⠀ ⠀ ⠀ XI. watch your heritage burn
DIE WENIGEN SACHEN, für die Alethea sich entschieden hat, lagen sorgfältig zusammengefaltet in ihrem Reisekoffer; Schulbücher klemmten an der rechten Seite und weitere verweilen in ihrer Tasche; die mit Kräutern und Tränken gefüllte Holzschatulle, saß direkt in der Mitte, von einem Pullover verdeckt.
»Du kannst ihn auch hier lassen.«, meinte Delilah, die neben ihrem Koffer auf dem Bett platz genommen hatte und Érebos mit einer Bürste von seinem gelösten Fell befreite. »Er hilft mir beim Einschlafen.«
Ihre blonde Freundin sah sie an und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Sie hob den Kater hoch, zwischen ihren Händen gefangen und blickte ihn an, als sei er das entzückendste Baby. »Ich danke dir, dass du dich so gut um sie kümmerst, mein kleiner Freund!«, sagte sie mit hoher Stimme, und Alethea schnaubte. »Sie will es ja selbst nicht machen. Du musst jetzt nur noch dafür sorgen, dass sie auch vor um drei ins Bett geht und nicht so lange aufbleibt.«
Alethea schloss den Koffer etwas zu kräftig, was Érebos zusammenzucken ließ und mit empörten Blick wandte er sich an Alethea. Als wollte er sie dafür verurteilen. »Ich kümmere mich sehr wohl um mich selbst. Das habe ich mein gesamtes Leben gemacht.«, erinnerte sie und ging zu der Kommode, um Delilahs Blick auszuweichen.
Der Wahrheit ins Augen zu blicken, wäre zu grausam. Wer wollte schon sehen, wie niedrig die tatsächliche Sorge um sein eigenes Wohl war? Wo blieb Aletheas Arroganz, wenn sie sich lieber zerstörte, als sich selbst zu retten?
Die dunkle Spieluhr zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Hinter Büchern und Schmuck stand sie in der letzten Ecke, beinahe komplett vergessen. Seit der Unterhaltung mit Professor Riddle und der Äußerung seiner Theorie, sie sei den dunklen Mächten gegenüber so anfällig wie die Motten dem Licht gegenüber, hatte sie sich nicht mehr getraut sie zu öffnen, um der Melodie zu lauschen und der Tänzerin Tanz zu beobachten.
Und beinahe hätte es sie in den Wahnsinn getrieben.
»Wie lange wirst du fahren?«, erkundigte sich die goldene Hexe und Alethea blinzelte, riss sich von der magischen Spieluhr fort. »Um die zwölf Stunden. Ich kann die Zeit gut gebrauchen, um einfach abzuschalten.«
»Und verdient hast du es. Deine Noten sind besser als in allen Jahren davor und ich habe das niemals für möglich gehalten. Du verbringst so viel Zeit damit zu lernen, dass es ein Wunder ist, dass dein Kopf noch funktioniert. Alethea, während deines ganzen Nachdenkens hast du keine Zeit nachzudenken. Du brauchst Ruhe.«
»Diese bekomme ich bestimmt, wenn ich das Grab meiner Mutter besuche.«, sagte sie trocken und schob die Spieluhr trotzdem in den Koffer; konnte Delilah immer noch nicht ansehen. »Ale, du hast gestern bis weit nach Mittag geschlafen. Merkst du nicht wie erschöpft du von der Woche warst?«
Alethea unterband sich zu erwähnen, warum sie so erschöpft gewesen war. Von Scherben durchlöchert zu werden, eine Panikattacke, Schmerzen zu überwinden und von Riddle geheilt zu werden, zog jegliche Kraft aus ihr.
Ohne von Träumen geplagt, war sie vorgestern Nacht in ihr Bett gefallen und hatte geschlafen, bis die Sonne bereits wieder dabei war unterzugehen. Danach war sie noch müder gewesen; hatte den ganzen Tag in ihrem Bett verbracht und mit dem Schnurren von Érebos als Hintergrundgeräusch gelesen, in der Hoffnung, sie müsste nie wieder nachdenken.
