändern und am besten setzten wir hier bei dem dringendsten Problem an. Die Sakis, wie sie so schön in eurer Jugendsprache genannt werden. Eine Verharmlosung in meinen Augen und sicherlich bin ich mit dieser Meinung nicht der Einzige.", vereinzelt bemerkte er nickende Studenten. Es stimmte, die Kontrolle fehlte vielen Sakis und Unfälle passierten nur allzu schnell.
"Aber was kann man tun?", rief ein junger Mann weiter vorne. Jay hatte den Eindruck, er gehörte zu Morosan. Dieser nahm die Frage mit einem breiten Grinsen auf.
"Ich habe einen Plan. Ein Programm, das eine sicherere, schnellere und einfachere Registrierung und Kategorisierung aller Sakis vorsieht. Eine App, die nicht nur wichtige Behörden unterstützt, sondern auch den Sakis Hilfestellung leistet. Mit Tipps und Anlaufstellen. Aber das ist noch nicht alles. Diese App soll nicht nur für die Sakis sein. Sie soll für uns alle sein. Eine Schnittstelle zur direkten Demokratie, eine Möglichkeit die Gesetzte mitzubestimmen und der Mehrheit der Menschen eine Stimme zu verleihen. So können wir aktive Veränderung hervorbringen, ein Umsturzt aus dem Netz.", er redete noch eine Weile weiter, aber Jay hatte bereits abgeschaltet.
Da kam nur Scheiße aus Morosans Mund. Hübsche, aufpolierte Scheiße. Veränderung? Nein, diese App wäre eine weitere Möglichkeit die Bevölkerung zu kontrollieren, zu lenken. Die totale Überwachung. Als revolutionäre Bürgerapp getarnt.
Nichts täte er lieber als Morosan genau das an den Kopf zu werfen, doch er sah in den Gesichtern seiner Kommilitonen, dass einige dem Bullshit glaubten. Morosan hatte Charisma. Er wirkte nicht wie eine dieser Regierungsmarionetten. Er hatte Charakter und Vision und es half, dass er vom Fach war und wusste welche Herausforderungen bei der Programmierung einer solchen App aufkämen.
"Ich habe bereits mit der Schulleitung gesprochen. Dies hier könnte euer Abschlussprojekt sein. In Kleingruppen würdet ihr jeweils einen Aspekt der App übernehmen. Wenn sie am Ende des Schuljahres funktioniert, habt ihr euren Master."
Amir klappte der Mund auf. Amelia hob die Augenbrauen. Dieses Angebot...
"Das ist nicht sein ernst, oder?", hörte er den Student neben sich flüstern. Ein Raunen ging durch die Menge. Niemand konnte es so recht glauben. Das Problem war die unglaubliche Verlockung. Ein von der Regierung gesponsertes Projekt mit so vielen guten Programmierern. Wenn man da nicht mitmachte, dann nur aus Prinzip und wenn es dein Prinzip war, gegen die Regierung zu arbeiten, konntest du dich auch gleich auf eine Beobachtungsliste eintragen.
Das war der einzige Grund, weshalb Jay wie alle anderen Anwesenden aufstand, und mit einem Stift bewaffnet zum Podium schritt. Dort lang in hochwertigem Druckpapier, die Einverständniserklärung und das Dokument mit den Arbeitsbedingungen.
Krampfhaft versuchte er seine Miene neutral zu halten während er seinen Namen unter den von Amir und über Leos setzte. Es gab keine Wahl. Das wussten auch seine freidenkerischen Freunde.
Niemand konnte es sich leisten von der Regierung beobachtet zu werden, dafür hatten IT-Studenten zu viel Marihuana und illegale Spielchen am Laufen. Nach der groben Einteilung in Gruppen wurden sie entlassen. Die Masse an Studenten schwieg, ob in Gedanken oder aus Angst vor den Konsequenzen ihrer Sätze.
Nur die Schritte hallten durch die Gänge als sie schneller werdend aus dem Gebäude flüchteten. Die warme Sonne erwartete sie zusammen mit einem kühlen Wind. Das geschäftige Treiben der Stadt wusste nichts von dem Unheil, dass sich ausgerechnet in der Uni Wien zusammenbraute. Amelia stöhnte angestrengt.
"Shit!" "Nicht so laut.", herrschte Leo sie an. Er hatte angefangen seine Locs zu flechten, ein deutliches Zeichen dafür wie aufgebracht er war. Amelia biss die Zähne zusammen und warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
"Das ist nicht gut.", meinte Amir und kratzte sich am Kinn. Jay konnte ihm nur zustimmen. Zumindest waren sie in einem Team und konnten Hintertürchen und Bugs einbauen, aber am Ende würde diese App funktionieren. Dafür waren sie einfach zu gut.
