20. Alte Bekannte

Jay zuckte mit den Schultern. "Ich hatte viel zu tun." "Offensichtlich. Deine Freunde retten dich, weil sie die Hälfte ihrer Arbeit auf dein Konto buchen, aber das wird irgendwann auffallen. Dieses Projekt hat nun auch oberhöchste Regierungsbeamte neugierig gemacht."

Die fremde Frau. Jay lehnte sich gegen den alten Schreibtisch, der im Raum viel Platz einnahm. "Meinst du damit eure neue Begleitung? Ich dachte schon, Wagner hätte ihre Busenfreundin mitgenommen." Gökmen lachte nicht, mit wenigen Schritten stand er direkt vor ihm und starrte ihn an. Es war eine Mischung aus Respekt und Angst, der in seinen dunklen Augen glitzerte.

"Du solltest vorsichtig sein." "Wer ist sie?" "Das willst du nicht wissen." "Und wenn ich es doch möchte?", so viel Geheimniskrämerei um eine einzelne Frau. Er wollte unbedingt wissen, wer sich da dreist in Wagners Herzensprojekt schummelte. Vielleicht war es eine Information mit Wert. Gökmen mahlte unsichtbares Mehl zwischen seinen Zähnen.

"Ihr Name wird dir bekannt sein. Isabella Nakamura." Jay riss die Augen auf. Unmöglich. "Du machst Scherze." "Ich wünschte es wäre so." "Sollte sie nicht im Gefängnis verrotten? Sie ist schuld an den Sakis, an allem. Sie ist ein Monster." Gökmen nickte langsam zustimmend. In seinen Zügen stand Ekel vor der Frau, die auch seiner Cousine das Leben vernichtet hatte.

"Leider kann man sie legal für nichts verantwortlich machen. Alle beweise und Zeugen sind entweder verschwunden oder in Bittraslutet in Flammen aufgegangen. Sie ist eine freie, unschuldige Frau mit sehr viel Einfluss und Geld. Die Regierung braucht sie, so wie sie IZANAGA davor gebraucht hat. Für die Drecksarbeit. Das einzig widerliche dabei ist es, dass sie ihre Existenz nicht einmal mehr geheim halten. Als wären ihre Taten, die Taten ihrer Organisation kein großes, unverzeihliches Verbrechen."

Wut schmiergelte Gökmens Stimme rau. Er konnte die Gefühle seines Gegenübers nachempfinden. Wo war die Gerechtigkeit? Er ballte die Hände zu Fäusten. "Das kann nicht sein."

"So funktioniert unser Rechtsstaat nun mal. Ohne Beweise, dass wirklich sie für alles verantwortlich ist, sind es bloß Gerüchte." Und die waren in einem Gerichtssaal nichts wert. So ein Mist.

"Was will sie hier?" "Sie ist eine der Hauptsponsoren für das Projekt. Und da es eine Deadline gibt und diese deutlich näher rückt, wollte sie sich ihre Arbeiter mal ansehen. Zumindest ist es das, was ich annehme. Diese Frau ist ein Mysterium. Sie sagt kein Wort, überlässt Wagner das Reden."

Der Satz machte Jay stutzig. Es war richtig, dass ihre Erscheinung und Vergangenheit im Dunkeln lagen, doch es gab eine Sache, die er über sie wusste. Sie hatte einen Sohn, hallten Minas Worte in seinem Kopf nach. Eine wertvolle Information, mal sehen, für was er sie eintauschen konnte.

"Was weißt du noch über Traiskirchen?" Gökmen hob die Augenbrauen, der abrupte Themenwechsel überrumpelte ihn. "Nur was ich dir erzählt habe. Ich war selbst noch nie dort."

"Bist du sicher das das alles war? Ich habe eine Information, die dir vielleicht nützlich sein könnte." Der Köder lag im Wasser, Gökmen trat näher.

"Wirklich? Wenn es deine kleine Freundin Oona betrifft, kannst du es lassen. Die Regierung hat ihre Bemühungen aufgegeben. Wie es scheint, ist sie doch nicht so besonders, wie alle geglaubt haben." Irritiert verzog Jay das Gesicht. Daran hatte er auch schon gedacht. Die fehlenden Suchaktionen, die völlige Abwesenheit von Interesse war frustrierend. Wofür die ganze Mühe, wenn es die Regierung nicht einmal großartig schmerzte.