»Oder gab es ein anderen Grund warum zu so erschöpft warst?«, fragte Delilah zögernd und ohne eine verräterische Emotion zu zeigen, drehte Alethea ihren Kopf zu ihr. »Wegen jemand anderen?« Als sie das verschmitzte Lächeln auf den Lippen ihrer Freundin erkannte, beruhigte sich ihr rasendes Herz erneut. »Ich habe dich mit Edmund Creadge gesehen. Ihr wirktet sehr zufrieden, als ihr gegangen seid.«
»Sollte ich nicht eher fragen, wie es mit Vilestorm war?«, entgegnete Alethea und zog den Koffer von ihrem Bett. Sofort konnte sie beobachten, wie Delilah ihr Gesicht verzog und ein Schütteln durchzog . »Erinnere mich nicht daran. Er hat mir seine Liebe gestanden.«
»Eine wirkliche Überraschung. Niemals hätte ich erwartet, dass er in dich verliebt ist.«, murmelte Alethea mit ironischem Unterton und stellte den Koffer neben ihre Tür, überlegte, ob sie etwas vergessen hatte. Das Futter, welches sie für Érebos bestellt hatte, würde sie auf dem Weg zum Bahnhof bei Mrs Haworth abholen, und der Ehering mit der Gravierung steckte in einer der Seitentaschen ihres Reisemantels.
»Du wusstest es und hast es nicht gesagt?« Enttäuscht blicke Delilah zu Alethea und Érebos sprang entrüstet von ihrem Schoß, da sie aufhörte, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. »Natürlich wusste ich es, aber ich dachte, du siehst das Offensichtliche. Selbst ein taubstummer Blinde hätte es erkannt.«
»Hör auf so einen Mist anzunehmen. Ich ignoriere jegliche Reaktion von Vilestorm. Wie auch immer. Ich will mich nicht streiten, bevor du abreist.«
An der Tür klopfte es und mit einem letzten entschuldigenden Lächeln von Delilah huschte Alethea zu der Tür und öffnete diese, starrte den hochgewachsenen Professor an, der nicht hier sein sollte. »Guten Morgen, Miss Desmond.«, begrüßte Riddle und Aletheas Wangen verfärbten sich mit Hitze.
Sein dunkles Haar erschien wieder einmal gänzlich perfekt und kein Blut verschmierte seine Züge; stahl ihm das furchteinflößendste. Er blickte zu ihr herunter und ihrem Augenwinkel erkannte Alethea, wie Mädchen die Köpfe aus den Türen ihrer Zimmer reckten.
Aufregung durchzog die Mädchenschlafräume und die Neuigkeit von Riddles Anwesenheit verbreitete sich schneller als ein Waldbrand während der Dürrezeit
Delilah erschien hinter ihr an der Tür, grinste den Professor überrascht an. »Ein Professor am Sonntag? Normalerweise betrinkt Ihr Euch doch am Wochenende und bereut Eure Lebensentscheidungen, weil Ihr alle Kinder hasst und bemerkt, dass selbst die Bezahlung nicht Grund genug ist hier zu bleiben«
Professor Riddle verzog keine Miene und schenkte ihr ein leichtes Lächeln, welches kaum freundlich genannt werden konnte. »Das ist etwas, was ich bereits am Freitag erledige. Miss Desmond, Ihr Zug wird in einer Stunde abfahren. Sie sollten sich beeilen. In Hogsmeade erwartet Sie eine Kutsche.«, sagte er und reichte ihr das Zugticket.
Sie bedankte sich mit einem Nicken, weil keine Worte über ihre Lippen kamen. Sie wusste nicht genau, was sie hätte sagen sollen. Ich danke Ihnen? Ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich nun wieder in meinen Verstand geschlichen haben und ich dem Wahnsinn verfallen bin, da ich nichts verstehe, wenn ich in Ihrer Nähe bin?
»Passen Sie auf sich auf.«, waren seine letzten Worte, bevor er wieder ging. Delilah verdrehte nur ihre Augen und drückte ihr ihren Koffer in die Hand. »Ich komme mit nach Hogsmeade. Ich will eh noch einmal zu Mutter, auch wenn du ihre Lieblingstochter bist. Sie wollte dir außerdem noch ein paar Dinge geben, bevor du dich ganz alleine in ein fernes Land aufmachst.«
DIE LANDSCHAFT, die der Zug durchstrich, waren sowohl vertraut als auch neu. Es war dieselbe Natur in anderen Gestalten, als wären dem Schaffer die Ideen ausgegangen und er wiederholte das bereits bekannte; kopierte sich selbst, bis nichts mehr wirklich originell war.
