⠀ ⠀ ⠀ XIX. the rats will tear you apart





DER WINTER HATTE SEINEN Atem ungeduldig über die Ländereien der Hogwarts Akademie der verborgenen Künste gehaucht, sobald die erste Woche seiner Zeit hereingebrochen war und beinahe komplett vergessen war die schauderhafte Herbstatmosphäre von Donner und Blitzen. Wenige Tage und die Welt verlor ihre Farben von dunklen Brauntönen; wurde zu einem Gemälde aus Schwarz und Weiß.

Eine gewisse Leichtigkeit hatte sich zu den Schülern gesellt; die Lasten endlich von ihren jungen Schultern genommen und die Studienräume leerten sich bis der Staub und der zurückgelassene, vollständig vergessener Ehrgeiz, die einzigen waren, die ihn noch immer bewohnten.

Alethea fühlte sich merkwürdig wohl während dieser Zeit.

Ihre Vorstellungen waren nichts mehr als nur ein böser Traum, der mit Panik und Angst mit jeder Minute der letzten Monate mehr verzerrt worden war, und erst zu Ende der Prüfungen realisierte sie, dass es nur ihre Ängste gewesen waren, die daraus ein Monstrum geformt hatte.

Die zwickende Kälte auf ihre Haut genießend schloss sie ihre Augen und spürte den Wind durch ihre Haare fahren wie verspielte Finger. Ungewohnte Stille breitete sich in ihrem Kopf aus und das Quecksilber, welches das Blut in ihren Adern ersetzt hatte, schien zu schien, war nun endlich verschwunden.

Ebenfalls wurde sie von Leichtigkeit gesegnet und die Lasten von etwas Höherem von ihren Schultern genommen.

Ihre Hand fuhr durch das weiche Fell Érebos', der sich halb unter ihrem Wintermantel versteckt in ihrem Armen befand und über die Geräuschkulisse der Akademie schnurrte., und Alethea versuchte sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal die Hallen von dem Desmond Anwesen betreten hatte.

Sie kaum zu dem Entschluss, dass sie die Erinnerung verdrängt haben musste, da sie sich nicht mehr erinnern konnte. So lange war es her, dass sie das Haus ihrer Kindheit Zuhause genannt hatte, und zu dunkel war die Zeit.

Érebos Pfote verhedderte sich in ihrem Haar,als versuchte er nach etwas zu greifen, das er nicht erreichen konnte. »Immer noch keine Neuigkeiten?«, hörte Alethea eine Stimme etwas abseits von ihr in Latein sprechen und öffnete ihre Augen, verwirrt jemanden, um diese Uhrzeit hier draußen zu begegnen.

Ihre Augen fuhren träge über die erhöhte Terrasse des Hogwarts Schlosses, welche von dem zarten Neuschnee des Morgens vollkommen bedeckt war und hinter welchen Mauern sich die Schüler bereit machten ihre Winterferien in den Armen ihrer Liebsten zu verbringen; die Scheußlichkeit der Akademie für wenige Wochen hinter sich zu lassen, und auch sonst verließen nicht so viele Schüler die heimelig Wärme, die die Kamine von Hogwarts spendeten, nur um unter den grauen Wolkenhimmel des anbrechenden Winters zu treten.

»Hör auf es klingen zu lassen, als wäre sie bereits tot«, antwortete der Stimme eine weitere gepresste und dieses Mal erkannte Alethea den Sprecher sofort. Eine Gänsehaut bildete sich, ein Schaudern erfasste sie.

Sie brauchte nur wenige Schritte zu machen um die Steinmauer der Terrasse zu erreichen und sobald sie hinunter blickte; Érebos sicher darauf platzierte, der Schnee sofort unter seinen warmen Pfoten wich, konnte sie die Freundesgruppe ausmachen, die sich an jenem Wassergraben, der die Akademie wie ein Schutzwall umgab, aufhielten.

Ihr entkam ein leiser Ton des Ausatmens als sie realisierte, dass die Freunde über ihr verlorenes Mitglied, Elenítsa Onási, sprachen, die seit dem Abend im Kerker und der Enthüllung ihrer Besessenheit noch immer dem Unterricht ferngeblieben oder gar nicht erst auffindbar gewesen war.

Sie beobachtete die Gestalten und eine ferne Erinnerung an ihr erstes Schuljahr, suchte ihren Verstand heim. Plötzlich verspürte sie denselben Schmerz wie damals; spürte wie ihre Knie bluten und das schäbige Lachen schallte in ihren Ohren. Hilflosigkeit. Verwirrung. Wut. ›Stumme Missgeburt‹ nannten sie sie damals, meistens taten sie es noch immer.

Alethea hegte eine starke Abneigung gegen die Freunde ihrer Cousine, die jedoch nicht nur auf die kühle und arrogante Aura zurückzuführen war; nicht auf die Art und Weise, wie diese jenen Freunde ihr Leben lebten, als wären die anderen Menschen nur unwichtige Kulissen für ihr eigenes Theaterstück. Es lag nicht einmal daran, dass sie sie damals herum geschubst hatten oder dass Dolores Camargo noch immer versuchte, ihr Leben zu einer Hölle zu machen.

Der Grund war, dass Alethea Dinge über diese Menschen wusste, die niemand anderes betrachtete. Sie zog es vor, ihnen aus dem Weg zu gehen.