"Traiskirchen, Gökmen.", seine Forderung sollte Gehör finden. Der Mann ihm Gegenüber strich sich nachdenklich übers Kinn. "Du wirst besser, dass muss ich dir lassen. Ich kenne einen Agenten dort, ein guter Mann. Ich vertraue ihm. Wenn du es durch die Sicherheitsmaßnahmen schaffst, bringt er dich zu den Gefangenen. Hinaus musst du es selbst schaffen. Ist das gut genug?" Das war mehr als er sich erwartet hatte.

"Okay. Isabella Nakamura hatte einen Sohn." "Tatsächlich?", Verwunderung und eine gehörige Portion Skepsis zeigten sich auf Gökmens Gesicht. Jay nickte, "Er war unheilbar krank und deshalb hat sie das Serum verteilt. Um zu testen, um es besser zu machen. Die Chancen, dass man bei Verabreichung des Serums stirbt, sind erschreckend hoch. Mit ihrer Forschung wollte sie ihrem Kind das Leben retten."

Dieses Wissen war ein Mittel zur Manipulation, eine Möglichkeit sich hervorzuheben, wann immer Gökmen es für angebracht hielt. Oder ein Messerstich, um einer geschwächten Isabella Nakamura den Rest zu geben. In extremen Fällen war es sogar eine gut platzierte Karte, um aus dem Gefängnis rauszukommen. Gökmen runzelte die Stirn. "Ich habe noch nie etwas über einen Sohn gehört. Noch nie. Woher hast du diese Information." Diesmal würde er Stillschweigen bewahren.

"Die Quelle ist sicher. Ich vertraue ihr." Der korrupte Regierungsbeamte sah ihn abschätzend an. "Du kannst immer noch nicht lügen, Jay, irgendwann wird dir das zum Verhängnis werden, aber heute gibt es dir einen Vertrauensbonus. Ich schicke dir einen Boten mit Datum und Uhrzeit. Mein Mann wird da sein. Und wo immer du deine Informationen herhast, bewahre sie dir. Solches Wissen ist Gold wert oder in deinem Fall Leben."

Gökmen steckte das Störgerät wieder ein und räusperte sich lautstark. "Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Ich will mehr Einsatz Ihrerseits sehen, Herr Haller."

"Ja, Sir, ich werde mein Bestes geben." "Sie werden alles geben. Verstanden?", Jay zog die Schultern hoch und nickte. Gökmen warf ihm einen letzten Blick zu und verließ den Raum. Seufzend und vielleicht ein wenig zu theatralisch trat er nach ihm in den Flur und ging zurück zu seinem Laptop und der dort wartenden Arbeit.

Er hatte kaum angefangen, als Evelyn mit Sumi in der Tür stand und ihm hektisch zuwinkte. Verwirrt winkte Amelia zurück und bemerkte erst bei Evelyns schief gelegten Kopf, dass sie die falsche Person war. Peinlich berührt massierte sie ihre Schläfen und murmelte etwas von mehr schlafen.

"Was macht deine Schwester hier?", Amir beobachtete ihn beim Aufstehen. "Mir die kleine bringen. Unsere Eltern sind verreist." Seine Freunde sahen ihn überrascht an. Schulterzuckend trat er an die Tür und nahm Evelyn das kleine Mädchen aus den Armen.

"Sie hat gegessen und gespielt. Eigentlich müsste sie jeden Moment einschlafen. Halt sie einfach fest und-" "Ich weiß, wie ich sie zum Schlafen bringe.", unterbrach er seine offensichtlich gestresste Schwester sanft und nahm ihr die Wickeltasche ab.

"Alles wird gut. Ich übernehme. Geh zu deiner Prüfung und zeig, was du draufhast." "Hoffentlich genug, um nicht durchzufallen.", Evelyn warf den Kopf in den Nacken und atmete tief durch.

"Du schaffst das und jetzt los. Du willst doch nicht zu spät kommen." "Danke.", flüsterte sie und verließ ihn. Beide Hände voll trat er zurück zu seinen Freunden. Sumi sah die Fremden neugierig an.

"Sie wird hierbleiben?", Leo blickte irritiert auf das kleine Mädchen und hob die Hand wie um sie schnuppern zu lassen. Jay schlug sie weg. "Ja, aber keine Sorge, Sumi wird ein Nickerchen machen und wir werden arbeiten."