Nachdenklich blickte Alethea auf die Verpflegung, die Mrs Haworth ihr gegeben hatte, nachdem sie und Delilah in Hogsmeade angekommen waren und von der Mutter mit Küssen überhäuft worden waren.
Mit Delilahs Freundschaft kam eine neue Familie, und so kalt wie ihre eigene war, so freundlich und liebevoll war Delilahs Alethea gegenüber. Ihre Mutter kümmerte sich um sie und betrachtete Alethea als das zweite Kind, das sie nie bekommen konnte. Sie nahm Alethea in die Arme, wenn sie weinte oder sorgte dafür, dass sie die Ferien in Hogsmeade verbringen konnte und nicht als Gast bei entfernten Verwandten.
Alethea war ihr dankbar für alles und doch blieb sie einsam; konnte Mrs Haworth trotz ihrer jahrelangen Sorge niemals als einen Ersatz für ihre Mutter akzeptieren.
Ihre Hand verhing sich in Érebos weichem Fell und sie blickte erneut aus dem Fenster des luxuriösen Zuges. Sie versuchte ihre Gedanken zu fokussieren, schließlich musste sie nachdenken. Über Hogwarts und all die Dinge, die geschahen.
Ihre Versionen waren schlimmer geworden. Während vier sich immer wiederholten und langsam in die Schwärze ihres Kopfes gebrannt waren, tauschten sich die anderen aus. So schnell, dass sie es selten schaffte, sie alle niederzuschreiben, bevor Vergessen sie sein eigen machte.
Der kleine Junge, der im Blut seines Erbes kniet. Alethea, die durch einen Wald rennt. Professor Riddle, der inmitten eines Teiches steht. Marionetten, deren Schnüre sich um ihre Hälse wickelten.
Nächte verbrachte sie in der Bibliothek, durchsuchte Bücher mit Traumdeutung und hatte nicht einmal vor den Schriften der Staubgeborenen halt gemacht, jedoch konnte Sigmund Freud und seine verworrenen Ideen ihr nicht weiterhelfen.
Während die Visionen unleugbare Verknüpfungen mit der Akademie, Professor Riddle und Alethea hatten, waren sie am Ende nur Bilder, deren Bedeutung sie nicht verstehen wollte. Waren es Warnungen? Metaphern? Tatsächliche Einblicke in die Zukunft?
Aber ihre Visionen und Professor Riddles Worte über die Akademie schienen sich zu ergänzen. Während sie von Monstern träumte, näherte sich die Akademie von der Macht all ihrer Bewohner und machte sie zu ihrem Eigen.
Vielleicht wollte ihre eigene Magie sie warnen, sie zur Lösung des Rätsels führen, warum die Akademie dies tat. Es musste etwas geben, das alles in Gang gesetzt hatte. Magie entstand nicht aus dem Nichts.
Es muss etwas geschehen sein. Da dieses Etwas, das sich labte, um dem Fluch der Leblosigkeit zu entkommen, blieb und weiterhin auf andere angewiesen war, schien es gefangen zu sein. Wenn es die Möglichkeit hätte, warum sollte es nicht weiterziehen, um sich von der Abhängigkeit zu befreien?
Wieso bleiben, wenn so viele Nachteile mit dem Handel kamen. Die Akademie litt, während ihre Bewohner litten. Professor Dumbledore starb und so tat es auch das Schloss mit ihm, saugte seine Krankheit in sich auf.
Würde der Teufel dieses Gemäuer betreten, würde die Akademie seine Boshaftigkeit annehmen, sie gar verstärken, während es selbst ertrank.
Das Labyrinth, der sich immer verändernden Gänge, als wäre selbst das Schloss verwirrt und wüsste nicht mehr, wo es sein sollte. So verwirrt wechselte es Richtung und Sinn; änderte Klang und Farbe der Wände.
Lag all dies an Dumbledore? War seine Macht so stark, dass sie einen so großen Einfluss auf die Akademie hatte? Oder stimmte das leise Geflüster über den Schulleiter? Litt Dippet möglicherweise tatsächlich an der Demenz eines alten Mannes?
Und Professor Riddle...
Er war ein böser Hexer, dessen war sie sich sicher. Arroganz war ihm kein Fremder, und seine Worte waren Gedichte aus Manipulation und Täuschung. Ohne ihre eigene Magie wäre sie ihm wahrscheinlich sofort verfallen, denn er wirkte nicht böse oder grausam.