Jude Parson. Sein platinblondes, lockiges Haar wehte in dem frühen Winterwind und seine Renn-oder-Kämpf-Haltung unterstrich seine angespannte Laune; beinahe als würde er mehr über Elenis verschwinden wissen als andere Schüler. Er war ein Malfoy mit jedem Atemzug, auch wenn seine jüngeren Brüder tatsächlich wahre Malfoys zu sein schienen.

Solomon Whiteford. Einem jeden würde es schwer fallen über etwas Gutes nachzudenken wenn der Name Whiteford fiel und Solomon, sein Haar so tief braun wie die Rinde eines Baumes und seine Körperstatur die eines eleganten Ebers, schien seiner Familie und ihrem Ruf Ehre machen zu wollen. Nur wenige Tage vergingen, in denen er nicht den Krankenflügel besuchte oder Grund für neue Besucher war.

Elijah Crowther. Etwas zu perfekt, um wahrlich perfekt zu sein, ohne Misstrauen zu erwecken. Etwas zu unwichtig, um dieses auch zu sein. Er glich eine dünne schwarzhaarige Katze, seine Bewegungen immer so dezent und leicht; sein Gesicht etwas zu eingegangen und straff, um wahrlich hübsch zu sein. Seine Familie bestand aus Geschäftsmännern und stummen Frauen, die auf keinem Porträt abgebildet oder deren Namen überhaupt bekannt waren.

Dolores Camargo. Goldenes Haar, hübsches Gesicht und nichtssagende Haltung. Sie war mindestens genauso reich wie ihre Freunde, doch während diese ihre Intelligenz stets nutzen, um sich zu beweisen, schob sie ihr Vermögen voran. (Alethea hatte nie verstanden, weshalb. Soweit sie wusste, war Camargo selbst schlauer als Eleni es gewesen war.)

Doch gerade galt Aletheas Aufmerksamkeit kaum den vier schattigen Gestalten, die ihr einziges Irrlicht verloren haben — Am Ende konnte Alethea Elenítsa nur noch so nennen; verloren schienen sie alle ohne ihr Bindestück zwischen den Welten — denn an einem kahlen Baum neben ihnen lehnend, schweigend in die Ferne schauend, stand Edmund Creadge.

Gewiss hatte Alethea über die Freundschaft zwischen Edmund und ihrer Cousine gewusst, doch ihn nun mit ihren schaurigen Freunden zu sehen, erschien ihr etwas fremd. Das Bild passte nicht zusammen, so sehr sie es auch drehte und versuchte.

Sie alle waren in einem anderen Kurs als Edmund und Alethea und normalerweise trennten sich die zwei Kurse nicht nur während des Unterrichts, sondern auch danach vollkommen. Freundschaften waren selten und die Früchte der Feindschaft wurden mit der Trennung im ersten Jahr gegossen und gepflegt.

Auch optisch passte Edmund nicht dazu; alle waren sie in dunkle Erdtöne gekleidet, Akzente in Cremefarben oder auch ein dunkles Grün mischten sich darunter. Credge hingegen bevorzugte schwarze Kleidung und wirkte wie ein Schatten am Rande des Bildes, wie er gelangweilt rauchte und mit einem Ohr zuhörte.

»Über drei Wochen ist es nun her, dass wir etwas von Onási gehört haben. Niemand weiß etwas über ihr Verbleiben, nicht einmal er. Verzeih mir, wenn ich davon überzeugt bin, dass sie nun die Hölle heimsucht«, zischte Jude Parson die staar stehende Dolores Camargo weiterhin in Latein an und Alethea verzog ihr Gesicht aufgrund seiner Weise die Wahrheit unsensibel zu übermitteln.

»Du bist grausam«, kommentierte Dolores mit hohler Stimme und warf mit ebenso hohlen Bewegungen einen Stein in das noch fließende Wasser des Grabens. Es war ungewohnt, das Mädchen mit scharfer Zunge und verachtenden Blicken so verletzlich zu sehen. Sie wirkte beinahe menschlich.

Jude zuckte jedoch nur unbekümmert mit den Schultern und der Blick in seinen Augen glich für wenige Sekunden dem seines Onkels Abraxas Malfoy, wenn dieser vor dem Ministerium über die Notwendigkeiten verwerflicher Dinge sprach.

»Verwechsle nicht Rationalität mit Grausamkeit. Vergessen wir nicht, dass Elenítsas Hände jemanden umbrachten. Niemand mit Verstand würde sie nun—« Parson schaffte es nicht, seinen Satz ganz zu beenden, denn Edmund unterbrach ihn, als versuchte er, ihn davon abzuhalten, etwas zu verraten.

Es war kein Geheimnis, dass Elenítsa den unschuldigen James Paaige in ihrer Dämonbesessenheit umgebracht hatte.

Seine Augen richteten sich augenblicklich auf Alethea und Érebos, als hätte er die gesamte Zeit gewusst, dass sie anwesend war. »Guten Tag, Miss Desmond.«

Anders als er, schienen die Freunde tatsächlich keine Ahnung von Alethea gehabt zu haben, zu sehr konzentriert auf ihre Trauer und die verschiedenen Weisen diese auszudrücken, und zuckten ertappt zusammen, als hätte die Desmond Erbin sie bei geheimen Machenschaften in flagranti erwischt.