"Ob das gut geht?", kommentierte Amir mit einem Seitenblick. "Natürlich klappt das.", bestimmend hob er Sumi in eine angenehme Position. Bauch an Bauch funktionierte immer am besten und warf eine Decke über sich.

Die Hände zu beiden Seiten begrenzten Sumis Schlafraum und mit langsamen gleichmäßigen Atemzügen begleitete er sie in den Schlaf. Das dauerte für gewöhnlich nicht lange. Die Reizüberflutung tat üblicherweise genug, um sie zu Mittag gut schlafen zu lassen. Mit dem Kind am Schoss versuchte er sich weiterhin auf das Problem im Programm zu konzentrieren. Erstaunlicherweise gelang ihm das gut.

Die Stunde Mittagsschlaf verging wie im Flug, was danach kam war weniger produktiv. Sumi wachte auf und wollte bespaßt werden. Sie lief im Raum herum, freundete sich mit den anderen Studenten an und hatte schon bald die gesamte Aufmerksamkeit der Anwesenden für sich.

Die Studenten waren überarbeitet und das aufgeweckte, niedliche Mädchen wirkte wie ein Magnet für ihre erschöpften Gehirne. Die perfekte Ablenkung. Jay war Sumis Späße gewohnt, er konnte gut daneben arbeiten, seinen Freunden fiel das wesentlich schwerer.

"Dafür wird dich Morosan lynchen.", Amir suchte eifrig nach Kindermusik für Sumi, während Amelia neben ihm ein Papierflugzeug bastelte. "Das wird ihr gefallen."

Und schon flog das kleine Flugzeug. Ein Lachen ging durch die Runde. So verging die Zeit schneller als gedacht. Die Sonne näherte sich dem Horizont und Sumi begann nach Essen zu fragen. Jay hielt das für den geeigneten Moment, um nach Hause zu fahren. Es war ein langer Tag gewesen und auf keinen Fall würde er Sumi das Cafeteria essen antun.

"Du solltest noch bleiben.", meinte Leo während Jay seine Sachen packte. "Ich kann nicht. Sumi braucht ein Abendessen und muss dann ins Bett. Ich kann sie kaum hier schlafen legen."

"Morosan wird sich das wieder notieren. Er hat dich schon zu oft gehen sehen. Seine Drohungen-" "Sind nichts wert, wenn ihr auch geht. Wenn alle gehen, wen soll er bestrafen? Er braucht uns. Und eine ordentliche Portion Erholung habt ihr euch alle verdient."

Für einige Sekunden sahen sie sich nervös an, schließlich stand Amelia auf. "Du hast recht. Ich will ins Bett. Ich will Netflix und ich will was vom Chinesen. Amir, willst du mich begleiten?"

Perplex sah sein Freund von seinem Laptop auf, die Augen groß wie Teller. "Ähm, ja liebend gerne." "Gut. Dann lass uns gehen." Amelia zog sich ihre Jacke an und Amir warf ihm einen aufgeregten Blick zu. Endlich, schien sein Gesicht zu sagen. Leo gab seufzend nach und packte ebenfalls seine Sachen zusammen.

"Ich hoffe ernsthaft, dass wir uns dafür keine Gefängniszelle teilen müssen. Falls doch nehme ich das Bett unten, verstanden." "Sicher.", Jay nickte und hoffte inständig, dass er seine Freunde nicht gerade zu einer Dummheit überredet hatte. Sein Blick suchte Sumi. Das Mädchen tratschte auf ihre Eigenwillige Art mit einer Kommilitonin.

"Sumi, lass uns gehen.", rief er und winkte mit den Armen. Das Mädchen reagierte auf sein gewinkte und rannte lächelnd auf ihn zu. Sie signalisierte Hunger. "Ich weiß, ich werde uns zuhause was kochen."

Als die anderen Studenten ihn und seine Freunde gehen sahen, begannen sie sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Binnen zehn Minuten war der Saal leer, jeder auf dem Weg ins Bett oder zu einem guten Abendessen. Die Nachtluft war kühler als gewöhnlich. Schnell packte er Sumi in ihre Jacke und nahm ihre Hand fest in seine.