Manchmal zweifelte sie an ihrem Verstand, weil sie an etwas festhielt, dessen Wahrhaftigkeit sie nicht zu entlarven vermochte. Der kühle Blick in seinen Augen reichte nicht aus, denn nichts anderes blickte zurück so schaute sie in den Spiegel.
Er war ein böser Hexer, dessen war sie sich sicher, aber vergaß sie es allzu oft in seiner Nähe.
ALETHEA WAR nicht in Griechenland aufgewachsen und hatte bis auf die Sprache keine Beziehung zu der Kultur gehabt. Ihre Mutter war keine beliebte Frau in ihrem Heimatland gewesen, weswegen die Verwirrung, warum die Galanis Familie entschieden hatte, sie hier zu begraben und nicht neben ihrem Ehemann in England, Alethea für immer plagen wird.
Vor vierzig Jahren hatte sich ihre Mutter in einen englischen Reisenden verliebt; in einen Mann, der Wissen suchte und noch mehr mit sich trug. Vor vierzig Jahren war sie mit ihrem Liebhaber geflüchtet und hatte bis zu ihrem letzten Herzschlag Griechenland nicht erneut betreten.
Verhasst von ihrer Familie dafür, dass sie die Traditionen verraten und Alethea das Leben geschenkt hatte, musste sie nun für die Ewigkeit unter der Erde dieses Landes verweilen. Schande. Schande. Schande.
Alethea mochte Griechenland ebenfalls nicht und ihre Familie noch weniger.
»Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir als Kinder gespielt haben.«, sagte ihre Cousine zweiten Grades auf Altgriechisch, sobald Alethea mit ihr alleine gelassen wurde. Die veraltete Sprache war die einzige, die die hohe Gesellschaft Griechenlands sprach, um ihre Überlegenheit mit jedem Satz zu demonstrieren.
Alethea konnte sich nicht daran erinnern, mit der kleinen Schwester von Elenítsa gespielt zu haben; wusste nicht mehr als ihren Namen. Anthoúsa war — anders als ihre Schwester, die für das Studium der Magie nach England zu ihrer Großtante gezogen war — in Griechenland geblieben und versuchte, dem Erbe gerecht zu werden.
Doch erkannte Alethea den Hass in den Augen des jungen Mädchens, weil sie es niemals schaffen würde.
Vor wenigen Stunden war sie in dem Haus erwacht, in dem ihre Mutter aufgewachsen war. Gestern wurde sie von einem Unbekannten von dem Bahnhof abgeholt und in das Anwesen der Galanis gefahren, in dem sie von falscher Liebe willkommen geheißen wurde.
Einer ihrer drei Onkeln und seine zweite Frau haben ihr ein Zimmer zugewiesen, versuchten Informationen aus ihr zu bekommen, die sie nicht wirklich interessierten, während ihre Tanten hinter ihrem Rücken über die stumme Missgeburt mokierten.
Der Regen prasselte auf die Verwandten hinab und der von der Sonne verlassene Tag wirkte mit jeder Minute etwas düsterer. »Deine Katze ist ganz schön eigen.«, versuchte Anthoúsa erneut eine Konversation aufzubauen und schaute auf den schwarzen Kater in Aletheas Armen, der trotz Regen sich nicht von ihr trennen wollte.
Nur über ihn hatte sie einen Schutzzauber gelegt. Er blieb trocken, während Wasser über ihr Gesicht strömte und ihre Sachen dazu brachte, an ihrer kalten Haut zu kleben. Sie betreute es, nach Griechenland gefahren zu sein.
Wieso wollte sie den Sarg ihrer Mutter sehen? Reicht es nicht, dass sie ihre Leiche am Morgen gefunden hat?
»Im November regnet es viel. Sehe es nicht als ein böses Omen.«, meinte sie und weiter schlenderten sie über den Friedhof, der so weit entfernt von einem englischen war. Kleinere Versionen von Antiken-Tempeln waren den großen Zauberfamilien gewidmet und die unwichtigen besaßen kleine, ebenso unwichtige Gräber.