Jude Parson verengte seine wasserstofffarbenen Augen sofort, blickte zu ihr hoch als würde er einen Feind an ihrer Stelle erkennen und vielleicht tat er dies auch. Elijah Crowther hingegen schenkte ihr ein Lächeln, welches seine Augen nicht erreichte. »Desmond, ein Zufall dich hier anzutreffen«, sagte er und seine Stimme war zu kühl, um zu den freundlichen lächelnden Lippen zu gehören, denen sie entkommen war. Der hauchzarte Dialekt der hohen Gesellschaft versuchte sie beinahe zu verspotten.

»Ich wollte euch nicht unterbrechen, verzeiht mir«, antwortete Alethea in Latein monoton mit einer Beugung ihres Kopfes und entriss Edmund damit ein Lächeln, der sofort verstand, was sie damit bezwecken wollte. Die Entblößung der tatsächlichen Dummheit, welche sie für eine brillante Idee hielten.

Weit schienen die Schlausten ihres Jahrganges nicht denken zu können, wenn sie Latein für die perfekte Sprache hielten Geheimnisse zu teilen und ihre Intelligenz heraushängen zu lassen. Jene Sprache, die die meisten Hexen und Hexer seit ihrer Geburt sprechen oder in den Hallen der Akademie lernten.

Alethea hatte nie verstanden, warum sie Latein als Sprache der Magie gewählt hatten, wo sie doch auch von den Staubgeborenen, die den falschen Gott anbeteten, so verehrt wurde. Es war nicht einmal der Dämonen.

Aufmerksam beobachtete sie, wie die große Hand von Solomon sich auf Dolores ihre Hüfte legte und er sie zu sich zog, als versuchte er sie in ihrem schwachen Zustand zu beschützen. Ein Reh in den Armen eines Ebers, sie wirkte verängstigt und trotz seiner groben Natur wollte er schützen.

Sie tauschten einen heimlichen Blick, dessen Bedeutung Alethea bitter auf der Zunge schmeckte. Beide verabscheuten ihre Anwesenheit.

Alethea strich mit ihren Fingern durch Érebos warmes Fell, sobald sie ihren Oberkörper gegen die Steinmauer lehnte und hinunter zu den Freunden blickte; fühlte, wie die Kälte des Winters in ihren Mantel einzog oder vielleicht die Kälte der Blicke.

Die Augen so pechschwarz wie die Hölle unter ihnen, hob Solomon seine Mundwinkel zu einem fürchterlichen Blick und starrte ihr entgegen; eröffnete so einen bitteren Kampf, den Alethea gewinnen wollte.

»Ein großer Zufall! Aber... wenn du schon einmal die Wärme der Bibliothek verlässt, die du wahrscheinlich auch noch dein einziges Zuhause nennst, könntest du ja vielleicht einmal von Nutzen sein... Dir sind nicht zufällig Informationen über Onási zuteil geworden, die wir noch nicht kennen?« Sein Ton war unhöflich und herabwürdigend, als wäre sie nur ein dummer Idiot neben den Göttern ihrer Zeit.

Doch selbst wenn seine Worte die aufrichtigsten und schönsten Komplimente gewesen wären, Poesie aus seinem Mund geflossen wäre, wo selbst die Liebesgedichte von Sappho neben ihnen verblasst wären — und Alethea überhaupt im Besitz von mehr Informationen wäre — würde sie weder Solomon Whiteford noch den anderen ein Wort davon offenbaren.

Aber sie kam nicht dazu, noch bevor sie ihn für seine Grobheit tadeln oder ihm einen grauenvollen Tag wünschen konnte, schritt Elijah bereits ein und schüttelte seinen Kopf missbilligend. Er hob einen Finger in Richtung Whitefords und zu Aletheas Erschrecken, wandelte sich seine angespannte Haltung zu etwas starrem, als wäre er nur ein weiterer Soldat in einem Herr aus Treuen, der den Worten seines Kommandanten mehr Vertrauen und Aufmerksamkeit schenkte als den Worten Gottes.

»Er meinte es nicht so, wie er es ausdrückt. So wenn er talentiert ist, scheinen seine Stärken in anderen Bereichen als in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu liegen. Und seit Elenítsas Verschwinden sind wir alle nicht mehr ganz bei uns... Ich vermute, du verstehst besser als ein anderer. Es würde uns einfach nur beruhigen, etwas zu erfahren. Sei es das Kleinste.«

So aufrichtig und verzweifelt seine Worte klangen mögen, war er noch immer eine Schlange und sein Wort täuschte; seine Augen spielten ein Theaterstück und sie war der benommene Zuschauer, der alles glaubte.

»Ich weiß nichts«, waren ihre einzigen Worte, aber niemand würde sich mit dieser kargen Antwort zufriedengeben. Nicht einmal sie selbst.

Jude parson stieß ein Schnaufen aus und blickte hinüber zu ihrer Gestalt, wie sie noch immer von der Terrasse des neoromanischen Südflügels der Akademie auf sie hinab blickte, ihre Hände wie zum Beten vor ihrer Brust auf der Steinmauer gefaltet.