"Ich will das nicht." "Niemand will das, Amelia. Aber wir können es nicht ändern. Also machen wir einfach das Beste draus und-" "-und dann? Du glaubst doch nicht, dass sie hier aufhören? Was wirst du tun, wenn du diese App auf deinem Handy hast?" Amir zuckte mit den Schultern. "Mir ein neues Handy besorgen."
Amelia verdrehte die Augen. "Ach komm schon." "Es bringt nichts darüber zu streiten. Es ist geschehen. Jetzt müssen wir nur noch einen Plan entwickeln wie wir es zu unserem Vorteil nutzen können.", Jay zeigte auf ein Café, doch seine Freunde winkten ab.
"Ich muss zur Arbeit.", mit säuerlicher Miene verschwand Amelia in der Straßenbahn. Leo zuckte mit den Schultern und ging wieder in die Uni. Amir blieb übrig. Er seufzte laut. "Das war nicht, was ich mir erhofft habe." "Davon geh ich aus."
"Warum...warum kann es nicht einmal besser werden? Nur einmal?", sein Freund umarmte ihn fest, "ich muss los. Wir sehen uns später, ja?" Jay nickte, spürte das Papierstück, dass Amir ihm in die Hand drückte und schluckte schwer.
"Du passt auf dich auf?", sein Freund nickte leicht, ein trauriges Glitzern in den müden Augen. Amirs Mutter war eine Saki gewesen. Für etwa zehn Minuten bevor die Mutationen sie umgebracht hatten. Jay sah ihm noch einen Augenblick nach und schlenderte dann zum Café. Kein Zögern, keine Neugierde.
Das Papier wanderte ohne Umschweife in seine Hosentasche. Nichts und niemand würde ihm anmerken, dass er soeben eine Nachricht über das Netzwerk der Taube erhalten hatte. Das moderne Café auf der Ringstraße war hell und bot eine Vielzahl angenehmer Sitzmöglichkeiten. Gemütlich bestellte er sich einen Kaffee und einen Donut. Das Gebäck wurde frisch in der Küche zubereitet und war ein Meisterwerk.
Jedes Mal, wenn Jay in diesem Café Zeit verbrachte, musste ein Donut auf seinem Tisch liegen. Er setzte sich und begann auf seinem Handy Nachrichten zu checken. Danach holte er seinen Laptop heraus und arbeitete ein wenig an seinem privaten Projekten.
Das Papier in seiner Hosentasche schien ihm ein Loch zu brennen. Die Neugierde wuchs mit jeder Sekunde. Aber noch musste er warten. Nicht zu hektisch, nicht zu aufgeregt. Es war nichts passiert. Amir hatte ihm keine geheime Nachricht gegeben. Ruhe, herrschte er sich selbst an und klappte den Laptop zu.
Gerade rechtzeitig, um eine junge Frau in der Warteschlange vor dem Tresen zu bemerken. Sie hatte einen blonden Pixiehaarschnitt und scharfe Gesichtszüge. Die schwarze Kleidung war enganliegend, die freiliegende Haut mit Tattoos überseht.
"Wird das bald mal was?", die harsche Stimme passte zu ihrem Äußeren. Sie seufzte nochmals laut und trieb den schwitzenden Barista damit noch mehr an. Er beeilte sich die Kaffeebestellung entgegenzunehmen und abzukassieren. Der Kunde vor der jungen Frau drehte sich irritiert um, schwieg bei ihrem wütenden Blick jedoch. Endlich war sie an der Reihe.
"Was kann ich für Sie tun?" "Melange mit Hafermilch. Ohne Zucker und machen Sies groß."
"Name?" "Mina." "Das wären fünf Euro." Mina drückte ihm das Geld in die Hand und ging in den Wartebereich. Augenblicklich hörte man das Aufschäumen der Hafermilch. Jay legte den Kopf schief. Mina klang so weich, lieblich und zart. Die Frau vor ihm war alles andere als das. Er hätte sie ehr Toni oder Roxy genannt. Eine alte Rockerin. Vielleicht auch sowas satanisches wie Lillith.
"Warum starrst du mich so an?", ihre giftige Stimme peitschte durch den Raum. "Äh. Kein Grund.", Jay wollte mehr sagen, aber ihre Augen...kornblumenblau. Richtig hübsch.
"Dann hör auf!" Jay nahm seinen Kaffee und verschwand aus dem Geschäft. Er flüchtete, schließlich hatte er Wichtigeres zu tun. Für einen Moment jedoch hatte sie ihn vollkommen abgelenkt. Im Gehen zog er das Papier heraus und las die Nachricht.
"19. Paddy." Jay warf das Papier in seinen Kaffeebecher, sah wie es sich in der braunen Flüssigkeit auflöste, und atmete tief durch. Die Nachricht war klar. Jetzt musste er nur noch warten.
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