»Das tue ich nicht.«, sprach Alethea das erste Mal seitdem ihre Cousine sie von dem Anwesen weggeführt hat. »In England regnet es auch oft, nicht wahr?«, fragte sie unbeholfen und Alethea nickte. »Ich fand es schade, dass Eleni dich nicht begleiten kam.«
»Sie besaß keinen Grund die Akademie zu verlassen.«
Mit diesen Worten hörte Anthoúsa auf, es zu versuchen. Stumm liefen sie nebeneinander über den Friedhof, bis sie an einem der kleinen Tempel angekommen waren. Es roch nach Sünde, beinahe so, als hätte der Regen die Lügen und den Verrat aufgewirbelt.
Alethea würde dafür sorgen, niemals hier begraben zu werden. Denn auch wenn ihre Familie sie hasste und als Abschaum betrachtete, so hatten sie doch das Gleiche für ihre Mutter empfunden, und trotzdem musste sie nun hier für immer ruhen.
Würde sich in ihrem letzten Moment in das Feuer werfen, sodass ihre Asche über Felder flog und sich auf der Erde verteilte, anstatt hier zu verrotten, umgeben von menschen, die ihren Tod gewollt haben
Sie war ein Baby gewesen, im Leib ihrer Mutter.
Anthoúsa blieb stehen. So starr und fest, als wäre sie nur eine Statue. Ihre Hände zitterten und als sie bemerkte, wie Aletheas Blick zu ihnen huschte, versteckte sie diese hinter ihrem Rücken. »Ich warte hier. Tante Aikateríni liegt im hinteren Teil.«, verkündete ihre Cousine, doch hatte Alethea das große Mausoleum ihrer Familie bereits betreten. Sie wollte sich das Gebäude nicht anschauen, doch konnte sie nicht anders.
Die Galanis' hielten sich für Götter; Apollos Kinder. Und das Innere des Mausoleums verleitet zu keinem anderen Gedanken. Weißer Marmor. Goldene Verzierungen. Darstellungen ihres Reichtums.
Alethea setzte Érebos auf den Marmorboden ab, den nun die Schlammabdrücke ihrer Schuhe zierten. Ihr Blick fiel auf den großen, steinernen Sarkophag mit den wilden Verzierungen — sie wollte nicht wissen, wer dort drinnen lag, würde nur noch mehr Verachtung verspüren — auf die Statuen verstorbener Familienmitglieder und Abbilder der Götter.
Die älteste Familie Griechenlands und Alethea betete jeden Abend für ihren Untergang.
Sie wandte sich von den wachenden Figuren ab und fand die Treppe, die hinunter in die Gruft führte. Érebos ging voraus und mit Sekunden Verzögerung, in denen sie ihren Wunsch hinterfragte, folgte sie ihm.
Die Wendeltreppe führte in einen von Fackeln erleuchteten Gang, der sich so weit erstreckte, dass sie dessen Ende nicht ausmachen konnte. Der modrige Geruch stieg in ihre Nase und rief ihr in Erinnerung, dass in diesem Gemäuer nichts mehr lebte, nur noch die Namen auf den goldenen Plaketten in Erinnerung geblieben waren.
Sie streifte weiter, durchzog den Gang wie ein trostloser Schatten. An Sarkophagen und Statuen vorbei, so waren sie für sie unwichtig und nicht ihr gewünschtes Ziel. Mörder. Verräter. Monster. Die Flammen zuckten durch die kleinen Kammern rechts und links von ihr, in welchen ihre Vorfahren lagen und im Tode trauerten.
Es brauchte Minuten, die sich anfühlten wie Stunden, bis sie das Ende erreicht hatte; die Grabkammer des letzten Stammes. Groß in seiner Fülle stand der Raum da, wartete gefüllt zu werden und so einsam lagen die drei Sarkophage.
Ihr Großvater. Er starb wenige Monate nachdem Aletheas Mutter nach London verschwunden war, um mit der Liebe ihres Lebens zusammenzuleben. Er war ein grausamer Mann, hat seine Kinder misshandelt und noch mehr Unschuldige für seinen Nutzen geschändet.
Ihre Großmutter. Diese starb Jahre nach Aletheas Geburt. Weder ihr Vater und Alethea noch ihre Mutter waren bei der Beerdigung gewesen. Schließlich hatte diese Frau den Tod von Alethea so bitterlich verlangt. Sie selbst wären nach London gereist und hätte das ungeborene Kind aus dem Leib ihrer Tochter geschnitten, hätte Aletheas Vater nicht alles getan, um seine Familie zu schützen.