»Hältst du uns für dumm?«, fragte er mit einer brutalen Stimmen, die nicht zu den weichen Zügen des Jungen passte, der nach dem Aussehen seiner mütterlichen Seite kam; dem Abbild eines edel vollen Malfoys gerecht wurde. »Glaubst du tatsächlich, man würde nicht über dich flüstern? Darüber, dass du dich in die Kerker geschlichen hast um Eleni zu sehen?«

Langsam neigte Alethea ihren Kopf, starrte den blonden Jungen an und ignorierte, wie die Augen der anderen auf ihrer Haut brannten. »Doch flüstern sie nicht auch, dass ich geisteskrank bin?«, hauchte sie über den kühlen Wind wie das Verkünden einer Liebschaft, so leise, dass nur Vertraute es vernehmen konnten, und beugte sich etwas vor. »Dass ich Dinge sehe und von dem Bösen verfolgt werde?«

Das rechte Auge von Parson zuckte, er schluckte und ballte seine Hände zu Fäusten, verlor die Kälte eines wahren Erbens. Er war zu impulsiv. Doch antwortete er nicht, er starrte sie nur an.

Alethea fühlte sich unbehaglich, so von diesen Leuten beobachtet zu werden, aber sie glaubte, das sei normal. Sie glaubte, dass sie alle nur darauf trainiert waren, die Menschen vor ihnen mit ihren Blicken zu zerreißen, um eine Erhabenheit zu erzeugen, die alle alten Familien forderten und die ihnen niemand mehr geben wollte.

Die alten Familien starben aus und die Bevölkerung bewunderte den Untergang ihrer Peiniger.

»Sie flüstern nicht nur vor sich hin, sie schreien es beinahe und wir alle müssen nicht einmal lauschen, um zu sehen«, lachte Solomon Whiteford grausam und beinahe so wahnsinnig, wie sie sich die letzten Monate gefühlt hatte. Dolores in seinen Armen legte ihre Hand auf seine, wollte Alethea nicht einmal ansehen. »Du warst einmal etwas Großes, doch hast du nachgelassen, Desmond. Du bist nun genauso unwichtig wie der Rest von den Ratten in dieser Akademie.«

»Die Ratten werden dich zerfleischen, Solomon. Sie werden nicht aufhören, bis nichts mehr von dir übrig ist. Deine Schuld wird dich einholen«, lächelte sie ihm entgegen und sein Blick änderte sich, doch konnte sie nicht sagen, was es war. Vielleicht verstand er es nicht.

Ihre Augen fanden Elijahs und dann schlossen sie sich, würden es bald für immer tun. Sie schenkte allen ein letztes Lächeln— nur Camargo starrte ihr hinterher als wäre Alethea der Geist ihres eigenen verstandes — und dann drehte sie sich um, machte sich wieder auf den Weg zurück in die Schlafräume der Mädchen, wollte nun endlich anfangen für ihre Winterferien zu packen.

Érebos folgte ihr mit lautlosen Gang durch den Schnee und gerade als sie in der Ferne die große Torburg sehen konnte, die den zweiten Haupteingang des Schlosses bildete, hörte sie leise Schritte hinter sich. Panik überkam sie langsam, ihr Herz pochte in ihrem Hals und sie fürchtete, Solomon Whiteford sei ihr gefolgt und wollte sich nun für ihre Drohung rächen. (Er verstand nicht, dass es eine Warnung war.)

Sie wirbelte im letzten Moment herum, hoffte, vielleicht einen Angreifer noch abwehren zu können, doch vor ihr kam Edmund zum Halt. Seine dunklen Haare waren nun etwas länger, reichten ihm beinahe zu seinem Kinn und nun endlich hatten seine Locken die Freiheit, sich um seinen Kopf zu winden.

Einen Moment sagten die beiden nichts und schauten einander nur an, der Atem vor ihren Mündern verband sich in einem tanzenden Neben zu einem.

»Wie waren deine Prüfungen?«, fragte er sie und mit einem Lächeln bat er ihr seinen Arm an. Alethea zögerte, bevor sie sich bei ihm einhackte und sein Lächeln zart erwiderte. Eine gewisse Mauer wurde zwischen sie gebaut und sie fühlte sich für einen Moment schlecht, da sie die meisten Erinnerungen an ihre Interaktionen mit Edmund in den letzten Monaten nur noch durch einen milchigen Schleier sah.

»Erschreckend einfach«, gestand sie ihm und war tatsächlich verwundert; noch immer konnte sie sich nicht erklären, wie sich der Nebel ihres Verstandes in einer so kurzen Zeit gelöst hatte. Vielleicht lag es tatsächlich nur daran, dass sie mehr schlief.

»Deine? Ich hörte, wie Professor Villanueva sich beinahe überschlagen hat, als er über dein Talent sprach.«

»Theorie der Magie ist wahrscheinlich das einzige Fach, für welches ich ein Talent besitze. Doch wenn wir schon über Professoren sprechen... Professor Graham erwähnte erneut, dass du einen Dämon umgebracht hast und—« Edmund sprach nicht weiter, er sah zu ihr herunter und ein gewisser Hauch von Neugier und Misstrauen war in seinen Blick geschrieben.

Eine kleine Reaktion, die sie dazu brachte, verwirrt stehen zu bleiben. Der Junge vor ihr schloss seine Augen und strich sich seine Locken aus der Stirn, schien zu spät mitbekommen, dass es ein Fehler war, sie darauf anzusprechen.

»Und was? Dies ist Wochen her, wieso willst du jetzt darüber reden?«, fragte sie ihn mit neutraler Stimme, ihre Aura nun frostiger als der Winter und als hätte diese Kälte einen Schmerz in seinem Körper erschaffen, löste er seinen Arm von ihr.