"Morgen solltest du früher da sein.", merkte Amir an und verließ ihn. Noch früher erschien ihm wie eine Qual, aber seine Freunde hatten recht. Ohne Einsatz wäre er schnell verdächtig. Seufzend zog er das Handy aus seiner Tasche und spazierte mit Sumi zur nächsten Straßenbahnstation.

Der Anblick des Displays ließ ihn stocken. Luke hatte angerufen. Mehrmals. Da war was passiert. Ein schlechtes Gefühl machte sich in ihm breit. Hastig rief er seinen Kameraden an. Luke hob sofort ab, seine Stimme klang gehetzt.

"Verdammt, Jay, ich versuche seit über einer Stunde dich zu erreichen." "Ich war auf der Uni. Was ist los?" Eine Pause, sein Herz schlug bis zum Hals. "Ich sollte dir das nicht sagen, aber es gab da eine Entscheidung. Etwas mit dem ich nicht einverstanden bin. Es betrifft deine Freundin, die Blonde." Mina. Aber welche Entscheidung.

"Ich habe sie nach Hause gebracht. Dort wo sie hingehört." "Das sehen einige unserer Freunde anders. Sie denken, du hast einen Fehler gemacht. Sie wollen sie zurückholen." In die Unterstadt. Jay schnaubte.

"Das wäre gegen ihren Willen, sowas würden-" "sie sind auf dem Weg, Jay. Ich rufe an, um dich zu warnen, um sie zu warnen." Schweiß sammelte sich auf seinen Handflächen.

"Du musst dich irren." "Leider nein.", Luke legte auf. Erschrocken suchte er nach Minas Nummer in seinem Handy. Als er anrief, hob niemand ab. Das Klingelgeräusch schien ihn zu verhöhnen. Jay biss die Zähne zusammen. Er musste zu ihr. Ohne nachzudenken, hob er Sumi hoch und machte sich auf den Weg.

Das alte Gemeindehaus in dem Mina lebte lag im Zwielicht der Untergehenden Sonne. Die Ausgangsbeschränkung. Er musste sich beeilen. Sumi verhielt sich in seinen Armen vollkommen ruhig. Das kleine Mädchen spürte seine Angst, war viel sensibler als es die meisten Erwachsenen waren. Schon im Flur zu Minas Wohnung wusste er, dass er zu spät kam.

Die Tür ihrer Wohnung war aufgebrochen worden, im Wohnzimmer zeichnete sich ein Kampf ab. Er setzte Sumi ab. Entführung! War Teona und die anderen derart tief gesunken? Er sah zu dem kleinen Mädchen an seiner Hand.

"Tut mir leid, Sumi, ich muss da noch was organisieren. Essen muss warten." Sumi blickte sich neugierig in der fremden Wohnung um. Die zerstörten Möbel und das zersplitterte Geschirr schien ihr genauso wenig zu behagen. Jay trottete in die Küche, Handy am Ohr, suchte er nach einem Snack für seine jüngste Schwester. Evelyn klang bereits beim Abheben genervt.

"Nein. Ich kann nicht." "Ich habe doch noch gar nichts gesagt." "Du willst, dass ich Sumi nehme. Ich kann nicht. Ich bin bei einer Lerngruppe für eine beschissen wichtige Gruppenarbeit. Wir wollen die Nacht durcharbeiten."

"Es ist wichtig, Evie. Es geht um Mina.", versuchte er es verzweifelt. Evelyn schnaubte. "Natürlich tut es das. Aber ich kann nicht. Ich bin am Arsch der Welt. Vor Ausgangssperre schaffe ich es nirgends mehr hin und ich will nicht im Gefängnis landen." Das war nachvollziehbar und ein wenig besorgt sah er auf die Uhr. Er hatte noch eine Stunde. Eine kleine Stunde um zu entscheiden, was er tun wollte.

Ach Scheiße, er hatte längst entschieden. Er brauchte nur noch eine Möglichkeit Sumi unterzubringen. Evelyn legte auf. Die nächsten Minuten verbrachte er mit hektischem Telefonieren. Keine Chance. Niemand konnte oder wollte Sumi für die Nacht nehmen. Seufzend gab er auf.