Der letzte Sarkophag, abseits und wartend auf seine Geschwister: Ihre Mutter. Die wunderschöne Aikateríni Desmond. Oh, wie schön sie zu ihren Tagen war. Die älteste Tochter. Die erste, die gestorben war.
»Sie hat es nicht verdient, hier zu sein. Sie wollte neben Vater verweilen.«, flüsterte Alethea ihren Kater zu und traute sich nicht lauter zu sprechen. Mit zitternden Händen blieb sie noch immer am Eingang der Kammer stehen und suchte aus ihrer Tasche den Ring heraus, kämpfte gegen die Tränen an.
Ihr Herz riss etwas und sie wünschte sich, erneut ein Kind zu sein. Einem Kind wäre man nicht böse, wenn es auf dem Boden in sich zusammenfiel und von Trauer erfasst schrie. Von einem Kind würde man nicht Gefassenheit erwarten und niemand würde es verurteilen, wenn es den Kampf der Tränen verlor.
Was ein Monster sie gewesen war. Was eine scheußliche Tochter, da sie die Beerdigung ihrer Mutter verpasst hatte. Was hat sie nur getan? Wieso hat sie ihre Mutter alleine gelassen?
Alethea trat an den Sarkophag heran, ließ ihren Blick über diese trügerischen Worte fahren — Frieden sei mit ihr, möge sie im ewigen Licht Apollos ruhen. Es fehlte das Wappen ihrer Familie, eine Demütigung, da sie entkommen war und sich geweigert hatte, das Erbe rein zuhalten.
Sie legte den Ring auf die Aufschrift und ihre Lippen zitterten, als sie ihn mit ihrer Handfläche bedeckte und ihre Augen verschloss; spürte, wie Hitze ihre Haut zerfraß.
»Ich vermisse dich, Mama. Manchmal frage ich mich, ob du stolz auf mich gewesen wärst, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich die Gabe habe, die Zukunft zu erahnen. Ohne dich fühle ich mich einsam, aber ich weiß, dass du jetzt bei Vater bist, und das ist alles, was ich mir für dich gewünscht habe.«, sprach sie mit Tränen, während Salz ihre Lippen küsste.
Als sie ihre Augen wieder öffnete und auf den Stein des Sarkophags schaute, stand nun in metallener Schrift ›Ihr Herz erstarrte mit seinem, doch nun wieder vereint schweigen sie gemeinsam.‹. Der Ehering geschmolzen, um die Wahrheit auf Ewig festzuhalten.
»Ich liebe dich, Mama, und du liebtest mich, doch warst du von Trauer zerfressen.«
Alethea senkte ihren Kopf, erwies ihrer Mutter die letzte Ehre, bevor sie sich umdrehte. Ihr Herz schlug in ihrem Kopf und vor all den Gefühlen spürte sie nichts mehr. Érebos sah sie aufmerksam und verstehend an, als wollte er ihr Liebe schenken und ihr Herz flicken.
»Lass uns verschwinden. Ich möchte schl—«
Die eisige Kälte durchzog die modrige Luft, als Aletheas Worte in Stille stoppten und ihre Glieder sich verspannten. Ein unheilvoller Umhang legte sich, um ihre Schultern und ihre Trauer hinfort rennen zu schien, während sie mit geweiteten Augen den Steinboden fixierte. Die Realisation legte seine Hand eng um ihre Kehle und grinste, als wäre das Unvermeidliche geschehen.
Verstorbene Seelen.
Sie schüttelte ihren Kopf, konnte es nicht mehr. Sie wollte nicht mehr, doch bevor sie zu Boden stürzen oder oder fliehen konnte, um sich von der Qual zu befreien, geschah etwas anderes.
Die Schatten der verwirrten Seelen ihrer Familie sammelten sich an den Rändern ihres Sichtfeldes, lüsteten nach ihrem Leben und unwillig, Alethea jemals entkommen zu lassen. In jener Sekunde, in der sie ihren Blick hob und die weiße Frau vor sich erblickte; mit entstellten Zügen und von Fäulnis zerfressenen Gliedmaßen, sprang Érebos auf.