»Ich fand keinen Moment dazu.«

Sie sagte nichts, starrte ihn nur an, und Edmund begegnete ihrem Blick endlich, hörte auf ihm auszuweichen. Manchmal vergaß sie, dass er ein Mensch war und sie konnte nicht erklären, wieso; so absurd war es, mit jemandem zu reden und ihn gleichzeitig komplett zu übersehen. (Sie schob es auf ihren Wahnsinn.)

»Du warst die letzten Wochen etwas...« Wahnsinnig? Verrückt? Benebelt? »Zerstreuter. Ich hatte angenommen dich zu kränken, so würde ich es ansprechen.«

»Kränken?«

Eine Hand legte sich auf ihren Oberarm für eine zärtliche Geste der Sorge und sie folgte seiner Bewegung, doch spürte nur Bedrohung. »Alethea, du scheinst zu vergessen, dass die alten Familien dich dafür hinrichten würden.«

Ihre Augen huschten in sein Gesicht und sie stieß die Luft spottend aus. »Diese Rede habe ich mir bereits einmal angetan, ich werde es nicht noch ein zweites Mal tun.« Sie deutete an, sich umzudrehen und zu gehen, doch Edmund umfasste ihr Handgelenk fest und zog sie wieder zurück.

»Dies ist kein Spiel.«

»Wieso sollte ich annehmen, dass es es ist? Bist du etwa wütend auf mich?«, fragte sie und neigte ihren Kopf fragend. »So glaubt man den Gerüchten...« Sie brauchte den Satz nicht zu vollenden und Edmund seine Hand fiel von ihrem Handgelenk, während sie ihr Zigarettenetui aus ihrem Mantel zog und eine Zigarette zwischen ihre Lippen setzte.

Die Geschichte um Edmund Credge war eine grausame, tragischer als die Dramen der griechischen Geschichte und mit jedem Tag, an dem niemand aus der abgeschotteten Credge Familie etwas darüber äußerte, wurden weitere Fäden eines Märchens an den Wandteppich der wahren Umstände dazu gestrickt.

Mit sechs Jahren traf das Schicksal Edmund, drang dessen Dolche in das Herz eines kleinen Jungen und nahm ihm seine Mutter vor den jungen Augen und doch brachte dieses Schicksal die Gesellschaft nicht dazu, ihre Mäuler zu halten. Sie rissen an einem bereits geschehenen Schicksal und wollten ein Stück davon für sich selbst.

Seine Mutter soll eine hübsche Staubgeborene gewesen sein, die mit ihrer alleinigen Abstammung Schande über die kleine Familie Credge gebracht hatte. Sie warfen der jungen Schönheit, nicht einmal fünfundzwanzig Jahre, sich mit einem Dämon eingelassen zu haben (ein so brutaler Mord konnte schließlich nicht von einem Sterblichen ausgeführt werden.) und sagten Edmund wäre das Balg jenen Dämons, von seiner Mutter in die Arme eines Hexers gelegt aus Scham und Angst.

Das Klacken des Feuerzeugs, als sie ihre Zigarette anzündete, hallte durch die Luft und etwas in ihr verlangte ein Schlechtes Gewissen dafür, dass sie die Gerüchte, den sie nie Glauben geschenkt hatte, nun gegen Edmund nutze. Doch war da nichts.

Er schaute sie an und sie wartete auf Emotionen in seinem Gesicht; Wut oder Trauer. Aber er ging nur einen Schritt auf sie zu und sah sie an. »Soll ich meine Hand aufschneiden und dir mein Blut zeigen?«

»Welche Farbe hat es denn? Rot oder schwarz?«, fragte sie ihn unschuldig und zog den Rauch in ihre Lungen, beobachtete wie Érebos neben ihr hockend den Winter mit geschlossenen Augen genoss.

»Du hast dich verändert.«

Sie stieß ein leises Lachen aus, so müde als hätte sie Jahrtausende gelebt und ertragen, und hob ihre rechte Hand zu ihrer Schläfe, deutete mit ihrem Finger an, dass sich eine Schraube gelöst hatte. »Ich bin jetzt wahnsinnig. Sagen dies deine Freunde nicht mit Freude?«

»Sie sind nicht meine Freunde.«

Gerade als Alethea ihn verspotten wollte, riss die Stimme von Delilah sie aus ihren Gedanken. »Aletheaaa!«, trällerte sie erfreut und schon stand sie neben ihr, legte ihre Arme von der Seite um ihre Figur; der blonde Kopf auf ihrer Schulter abgelegt.

»Oh. Hallo, Credge«, sagte sie etwas gepresster an Edmund gewandt, die Begeisterung von davor komplett verschwunden.

Der Hexer nickte ihr zu, doch diese nahm bereits Aletheas Zigarette aus ihrer Hand und warf sie in den Schnee vor sich auf den Boden, drückte sie mit ihrer Schuhsohle aus. »Nun, wir haben es endlich geschafft! Nach diesen Monaten der Hölle, die Prüfungen sind vorbei!«

Ihre Zigarette für wenige Sekunden bedauernd, hob Alethea ihren Kopf. »Nicht wirklich. Wir haben noch die Winter Prüfungen im Februar und die Abschlussprüfungen im Juni. Nicht zu vergessen, die Praktika im Mai«, erinnerte Alethea, doch die blonde Hexe wedelte alles nur unbesorgt ab. Ein sanftes Seufzen entkam ihr und ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab.