Er musste in die Unterstadt, er musste zu Mina. Das drängende Bedürfnis machte ihn nervös. Sumi trat zaghaft zu ihm. Sie deutete "Essen? Zuhause?" Jay schüttelte den Kopf. "Eine Freundin von mir ist in Gefahr. Ich muss zu ihr.", schweren Herzens murmelte er die nächsten Worte, "Begleitest du mich?" Eine lächerliche Frage für ein kleines Kind, dessen Verständnis von der gefährlichen Welt um sich herum gering war. Er wusste es besser. Das Risiko....sollte etwas passieren würde seine Familie ihm niemals verzeihen und er sich selbst noch weniger.

Seine Schwester griff nach ihm und nickte freudig. Ihr Vertrauen war einnehmend. Hart schluckend schloss er für einen Moment die Augen. Er riskierte damit ihr Leben. War es das von Mina wert? Unmöglich eine Antwort zu fassen. Er öffnete die Augen wieder.

"Verzeih mir.", flüsterte er und begab sich zur Fachbücherei für Pädagogik. Der Ort, an dem er heute Morgen an die Oberfläche gelangt war, würde nun ihr Weg in die Tiefe sein.

Der Bibliothekar warf Sumi einen besorgten Blick zu, enthielt sich jedoch eines Kommentars. Bis in den Keller war alles kein Problem. Die Dunkelheit darunter war schwieriger. Sumi hatte bereits einen Sinn weniger, der Verlust ihrer Sehfähigkeit in der völligen Finsternis machte ihr verständlicherweise Angst.

Jay gab ihr eine Salzstange, die er in Minas Küche gefunden hatte und redete ihr Mut zu. Danach band sie mit einem Seil, das er gruseligerweise auch in Minas Wohnung gefunden hatte an seine Brust.

"Fühl meine Wärme, Sumi, ich bin hier. Ich bin immer da.", ein Zittern wanderte über den kleinen Körper, während er vorsichtig in die Tiefe kletterte. Unten angekommen gönnte er sich keine Pause. Er drückte seine Schwester fest an sich und lief los. Eine Hand an der Wand bewegte er sich in einem harschen Tempo voran.

Einzig das Platschen von Wasser unter seinen Füßen brachte ihn zum zögerlichen stillstand. Wurde es mehr? Egal, er musste weiter. Das Ende des Tunnels war bereits in Sicht. Die Unterstadt war in heller Aufruhr.

Mit dem Licht und der Wärme der Zeltstadt erwachte auch Sumi aus ihrer Starre. Er ignorierte seine Bekannten, seine Freunde und lief zu Oonas Zelt. Es war leer. "Jay!", Luke war hinter ihn getreten, "du bist da." "Ich war in ihrer Wohnung, es muss einen Kampf gegeben haben. Ist sie hier?" Luke biss die Zähne zusammen und sah sich verstohlen um.

"Sie haben sie vor einer Stunde hergebracht. Die ganze Stadt hat es mitbekommen. Mina und ein älterer Mann. Defne und noch ein paar andere unserer Kämpfer haben sie vor sich hergetrieben. Es war furchtbar. Die meisten Bewohner haben das ganze Schauspiel nicht verstanden." Da würden Teona und ihre Kollegen einiges zu erklären haben.

"Das ist Entführung Luke! Was sie getan haben, ist falsch. Mina und ihr Vater wollen mit all dem hier nichts zu tun haben." "Erklär ihnen das." "Zuerst muss ich nach Mina sehen. Weißt du, wo sie sie festhalten?"

Sein Freund hob die Hand und zeigte auf einen Tunnel nördlich. Es war eine bekannte Sackgasse. "Sie haben extra für die beiden eine Zelle gebaut." Eine Zelle?! Um Himmels Willen. Wütend ballte er die Hände. Sumi quengelte an seiner Brust und erinnerte ihn daran, dass sie auch noch da war.

"Ich muss zu ihr, kannst du auf Sumi aufpassen?" "Meinst du das kleine Mädchen? Hast du mir was nicht gesagt und bist Vater geworden?" "Das ist meine Schwester." Luke riss die Augen auf, "Sie ist auch eine Saki?"

"Nein, aber es gab sonst niemanden der auf sie aufpassen konnte, deshalb hab ich sie mitgenommen."

"Was ist mit deinen Eltern?" "Die sind verreist, aber egal jetzt. Sie ist hier und ich muss mit Mina reden. Kannst du sie nehmen?" Sein Freund verschränkte die Arme, einen bitteren Zug um die Lippen.