Alethea presste ihre Augen zusammen und wollte es nur noch hinter sich bringen. Der Wunsch, diesem albtraumhaften Moment zu entfliehen, stellte selbst ihrem Überlebensinstinkt in den Schatten. Wenn der Tod sie holen wollte, so sollte er. Komm, hol mich, flüsterte sie und sank auf die Knie, als würde sie ihn wie einen Gott ehren und sich selbst zu seinem Opferlamm ernennen. Ihr Kopf gesenkt, ihre Hände verschränkt, als würde sie ihn anbeten.
Mit sich im Reinen kniete sie in der Gruft ihrer Familie. Nichts band sie ans Leben, nichts würde sie dazu zwingen, als verirrte Seele zu wandeln, um sich selbst zu vervollständigen. Sekunden vergingen und Ruhe brach herein. Die Schreie waren verstummt, die so unwichtig in diesem Moment für sie gewesen waren. Nichts geschah, nichts wurde dunkler.
Friedlich blieb der Tod und vollkommen bei Verstand öffnete Alethea erneut ihre Augen. Die Erwartung von grellen Licht und den Toren des Jenseits wurde durch Enttäuschung ersetzt. Sie befand sich noch immer in der beklemmenden Gruft und vor ihr saß noch immer Érebos.
Wie ein Totengott, verschwiegen und mit Grausamkeit gezeichnet, thronte er regungslos. Seine goldenen Augen glänzten, während sein Schwanz sich wie ein gespenstischer Nebel über den staubigen Stein wirbelte. Er sah sie an, als versuchte er ihr mitzuteilen, sie sei nun in Sicherheit. Doch in der Gewissheit, dass sie noch lebte, lag Furcht.
Dies war nicht nur ihr Kater, zu verworren waren seine Züge. Als wäre er ein Gemälde, auf welches Wasser verschüttet wurde und nun in abstrakten Formen verschwamm. Ein Gefühl der Unsicherheit durchströmte sie und die Sicherheit, die sie immer in seinen Augen erkennen vermochte, wurde nun verschleiert.
Gut oder böse. Gut oder böse?
»Sind sie weg?«, fragte Alethea flüsternd und ihr Kater blinzelte als Antwort; seine Augen zu schlitzen. Sie schluckte, bevor sie erneut fragte. »Hast du sie verjagt?« Sie zählte bis drei und er schüttelte seinen Kopf.
Aletheas Blick huschte durch die Gruft, konnte weder den Geist noch die Seelen entdecken, die über sie herfallen wollten. Eine dunkle Ahnung machte sich in ihrem Inneren breit und der Kater tapste auf sie zu. »Vernichtet?«
Er mautzste, sein Ton hallte durch den Steingang und ohne länger zu warten, erhob sie sich aus ihrer knienden Position und schloss den Kater in ihre Arme. Sie rannte, presste ihn eng an ihre Brust, als hätte sie nun doch Angst.
Als wäre der Tod ihr ärgster Feind und größte Furcht.
Sie rannte an den goldenen Statuen ihrer Vorfahren vorbei, hinter ihr erloschen die Fackeln und sie rannte schneller. Gerade die Treppe hinaufgesteigen, endlich über der Erde angekommen, biss Érebos in ihren Arm und Alethea stoppte abrupt.
Es waren wenige Meter und sie wäre unter dem verregneten Tageshimmel. Wenige Meter und sie wäre entkommen. Aber sie vertraute ihm mehr als ihrem vernebelten Verstand. Schwer atmend sah sie ihn für einen Moment an und ließ ihn dann herunter.
»Was ist los?«
Sie blickte zu dem Ausgang, doch konnte sie ihre Cousine auf dem Friedhof nicht ausmachen. Der Kater lief an ihr vorbei und beinahe hätte sie ihn angefleht, als er erneut zu der Treppe lief, die wieder hinab in die Gruft führte. Nicht erneut darunter, nicht noch einmal. Aber er blieb stehen, schmiegte sich an dem Tor zur Treppe, das verschlossen werden konnte.
Alethea beobachtete ihn, doch verstand sie schnell. Sie folgte ihm und ließ ihre Augen das vergoldete Tor untersuchen, ihre Finger über das geheiligte Material fahren, das sich auf jedem Friedhof finden ließ.
Kalt glühte es gegen ihre Haut und beinahe sofort zog sie ihre Hand zurück, während Tränen ihre Wange hinab liefen und ein Ton ihrer Lunge entkam, der so klang, als würde sie ersticken.