»Morgen sind bereits Winterferien und dann haben wir drei Wochen vollkommene Ruhe. Es wird uns allen gut tun endlich von dieser Akademie wegzukommen...«

Ihre Worte waren keine Lügen oder kindische Übertreibungen. Auch Alethea empfand die anstehenden Winterferien für die perfekte Zeit ihren Geist zu beruhigen und sich an die Veränderungen zu gewöhnen (obwohl sie neben all den Erledigungen, Termine und Instandhaltung, beziehungsweise die Wiedererrichtung, der Desmond Familie kaum Zeit finden würde sich zu entspannen.)

»Nach meines Erachtens«, sagte Edmund mit einem glasigen Blick und verschränkte seine Arme vor seiner Brust, »hätte der Kardinal gleich die gesamte Schule weihen sollen und nicht nur Elenis verkommene Seele.«

Der Schnee begann zu fallen, wie in Zeitlupe senkte sich weiße Flocken auf sein rabenschwarzes Haar ab und Aletheas Augen weiteten sich, während Delilah sich wieder auf ihre gesamte Größe aufrichtet, war nur noch ein handvoll Zentimeter kleiner als sie.

Der schwarzhaarige Zauberer vor ihr lachte leise, bemerkte diesen überraschten Blick.

»Das war doch was du hören wolltest, oder?«, fragte er Alethea. »Das jemand endlich über all die Scheiße spricht.« Wie gelähmt nickte sie; konnte ihre Reaktion nicht verstehen, waren die letzten zwei Wochen nicht Wochen der Besinnung gewesen?

Hatte sie nicht ihre intensive Aufmerksamkeit von dem Thema geschwenkt und sich auf die Prüfungen konzentriert? Hatte sie nicht beschlossen, dass der Stress ihr einen Wurm ins Ohr gepflanzt hatte und sie all die Zeit Schatten der Bäume, als Schatten von Monstern missinterpretiert hatte?

»Hör auf damit, Credge!«, zischte Delilah, doch niemand beachtete sie mehr.

»Meine Liebe: hier hast du die Worte, die du hören wolltest. Du hast recht. Diese Akademie ist ein Schwarzes Loch, das alles in sich aufsaugt bis nichts mehr existiert. Der verfluchte Teufel läuft durch diese Gemäuer und es werden noch mehr Menschen sterben.« Seine Stimme passte nicht zu seinem Gesicht, seine Worte passten nicht zu seiner Persönlichkeit.

Sie sah, wie er vor ihren Augen starb. Gesicht blutig und Augen voller Liebe, während er von dem Tod umarmt wurde. Er schien es nicht einmal zu bedauern, sondern zu genießen.

»Du klingst nicht, als würde es dir etwas ausmachen, wenn Menschen sterben«, kam es von Delilah mit schnippischem Ton und ihre Hand umfasste die von Alethea, als machte sie sich bereit, Alethea hinter sich zu ziehen. Alethea starrte ihn nur mit großen Augen an und verstand.

Edmund wandte sich verwirrt an die Heidin, hob seine Augenbrauen aufgrund ihres Angriffes. »Was willst du damit andeuten, Haworth?«

»Dass du allen Menschen, denen etwas zugestoßen ist, erschreckend nah warst und—«

»Und was

»Und dass niemand die Züge eines kranken Psychopathen übersehen kann. Man muss nicht einmal den Gerüchten Glauben schenken, um zu sehen, was ein Arschloch du wahrhaftig bist.« Delilah war nicht mehr wiederzuerkennen.

Ihre Haltung war streif und bereits zum Angriff, ihre Hand ballte sich zu einer Faust. Die hübschen grünen Augen wurden zu spitzen Dolchen. Ein Hauch von dem, wozu Delilah fähig war, um die Menschen zu beschützen, die sie liebte. Erneut erinnerte sich Alethea daran, was die Geliebte Delilahs machte. Welcher Schule Akuryo angehörte.

Der Winter wurde rauer, und langsam richtete Alethea ihren Blick wieder auf Edmund, der die kleinere Hexe lächelnd ansah. Seine Gesichtszüge veränderten sich vollkommen, als hätte ihn der Geist eines anderen besessen.

»Glaubst du?« Er ging einen Schritt auf sie zu, doch außer Alethea leicht hinter sich zu ziehen, rührte Delilah sich kein Stück. Ein düsterer Hexer, von dem eine stumme Gefahr ausging, doch zitterte sie nicht einmal, sondern hob nur ihren Kopf. Er bemerkte es und stieß ein leises Lachen aus.

Ihr Verstand drehte sich.

»Oh, natürlich, Haworth... Ich habe Esme getötet.« Überspielt verzog er sein Gesicht zu einem grausamen Lächeln. Da war keine Angst in Aletheas Körper, Edmund war keine wahre Bedrohung für sie. »Ich habe sie umgebracht, da ich es liebe. Diese Schreie. Das warme Blut auf meiner Haut. Diese Kontrolle über einen anderen Menschen, wie es nur den Göttern vorbehalten ist. Ich habe sie umgebracht und es genossen. Ich war es, der die kleine Nerissa Harmony in der ersten Woche von dem Turm geschubst hat, einfach weil ich es kann. Ich war es, der Eleni die Bücher von den Dämon Beschwörungen gegeben habe, da ich sie los haben wollte. Du hast mich erwischt.«

Sobald sein Monolog vorbei war und Delilah Aletheas Hand so fest packte, dass die gespannte Haut um ihre Knöchel weiß wurde und ein Pochen in ihrer Hand erwachte, lachte Edmund schnaubend und verachtend. »Du bist verrückt, Haworth, wenn du glaubst ich bin das Böse hier.«

Er blickte zu Aletheas starrer Statur, wie sie hinter Delilah stand, als bräuchte sie ihren Schutz. »Wir sehen uns, Alethea«, sagte er, bevor er an ihnen vorbei ging und über den frischen Schnee zurück in die Akademie lief.