"Wenn sie keine Saki ist, hättest du sie niemals hierherbringen dürfen." "Ich sagte doch schon, ich hatte keine Wahl.", innerlich betete er, dass Luke nicht weiter bohren würde, und das tat er nicht. Stattdessen nahm er das Mädchen aus Jays Armen.

"Danke, Luke, du hast was gut bei mir. Übrigens, sie ist gehörlos. Wenn du was von ihr willst, versuch es mit einfacher Gebärdensprache." Luke verdrehte die Augen. "Als wenn ich, was von Gebärdensprache verstehen würde.", er lächelte das Mädchen an, "aber wir machen uns trotzdem eine schöne Zeit."

Schweren Herzens überließ er Sumi Lukes fähigen Händen und rannte zur besagten neue gebauten Zelle. Der schlammige Boden machte laute Geräusche, während er durch die Zelte zu der Sackgasse huschte.

Eine einsame Lampe erhellte die provisorische Gefängniszelle. Sie war mit ungleichmäßigen Plastikstangen verschlossen. Dahinter befanden sich eine junge Frau in einem zerrissenen Top und ein älterer Mann mit verwuschelter Frisur. Mina und Albert.

Im Schein der schwachen Lampe saß sie am kalten Boden, den Kopf in die Hände gelegt. Ihr Vater stand an der hintersten Wand, brodelnd vor Wut. "Mina.", sprudelte es aus ihm heraus. Augenblicklich hob sie den Kopf und stand auf. "Was machst du hier?"

"Luke hat mich angerufen. Ich musste kommen. Was ist passiert?" "Was ist nicht passiert?!", ertönte die zornige Stimme des älteren Mannes. Albert trat neben seine Tochter und musterte ihn angewidert.

"Diese Arschlöcher haben die Wohnung meiner Tochter aufgebrochen und sie verprügelt. Als ich kam, um zu helfen, waren sie nicht minder grausam mir gegenüber. Danach haben sie uns gefesselt in dieses Drecksloch verschleppt."

"Das hätte nicht passieren dürfen.", versuchte Jay ihn zu besänftigen, doch seine Worte schienen ihn nur noch wütender zu machen. "Da hast du Recht! Es hätte nie so weit kommen dürfen. Ich habe Mina gesagt, dass du nur Ärger bringst. Ärger den wir uns nicht leisten können." Mina schwieg, die blauen Lippen zu einer Linie gepresst. Jay zog seine Jacke aus und reichte sie ihr durch die Gitterstäbe.

"Es tut mir leid. Ich wusste nichts davon. Ich werde mit ihnen reden. Sie müssen euch rauslassen." Mina schüttelte den Kopf, nahm seine Geste nicht an. Albert schnaubte höhnisch. "Und wie willst du das anstellen? Du bist kein Anführer hier. Du bist ein Botenjunge, mehr nicht. Deine Stimme hat kein Gewicht."

Albert drehte sich mit Schwung um und setzte seine Tätigkeit die Wand anzustarren fort. Mina wandte sich von ihrem Vater ab und kam noch ein Stück näher. Sekundenlang konnte er in ihren kornblumenblauen Augen versinken. Sie sah fertig aus, mit den Nerven als auch körperlich. Er erinnerte sich an die Salzstanden in seiner Jackentasche. Er reichte sie ihr. Beinahe lächelnd nahm sie sie entgegen.

"Du warst in meiner Wohnung." "Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Als ich dich dort nicht gefunden habe, kam ich her." "Wieso...?", sie erstickte die nächsten Worte, schluckte sie herunter wie bittere Pillen. Auch wenn es dumm war, er musste sie berühren. Dem Impuls folgend griff er nach ihrer Hand, fühlte ihre Kälte und erschauerte.

"Ich kriege dich hier raus, versprochen." Statt einer Antwort erwiderte sie den Griff und lächelte traurig. Fuchsteufelswild verließ er sie und stampfte zum Führungszelt.

Dort erwartete ihn die übliche Truppe aus Teona, Maddie, Falko und Viktor. Zu ihnen hatte sich Defne und ein unbekannter Mann gesellt. Maddie hatte eine angeschwollene Wange, Falko ein blaues Auge. Mina dürfte sich gewehrt haben und das nicht zu knapp. Ein boshaftes Grinsen huschte über seine Züge. Immerhin wäre sie nicht die einzige mit Schmerzen. 

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