Der Zauber, der die Seelen in ihrem friedlichen Delirium verdammte, war gebrochen worden.
»Sie wurden geweckt.«, hauchte sie und zitterte mit entsetztem Zorn. Ihr Kopf drehte sich zu dem Wappen der Galanis, das an der nördlichen Wand des Grabmals hing. Wie konnten sie. Wie konnten sie. Wie konnten sie.
Unbeschreibliche Wut durchflutete sie. Unbeschreiblicher Hass, vernebelte all ihre Sinne. Wie hatte sie es wagen können, den Tod hinzunehmen, wenn er ihr aufgedrängt wurde? Die Welt schien für einen Moment in einem wütenden Taumel zu verschwimmen, als der Konflikt zwischen Wut und Selbsthass in einem gewaltigen Ausbruch von Emotionen gipfelte.
Alethea stürmte aus dem Mausoleum in den verregneten Nachmittag, hatte ihre Fäuste geballt, die Knöchel weiß vor Anspannung. Jede Faser ihres Körpers bebte vor Wut, die drohte, alles niederzubrennen. »Anthoúsa!«, schrie sie mit rauer Stimme nach ihrer Cousine und blieb wie angewurzelt stehen, als sie die Frauen entdeckte.
Natürlich. Ein Kind hätte so einen Zauber nicht brechen können.
Dort stand sie, ihre Tante mit erhobenem Kinn hinter ihrer Tochter. So gelassen ihr Äußeres an anderen Tagen war, war heute jede Emotion in ihren Zügen zu erkennen. Der Schock, dass Alethea noch lebte, war deutlich. Mörder. Mörder. Mörder.
»Wenn du mich töten willst, sorge dafür, dass ich nicht überlebe!«, schrie Alethea über den Friedhof und ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. Wie eine geisterhafte Stimme hörte sie Professor Riddle nach Kontrolle verlangen, aber wieso sollte sie hören?
Ihre Tante schob ihr Kind mit zitterten Körper hinter sich. »Du hättest damals schon sterben sollen! Sieh, was du meiner Schwester angetan hast!«
Alethea wollte ihre Hände um die Kehle der Frau legen, wollte die Worte der heuchlicheren Verteidigung ersticken. Sie wollte ihre Nägel in ihrem Fleisch vergraben, durch ihre Kehle bohren, bis sie nicht mehr über ihre Mutter sprechen konnte.
Sie wollte sie umbringen, so wie sie es mit ihr versucht hat. Die Welt lag nun düster und der Regen prasselte auf sie nieder. »Sieh, was du deiner Familie angetan hast.«, flüsterte Alethea und hob ihr Kinn, als sie ihre Wut freiließ.
Sie wollte sich nicht zurückhalten. Sie hatte Macht und ihre Macht würde sie alle verschlingen.
Ihre Tante stieß einen Schrei aus, der so hoch und herzzerreißend war, dass Alethea lächelte und Asche auf ihrer Zunge schmeckte. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ihrer Tante das Kind zu nehmen. Die kleine Anthoúsa aus ihren Armen zu reißen und vor ihren Augen zu töten, aber für ihre Tante gab es nur eines, das sie vernichten konnte.
Kein Kind war ihr so kostbar wie ihr Vermächtnis.
Der Himmel wurde beinahe pechschwarz und Alethea drehte sich unter den Schreien ihrer Tante um, blickte auf das Mausoleum, das von blauen Flammen verzehrt wurde. Vielleicht wollte Stein nicht brennen, aber Alethea sorgte dafür, dass nichts ihren Flammen entkommen konnte.
Die Magie würde alles zerfressen. Alles zerstören.
Als die Flammen das Erbe ihrer Familie verschlangen, fühlte Alethea nichts als Genugtuung.
[ . . . ] Alethea ist kein Psycho, sie hat nur Probleme mit ihrer Wut. Es ist viel passiert und vielleicht habt ihr nichts verstanden, weil man wahrscheinlich ADHS braucht um etwas zuerkennen.
Alethea wurde von verstorbenen Seelen angegriffen, Érebos hat diese vernichtet (sick mf) und dann kam heraus, dass ihre Tante versucht hat, Alethea ERNEUT umzubringen.
Also hat Alethea das Mausoleum ihrer Familie zerstört und die gesamte Geschichte der Galanis.
Bad Girl. Tom wäre stolz.
words: 4,550k
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