Érebos sah ihm nach, das Fell gesträubt, als spürte er die Bedrohung, für die Alethea taub und Delilah sensibel war.

»Verfickter Bastard. Ich verstehe nicht, wie du Zeit mit ihm verbringen kannst. Er ist gruselig und verrückt und ein räudiger Bastard!«, fauchte Delilah vor sich hin und ließ noch immer ihre Hand nicht los, schaute Edmund noch immer hinterher.

»Ist es dir auch aufgefallen?«, fragte Alethea leise.

»Was? Dass dieses Arschloch noch nie so viel gesprochen hat? Besser für ihn, dass er so ein schweigender Hurensohn ist, sonst hätte ich bereits viel früher den Plan gehabt, eine Voodoo-Puppe von ihm zu machen und diese dann mit einem Stein zu erschlagen«, grummelte sie.

»Er glaubt auch, dass Esme tot ist oder war

»Weil er es war, der sie getötet hat.«

Alethea blickte ihm hinterher, bis er in der Torburg verschwand. »Nein, es war eine Frau, die Esme getötet hat. Doch er weiß mehr als er behauptet


DIE HERBE GERUCHMISCHUNG des Feuerwhiskeys und der Zigarette drang langsam in seine Nase ein und wartend auf die Wärme und Geborgenheit die dem Alkohol zugeschrieben wurde, stand er vor dem bodenlangen Fenster seines Schlafzimmers, blickte vermeidlich hinunter in den zarten Winterbeginn.

Doch kaum hatte er die Wetterverhältnisse bemerkt, hatte seinen Blick auf die verschwommene Gestalt gerichtet, deren Bewegungen er bereits seit dem fernem Moment beobachtete, in welchem er sie erblickt hatte. Es war so in den Anblick vertieft, dass er die Zigarette nur noch passiv zu seinen Lippen führte.

Professor Riddles Stirn lag in Falten. Alethea Kassándra Desmond. Ein wandelndes Rätsel, welches er nicht ausstehen konnte, und trotz allem hörte er noch immer in seinem Hinterkopf ihre angsterfüllten Schreie und ihr Flehen, er solle sie umbringen.

Ihr dunkles Haar wirrte um ihren Kopf herum — es war so selten, dass er ihr offenes, lockiges Haar zu Gesicht bekam; die dunklen Locken, die nicht ganz schwarz waren — während ihre Gestalt in einem langen, mitternachtsschwarzen Mantel gepackt war, um sich vor der Kälte zu schützen. Es war beinahe so als könnte er ihre Stimme bis hinauf hören; diese Töne, die Karamell gleichkamen und so lieblich ihren gegenüber in die Falle aus Honig lockte.

Der Rauch drang tief in seine Lungen ein und seine Stirn glättete sich mit jedem Schritt, den Edmund von ihr wegging. Mit der größer werdenden Distanz beruhigte sich sein Herz, dessen schnelles Schlagen er nicht einmal bemerkt hatte. Er wollte ihn nicht in ihrer Nähe wissen.

Edmunds närrische Liebe für sie machte ihn schwach; brachte ihn dazu, unter ihren Fingerspitzen ein offenes Buch zu werden und sie würde diese Schwäche ausnutzen, genau wie sie die Schwäche aller Seelen in dieser Akademie nutzte.

Sie war eine heimtückische Spinne, spann ihre Lügen und Täuschungen um all die unschuldigen Menschen. Ihr Lächeln war nie wahrlich authentisch, die tiefen ihrer Augen spiegelten niemals die Gefühle wider, die sie ihrem Gegenüber vorspielte.

Unter seiner Kontrolle würde sie keinem mehr etwas anhaben und doch schaffte er es nie, seine Hand vollkommen um ihren Verstand zu wickeln. Trotz allem lächelte sie ihn an und verspottete ihn.

Nur kurz huschte sein Blick zu Miss Haworth, wie sie noch immer schützend vor Alethea stand und wie eine Mutter wirkte, wie ihr Welpe beschützte. Er fragte sich, wie sie Alethea das Nervengift verabreichte; fragte sich, ob sie es in ihren Tee schmuggelte und wie sie es machen würde, wenn die beiden Freundinnen sich die Winterferien über trennten. Hatte sie einen Zauber gesprochen? Hatte sie den furchtbaren und widerlichen Honigextrakt, den Alethea stets in ihren abendlichen Tee gab, mit dem Beruhigungsmittel vermischt? Tom vermutete, dass er es so machen würde.

Gerade als sich seine Aufmerksamkeit wieder auf Alethea richtete, musste er feststellen, dass Alethea ihren Kopf gedreht hatte und direkt hinauf in den zweiten Stock der Akademie starrte, in welchem sich sein Schlafzimmer befand. Ihr Blick war so direkt, so präzise, dass keine Ausreden sich um diesen Umstand wickeln konnten und sie wissen musste, dass er hinter dem Glas stand und sie beobachtete.

Ihr Kopf neigte sich etwas zur Seite.

Ihr Verstand hatte sich geschärft.

An den meisten Tagen bewunderte er ihre Augenfarbe, die so außergewöhnlich war und doch von keinem ihrer Elternteile geerbt worden war. Ein so dunkles, tiefes Grau, als hätte man sie einst in ein warmes Braun getaucht und ihnen dann alle Farbe geraubt. Dunkle Wimpern verbargen kaum den Hass, den sie für ihn empfand.

Ja, beinahe banal waren seine Gedanken der Erleichterung gewesen, als sich der aufgestaute Nebel gelichtet hatte und sie ihn endlich wieder ansah, nicht nur passiv durch ihn hindurchschaute. Sie beobachtete ihn noch immer während des Unterrichts oder wann immer sie denselben Aufenthaltsort teilten, aber nun war es wieder aufgrund von Interesse und nicht aufgrund von Paranoia vor einem weiteren Verbrechen.

Unwillkürlich erinnerte er sich an die Momente, in denen ihre Emotionen ihm gegenüber einzig und allein aus dem Drang zu überleben bestanden haben. In denen sie ihn mit Verzweiflung anstarrt und seine Hilfe verlangt hatte. Wie ihre Hände sich an ihm festgehalten und sie in seiner Nähe nach Schutz gesucht hatte.

Was musste sie gesehen haben, dass seine Arme ihr Schutz versprachen?

Misstrauen flüsterte ihm zu, dass sie seine Sympathie ihr gegenüber nur ausnutzte. Sympathie, die einst aus Unterschätzung bestanden hatte. Die Tochter seines alten Mentors, kaum intelligenter als eine gewöhnliche Hexe. Schließlich hatte ihre Dummheit nichts mit Faulheit zu tun, sondern alleinige Talentlosigkeit.

Am Anfang hatte sie nicht in seinem Unterricht gesprochen und unbekannt wäre sie in der gesamten Schule, würde sie nicht der Familie angehören, der sie nun einmal angehörte. Wenn sie sprach, erschien sie nicht besonders intelligent und auch ihr Aussehen versprach keinen besonderen Verstand.

Dunkle Locken, eine Mischung aus braunen und schwarzen Strähnen. Ihre Nase war leicht krumm, doch besaß sie beinahe makellose gebräunte Haut, die während der finsteren Monate immer blasser wurde und die sich weich unter seinen Fingerspitzen anfühlte. Augen, die zu ihm aufblickten mit einer solchen Entschlossenheit, dass vor ihr der Teufel stand. Trug sie nicht die Schuluniform, trug sie nur ausgelesene Designer, von denen Malfoy und Rosier stets sprachen. Ihre Augen und Lippen dunkel geschminkt, Lippenstiften Reste stets auf dem Filter ihrer Zigaretten. Sie roch nach einem herben Parfüm mit Zimt und etwas, das er nicht beschreiben konnte, doch stets erkannte. Groß, mit deutlich abgezeichneten Kurven. Ihre vollen Lippen waren spröde und nur zu oft biss sie auf ihnen herum.

Sie glich jeder beliebigen reichen Erbin, doch waren es ihre abgegebenen Schriften, die ihn stutzen ließen. Nach einem aufwändigen Prozess, in dem er versuchte zu beweisen, dass sie betrog, hatte er akzeptiert, dass er sich getäuscht hatte. Er hatte es gehasst.

Jedoch verschwendete sie noch immer ihr Potenzial. Sie könnte besser sein und er hatte eine morbide Obsession mit dem Gedanken entwickelt, dass er es sein würde, der sie besser machte.

Lange hatte er mit dem Gedanken gespielt, sie zu töten; wollte es in dem Moment tun, als sie ihn nach den Horkruxen gefragt hatte und dabei sich schlau gefühlt hatte mit ihren Andeutungen, dass sie ihn vernichten wollte oder zumindest wusste wie. (Alethea vermutete ihn zu kennen, malte ihn als den Bösen der Geschichte ihres Lebens.) Tom wollte sie umbringen, wollte seine Hände um ihren Hals legen, wollte spüren, wie sie sich gegen ihn wehrte und wollte in ihren Augen blicken, als das Leben aus ihnen wich.

Er wusste nicht, warum er es nicht getan hatte. Ein oder zwei Leichen mehr in dieser Akademie würden niemandem auffallen; hätte ihren Mord nicht einmal vertuschen brauchen. Tom verstand nicht, warum. Alethea war nichts besonderes und ihre Magie war in ihren Händen nutzlos; etwas, worauf er verzichten könnte.

Wieso träumte er dann von ihr?

War es ihr Werk? Wollte sie ihn foltern, da sie ihn verabscheute und sich seinen Wahnsinn herbei wünschte? Bestrafte sie ihn mit Visionen Tag und Nacht, wie sie es einst in seinem Büro getan hatte, als ihre Hand seine Haut berührt hatte? Doch wären seine Träume dann nicht Einblicke in die Zukunft?

Nein, das konnte nicht sein.

Sie war seine Schülerin, erinnerte er sich. Sie war ein furchtbarer Dämon, geschickt, um ihn zu bestrafen, verbesserte er sich. Sie war ein Geist, der seinen Verstand zu einem alten Schloss formte, welches sie heimsuchen konnte. Gedanken wurden zu verstaubten Korridoren und überall war ihre Stimme zu hören.

Er fühlte sich in seiner eigenen Haut von ihr verfolgt und als wüsste sie dies, lächelte sie zu ihm hinauf.

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